Winterengel: Roman Die romantische historische Liebesgeschichte der Bestsellerautorin

Winterengel: Roman Die romantische historische Liebesgeschichte der Bestsellerautorin

by Corina Bomann
Winterengel: Roman Die romantische historische Liebesgeschichte der Bestsellerautorin

Winterengel: Roman Die romantische historische Liebesgeschichte der Bestsellerautorin

by Corina Bomann

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Overview

Gläserne Weihnachtsengel, eine Einladung von der Queen und die Verheißung einer großen Liebe  

Die kleinen Glasengel fertigt Anna Härtel nur an, um das Einkommen ihrer Familie aufzubessern. Bis sie unerwarteten Besuch im schwäbischen Spiegelberg bekommt. Ein Gesandter von Queen Victoria bittet sie an den englischen Hof. Die Königin liebt deutsche Weihnachtstraditionen und ist von Annas Engeln begeistert. Gemeinsam mit dem Diener John und einer Kiste ihrer schönsten Glasengel macht Anna sich auf die Reise. Ihr Leben verändert sich für immer.  

Schimmernde Träume und zerbrechliches Glück. Ein neuer Winterschmöker von Bestsellerautorin Corina Bomann. 


Product Details

ISBN-13: 9783843716680
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 10/13/2017
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 352
File size: 1 MB
Language: German

About the Author

Corina Bomann ist in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen und hat schon immer geschrieben. Mit "Die Schmetterlingsinsel" gelang ihr der absolute Durchbruch. Seitdem ist jeder ihrer Romane ein Bestseller geworden, auch international. Inzwischen wohnt sie abwechselnd in Berlin und in einem gemütlichen Haus in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist der perfekte Ort zum Schreiben.

Corina Bomann ist in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen und hat schon immer geschrieben. Mittlerweile ist sie eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen. Immer wieder begeistert sie ihre Leserinnen mit großen dramatischen Romanen und Heldinnen, die etwas Besonderes erreichen. Ihre Romane werden in zahlreiche Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Sie wohnt in Berlin.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

1895

»Glas ist wie die Liebe«, hörte ich meinen Vater sagen, als er die Tür zu seiner Werkstatt öffnete. »Es kann Jahrzehnte überdauern, aber von einem Moment zum anderen zerstört werden. Beides, Liebe und Glas, muss gefühlvoll behandelt werden, wenn es nicht zerbrechen soll. Gelingt das, kann es die Menschen ewig erfreuen.«

Es war das erste Mal, dass er mich mitnahm in seine Glashütte. Hitze umfing mich. Das Feuer des Glasschmelzofens leuchtete durch das Fenster der schweren Tür wie das Auge eines Drachens. Die vielen Zangen, Wannen und anderen Werkzeuge kamen mir im ersten Moment beängstigend vor. Doch mit meinen sechs Jahren wusste ich bereits, dass sie die Grundlage für unser Leben waren: das Dach über unseren Köpfen, das Brot, das wir aßen, die Betten, in denen wir schliefen, und die Kleider, die wir trugen.

Von Liebe hatte ich keine Ahnung, deshalb erfasste ich die Bedeutung seiner Worte in diesem Augenblick noch nicht. Mein Vater berührte mich an der Schulter und führte mich dann herum. Schließlich standen wir vor dem großen Spiegel, dem Meisterstück meines Vaters.

Er wirkte wie das Tor in eine andere Welt. Eine Welt, in der es eine weitere Anna gab, die ein rotes Mantelkleid und einen Hut auf dem Kopf trug, und noch einen Vater, der mit seinem dunklen Gehrock und seinem schwarzen Haar wie ein König ohne Krone aussah. Der König der Spiegel.

»Gott wird mir keine Söhne schenken, also wirst du das hier eines Tages erben«, sagte mein Vater und stellte sich hinter mich. »Du wirst eine Spiegelmacherin werden wie all deine Vorfahren. Du wirst lernen, wie man Glas herstellt und daraus Gegenstände formt, die bei den Menschen Begehren hervorrufen. Für Spiegel, auch wenn sie nichts mehr wert sind, wenn sie zerbrechen, wurde gemordet. Vielen Menschen ist nichts wertvoller als das eigene Antlitz.«

Ich starrte meinen Vater über das Spiegelbild mit weit aufgerissenen Augen an.

Meine Ahnen, das waren all die Leute, die von Gemälden in seinem Arbeitszimmer auf mich herabsahen. Ihre Blicke fürchtete ich, denn oftmals waren sie mürrisch oder anklagend.

Seine Augen hatten allerdings nichts mit den Blicken der Toten auf den Bildern gemein. Sie waren lebendig und leuchteten, als würde ein Sonnenstrahl auf blaues Glas fallen.

»Stimmt es, dass man, wenn man zu lange in einen Spiegel schaut, den Teufel sieht?«, fragte ich, ohne den Blick von unserem Spiegelbild abwenden zu können. Diesen Spruch hatte ich nur wenige Tage zuvor von einer alten Frau auf der Straße gehört. Sie bezeichnete Spiegel als Spielzeug der Eitelkeit und als Sünde. Mama hatte gemeint, sie wäre nicht mehr ganz richtig im Kopf.

»Nein, den Teufel sieht man nicht«, beruhigte mich mein Vater. »Aber möglicherweise kann man in sein eigenes Herz schauen, auf Begierden und Sehnsüchte. Oder man erkennt seine eigene Hässlichkeit, egal, wie schön man ist. Ein Spiegel lässt sich nicht betrügen, er zeigt die Welt so, wie er sie sieht. Und wenn ich jetzt hineinschaue, sehe ich keinen Teufel, ich sehe meine Zukunft.«

»He, Anna, träumst du schon wieder?«

Ich schreckte auf. Die Hitze, die ich soeben noch zu spüren meinte, verschwand und wurde zu einem eisigen Hauch auf meinen Wangen.

Wenzel, der Sohn von Meister Philipps, grinste mich frech an. Mit seinem rotblonden Haarschopf und den vielen Sommersprossen glich Wenzel einem Kobold. Ich hatte keine Ahnung, warum, doch immer, wenn er bei mir stand oder mit mir redete, begann mein Herz heftig zu klopfen. Noch schlimmer war es aber, wenn er mich dabei ertappte, wie ich in meine Tagträume versank.

»Nein, ich ... ich habe nur nachgedacht.«

»Das tust du oft in letzter Zeit«, entgegnete Wenzel und setzte sich auf den Verkaufstisch.

»Nein, mach das nicht!« Ich riss abwehrend die Hände hoch. Ich wusste nur zu gut, wie instabil der Tisch war. Deshalb beluden wir ihn niemals vollständig. Wenzels zusätzliches Gewicht ließ ihn gefährlich ächzen. Ich versetzte ihm einen kräftigen Schubs.

Er taumelte zurück. »Was ist denn los mit dir?«

»Du sollst dich nicht auf den Tisch setzen!«, fuhr ich ihn an. »Was, wenn er zusammenbricht? Dann war die ganze Arbeit umsonst. Glas verzeiht nicht, wenn es auf dem Pflaster landet, das weißt du doch selbst!«

»Beruhige dich wieder«, entgegnete er beschwichtigend und kam zu mir. Ich erstarrte förmlich, als er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Die Wärme seiner Haut durchdrang die Kälte meiner Wange mühelos und ließ mich erschaudern. »Ich weiß, es ist nicht gerade leicht für dich, aber ich verspreche dir, wir finden eine Lösung.«

Wie auch immer diese aussehen mochte. Der Glashütte von Meister Philipps ging es noch verhältnismäßig gut, dennoch reichte mein Lohn hinten und vorne nicht. Die Glasfiguren waren ein gutes Zubrot – wenn sie verkauft wurden und nicht zerbrachen, weil sich jemand auf den wackligen Tisch setzte.

Heute war nicht ein einziger Engel über den Verkaufstisch gegangen.

Vielleicht war es noch zu früh, immerhin waren es noch fünf Wochen bis Weihnachten. Der erste Advent würde erst kommendes Wochenende gefeiert werden.

Die Farbe des Himmels wechselte schon den ganzen Tag über von Dunkelgrau zu Bleigrau und wieder zurück. Kein einziger Sonnenstrahl durchbrach die Wolkendecke. Es würde sicher Schnee geben. Da blieben die Leute lieber zu Hause, und wenn sie doch auf den Markt gingen, beschränkten sie sich auf das Wesentliche.

»Lass uns zusammenpacken«, sagte Wenzel schließlich. »Es bringt ja doch nichts mehr. Eher zerspringt das Glas vom Frost.«

So viel zu seiner versprochenen Lösung. Ich bezweifelte, dass er wirklich eine hatte.

Vorsichtig stapelte ich meine Figürchen in die Schachtel, deren Fächer ich mit Rohwolle ausgekleidet hatte, damit sie nicht zerbrachen: rote und purpurne Engel, goldene Sterne und weiße Eiskristalle, meine neueste Kreation. Schließlich setzte ich den Deckel darauf und hob die Schachtel auf die Arme. Sie hatte ein beträchtliches Gewicht, doch trotz meiner schlanken Gestalt war ich nicht kraftlos.

Als Wenzel den Tisch verstaut hatte, stiegen wir auf seinen Wagen. Nach den Samstagmärkten brachte er mich immer heim, auch wenn ich die Strecke in einer halben Stunde gut zu Fuß bewältigen konnte und dies an normalen Arbeitstagen auch tat. Eigentlich wäre das nicht nötig gewesen, aber ich genoss es, dass er sich um mich kümmerte und dass ich Zeit mit ihm verbringen konnte.

Während die Räder über die vereisten Wege ratterten, dachte ich wieder an den Tagtraum.

Von der einst prachtvollen Werkstatt meines Vaters war nicht viel geblieben. Nach seinem Tod wurde der Schuldenberg offenbar, den er angehäuft hatte.

Die Leute, die gemeint hatten, dass es Wahnsinn sei, die Spiegelproduktion in dieser Gegend noch einmal aufleben zu lassen, schienen recht zu bekommen. Die Zeiten, in denen ein Fürst ein ganzes Schloss mit Spiegeln ausstatten wollte, waren längst vorbei. Aufträge für große Spiegel gab es immer seltener, schließlich fertigte die Manufaktur fast nur noch Gläser und Flaschen für Wirtshäuser. Die holländische Glasproduktion, die schon vor hundert Jahren zur Schließung der großen Spiegelhütte geführt hatte, machte uns weiterhin schwer zu schaffen.

Vermutlich war es der Gram, der das Herz meines Vaters plötzlich stillstehen ließ.

In der ersten Nacht nach seinem Tod träumte ich, dass sein Herz aus Rubinglas wäre und in tausend Stücke zersprungen sei. Viele Wochen konnte ich rotes Glas nicht mehr ansehen.

Wenige Tage nach Vaters Beerdigung erschienen die Leute von der Bank. Sie pfändeten die Werkstatt mit allem, was darin war – ebenso wie unser Wohnhaus. Wir waren gezwungen, in eine kleine Wohnung zu ziehen. Von einem Tag zum anderen verloren wir die Grundlage unseres Lebens.

Es war ein Wunder, dass ich in Spiegelbergs Nachbarort Jux bei einem Glasmacher eine Anstellung fand. Als schlecht bezahlte Hilfskraft zwar, aber ich verdiente wenigstens etwas und konnte mit Glas arbeiten.

»Anna?«, fragte Wenzel sanft. Seine Stimme ließ einen warmen Schauer durch meinen Körper laufen.

»Ja?«

»Ich wollte dich das schon eine ganze Weile fragen«, begann er zögernd.

»Was denn?«

»Na ja ... würdest du ...« Er atmete tief durch und fuhr dann mit festerer Stimme fort: »Würdest du am Sonntag nach dem Kirchgang ein wenig mit mir spazieren gehen?«

Ich blickte ihn überrascht an. Seine Ohren glühten, als hätte er zu lange vor dem Ofen gestanden.

Was war los mit ihm?

»Warum?«, fragte ich. Wollte er über die Lösung, die er sich ausgedacht hatte, sprechen, oder ... Plötzlich wurde mir bewusst, welchen Hintergedanken er haben könnte.

Wir kannten uns bereits seit der Schule. Wenzel war zwei Jahre älter als ich. Ich beneidete ihn damals, als er schon in der Werkstatt seines Vaters anfangen konnte und ich noch immer die Schulbank drücken musste. Er war mir immer ein wenig voraus, und manchmal half er mir, wenn ich mit einigen Dingen nicht nachkam. Ich mochte ihn damals schon und jetzt, wo wir zusammenarbeiteten, noch ein bisschen mehr.

Doch allein mit ihm unterwegs gewesen war ich noch nie.

»Nun ja, ich möchte etwas mit dir besprechen«, antwortete er mit hochrotem Kopf.

Das beunruhigte mich ein wenig. Sicher, die Schwärmerei für ihn war schön. Er sah sehr gut aus und war sehr freundlich. Doch ich hatte noch nicht vor, zu heiraten. Obwohl man mit achtzehn eigentlich schon alt genug war.

»In Ordnung«, sagte ich dennoch.

»Gut«, sagte Wenzel überglücklich, ohne meine Zweifel zu bemerken. »Wo wollen wir uns treffen? Soll ich dich vielleicht von zu Hause abholen?«

»Nein, das muss nicht sein«, platzte ich heraus. »Treffen wir uns doch unter der knorrigen Eiche, in die vor ein paar Jahren der Blitz eingeschlagen hat. Weißt du, wo sie steht?«

»Natürlich.« Wenzel wirkte ein wenig irritiert. Hatte er wirklich gehofft, ich würde ihn zu uns nach Hause einladen? Meine Mutter würde tatsächlich glauben, dass er mir den Hof machte! Manchmal träumte ich heimlich davon, aber irgendwie wollte ich nicht, dass sie auf diesen Gedanken kam.

»Und, was sagst du? Das wäre doch ein guter Ort, nicht?«

»Du weißt aber schon, dass bei dem Blitzeinschlag ein paar Leute schwer verletzt wurden, als sie unter dem Baum Schutz suchten?«

»Das weiß ich, aber deshalb muss es doch kein Unglücksort sein.«

Meine Hände klammerten sich fester an die Schachtel. Schweißfeucht waren sie ohnehin schon, und es schien mit jedem Meter, den wir fuhren, schlimmer zu werden.

Was würde meine Mutter sagen? Sicher, sie wäre froh, wenn ich einen guten Mann finden würde. Doch das bedeutete auch, dass ich mich nicht mehr so viel um sie kümmern konnte. Und Wenzel würde es sicher nicht gern sehen, wenn ich mit meiner gesamten Familie ins Haus einzog.

»Dann treffen wir uns also an der Eiche«, sagte Wenzel und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Was ist?«, fragte ich.

»Nichts. Du bist nur manchmal ... komisch.«

Ich hätte fragen können, wieso, doch ich ließ es bleiben. War es denn verkehrt, wenn das erste Stelldichein nicht direkt in der Wohnung der Mutter begann? War es nicht viel schöner, wenn man etwas heimlich tun konnte?

Schweigend legten wir den Rest des Weges nach Spiegelberg zurück. An dem Haus, in dessen oberster Etage wir wohnten, machte er halt.

»Also, dann bis morgen«, sagte er, und ehe ich es mich versah, zog er mich kurz an sich und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Ich starrte ihn überrascht an, stieg dann aber vom Wagen. Mir war auf einmal ganz schwindelig. Ich winkte kurz und sah ihm hinterher, wie er die Straße hinunterfuhr.

Der Gedanke, ihn zu heiraten, lag schwer auf meiner Brust. Jedes andere Mädchen wäre vielleicht froh gewesen. Doch ich hatte Angst. Angst davor, dass sich in meinem Leben danach nie wieder etwas ändern würde. Ich wusste, dass es kindisch war, von mehr zu träumen.

Aber wenn ich nachts nicht einschlafen konnte, dachte ich manchmal daran, in fremde Länder zu reisen und etwas zu sehen, das ich später in Glas nachbilden konnte. Ich war sicher, dass es das Begehren der Menschen wecken würde, wenn ich ihnen exotische Glastiere und pflanzen anbieten konnte.

Ich seufzte schwer, dann trug ich meine Schachtel die Treppe hinauf zur Eingangstür.

Das Haus, in das wir uns eingemietet hatten, gehörte Michael Niedermayer, dem Betreiber des Krämerladens. Er kannte meine Mutter von früher und hatte sich rasch bereit erklärt, uns aufzunehmen.

Die Wohnung bestand aus einem einzelnen großen Zimmer, das wir durch einen Paravent in eine Stube und ein Schlafzimmer teilten. Eine eigene Küche hatten wir nicht, dafür durften wir in der Küche der Niedermayers kochen.

Die Miete war nicht besonders hoch, dennoch mussten wir sparsam sein, denn die Arztbesuche und die Arzneien meiner Mutter kosteten einiges. Und wenn ich wie heute keinen einzigen Glasengel verkaufte, mussten wir den Gürtel noch enger schnüren.

Der Geruch von Kohlsuppe strömte mir entgegen, als ich die Treppe hinaufging. Minka, die Katze der Niedermayers, hatte es sich wieder einmal mitten auf der obersten Stufe bequem gemacht. Schon oft wäre ich beinahe über das Tier gestolpert und die Treppe hinuntergefallen.

»Kusch!«, machte ich, worauf mich die Katze nur hochmütig ansah, sich aber keinen Zentimeter weit bewegte.

Also versuchte ich, so gut wie möglich an ihr vorbeizukommen. Eigentlich mochte ich Katzen, doch dieser hier hätte ich zu gern einen Tritt verpasst.

Kaum war ich an ihr vorbei, erhob sie sich, streckte ihre Glieder und verschwand in der offenstehenden Tür der Wäschekammer.

»Das machst du doch mit Absicht«, raunte ich und schüttelte den Kopf. Hoffentlich stürzte Mutter nicht irgendwann über dieses eigensinnige Pelzknäuel.

Als ich zur Tür hereinkam, schlug mir Kühle entgegen. Anscheinend hatte Elisabeth vergessen, Holzscheite nachzulegen. Mutter lag auf dem Sofa, in eine dicke wollene Decke eingewickelt, und schlief. Von meiner Schwester war nirgends etwas zu sehen.

Ich stellte die Schachtel auf den breiten Fenstersims und ging dann zum Kachelofen. Dieser konnte ziemlich heiß werden, wenn man nicht vergaß, zu heizen. Doch jetzt waren die Kacheln nur noch lauwarm.

Glücklicherweise war die Glut noch nicht ganz erloschen. Ich pustete sie ein wenig an, und als die Flamme wieder höher loderte, legte ich die Holzscheite und etwas Kohle hinzu, die wir uns aus dem Keller des Krämers abzweigen durften.

Es würde eine Weile dauern, bis es hier richtig warm wurde, aber ein Anfang war gemacht.

»Elisabeth?«, fragte meine Mutter schlaftrunken. Offenbar rechnete sie noch nicht mit meiner Heimkehr.

»Nein, Mama, ich bin's, Anna.«

»Du bist schon wieder hier?« Verschlafen blinzelte sie mich an.

»Ja, ich bin wieder hier«, antwortete ich. »Wenzel hat mich auf dem Wagen mitgenommen.«

Mühsam richtete sie sich auf und verzog ihr Gesicht. Das Rheuma schien heute ganz besonders schlimm bei ihr zu wüten. Schon vor Vaters Tod plagte es sie, und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer.

Früher dachte ich immer, dass nur alte Leute so eine Krankheit bekommen würden. Doch Dr. Mettelmann meinte, dass auch jüngere Menschen davon befallen werden konnten. War das der Fall, konnten sie sich innerhalb weniger Jahre nur noch schlecht bewegen. Besonders dann, wenn sie häufig heftige Anfälle erlitten.

Während des Sommers ging es meiner Mutter verhältnismäßig gut. Dann konnte sie sogar Wäsche waschen. Doch im Winter war sie beinahe ständig zur Reglosigkeit verdammt. Besonders schlimm tat ihr Rücken weh. Egal, ob sie stand, saß, ging oder lag, sie hatte ständig Schmerzen. Die Tabletten und Einreibungen halfen nur vorübergehend.

Wenn es dann in der Wohnung kalt wurde, verschlechterte sich ihr Zustand noch.

»Dieser Wenzel ist wirklich ein sehr netter Bursche«, sagte sie, nachdem sie offenbar eine Lage gefunden hatte, in der sie es aushalten konnte.

»Das ist er.« Ich überlegte kurz, ob ich ihr von seiner Frage erzählen sollte. Nein, jetzt nicht, sagte ich mir. Vielleicht heute Abend, wenn es hier wärmer war und wir etwas zu essen im Magen hatten.

»Wo ist eigentlich Elisabeth?«, fragte ich. »Heute ist doch keine Schule mehr.«

»Frau Niedermayer hat sie gebeten, ihr beim Flicken des Bettzeugs zu helfen.«

Das bedeutete, dass Elisabeth unten in der warmen Stube saß, nähte und sich von Frau Niedermayer mit Gebäck füttern ließ. Nicht, dass ich es meiner Schwester missgönnte, doch ich mochte es überhaupt nicht, wenn sie darüber unsere Mutter vergaß.

»Hast du Hunger?«, fragte ich. »Oder brauchst du etwas anderes?«

»Nein, mein Kind, lass nur. Erzähl mir, wie lief es heute auf dem Markt? Konntest du viel verkaufen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht.«

Jede andere hätte vielleicht gelogen, um ihre Mutter nicht zu beunruhigen. Doch ich konnte das nicht. Meine Mutter hätte es mir angesehen.

Sie streckte die Hand nach mir aus. »Komm her, mein Mädchen.«

(Continues…)



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