Starkes weiches Herz: Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können

Starkes weiches Herz: Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können

by Madeleine Alizadeh (dariadaria)
Starkes weiches Herz: Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können

Starkes weiches Herz: Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können

by Madeleine Alizadeh (dariadaria)

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Madeleine Alizadeh, im Internet als dariadaria bekannt, beschäftigt sich mit all den kleinen großen Fragen: Ist mein Leben erfüllt? Was ist mir wichtig und wie stehe ich dafür ein? Wie kann ich in einer Welt, die von Krisen beherrscht wird, optimistisch bleiben? Sie gibt ihren Leserinnen einen gut gefüllten Werkzeugkoffer mit auf den Weg, der ihnen hilft, sich ihrem inneren Zuhause mit ganz viel Liebe zu widmen und für all das, wofür es sich zu kämpfen lohnt, mit Mut einzustehen: für Feminismus und Gleichberechtigung, gegen Klimawandel und rechte Hetze. Gleichzeitig stark und weich zu sein ist dabei kein Widerspruch, sondern eine authentische Möglichkeit, der Welt zu begegnen und ein liebevolles und reflektiertes Miteinander zu schaffen.
Ein inspirierendes Buch von einer beeindruckenden jungen Frau!


Product Details

ISBN-13: 9783843721813
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 08/30/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 304
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Madeleine Alizadeh, besser bekannt als dariadaria, gründete 2010 dariadaria.com, kurz darauf einer der meistgelesenen Blogs im deutschsprachigen Raum. 2013 wendet sie sich komplett vom Fast-Fashion-Zirkus ab und beschäftigt sich heute ausschließlich mit nachhaltigen Themen. Sie produziert den Podcast A Mindful Mess und ist Kolumnistin und Speakerin. Außerdem betreibt sie das Fair-Fashion-Label Dariadéh, ist Umwelt- und Tierschutzaktivistin und ausgebildete Yogalehrerin. Nebenbei informiert sie täglich 200.000 Follower auf ihren Social-Media-Kanälen über ihre Herzensthemen.
Madeleine Alizadeh, besser bekannt als dariadaria, gründete 2010 dariadaria.com, kurz darauf einer der meistgelesenen Blogs im deutschsprachigen Raum. 2013 wendet sie sich komplett vom Fast-Fashion-Zirkus ab und beschäftigt sich heute ausschließlich mit nachhaltigen Themen. Sie produziert den Podcast A Mindful Mess und ist Kolumnistin und Speakerin. Außerdem betreibt sie das Fair-Fashion-Label Dariadéh, ist Umwelt- und Tierschutzaktivistin und ausgebildete Yogalehrerin. Nebenbei informiert sie täglich 270.000 Follower auf ihren Social-Media-Kanälen über ihre Herzensthemen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Bin ich eigentlich erfüllt?

Ich hätte mir tausend Ausreden zurechtlegen können, wieso es dumm wäre, aus einem Hobby einen Beruf zu machen. Ich war 22, ohne Kohle, kurz vor dem abgeschlossenen Studium, ohne Aussicht auf einen Job. Aber: Ich habe es einfach probiert, denn zu verlieren gibt es selten etwas. Ich beschloss, mich mit meinem Blog, den ich zwei Jahre zuvor gegründet hatte, selbstständig zu machen. Ich jobbte nebenher ein bisschen, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, und steckte in meiner Freizeit jede freie Minute in meinen Onlineauftritt. Es fühlte sich nicht wie Arbeit an, denn ich liebte es! Ich hielt jede Situation fotografisch fest, traf mich mit anderen Bloggerinnen, erzählte jedem, den ich kannte, von »dieser neuen App namens Instagram«. Meine Begeisterung beschränkte sich aber nicht nur aufs Bloggen: Schon immer liebte ich eigentlich alles, was ich tat. Ich liebte als Jugendliche meinen Job am Wochenendmarkt, wo ich um fünf Uhr morgens den Stand aufbaute und dann den ganzen Tag in klirrender Kälte Käse verkaufte. Ich liebte meinen Kellnerinnenjob, bei dem ich den dicksten Bizeps bekam. Und ich liebte meine ehrenamtliche Arbeit, die ich im zarten Alter von 14 begann. Und das ist der springende Punkt: Glück findet man nicht nur in glamourösen, glatt polierten Tätigkeiten. Wenn ich von Glück spreche, spreche ich nicht vom Leben auf den Bahamas, sondern von Dingen, die DICH ganz individuell erfüllen. Wenn ich über das, was wir als Glück bezeichnen, spreche, höre ich so oft »aber«. Menschen finden zig Ausreden, wieso Gegebenheit XY sie davon abhält, erfüllt und zufrieden zu sein. Das klingt jetzt vorerst mal wie ein kitschiges Versprechen eines Zehn-Wochen-Programms, das einem auf Social Media verkauft wird, aber: Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied. Nein, ich bin keine Freundin von »Wir müssen alle immer glücklich sein« und der rosaroten Brille. Dennoch glaube ich aber aus tiefstem Herzen, dass Menschen erfüllt sein können, wenn sie es schaffen, das, was sie brauchen, in sich zu finden.

Die meisten Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurden, haben einen Luxus, den viele andere Menschen nicht haben. Wieso nehmen wir die Chancen, wenn wir sie haben, nicht wahr? Die wenigsten von uns kämpfen in einem indischen Slum ums tägliche Überleben. Dennoch sind es meist Menschen aus der Mittelschicht, die sich zahlreiche Gründe zurechtlegen, warum sie dieses und jenes nicht tun können. »Check your privilege«, posaunt es. Ja, ich und viele andere sind wahnsinnig privilegiert. Ich lebe als Cisgender in einer sicheren Stadt, durfte eine gute Ausbildung genießen und gehöre zu keiner marginalisierten Gruppe. Natürlich wache ich nicht jeden Tag auf und sinniere über all meine Privilegien, und manchmal ist es völlig legitim zu jammern, sich zu beschweren. Dennoch bin ich irrsinnig dankbar für das wunderschöne Leben, das ich leben darf. »Check your privilege« jedoch kann oft bedeuten: »Halt den Mund, du darfst nicht mitreden.« Dieser Diskurs ist mir während der letzten Jahre mehr und mehr in diversen sozialen Medien aufgefallen, und ich halte ihn für alles andere als konstruktiv. Ja, Privilegien zu erkennen, ist wichtig. Vor allem White Privilege! White Privilege bedeutet nicht, keine Probleme zu haben, jedoch, dass diese Probleme nicht aufgrund der eigenen Hautfarbe entstanden sind. Abseits des Diskurses zum White Privilege gibt es aber auch andere Arten, einen Menschen darauf hinzuweisen, dass er oder sie etwas hat, was einem selbst fehlt und einen einschränkt. Jemanden im Imperativ zurückzuweisen, schafft keinen konstruktiven Diskurs, und es schafft auch keine Grundlage für Verständnis, Zuhören, und allem voran: Es schafft keine Lösung.

Mein Vater kam mit 16 aus dem Iran nach Wien. Mit im Gepäck: Diagnose Knochenkrebs. Nach einem jahrelangen Krankenhausaufenthalt wurde ihm letztendlich das linke Bein amputiert. Mit nur einem Bein fuhr er Taxi, arbeitete sich hoch, bis er ein Stipendium für die Diplomatische Akademie in Wien bekam. Seine Eltern unterstützten ihn weder finanziell noch emotional – er war auf sich allein gestellt. Meine Mutter kommt aus einer einfachen Familie, sie hat fünf Geschwister. Mit 26 war sie mit ihrem zweiten Kind schwanger, als ihr Vater mit nur 35 Kilo im Krebs-Endstadium auf der Intensivstation für immer ging. Meine Oma war allein, ohne jemals in die Rentenkasse einbezahlt zu haben, als Hausfrau und Mutter von sechs Kindern. Meine Mutter verlor das Kind, mit dem sie zum Zeitpunkt des Todes meines Großvaters schwanger war, im fünften Monat. Die Ehe meiner Eltern scheiterte, bald nachdem ich einige Jahre später geboren wurde – ein Rosenkrieg sondergleichen. Meine Mutter war gezwungen, früh wieder arbeiten zu gehen, ließ mich in der Obhut einer Kinderfrau. Unsere Nachbarin beichtete meiner Mutter, dass sie gesehen hätte, wie die Kinderfrau mich schlug, meine Mutter war außer sich. Die nächsten sechs Monate verbrachte ich bei meiner Großmutter, die das Kind, das sich nicht mehr anfassen ließ und völlig verstört war, wieder aufpäppelte. Ich ging zur Schule, wurde gehänselt, gemobbt, mit acht Jahren zeichnete ich nur noch schwarze Bilder, die Lehrer*innen stuften mich als depressiv ein, ich musste zur Psychologin.

Sinn und Zweck dieses Buches ist es aber nicht, dir über mein Leben und dessen Stolpersteine zu erzählen. Glücklicherweise gab es in meinem Leben viel mehr Höhen als Tiefen, und das ist es, was ich mir in Erinnerung rufe, wenn ich an die letzten Jahre denke. Worum es mir aber geht: Nur weil jemand langes, wallendes Haar, 200 000 Instagram-Follower, eine schlanke Figur und auf den ersten Blick »alles« hat, bedeutet es nicht, dass es fair ist, diese Menschen im Imperativ und pauschal auf ihr Privileg hinzuweisen. Wir kennen die Menschen, ihre Vergangenheit, ihre Herkunft nicht. Ich wurde von einem Vater mit einem Bein und einer Mutter mit einem Eierstock gezeugt, ich hatte sehr viel Glück, aber ich habe auch sehr viel Schmerz erlebt. Ich habe als junge Erwachsene sehr oft von weniger als 300 Euro im Monat gelebt, und ich habe so ziemlich jeden Job ausprobiert, den es auszuprobieren gab. Mein Leben läuft nicht immer glatt, doch ich bin unendlich dankbar, bisher keine gravierenden Schicksalsschläge in meinem Leben verzeichnet haben zu müssen. »Wie zufrieden bin ich?« ist eine Bestandsaufnahme, die wir immer wieder tätigen müssen, ohne sofort mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Ich erinnere mich noch genau an meine kurze Zeit im Gazastreifen, wo ich die wärmsten und herzlichsten Menschen meines Lebens getroffen habe. Die Menschen, die in einer politisch so prekären Situation leben, die Menschen, die stetig Bomben fallen hören. Oder an die Menschen, die ich im Irak, nur wenige Kilometer von der stark umkämpften Stadt Mossul kennenlernte – all diese Menschen trugen ein Lächeln auf den Lippen. Nicht, weil sie in dem Moment glücklich waren, das wäre ignorant zu behaupten. Aber weil das Lächeln das Einzige war, was ihnen blieb, und das Einzige, was Glück zumindest nahekam. »Wie zufrieden bin ich?« bedeutet, ehrlich zu sein, und wenn die Antwort »Eigentlich nicht so« lautet, sich hinzusetzen und den festen Entschluss zu treffen, das zu ändern.

Das Problem mit Glück

Nun habe ich den Begriff Glück zuhauf um mich geschmissen, um dich nun aber kurz auf einen philosophischen Diskurs mitzunehmen. Denn eigentlich geht es gar nicht um Glück. Zumindest nicht darum, es als solches zu bezeichnen. Glück ist ein irreführender Begriff, der einen großen Teil zu den vielen Hürden, die unser Leben mit sich bringt, beiträgt.

Was den Begriff des Glücks oft prägt, ist vor allem der Zufall, die Fügung günstiger Umstände. Die erste Krux besteht also darin, dass der Begriff Glück suggeriert: Alles, was uns Glück bringt, ist reiner Zufall, nach dem Motto: Wir haben nie Einfluss auf das eigene Glück, denn es wird uns vom Himmel in den Schoß fallen. Wir kommen zum Glück wie die Jungfrau zum Kind. Dem möchte ich widersprechen, denn nicht jedes Glück ist schierer Zufall. Erfüllung und Zufriedenheit sind Zustände, die dezidiert herangeführt werden können, da braucht es keinen Zufall.

Die zweite Herausforderung mit dem Terminus Glück kommt mit der Tatsache, dass Glück vermeintlich einen Zustand beschreibt, der vollkommen ist. Denn zum Glück gibt es den Gegenspieler namens Unglück, der den Zustand von »kein Glück« beschreiben soll. Mit dem Wort Glück gibt es kaum Spielraum für die Nuancen, die ein glückseliges Leben mit sich bringt. Meiner Meinung nach kann man durchaus glücklich, aber leidend sein. Man kann sich gestresst, aber zufrieden fühlen. Diese Nuancen, die das Leben mit sich bringt, schließt das Wort Glück für die Auffassung vieler Menschen aus. Glücklich und gleichzeitig unglücklich sein – geht das? Nicht wirklich, wenn das eine das Gegenteil des anderen bedeutet. Viel besser: Erfüllung! Oder: Eudämonie, ein Wort, das vom altgriechischen Begriff eudaimonía stammt, vor allem von den Philosophen Platon und Aristoteles gebraucht. Heutzutage greifen wir fälschlicherweise auf das Wort Glück zurück, wenn wir von Erfüllung sprechen, früher war es Eudämonie. Die alten Griechen glaubten nicht daran, dass der Zweck des Lebens darin bestand, glücklich zu sein. Viel eher strebten sie Eudämonie, Erfüllung, an. Der springende Unterschied zwischen Glück und Erfüllung ist nämlich die erlaubte Präsenz von Schmerz. Man kann gleichzeitig beruflich erfüllt sein, aber unter Druck stehen. Es ist möglich, in einer Beziehung Erfüllung zu finden und gleichzeitig hart dafür arbeiten zu müssen und nicht immer glücklich dabei zu sein. Was ich am Wort Eudämonie so mag, ist, dass es laut ausspricht, wovor zu viele scheuen: Schmerz und Trauer gehören dazu – auch zum Glücklichsein. Viele Projekte, die wir im Leben angehen, von Beziehungen bis zur beruflichen Karriere, erfordern oft Tränen und Schweiß. Auch unfassbar erfüllte Menschen gehen nicht immer fröhlich, immer lächelnd durchs Leben. Herausforderung, Schicksalsschläge, Hindernisse, sie alle gehören dazu, um zu wachsen, um zu leben. Das Leben wird uns immer wieder provozieren und herausfordern, was keineswegs im Gegensatz zum Glücklichsein steht. Die Anforderung sollte nicht sein, am Ende des Lebens auf ein reibungsloses, glückliches Leben ohne Herausforderungen zu blicken. Es sollte sein, auf ein erfülltes Leben zurückzublicken. Und zum erfüllten Leben kann alles gehören: das Gute und das Schlechte. Indem wir uns der Vorstellung des Glücks als vollkommenem Zustand der Zufriedenheit entledigen, können wir endlich aufhören, nach einem schmerzfreien Dasein zu streben. Wir können aufhören, uns immer zum Lächeln zu zwingen, und anfangen zu verstehen, dass es um etwas viel Wichtigeres geht, als ständig zu lächeln: das Beste aus unserem Leben zu holen, auch wenn das Beste oft nicht das vermeintlich Schönste ist.

Wenn ich also von Glück in diesem Buch spreche, meine ich viel eher das Konzept der Eudämonie, auch wenn ich diesen Begriff nicht immer anstelle von »Glück« verwende.

Das Erwachen

Vieles triggert Menschen, doch kaum etwas triggert sie mehr, als andere Menschen glücklich zu sehen und selbst das Gefühl zu haben, all das nicht erleben zu dürfen. Mich macht diese Reaktion immer unheimlich traurig. Vor allem, weil die Person eigentlich nur die entsprechenden Tools, den Werkzeugkoffer, braucht, um zufriedener zu sein. Es braucht keinen Urlaub auf den Malediven, und es braucht keine 200 000 Instagram-Follower, um froh zu sein. Es braucht eigentlich nur den Mut, die Dinge zu tun, die man gerne tut. Das bedeutet nicht, dass man nicht mehr arbeiten gehen muss oder keine Verpflichtungen mehr hat – denn dessen kann man sich nur schwer entledigen. Es bedeutet aber, dass man das Leben in die Hand nimmt und sich ehrlich anschaut: Was bedrückt mich wirklich? Denn oft ist es nicht die Tatsache, dass die Person auf unserem Handyscreen gerade einen tollen Urlaub macht und wir nicht. Wir glauben lediglich, dass das, was uns unglücklich macht, das Glück der anderen ist. Dabei liegt das, was uns unglücklich macht, vermutlich ganz woanders vergraben. Denn selbst wenn die anderen mit dem vermeintlich perfekten Leben unglücklich sind, wird das nichts an unserem eigenen Gemütszustand ändern.

Doch fangen wir von vorne an: Es geht um Selbstverantwortung und darum, was Selbstverantwortung überhaupt bedeutet. Wenn du dich getraut hast, aufrichtig und ehrlich zu fragen, ob du zufrieden und erfüllt bist, hast du den ersten Schritt geschafft. Wenn du mit »Nein« antworten musst, dann kannst du im Rahmen deiner Möglichkeiten daran arbeiten. Selbstverantwortung bedeutet, unser Leben in die Hand zu nehmen. Es gibt keinen Shortcut zu Integrität, und es gibt keinen Shortcut zu Glück. Wir müssen den Weg gehen, denn ohne den Weg kommen wir nicht zum Ziel. (Da habt ihr ihn, meinen ersten Kalenderspruch in diesem Buch!) Die große Schwester der Selbstverantwortung heißt Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ist das, was aus einem Opfer eine Kämpferin macht und was aus Passivität Aktivität macht. Das Gegenteil von Selbstbestimmung ist die Fremdbestimmung. Die wenigsten unter uns leben in Sklaverei oder Abhängigkeit, und wir sollten jeden Tag wertschätzen, an dem wir das nicht tun. Man bedenke, wie viele Frauen tatsächlich in Abhängigkeit leben und es dennoch schaffen, Hilfe zu suchen. Dennoch erlebe ich täglich Menschen, die eine vermeintliche Fremdbestimmung leben, wenn all das, was sie bestimmt, sie selbst sind. Sie suchen die Schuld bei anderen und rechtfertigen so ihr eigenes Unglück. Jemandem die Schuld zu geben bedeutet auch, die eigene Macht aufzugeben. Wenn das wunderschöne Model auf Instagram schuld daran sein soll, dass ich unglücklich bin, dann habe ich jegliche Macht über mich selber abgegeben – nämlich an jemanden, den ich nicht mal persönlich kenne. Schuldzuweisungen sind leicht, sie sind ein Mechanismus, um sich aus der Verantwortung zu ziehen, allen voran der Verantwortung, die man sich selber schuldig ist. »Die Zeiten werden immer schlechter« und »Ich kann eh nichts ändern« – all das sind Resignationen. Resignationen von Menschen, die nicht im indischen Slum, sondern in Europa leben.

Die meisten meiner Leser*innen sind weiblich, und die wenigsten leben in dramatisch prekären Situationen wie gravierender Abhängigkeit oder starker körperlicher Einschränkung. Das Skurrile daran ist auch: Die Menschen, die ich kenne, die tatsächlich unter den soeben beschriebenen Umständen leben, sind die Menschen, die am härtesten dafür arbeiten, ihr Leben zu verändern. Meine gute Freundin Jacqueline verlor im August 2016 ihren Partner. Sie wachte neben ihrem leblosen Freund auf, für den jegliche Hilfe zu spät kam. Es ist so ziemlich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Der Verlust eines Menschen, den man über alles liebt. Der Mensch, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen wollte. Jacqueline hätte jegliches Recht dazu gehabt, alle viere von sich wegzustrecken und zu sagen: »Ich mach nicht mehr weiter – mein Leben ist somit zu Ende.« Doch sie hat selbstverantwortlich und selbstbestimmt gehandelt: Sie hat den Schmerz, die Trauer, die Wut zugelassen. Sie hat akzeptiert, dass man im Verlust eines geliebten Menschen nicht zwanghaft einen Sinn finden muss. Jacqueline ist regelmäßig zur Therapie gegangen, hat ihre Trauer öffentlich auf ihrem InstagramKanal minusgold aufgearbeitet, Kreativität aus der Trauer geschöpft, um Hilfe gebeten, wenn es zwischendurch einfach nicht weiterging und das Licht so weit weg schien. Sie hat den Young Widowers Dinner Club mitgegründet – eine Veranstaltungsreihe für junge Menschen, die ihren Partner oder ihre Partnerin verloren haben. Selbstverantwortung bedeutet nicht immer, am Boden zu liegen und wieder von selbst aufzustehen. Manchmal bedeutet es, jemanden um Hilfe zu bitten, damit man aufstehen kann, weil man es selber gerade einfach nicht schafft. Eine Hand auszustrecken und »bitte« zu sagen, ist genauso selbstverantwortlich, wie sich selber wieder aufzurichten. Jacqueline hätte jeglichen Grund gehabt, anderen Pärchen ihr Glück nicht zu gönnen, doch trotz des tragischen Verlustes kann sie sich von Herzen für andere freuen. Menschen wie Jacqueline geben mir Mut, sie bestärken und schaffen Raum für Verletzlichkeit und offenen Diskurs. Sie leben Selbstverantwortung mit jeder Zelle.

Für mich bedeutet selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu leben tatsächlich zu erwachen. Manche Menschen beschreiben es als spirituelles Erwachen, doch nicht für jede und jeden ist dieser Jargon zugänglich. Spirituell oder nicht: Selbstbestimmung bedeutet Macht über das eigene Leben einzufordern. Von sich selbst und von anderen. Viele Menschen sind Opfer schrecklicher Dinge, die ihnen widerfahren sind. Nichts davon soll diskreditiert oder banalisiert werden. Unsere Traumata und Schicksalsschläge müssen in Gänze anerkannt werden – daran geht kein Weg vorbei. Doch abseits dieser wichtigen Anerkennung ist es essenziell, sich zu entscheiden: Möchte ich für das, was ich verdiene, etwas tun? Möchte ich selbst über die Dinge entscheiden, auf die ich Einfluss habe, oder lasse ich mich wie eine Billardkugel herumstoßen? Selbstverantwortung und Selbstbestimmung sind die ersten Schritte, um mehr Liebe ins Leben zu lassen. Denn Vertrauen, Selbstliebe und unser Umgang mit anderen Menschen sind fundamental davon geprägt, wie selbstbestimmt wir mit unserem Leben und unseren Handlungen umgehen. Einer der großen Pfeiler meiner Arbeit als »Aktivistin für das Gute« ist es Menschen zu ermutigen, diesen Schritt zu tun. Befähigung und Bevollmächtigung scheinen Dinge zu sein, die wir anderen geben, dabei ist es etwas, das wir selbst in uns tragen. Der erste Schritt zu mehr Liebe für dich selber und andere Menschen ist es zu sagen: Ich erlaube mir, Herrin oder Herr über mein eigenes Leben zu sein und die emotionale Intelligenz zu entwickeln, mir die Werkzeuge für ein selbstbestimmtes Dasein zurechtzulegen.

(Continues…)


Excerpted from "Starkes weiches Herz"
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Table of Contents

Die Autorin / Das Buch,
Titelseite,
Impressum,
Worte zum Anfang,
1. Bin ich eigentlich erfüllt?,
2. Bin ich genug?,
3. Was will ich eigentlich?,
4. Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte?,
5. Was kommt nach der Angst?,
6. Wie gehe ich mit Hindernissen um?,
7. Wie liebe ich bedingungslos?,
Quellen,
Social Media,
Vorablesen.de,

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