Read an Excerpt
TWENTIETH-CENTURY
GERMAN POETRY
ELSE LASKER-SCHÜLER, 1869-1945
George Grosz
Manchmal spielen bunte Tränen
In seinen äschernen Augen.
Aber immer begegnen ihm Totenwagen,
Die verscheuchen seine Libellen.
Er ist abergläubig—
—Ward unter einem bösen Stern geboren—
Seine Schrift regnet,
Seine Zeichnung: Trüber Buchstabe.
Wie lange im Fluß gelegen
Blähen seine Menschen sich auf,
Mysteriöse Verlorene mit Quabbenmäulern
Und verfaulten Seelen.
Fünf träumende Totenfahrer
Sind seine silbernen Finger.
Aber nirgendwo ein Licht im verirrten Märchen
Und doch ist er ein Kind,
Der Held aus dem Lederstrumpf;
Mit dem Indianerstamm auf Duzfuß.
Sonst haßt er alle Menschen,
Sie bringen ihm Unglück.
Aber George Grosz liebt sein Mißgeschick
Wie einen anhänglichen Feind.
Sometimes coloured tears play
In his ashen eyes.
He is forever encountering funeral processions Which scatter his dragonflies.
He is superstitious—
Born under a bad star—
His writing rains,
His drawings: gloomy alphabets.
His people are bloated,
As though they’d long lain in rivers,
Mysterious missing persons with fish-mouths
And mouldering souls.
His silver fingers
Are five dreamy undertakers.
Nowhere is there a light in his lost Märchen,
But he remains a boy at heart,
A Fenimore Cooper hero;
On first-name terms with a tribe of Indians.
Apart from them, he hates everyone,
They bring him bad luck.
But George Grosz loves his fate
Like a trusty enemy.
Und seine Traurigkeit ist dionysisch, Schwarzer Champagnerseine Klage.
Kein Mensch weiß, wo er herkam;
Ich weiß, wo er landet.
Er ist ein Meer mit verhängtem Mond, Sein Gott ist nur scheintot.
And his sadness is Dionysian,
Black champagne his plaints.
No one knows where he came from;
I know where he ends up.
He is a sea with a dim moon above it, His god is only playing dead.
Michael Hofmann
RAINER MARIA RILKE, 1875-1926
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Autumn Day
Lord, it is time. The summer was too long.
Lay now thy shadow over the sundials,
and on the meadows let the winds blow strong.
Bid the last fruit to ripen on the vine;
allow them still two friendly southern days
to bring them to perfection and to force
the final sweetness in the heavy wine.
Who has no house now will not build him one.
Who is alone now will be long alone,
will waken, read, and write long letters
and through the barren pathways up and down
restlessly wander when dead leaves are blown.
C. F. MacIntyre
Spanische Tänzerin
Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,
eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
zuckende Zungen streckt—: beginnt im Kreis
naher Beschauer hastig, hell und heiß
ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.
Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.
Mit einem Blick entzündet sie ihr Haar
und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,
die nackten Arme wach und klappernd strecken.
Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
und flammt noch immer und ergiebt sich nicht—. Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.
The Spanish Dancer
The audience in the cup of her hand,
she is a struck match: sparks,
darting tongues, and then the white flare
of phosphorus and the dance ignites
a charm of fire, uncoiling, spreading fast.
And suddenly she is all flame.
She is brazen: glancing round and shamelessly
setting her hair alight, turning her dress
to a seething inferno, from which she stretches
long white arms, and castanets, like rattlesnakes woken, startled to their ratcheting and clack.
And just as quick, as if constricted
by the sheath of fire, she gathers it up
and casts it off in one high gesture,
and looks down: it lies there raging on the ground,
shed flame stubbornly alive.
Radiant, chin tilted in salute, she dispatches it
with a steely fusillade of feet:
stamps it, pounds it, stamps it out.
RAINER MARIA RILKE
Blaue Hortensie
So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.
Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;
Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.
Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.
rainer maria rilke
Excerpted from Twentieth-Century German Poetry by Michael Hofmann.
Copyright 2005 by Michael Hofmann.
Published in First American edition, 2006 by Farrar, Straus and Giroux.
All rights reserved. This work is protected under copyright laws and reproduction is strictly prohibited. Permission to reproduce the material in any manner or medium must be secured from the Publisher.