Wintersonnenherz - Anna & Mark

Wintersonnenherz - Anna & Mark

by Hilga Höfkens
Wintersonnenherz - Anna & Mark

Wintersonnenherz - Anna & Mark

by Hilga Höfkens

eBook

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Overview

Eine Wintergeschichte voller Schnee, Kaminfeuer, Sturm und Liebe. Zwei vom Schicksal gezeichnete Menschen, denen die Liebe eine zweite Chance gibt. Es ist ein regnerischer Dezemberabend, und Anna möchte nichts weiter, als es sich auf ihrem idyllischen Pferdehof gemütlich zu machen. Sie ist dabei, der Stadt zu entfliehen, da stolpert ein Fremder vor ihren Wagen. Anna eilt ihm zu Hilfe und wird von einem intensiven Déjà-vu übermannt. Gibt es etwas in ihrer Vergangenheit, woran sie sich nicht erinnern kann? Dem einst unbezwingbaren Anwalt Mark hat ein Verkehrsunfall vor zwei Jahren allen Lebensmut geraubt. Als er erneut vor ein Auto stürzt, glaubt er, die Welt habe sich endgültig gegen ihn verschworen. Ein Blick in Annas lichtblaue Augen wühlt plötzlich tief vergrabene Erinnerungen auf. Woher kennt er sie? Was ist vor zwei Jahren wirklich geschehen? Er ist entschlossen, das Rätsel zu lösen. Doch dann verschwindet sie und ihm bleibt nur die nebelhafte Erinnerung.

Hilga Höfkens lebt meist im Hier und Jetzt und an allen Ecken findet sie interessante Menschen, deren nervenaufreibenden, herzerwärmenden und wundersamen Liebesgeschichten sie uns erzählt. Manchmal ist sie aber für unbestimmte Zeit verschwunden. Dann reist sie ins Mittelalter, in die Zukunft und sogar in ganz andere, fantastische Welten. Von dort bringt sie euch die Legenden mit, die von Frauen und Männern, Robotern und Tierwesen und vielen fantastischen Gegebenheiten erzählen.

Product Details

ISBN-13: 9783754635537
Publisher: tolino media
Publication date: 01/01/2022
Sold by: CIANDO
Format: eBook
Pages: 226
File size: 602 KB
Language: German

About the Author

Hilga Höfkens wurde 1964 in Xanten geboren. Jetzt lebt und schreibt sie im Bergischen Land. Schon als Kind war die Stadtbücherei einer ihrer Lieblingsorte, und immer hat sie mit den Helden aus den Büchern eigene Geschichten und Träume gesponnen. Erst sehr viel später begann sie damit, diese Geschichten aufzuschreiben. Auch wenn die meisten Personen in ihren Storys der Fantasie entspringen, finden sich in den Romanen und Kurzgeschichten häufig konkrete Begebenheiten und Schauplätze, die sie besucht hat. Hilga Höfkens ist in vielen Genres zu Hause, doch drehen ihre Texte sich immer um die Liebe. Dabei tragen sie die Überschrift: Buchstaben zu Worten zu Sätzen zu Geschichten zu Träumen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Ein Knall. Er wurde hart nach vorn geworfen. Sein Gesicht schrammte über den weißen Airbag, und der Gurt riss an seiner Schulter. Gleich darauf wurde er zurück in den Sitz gepresst und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Kopfstütze. Er bekam keine Luft und ruderte unkontrolliert mit den Armen. Mit einer Hand erreichte er den Türgriff und zog verzweifelt daran. Kaum hatte er den Gurt gelöst, ließ er sich aus dem Wagen rutschen und richtete sich vorsichtig auf. Alles tat ihm weh, und sein Kopf brummte. Wie durch dichten Nebel erkannte er die Überreste des Autos. Die vordere Hälfte war komplett zerstört, und schlaff hingen die weißen Airbags im Innenraum. Benommen stolperte er zurück, und im nächsten Augenblick wurde sein Körper durch die Luft geschleudert. Seine Beine schienen in Schmerzwolken zu explodieren, als er auf den Asphalt aufschlug. Das Kreischen von Glas und Metall stach in seine Ohren. In einer Reflexbewegung riss er die Arme vor sein Gesicht und krümmte sich zusammen. Dann prallte etwas auf seinen Körper, und das Feuer aus Schmerz breitete sich überall aus. Verzweifelt schnappte er nach Luft und riss die Augen auf. Er sah Blut, das stoßweise aus seinem Arm spritzte. Sterben. Jetzt werde ich sterben, schoss es durch seinen Kopf, während Schwärze sich vom Rand seines Sichtfelds in sein Bewusstsein schob und den Schmerz nach und nach auslöschte.

"Mark! Zeit, Schluss zu machen!"

Er fuhr hoch, als die Stimme seines Kanzleipartners durch den Flur hallte. Nun suchte dieser verdammte Unfall ihn sogar schon als Tagtraum heim. Verbittert presste er die Lippen zusammen und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Ein Video, aufgenommen von der neuesten Hochgeschwindigkeitskamera, deren Lieferverträge er juristisch prüfte, flackerte in Dauerschleife über seinen Bildschirm. Es zeigte einen Crashtest. Würden solche Bilder jetzt jedes Mal den schlimmsten Augenblick seines Lebens ans Tageslicht zerren?

"Hey, was ist los? Klapp die Akten zu, es ist Wochenende. Überstunden kannst du unter der Woche machen." Karl steckte den Kopf durch die Tür und nickte auffordernd zum Ausgang. Mark wusste, dass sein Freund es gut meinte, trotzdem nervte ihn die Geste. Noch zittrig von der Erinnerung beendete er dennoch das Video und löste den Laptop aus der Dockingstation. Dann packte er ihn zusammen mit den Akten in den Rucksack. Er strich abwesend mit der Hand über seinen Vollbart, der einen Teil der Narben verbarg, ehe er die Krücken nahm und Karl in den Flur folgte. Während Karl sich freundlich von Frau Seegers am Empfang verabschiedete, nickte Mark nur mit mürrischer Miene in ihre Richtung. Sie schien keinen freundlicheren Abschied erwartet zu haben.

"Bis Montag, ein schönes Wochenende Ihnen beiden", flötete sie. "Ich schließ gleich ab, gehen Sie ruhig schon."

Mark folgte Karl zum Aufzug und fragte sich wieder einmal, woher sie stets diese unerschütterliche Freundlichkeit nahm.

* * *

Auf dem nassen Asphalt spiegelten sich die Straßenlampen und die rote Ampel wie Irrlichter. Annas gedankenverlorener Blick hing an dem Film des Nieselregens auf der Frontscheibe. Der Scheibenwischer schob die Tropfen träge beiseite, und im Radio sang Adele passenderweise "Set Fire to the Rain". Anna legte den Kopf zurück und ließ die Hände auf den unteren Rand des Lenkrads rutschen, während ihr Knie zum Takt der Musik wippte. In Gedanken war sie bereits zwei Stunden weiter, bei der Verabredung von heute Abend.

Menschen mit Schirmen oder in Regenjacken hasteten durch den späten Nachmittag. Eine schwarze Wolkenwand schob sich stetig weiter vor und verdeckte bereits das Abendrot. Selbst jetzt, im Januar, war es um diese Uhrzeit normalerweise noch nicht so dunkel. Im Gegensatz zu den Leuten, die mit eingezogenen Köpfen eilig vor dem Regen flüchteten, stand eine Gruppe junger Burschen lässig auf dem Gehweg und flachste herum. Sie schubsten sich gegenseitig albern hin und her. Anna konnte verschiedene Stimmen hören, die leicht angetrunken grölten.

Ein großer, in einen dunklen Mantel gekleideter Mann erschien neben ihrem Auto. Auf zwei Krücken gestützt ging er vorbei und auf die Burschen zu. Sein Rucksack schien auf eine seltsame Art nicht zu der formellen Kleidung zu passen, und Annas Augen blieben automatisch an der ungewöhnlichen Gestalt hängen, bevor ihre Gedanken wieder nach Hause wanderten. Sie stellte sich das wohlige Gefühl einer heißen Dusche vor. Danach musste sie sich ein nettes, nicht zu ausgefallenes Outfit für heute Abend ausdenken.

Jemand hupte plötzlich, und sie fuhr zusammen. Ihr Blick flog zur Ampel. Grün. Automatisch gab ihr Fuß Gas, und ihr roter Wagen setzte sich in Bewegung. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete, schoss die Szene vor ihr wie ein Blitz in ihren Kopf.

Der große Mann mit dem Rucksack wollte sich gerade am Bordsteinrand an den Jungs vorbeischieben, als er mit einer Krücke jenseits des Bordsteins ins Leere stach und in zeitlupenartiger Langsamkeit Richtung Fahrbahn kippte. Eine Schrecksekunde später stand ihr Auto schon wieder, doch sein Körper polterte auf ihre Motorhaube und rutschte augenblicklich nach vorn herunter.

Anna starrte paralysiert durch die Scheibe. Der Wischer schob wieder den nassen Film hin und her, doch von dem Mann war keine Spur mehr zu sehen. Sie spürte ihren Herzschlag in der Kehle, und ihre Hände hätten gezittert, wären sie nicht um das Lenkrad gekrampft gewesen. Das Geräusch, das sein Körper auf der Motorhaube verursacht hatte, ließ ihren Atem stocken. Es fühlte sich an wie eine alte Erinnerung, die irgendwo aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins aufsteigen und ihr die Kehle zudrücken wollte. Träge schob sich der Wischer noch einmal über die Scheibe.

Ihr Gehirn war noch mit dem Geräusch und der nebligen Erinnerung beschäftigt, als ihr Körper reagierte und sich wie von selbst in Bewegung setzte. Ihre Hände drückten den Warnblinkknopf, drehten den Zündschlüssel, zogen die Handbremse, öffneten die Tür. Ihre Füße sprangen aus dem Auto und liefen nach vorn. Gleichzeitig grübelte ihr Verstand noch immer darüber nach, warum allein das dumpfe Geräusch des Aufpralls ihr die Luft zum Atmen nahm – bis sein Anblick sie zurück in die Realität riss.

Er lag lang ausgestreckt, mit geschlossenen Augen und viel zu still, im Licht der Scheinwerfer, und der Nieselregen bildete feine Tropfen auf seinem blassen Gesicht. Warum rührte er sich nicht? Sofort fiel sie neben ihm auf die Knie und streckte ihre Hand zu seinem Hals. Unter ihren Fingern spürte sie seine warme Haut und das leichte Flattern des Pulses, flach, aber regelmäßig. Puh, Gott sei Dank. Sie erlaubte sich auszuatmen. Durch den dunklen Vollbart und die ungeordneten, nach vorn gefallenen Locken konnte sie nur wenig von seinem Gesicht erkennen. Vorsichtig strich sie mit der anderen Hand die wilden Haare zur Seite und sah in ein kantiges, von feinen, kaum sichtbaren Narbenlinien durchzogenes Gesicht.

Glassplitter, schoss es plötzlich durch ihren Kopf, doch sofort schob sie den Gedanken beiseite. Das war jetzt nicht wichtig, und woher wollte sie das überhaupt wissen? Viel wichtiger war die Frage, warum er bewusstlos war. Konnte er so heftig mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufgeschlagen sein?

Sie holte tief Luft und legte fest die Hände aneinander, um das Zittern zu beruhigen. Alle Energie und Ruhe versuchte sie zu sammeln, dann beugte sie sich langsam nach vorn. Ihre Finger tasteten sich vom Nacken hinauf über seinen Hinterkopf, um nach einer Verletzung zu suchen, ohne den Kopf zu viel zu bewegen. Das seltsame Gefühl, als seine weichen Haare über ihre klammen Finger strichen, ließ sie schlucken. Da war nichts, kein Blut, die Kopfhaut war unverletzt. Nur die Rückseiten ihrer Hände wurden vom Regenwasser auf dem Asphalt nass, während sie seinen Kopf vorsichtig in beiden Händen hielt.

Plötzlich bebte sein Körper, und ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Als er die Lider aufschlug, und der Blick seiner braunen Augen sie traf, durchfuhr es sie wie ein Blitz. Eine Erinnerung zuckte durch ihren Kopf.

Sie saß auf dem Boden, sein Kopf auf ihren Beinen, und diese Augen sahen sie an. Überall war Blut. Sie musste irgendetwas drücken und festhalten, das war wichtig.

Ihr Körper fror mitten in der Bewegung ein, während sie seinen Kopf noch immer in beiden Händen hielt. So ein unglaubliches Déjà-vu hatte sie noch nie erlebt. Mit einem leisen Keuchen schloss sie die Augen und versuchte, das Jetzt von dem Déjà-vu zu trennen. Dann holte sie Luft und zwang sich zu einem Lächeln.

"Hi, alles in Ordnung mit Ihnen?" Langsam zog sie die Finger aus den dunklen Locken und ließ seinen Kopf auf den Asphalt sinken.

Er sah sie mit zu Stein erstarrter Miene an, ohne sich zu rühren, und Anna begann sich zu fragen, ob sein Bewusstsein tatsächlich zurückgekehrt war, oder ob er nur die Augen geöffnet hatte. Mit zwei Fingern strich sie eine nasse Strähne aus seinem Gesicht, um zu sehen, ob er überhaupt reagierte. Blinzelnd schloss er die Lider und atmete tief ein.

"Ok, bitte bewegen Sie sich nicht", wies Anna ihn an. "Haben Sie irgendwo Schmerzen?"

Kaum merklich schüttelte er den Kopf, dann blickte er zu ihr auf. Bernsteinfarbene Augen mit kleinen goldenen Sprenkeln starrten sie unverwandt an. Diese Augen kannte sie. Die hatten sie schon einmal so angesehen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, und sie hatte plötzlich den Wunsch, ihn wieder zu berühren. Sofort wandte sie sich ab, um dieses seltsame Gefühl zu verscheuchen.

"Bleiben Sie einfach still liegen", trug sie ihm auf. "Ich werde einen Krankenwagen rufen." Sie fingerte in der Hosentasche nach ihrem Handy, aber auf einmal packte der Fremde ihren Arm. Seine Miene war weiterhin undurchdringlich, doch der Ausdruck in seinen Augen glich einem Gewitter.

"Nein!" Er stützte die andere Hand auf den Boden und versuchte unbeholfen, sich aufzusetzen. "Nein, nicht ins Krankenhaus, es geht schon", brummte er, ohne seinen Blick von ihrem Gesicht zu lösen.

Sie schluckte und versuchte vergeblich, den Griff an ihrem Arm zu ignorieren. Ihr Herz raste schon wieder, und der Drang, sich sofort loszureißen, war auf einmal übermächtig. Er durfte sie nicht festhalten, niemand durfte sie festhalten. Stockend atmete sie ein und zwang sich zu einem verbindlichen Lächeln.

"Bitte lassen Sie mich los", flüsterte sie so leise und zittrig, dass sie sich fragte, ob er sie überhaupt gehört hatte, doch sofort löste er seine Finger und murmelte eine Entschuldigung. Noch einmal atmete sie tief durch und verschloss diese seltsame Beklemmung wieder tief in ihrem Inneren. Ganz ohne ihr Zutun legte sich ihre Hand auf seine Schulter, als ob sie durch die Berührung erneut eine Verbindung herstellen müsste.

"Sie sind recht heftig auf mein Auto geschlagen, und sie waren kurz bewusstlos. Es sollte sich wirklich ein Arzt ansehen, ob alles in Ordnung ist", wandte sie ein, doch er schüttelte nur energisch den Kopf. Diese Bewegung war wohl schon zu viel, denn im nächsten Augenblick stöhnte er auf und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Erschöpft ließ er sich gegen die Stoßstange ihres Autos sinken. Sein leichter Wollmantel hatte sich schon völlig mit Regenwasser vollgesogen, und inzwischen zitterte er am ganzen Körper. Ohne nachzudenken, zog sie ihre Jacke aus und legte sie um seine Schultern.

Wieder schüttelte er den Kopf und flüsterte kratzig: "Nicht ins Krankenhaus, das ist nicht nötig." Als er tief Luft holte, musste er plötzlich husten. Schnell lockerte Anna seine Krawatte und öffnete die oberen beiden Knöpfe seines Hemdes. Ganz leicht und vorsichtig legte er seine Hand auf ihre und hielt sie an seiner Brust fest, während er sie mit diesem gewittrigen Blick ansah, der sie wieder an irgendetwas erinnerte.

Inzwischen war aus dem Nieseln ein ausgewachsener eiskalter Winterregen geworden. Nach wenigen Augenblicken hatte das Wasser ihren Pulli und das T-Shirt durchnässt und ihre Haut erreicht. Doch sie musste sich um Wichtigeres kümmern. Er musste ins Krankenhaus, über alles andere konnte sie später nachdenken.

Plötzlich zuckte Blaulicht über die Straße. Alarmiert sah Anna hoch und wurde sofort vom Scheinwerfer des Krankenwagens geblendet. Inzwischen zitterte auch sie am ganzen Körper, aber der kalte Regen war nicht der einzige Grund. Verwirrt sah sie sich um und bemerkte, dass die jungen Burschen und noch einige weitere Passanten um sie und den Fremden herumstanden. Offensichtlich hatte einer von ihnen schnell reagiert und sofort einen Krankenwagen gerufen. Sie hörte die Sanitäter aus dem Wagen springen und auf sie zueilen. Einer beugte sich zu Anna vor und sprach sie an: "Treten Sie bitte zur Seite."

Sie wandte sich zu dem Fremden um und bemerkte, dass ihre Hand noch immer auf seiner Brust lag, doch als sie sie wegziehen wollte, festigte sich sein Griff.

"Warten Sie. Ich muss Sie noch etwas fragen. Gehen Sie nicht weg, bitte." Seine Stimme war tief und rau.

"Nein, nein, ich bin direkt hier, ich gehe nicht weg." Sie löste ihre Finger aus seinen und stand auf. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding, während sie zwei Schritte zurücktrat, um den Sanitätern Platz zu machen.

Steif verschränkte sie die Arme vor der Brust, um ihren bebenden Händen Halt zu geben, und fixierte den nassen Asphalt vor sich. Einatmen, ausatmen, sie musste sich beruhigen. Mein Gott. Solch ein Gefühlschaos hatte sie noch nie erlebt. Woher kamen nur diese Bilder in ihrem Kopf? Noch immer raste ihr Herz, und sie konnte das schnelle Hämmern in der Kehle spüren.

Ein Räuspern ertönte hinter ihr, und als sie sich umsah, erschrak sie fast vor dem Polizisten. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, sodass sie zu ihm aufschauen musste.

"Sind Sie die Fahrerin dieses Wagens?", fragte er.

"Ja, das bin ich", antwortete sie mit tonloser Stimme und sackte ein wenig in sich zusammen. Ihr war klar, dass sie jetzt erst mal eine Menge Fragen beantworten musste. Im Gesicht des Beamten flackerte Besorgnis auf.

"Vielleicht möchten Sie sich erst einmal in Ihren Wagen setzen, ich brauche ja dann auch die Papiere."

Anna nickte nur und ging um die beiden Sanitäter herum, die noch dabei waren, den Fremden zu untersuchen. An der weit offenen Fahrertür angekommen, ließ sie sich erschöpft auf den Sitz fallen. Kalt drang die Nässe aus der Polsterung durch ihre Jeans. Der Fahrersitz war inzwischen schon genauso durchgeweicht wie ihr Pulli. Mit steifen Fingern zog sie ihre Geldbörse aus der Handtasche und gab dem Polizisten Führerschein und Fahrzeugschein. Als sie aufsah, fiel ihr Blick durch die Frontscheibe auf den Fremden. Er wurde inzwischen auf der Trage Richtung Krankenwagen geschoben.

Er schien zu spüren, dass sie ihn beobachtete, und versuchte aufzustehen, doch die Bänder hielten ihn fest. Der durchdringende Blick aus seinen braunen Augen brannte sich in ihr Bewusstsein. Das war nicht das normale Gefühl von jemandem, den man schon einmal irgendwo gesehen hat. Das war aus irgendeinem Grund wichtiger. Der Gedanke an das Déjà-vu von vorhin ließ sie wieder den Kopf schütteln. Was war da passiert? Woher kam dieses seltsame Gefühl und woher kannte sie ihn? Immer noch stand dieses Bild von seinem blutigen Gesicht und dem dringenden Bedürfnis, irgendetwas festzuhalten, scharf in ihrem Kopf. Sie versuchte, sich an weitere Einzelheiten zu erinnern, aber da war nichts. Nichts außer diesen Augen.

Schon schob der Sanitäter die Trage zur Rückseite des Krankenwagens, und sie fixierte abwesend ihr Lenkrad. Der Polizist berührte sie leicht an der Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Offensichtlich hatte er sie bereits mehrmals angesprochen.

"Frau Hofmeister, hier, Ihre Papiere zurück."

* * *

Die Türen schlossen sich mit einem Knall, und Mark zuckte zusammen, als hätten sie ihm vor den Kopf geschlagen. Er lag auf der Trage und starrte gegen das Wagendach. Noch immer konnte er nicht ganz verstehen, was da gerade passiert war.

Er war von der Bordsteinkante gestolpert, auf ihr Auto gefallen und dann irgendwo mit dem Kopf aufgeschlagen. So weit war das noch klar. Aber danach kam ihm alles irreal und seltsam vor. Die sanfte Berührung ihrer Hand hatte ihn halb aus der Bewusstlosigkeit geholt, aber er war nicht fähig gewesen, die Augen zu öffnen. Ihre Finger hatte er gespürt, wie sie sich zart und vorsichtig über seinen Nacken zum Hinterkopf vorgetastet hatten, bis sein Kopf in ihren Händen ruhte. Einem Stromschlag gleich waren so viel Wärme und Energie durch seinen Körper geschossen, dass es ihn für einen Moment zurück in die Realität gezogen hatte. Der Blick in ihren lichtblauen Augen war ebenso weich und forschend gewesen wie ihre Berührung, und kurz war es ihm vorgekommen, als hätte sie etwas an ihm erkannt. Als ihre Hand wieder sein Gesicht berührt hatte, war ihm fast schwindelig geworden von einer längst vergessenen Erinnerung.

(Continues…)


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