Vielen Dank für alles: Trennung - glücklich überlebt

Vielen Dank für alles: Trennung - glücklich überlebt

by Ulrike Stöhring
Vielen Dank für alles: Trennung - glücklich überlebt

Vielen Dank für alles: Trennung - glücklich überlebt

by Ulrike Stöhring

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Schlimmer hätte es kaum kommen können: An einem idyllischen Augustabend eröffnet ihr Mann ihr bei einem Glas Wein, dass er sie wegen einer anderen verlassen wird. Ulrike Stöhring, Anfang fünfzig, steht unter Schock. Einer Generation zugehörig, in der zwischen Versorgungsehe und feministischer Guerilla alles möglich schien, fehlt ihr zunächst jede Idee, wie es weitergehen könnte. Radikale Selbstfürsorge hilft ihr aus der Opferrolle: Sie geht zur Tantra-Massage, nimmt sich einen französischen Liebhaber, spricht mit glücklichen Frauen und mit Männern, die verlassen haben. Silvester verbringt sie in einem buddhistischen Schweigekloster. Dem klassischen Trauerjahr, das auch ein Wutjahr ist, folgt ein Jahr voller Wandlungen und Perspektiven. Und am Ende wird sie, was sie vor der Trennung nicht war: eine glückliche Frau.


Product Details

ISBN-13: 9783843717687
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 02/23/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 272
File size: 1 MB
Language: German

About the Author

Ulrike Stöhring, geboren 1962, studierte Kultur- und Kunstwissenschaften, ist Mutter eines Sohnes und einer Tochter und Großmutter zweier Enkelkinder. Sie arbeitet als Hypnose- und Kunsttherapeutin und leitet heute ein kunsttherapeutisches Kinderatelier in Berlin-Mitte. Sie ist Kolumnistin u.a. auf der Wahrheitsseite der taz.
taz.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Der Crash. Plötzlich verlassen

»Bang bang, he shot me down. Bang bang, I hit the ground.« Nancy Sinatra

Mein Mann verschwand an einem sonnigen Augustabend, der idyllischer nicht hätte sein können. Mit einem Glas Riesling in der Hand saßen wir auf dem von ihm liebevoll bepflanzten Balkon und überlegten, welchen Kinofilm wir uns später anschauen wollten.

»Worauf hast du Lust?«, fragte ich. Keine Antwort. Da ahnte ich noch nicht, dass wenige Minuten später unsere eigene Geschichte eine Wendung nehmen würde, die ich nie für möglich gehalten hätte: von romantischer Komödie zum Splattermovie.

Ich hielt sein Schweigen zunächst für ein Nachdenken über die Kinofrage. Nach einem tiefen Atemzug, den Blick auf die eigenen Hände geheftet, brachte er es schließlich heraus: »Natalie und ich haben uns verliebt. Ich verlasse dich. Heute ... jetzt.«

Für einen Moment wurde es dunkel um mich. Als ich wieder einigermaßen sehen konnte, verließ ich den Balkon. Bloß weg von der Brüstung. Im Wohnzimmer ließ ich mich in einen Sessel fallen. Wer schon mal einen Unfall hatte, kennt das vielleicht: Das Bein ist Matsch, die Nase blutig, aber man schüttelt sich, spürt keine Schmerzen, klopft den Rettungskräften ermutigend auf die Schulter und schickt sich an davonzuhüpfen. Das funktioniert dann zwar doch nicht, aber der Körper schaltet in den Überlebensmodus, und die Psyche scheint absonderlich zu reagieren. Das ganze Ausmaß der Katastrophe kommt nicht sofort in Schmerzzentrum und Bewusstsein an. Notfalls soll noch lebensrettende Flucht vor anhaltender Gefahr möglich sein.

Der Volksmund spricht dann von einem Schock und meint damit das Aus-der-Bahn-geworfen-Sein durch ein schlimmes Ereignis. Eines von vielen körperlichen Anzeichen ist eine Kreislaufstörung, die lebensbedrohlich werden kann. Und tatsächlich: Bei mir drehte sich alles. Mein Herz raste, und mir wurde übel.

In der Psyche löst das Desaster eine sogenannte »akute Belastungsreaktion« aus. (Was für eine verharmlosende Bezeichnung für das Erdbeben im Kopf!) Bei mir machte diese sich als innere Stimme bemerkbar: Ach Quatsch, das passiert jetzt nicht wirklich uns. Das hier ist ein Film, ein Alptraum! Gleich, bitte!, bitte!, werde ich wach, und alles ist gut!

Man nennt das Dissoziation. Das Geschehen ist so schockierend und unbegreiflich, dass man sich automatisch davon entfernt, regelrecht abspaltet. Unter Hypnose wird ein solcher Blickwinkel mit der Absicht herbeigeführt, eine gewisse Distanz zum akuten Vorfall zu schaffen und einen Überblick zu gewinnen. Genau das passierte jetzt. Buchstäblich von der Zimmerdecke aus schaute ich also als eine Art Teilpersönlichkeit auf uns, wie eine Kriegsberichterstatterin auf das Schlachtfeld, und hatte stante pede das Gefühl, verrückt zu werden.

Der Schock, den es erzeugt, völlig unerwartet verlassen zu werden, hat so viele Erscheinungsformen, wie es Menschen gibt. In manchem ähneln sich unsere Reaktionen aber in jedem Lebensalter. Realisiert eine Dreijährige, dass sie beim Waldspaziergang mit der Familie verlorengegangen und plötzlich allein ist, wird sie adäquat brüllend auf diese Situation reagieren, die für sie tatsächlich lebensbedrohlich werden kann. Sieht sie sich fünfzig Jahre später wieder unerwartet verlassen, ist sie zwar nicht in Lebensgefahr, fühlt sich aber so. Nachdem also die erste gnädige Dissoziation vorbei war, wurde die Dreijährige in mir wach. Ich reagierte als erwachsene Frau so irrational verzweifelt und in heller Panik wie ein kleines Kind. An einem Schock, ausgelöst durch schwere Verletzung, kann man sterben. Oder besser gesagt durch ihn. Wenn der Kreislauf versagt und die Organe nicht mehr versorgt werden. Die vielbesungene Lebensader wird durchtrennt.

Die Eröffnung meines Mannes, seine neuen Lebenspläne betreffend, kam derart überraschend für mich, dass ich das Gefühl hatte, aus meinem Körper zu fallen. Gleichzeitig brannte mein Brustraum so sehr, dass für mich klar war: That's it. Der Infarkt, der Herzbruch ist da.

Ich schien mich auf der Stelle in drei Personen zu spalten. Eine, die sich, wie oben beschrieben, dissoziiert. Eine, die von wuchtigen Schmerzen in die Tiefe des Sessels gedrückt wird, und eine, die flüchten will und es dann auch tut, als würde der Ortswechsel ins Badezimmer ungeschehen machen, was da gerade ausgesprochen wurde.

Es folgte ein fulminanter Ausnahmezustand. Eine Gefühlsmischung, auf die ich, sonst oft fröhlich auf der Suche nach Grenzerfahrungen, gerne verzichtet hätte. Ich habe keine Erinnerung an den Weg vom Wohnzimmer ins Bad, erst wieder an den Moment, als ich auf dem Fußboden zu mir kam, irgendwo zwischen Badewanne und Katzenklo, unfähig, eine wie auch immer geartete Restwürde zu bewahren. Einzelheiten überlasse ich der Phantasie der Leserin. Nur so viel: Erstaunlich schnell und umstandslos war mir jegliche Selbstkontrolle abhandengekommen.

Dennoch muss es, rückblickend betrachtet, einen kleinen Raum in mir gegeben haben, der unversehrt blieb wie die Blackbox des Flugzeugs, das hier gerade abgestürzt war. Mir war das in dem Moment keineswegs bewusst. Wie auch? Ich kämpfte mit Übelkeit, und das Einzige, woran ich mich leider gut erinnere, ist ein für einige Stunden sehr intensives Bedürfnis, lieber tot zu sein.

Irgendwann an diesem Abend fiel mir ein, was Max Frisch nach der Trennung von seiner Schriftstellerkollegin Ingeborg Bachmann geschrieben hat: »Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht.« Sie hingegen kommentierte in ihrem autobiographischen Roman Malina trocken: »Es war Mord.« Bis zu jenem Abend hatte ich diesen Satz immer als etwas theatralisch empfunden, musste mich nun allerdings posthum bei Ingeborg Bachmann entschuldigen.

Ja, verlassen zu werden kann sich anfühlen wie ein Mordversuch. Die gute Nachricht ist, dass die allermeisten Menschen ihn überleben.

Anzeichen für eine Entfremdung zwischen meinem Mann und mir hatte es durchaus gegeben. Darauf angesprochen, hatte er gern beruhigend abgewunken. Allerdings sind mir auch sonst noch nicht viele Männer begegnet, die begeistert das konfliktreiche Beziehungsgespräch gesucht hätten. Ein Exfreund von mir sprach einmal von seiner eigenen »geradezu katholischen Lügefähigkeit«, die ihm in Zeiten erlahmender Liebe schon sehr gute Dienste geleistet habe.

Irgendwann aber kommt immer der Moment, da man nicht mehr lügen will und kann oder die Wahrheit eher zufällig entdeckt wird. Der berühmte Point of no Return.

Der Mann verließ an diesem Abend mit einem kleinen Koffer die Wohnung. Meine achtzehnjährige Tochter, nach Mitternacht fröhlich von einer Party heimkehrend, fand ihren Stiefvater nicht mehr und mich komplett aufgelöst vor.

Die folgenden drei Tage sind gnädigem Vergessen anheimgefallen. Ich habe, was sie betrifft, einen klassischen Filmriss. Wie wenn nach einer Bodenwelle die CD im Auto kurz hängen bleibt. Eine Art Schockstarre, die ziemlich nahtlos in Stufe zwei des Schreckens, die Einwirkungsphase des Trennungstraumas, überging.

Wellenartig wiederkehrende Schmerzen in Bauch und Brust erinnerten mich von nun an penetrant an meinen Verlust. Meist wurde ich nachts davon wach, oder sie überfielen mich im Morgengrauen. Auch meine Konzentrationsfähigkeit war komplett perdu. Es ist eine recht bizarre Erfahrung, mit der Haarbürste in der Hand dazustehen und nicht ganz sicher zu sein, wozu dieser Gegenstand eigentlich da ist. Die Frage, ob ich mir inzwischen jeglichen Verstand aus dem Kopf geheult hatte, wurde dringlicher. Kummer schien die grauen Zellen zu verkleben und am Rest des Körpers wie eine Bleischürze zu hängen. Mein Herz raste, die Brust schmerzte, der Kreislauf schien weiter außer Rand und Band. Innerhalb von zwei Wochen nahm ich fünf Kilo ab.

Ich beschloss, zum Arzt zu gehen.

An einem Montagmorgen stelle ich mich der Sprechstundenhilfe in der gutgefüllten Praxis sehr eindrücklich als der Notfall dar, der ich bin. Dr. P., Internist, Naturheilkundler und Hypnotherapeut – er hatte mir schon früher durch manche gesundheitliche Untiefe geholfen –, bittet mich in den in besänftigendem Blau gestrichenen Behandlungsraum.

Die Routiniertheit und Sorgfalt, mit der er mich zunächst untersucht, um Bluthochdruck, eine Herzkrankheit oder auch eine Überfunktion der Schilddrüse auszuschließen, beruhigen mich ein wenig. Nachdem glücklicherweise der organische Befund besser nicht sein könnte, blickt Dr. P. mir tief in die Augen und will wissen, was in meinem Leben denn sonst noch los sei.

Nach ein paar meinerseits eher gestammelten Eckdaten ist er im Bilde und erklärt mir sehr ernsthaft, dass eine so heftige Trennungskrise, wie ich sie erlebte, ein ausgewachsenes Gesundheitsrisiko darstelle. Meine Symptome seien typische Alarmreaktionen, ausgelöst durch den Schock. Ich würde geradezu in Stresshormonen schwimmen.

Sofort schwimme ich auch in Tränen und Selbstmitleid.

Der Doc nimmt sich die Zeit für einen kleinen Vortrag über Hormone: »In der Evolution war es die meiste Zeit von Nutzen, in einem Bedrohungsmoment möglichst viel Adrenalin und Noradrenalin auszuschütten, um je nach Lage der Dinge flüchten oder angreifen zu können. Beide Reaktionen sind aber einer Situation, in der eine europäische Mittelschichtsehe zerbricht, nicht wirklich angemessen. Meist verprügelt man sich nicht, und man versucht auch nicht, im Dauerlauf das Land zu verlassen.«

Ich gestehe ihm, momentan auf beides große Lust zu verspüren, was Dr. P. freundlicherweise gut nachvollziehen kann. Er fährt begütigend fort: »Stresshormone in so großer Menge werden nicht gebraucht und demzufolge auch nicht schnell wieder abgebaut. Die Folge sind unangenehme Nebenwirkungen, die sich wie Krankheiten anfühlen. Hormonell befinden sich unsere Körper noch immer auf dem Entwicklungsstand der Steinzeit, die Anpassung an die heutigen Bedingungen geht zu langsam vonstatten.«

So weit, so schlecht.

Auch der bedauerliche Fakt, dass es bei Frauen ab Beginn der Menopause durch den Rückgang der Östrogenproduktion zur verstärkten Aktivierung des Sympathikus und damit zu heftigeren Stressreaktionen kommen könne, ist nicht unbedingt eine gute Nachricht. Der Doc erzählt mir mit einem Lächeln, das fast romantisch zu nennen wäre, dass Östrogene bei jüngeren Frauen die inneren Organe wie ein Schutzmäntelchen vor den negativen Wirkungen der Stresshormone bewahren. Was auch erkläre, warum Frauen vor der Menopause deutlich weniger Herzinfarkte erlitten als Männer.

Danach aber, pünktlich zur Scheidungssaison in der Lebensmitte, geht es los: Jeder kennt das Bild vom gebrochenen Herzen. Als Kind stellte ich mir immer ein zartes Knochengerüst im Innern dieses hauptamtlich für die Liebe zuständigen Organs vor. »Das Broken-Heart-Syndrom«, erklärt der Doc, »ist eine eher bei Frauen als bei Männern vorkommende Verengung der Herzkranzgefäße. Sie wird durch extremen seelischen Stress hervorgerufen.« Mein Selbstmitleid geht durch die Decke. »Schwere Rhythmusstörungen können sogar tödlich enden. Buchstäblich aus dem Takt geraten, hört das Herz dann auf zu schlagen.« Freundlicherweise betont er die Seltenheit eines solchen Verlaufs und drückt begütigend meine Hand.

Ich hadere trotzdem mit der Langsamkeit der Anpassung des menschlichen Organismus an die veränderten evolutionären Erfordernisse. Wie angenehm wäre es, in Krisensituationen wie einer Trennung zunächst in meditativen Tiefschlaf fallen zu können? Warum sind wir nicht gerade dann mit großem Appetit und gesteigerter Ausschüttung von Glückshormonen gesegnet? Logisch wäre das ja, denn unser Überleben hängt nicht (mehr) vom Fortbestand einer Ehe ab.

Mein Doc rät mir jedenfalls dringend zu einigen Maßnahmen, um meinen tobenden Körper und meine wunde Seele zu besänftigen. »Finden Sie Ihre Mitte wieder!«, spricht er sonor auf mich ein, und ich mag ihm nicht sagen, dass von Wiederfinden gar nicht die Rede sein kann, denn ich hatte noch nie eine genauere Vorstellung davon, wo diese Mitte überhaupt sein soll.

Aber egal, ich weiß ungefähr, was der Doktor meint, und bin dankbar, dass er nun wieder zum praktischen Teil der Konsultation übergeht. Verschiedene Rettungsringe sind im Angebot. Am geläufigsten und häufig verschrieben sind schlaffördernde und stimmungsaufhellende Psychopharmaka. Vor deren suchterzeugendem Potential habe ich jedoch einen Heidenrespekt. Einzig die in freundlichem Sonnengelb gehaltene Packung mit Johanniskraut-Tabletten lasse ich mir als hoffentlich ungefährliches Naturheilmittel in die Hand drücken. Von den in Frage kommenden Therapien legt mir Dr. P. alle Verfahren ans Herz, die ausdrücklich die Achtsamkeit und die Körperwahrnehmung stärken, nämlich Yoga, Osteopathie, Körper- und Hypnosetherapie.

Wir überschlagen gemeinsam den akut notwendigen Aufwand.

Zeitlich: fulltime.

Finanziell: langfristig vierstellig.

Ich muss mir meinen eigenen Heil- und Kostenplan erstellen, denn so, wie es derzeit um mich steht, kann es nicht bleiben.

Der Doktor schreibt mich krank und entlässt mich mit guten Wünschen und professioneller Munterkeit.

Wieder zu Hause, heule ich eine Runde und rufe Jola an.

CHAPTER 2

Alone again. Der Entzug

»Sie dachte über die seltsame Tatsache nach, dass sieben Milliarden Menschen nicht von einem Lebenszeichen von ihm abhängig waren.« Lena Andersson, Widerrechtliche Inbesitznahme

Jola hat seit meinem Trennungsabend ihr Telefon nicht mehr ausgeschaltet und nimmt jeden Anruf von mir entgegen, egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Sie ist eine meiner ältesten Freundinnen, kennt mich besser als jede andere und wollte doch kaum glauben, was in meinem Leben gerade passierte. Ihre letzte Trennung liegt drei Jahre zurück. Genug Zeit, um Abstand zu finden und nun der erheblich verstörten Freundin zur Seite zu stehen. Jola ist, wie ich, ein Fan von Ratgeberliteratur und versorgt mich mit Büchern, Zeitungsausschnitten und Hab-ich-grade-im-Netz-gelesen-Zitaten. Zunächst aber leistet sie Erste Hilfe, denn ich befinde mich im Ausnahmezustand.

Glaubt man einem Psychotraumatologen, sollte etwa zwei, spätestens aber vier Wochen nach einem traumatischen Erlebnis die sogenannte Erholungsphase eintreten: Die Dauererregung klingt ab, und man schaut wieder positiver in die Zukunft. Sowohl aus meiner persönlichen als auch aus meiner beruflichen Erfahrung als Therapeutin handelt es sich hier eher um einen frommen Wunsch. Nach dem Zusammenbruch wichtiger Lebenspläne, wenn man vor dem Scherbenhaufen einer eigentlich auf Dauer angelegten Beziehung steht, nach dem Verschwinden eines Geliebten, was immer auch wuchtige Kränkung durch Zurückweisung bedeutet, muss man sich auf viel längere Zeiträume einstellen, bis tatsächlich ernsthaft so etwas wie Erleichterung spürbar ist. Das gilt selbst bei Beziehungen, in denen so gut wie gar nichts mehr stimmte, denn die Endgültigkeit und das Folgenreiche der neuen Situation haben etwas Gewaltsames. Splattermovie eben.

Auch bei mir ließ die Erholungsphase bedauerlicherweise auf sich warten. Ich war ungeduldig und dauerbeunruhigt, denn ich wollte auf keinen Fall zu einem chronifizierten Trennungsopfer mutieren. Diese leiden, wie ich wusste, unter Vermeidungsverhalten (»Nein, ich mache diesen Brief nicht auf«, oder: »Auf keinen Fall kann ich dieses Restaurant jemals wieder betreten, denn hier haben wir uns kennengelernt« etc. pp.). Ständige Flashbacks der zentralen Trennungsszene sorgten für ein anhaltend hohes Erregungsniveau. Körper und Seele waren in heller Panik. Das war kein Dauerlauf mehr, das war der Ironman in Endlosschleife, genannt Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).

Der akute Schock hielt in meinem Fall volle acht Wochen an.

Da saß ich nun in unserer ehemals gemeinsamen Wohnung und erlebte die Abwesenheit meines Mannes, als fehlte mir eine chemische Substanz. Da er sich entzog, musste ich entziehen. Das war nicht nur ein Bild, wie ich nun wusste, sondern ein in meinem Körper tobender biochemischer Vorgang. Ich outete mich mir selbst gegenüber als Beziehungsjunkie und sah mich schon in der entsprechenden Selbsthilfegruppe. Szenario: Ein dünnes Stimmchen entringt sich mir, der Neuen in der Runde: »Hallo, ich bin Ulrike, und ich bin abhängig.« Chor zurück: »Willkommen, Ulrike!«

Bestimmte Botenstoffe, die während meiner Ehe, als sie noch glückte, reichlich unterwegs waren (o selige, engelsgleiche Dopamine!), fehlten nun, stattdessen Krawall der Adrenaline so weit das Nervensystem reichte. Sie entpuppten sich weiterhin als die Hooligans unter den Hormonen, randalierten, feuerten, malträtierten meine Nebennieren. Und wie mein Doc schon angekündigt hatte, ließen sie sich einfach nicht abbauen. Mir wurde geraten, wieder zu joggen. Angesichts der Tatsache, dass ich in dieser Zeit die zwei halben Treppen zu meiner Wohnung nur unter Aufbietung eines letzten Rests an Würde nicht auf allen vieren erklomm, das reinste Wunschdenken.

(Continues…)


Excerpted from "Vielen Dank Für Alles"
by .
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Excerpted by permission of Ullstein Buchverlage.
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Table of Contents

Über das Buch und die Autorin,
Titelseite,
Impressum,
Widmung,
Vorwort,
1. Der Crash. Plötzlich verlassen,
2. Alone again. Der Entzug,
3. Wer wir waren,
4. Die Scheidungsanwältin,
5. Nicht zu glauben. Die Verleugnung,
6. Rettungsringe im Alltag. Die Umräumparty,
7. Keiner will sie. Die Wut,
8. Alltag im Säurebad. Der Waschsalon,
9. So long, Marianne. Die Trauer,
10. Iggy Pop geht zum Tantra,
11. Reise zu den glücklichen Frauen (1): Biggi H., Lehrerin,
12. Auf allen vieren übern Berg. Prozessorientierte Körpertherapie,
13. Da fällt ein See vom Himmel. Der Geliebte,
14. Runter von der Couch: Hypnotherapie,
15. Reise zu den glücklichen Frauen (2): Claudia K., Journalistin,
16. Those years. Der Zauber der Wechseljahre,
17. Und du so? Interviews mit Männern, die verlassen haben,
Harry G., Lehrer, 62 Jahre,
Wolfram P., Fernsehredakteur, 45 Jahre,
Otto W., Programmierer, 50 Jahre,
André N., Konstrukteur, 58 Jahre,
18. Eat Pray Love in Litauen. Bei den Lebenden und den Toten,
19. Reise zu den glücklichen Frauen (3): Ulla W., Bodyworkerin,
20. Die schlimmste Furie Europas. Über die Scham,
21. Reise zu den glücklichen Frauen (4): Ellen v. W., Soziologin,
22. Feste überstehen. Vipassana in Österreich,
Der erste Tag,
Der zweite Tag,
Der dritte Tag,
Der vierte Tag,
Der fünfte Tag,
Die Abreise,
23. So viel Leben. Die Bibliotherapie,
24. Verwildern unter Felldecken. Eine Schamanenreise nach Finnland,
25. Der eigene Anteil. Fragen über Fragen,
26. Reise zu den glücklichen Frauen (5): Rita B., Notarin,
27. Zustimmung in Anlage U, Abschnitt B, oder: Das böse G-Wort,
28. Das geblümte Hemd. Die Wiederbegegnung,
29. Reise zu den glücklichen Frauen (6): Anne L., Weberin,
30. Neue Muster der Gesellung. Ist Blut dicker als Wasser?,
31. Ich mache mich nützlich. Die Trennungsberatung,
32. Scheidung heißt nicht Scheitern,
33. Glückliche Frau? Glückliche Frau!,
34. Gute Reise! Ein Brief von unterwegs,
Danksagung,
Literatur,
Feedback an den Verlag,
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