Padre Padrone: Mein Vater - mein Herr

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Overview

Nur für wenige Wochen erlebt der kleine, kaum sechsjährige Gavino 1944 im sardischen Bergdorf Siligo das Privileg der Schulbildung – dann wird er von seinem Vater gewaltsam aus der Zivilisation herausgerissen und in die Einsamkeit der rauen, archaischen Bergwelt Sardiniens fortgeholt. Mit strenger Hand weist der Patriarch seinen erstgeborenen Sohn in das harte, von Verzicht geprägte Hirtenleben ein, fern von der Mutter und den Geschwistern – so will es die Tradition und so erzwingt es der Vater. In „Padre Padrone“ erzählt Gavino Ledda die erschütternde Geschichte seiner von Gewalt, Zwang und einer komplizierten Hassliebe zwischen Vater und Sohn geprägten Kindheit und Jugend. Doch Gavino zerbricht nicht an den psychischen und physischen Schikanen seines despotischen Vaters. Seine Fähigkeit, die ihn umgebende Natur als tröstenden Schutzraum anzunehmen und in innige Zwiesprache mit ihr zu treten, hilft ihm, seinen wachen Verstand zu bewahren. Begierig saugt er alle Geschichten über Sardiniens gerade erst zu Ende gehende archaische Zeit der Hirten und Herren, Banditen und Patriarchen in sich auf, die ihm bei den seltenen Kontakten zur Zivilisation von Verwandten und anderen Hirten erzählt werden. Mit ungeheurem Lebenswillen trotzt er Naturgewalten und Krankheiten – und er bewahrt seinen Freiheitsdrang … Gavino Leddas mehrfach ausgezeichneter autobiografischer Roman „Padre Padrone“ wurde allein in Italien mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft und in 40 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung des Buches wurde in 1977 in Cannes mit einer „Goldenen Palme“ geehrt. In seiner Kolumne "Das Beste aus aller Welt“ stellte Axel Hacke am 5. Juli 2018 unter dem Titel "Über eine segensreiche, erkenntnisstiftende, kurzweilige, aber halb vergessene Kulturtechnik: das Bücherlesen" im Süddeutsche Zeitung Magazin Padre Padrone vor (siehe "Rezension").

Product Details

ISBN-13: 9783944561035
Publisher: red.sign Medien
Publication date: 05/27/2013
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 280
File size: 391 KB
Age Range: 14 - 18 Years
Language: German

Read an Excerpt

Hinweis: Die Textdarstellung in dieser Datenbank entspricht nicht dem professionellen Satzbild, das das E-Book bietet. Bis dahin hatte mein Vater nie verlangt, dass ich im eigentlichen Sinn produktive Arbeit leistete. Es hatte ihm gereicht, dass ich aufmerksam zusah, wenn er die seine tat. Auch beim Melken war ich immer draußen stehengeblieben und hatte nur darauf gehorcht, wie die Milch in den Eimer zischte. Für gewöhnlich stand ich dann am Zugang zur Einfriedung, damit die Schafe nicht wegliefen. Ich hatte ihm die Schafe in den Pferch getrieben, wie er’s mich gelehrt hatte. Oft hatte ich sie auch mit bestimmten Lauten angelockt, die ich gelernt hatte. Und waren sie satt, kamen sie mir auf meine eh, eh! eh, lè, lè! lè, lè! lè lè! dààà! ddddd! eh, eh! eh! beh! lè, lè, lè! bis vor die Füße, als freuten sie sich über diese kunstvoll hervorgebrachten und noch von einem besonderen Pfeifen begleiteten Modulationen, sammelten sich freiwillig. Und zupften die letzten Grashalme und gingen von allein in den Pferch. Vater stellte sich neben den Eingang und machte gewissenhaft die tägliche Zählung. Im Pferch stellten sich die Schafe in der üblichen Weise auf, als hätte jedes seinen gewohnten Platz, parallel nebeneinander: eines neben das andere und zum Heckenzaun gewandt. Das ist die typisch logudoresische Melkaufstellung, ganz anders als die barbaricinische. Das Gehege selbst war wie überall auf der Insel elliptisch, doch durch diese Aufstellungsweise entstand in der Mitte eine freie Fläche, die geometrisch der Form des Geheges entsprach. Diese freie Fläche diente meinem Vater, um ein Schaf nach dem anderen zu melken. Mir hatte es schon immer gefallen, wie die Schafe aufgestellt waren und wie mein Vater seinen Kopf auf den Schafsschwanz gepresst hatte, um ihnen so auf logudoresische Weise den Hintern zuzuhalten. Es war die einzige Möglichkeit, sich nicht in den Eimer scheißen zu lassen.Der Hund lief mehrere Male das Vlies ab, das die Schafe durch ihre Aufreihung am Zaun entlang bildeten, kam dann her, um seine Milchration zu trinken, die ihm als Schäferhund zustand, und bestieg anschließend wieder seinen Thron auf dem wolligen Rücken seiner beiden Lieblingsschafe, wo er sich behaglich ausstreckte. Ich war immer schweigend draußen gestanden und hatte den Pansengeruch der Schafe geatmet und auf das pendelartige Kauen ihrer Kiefer geschaut: das Auf und Ab des Kaubreis durch den Hals. Und hatte das Glücksempfinden ihrer lauten Rülpser miterlebt, das Klatschen ihrer Euter an den Eimer und danach das warme Aufschäumen der Milch. Augenblick für Augenblick hörte ich so, wie hoch die Milch im Eimer schon angestiegen war. Und wusste genau, wann ich die Kanne über die Hecke reichen musste, in die Vater dann die Milch goss.Seit dem Tag meiner grausamen Bestrafung durfte ich nun nicht mehr unbeweglich am Eingang stehen und mit Behagen den Geruch aus den Pansen einatmen. Mein Vater verlangte, dass auch ich meinen Teil zur Arbeit beitrug. Ich sollte mir bewusst sein, dass wir uns nur zu zweit hier im Schafspferch befanden und auch ich jetzt ein richtiger Hirte war. Und um mir jeden Zweifel daran zu nehmen, lehrte er mich das einzig Wichtige, was mir noch zum wahren Hirten fehlte. Er lehrte mich das Melken. Als ich das erste Mal in den Pferch hineinging, drängten sich die Schafe aneinander. Sie erschraken. Als Melker kannten sie mich nicht, und einige sprangen sogar über den Heckenzaun. Die ganze Erfahrung meines Vaters war erforderlich, um die Herde wieder zusammenzubringen und zu beruhigen. Ich war erst acht Jahre alt, aber das logudoresische Melken kann auch von Kindern erlernt werden. Mein Vater hieß mich hinter sa pius ladina, das frommste Schaf der Herde, hocken, das am leichtesten zu melken war. Er hieß mich den Eimer so zwischen die Beine nehmen, dass sich der Boden unter meinem Hintern befand. Und er zeigte mir, wie man das Euter fassen und die Zitze mit den Fingern drücken musste, die man vorher mit Speichel oder mit dem Schaum schon gemolkener Milch befeuchtet hatte. Es war nicht leicht. In den ersten Tagen molk ich schlecht, und das Schaf Mutighedda drängte zurück und stieß mich zu Boden. Und während Vater die ganze Herde molk, brachte ich in der ersten Zeit mit Mühe und Not einen Viertelliter in meinen Eimer, auch weil der Melkstrahl oft nicht in den Eimer traf. Er ging mir vorne auf die Hose (die immer milchbesudelt war) oder auf die Hosenbeine oder auch ganz daneben.Aber nach zwei Wochen konnte ich Mutighedda schon gut melken. Und so vertraute mir mein Vater auch Leperedda an, die so hieß, weil sie ebenso gerade Ohren hatte wie ein Hase. Danach konnte er mir s’aiveghe aza, das dunkelgefärbte Schaf überlassen. Alle waren sie leicht zu melken. Alle waren sie ladinas. Und bald molk ich so viele, wie meine Kräfte es zuließen. In der ersten Zeit wurde ich, der ich weder stark noch schlau war, oft ein Opfer ihrer Grillen und unvorhersehbarer Launen. Wenn ich dann den Eimer fast randvoll gemolken hatte, ganz weiß und hörbar schäumend, und schon drauf und dran war, ihn Vater zu zeigen, schlug das Schaf, das ich gerade molk, hinten aus oder wich zurück. Und obwohl ich mir alle Mühe gab, es am Euter festzuhalten, und versuchte, meinen Kopf gegen seinen Schwanz zu stemmen, trug doch das Schaf oft den Sieg davon. Ich verlor das Gleichgewicht. Es ließ mich hinpurzeln. Auch der Eimer fiel um und die Milch lief mir auf den Hosenboden in sa culatiga de sos cassones. Meine Bewährungsprobe scheiterte am Fußtritt so eines verrückten Schafs. Dann musste ich es oft hinnehmen, dass mir Vater mit dem Handrücken ins Gesicht schlug, und ich konnte mit nassem Hintern weitermelken. Ganz besonders beschämend war es aber, wenn mir das Schaf in den Eimer schiss, ohne dass ich es merkte. Ich molk weiter und merkte es erst am Geruch oder an der grünlichen Farbe der Milch, wenn sich der Kot darin auflöste. Dann musste alles weggeschüttet werden. Ein Eimer Milch war so viel wert wie der Arbeitstag eines tüchtigen Bauern. Mein Vater verzieh mir so etwas nicht. Oft rettete ich mich dadurch, dass ich die Milch heimlich wegschüttete und mich wieder rasch ans Melken machte, um das Verlorene aufzuholen. Aber er merkte es fast immer. 'Was ist heute mit dir? Du hast ja gar nichts gemolken … Aber du hast doch so viele Schafe gemolken … Ach! reingeschissen haben sie dir, du Scheusal! Hast also deinen Tag weggeschmissen!' Und dann setzte es Ohrfeigen. 'Da! Da! Elendskerl! Du lässt dich von den Schafen bescheißen … hast immer noch nichts gelernt. Und ich hab’s dir gesagt! Den Arsch musst du ihnen mit dem Schwanz verstopfen, deinen Kopf dagegen drücken. Aber du hast ja deinen Kopf immer in den Wolken, jughes sempre sa conca in sas nues!' Doch manchmal war es das Schicksal selbst, das mich rächte. Die Schafe schissen auch bei meinem Vater hinein, der doch immer seinen 'Kopf im Pferch' hatte. Beleidigt ließ er dann seine Wut an ihnen aus. 'Dreckiges Schaf! Ha! Verfluchtes Vieh! Scheißschaf! Animale cacato! Ich geb dir deinen eigenen Scheißdreck zu fressen! Da! Friß! Friß! Da, jetzt schmier ich ihn dir auch in die Augen, in die Ohren … alles nur deine eigene Scheiße! Da! Da!'Wie es Sitte war, quälte er die 'tückischen' Schafe. Er packte sie an den Hinterbeinen, warf sie auf den Rücken und trat ihnen mit dem Fuß auf den Hals. 'Da! Ich bring dich um! Du sollst dich nicht über mich lustig machen … Ha! Du verrücktes Schaf! Biveghe addinosa.'Es waren denkwürdige Szenen. Über mein Schaf gebeugt, genoss ich sie und schüttelte mich vor Lachen. Aber natürlich verbarg ich mein Lachen, so gut es ging, während er die Schafe anschrie, als verstünden sie Sardisch. Ich wusste, dass ich mich seiner Meinung nach an seinem Zorn zu beteiligen hatte. So barg ich mein Gesicht zwischen den Schafen. Hätte er gemerkt, dass ich lachte, hätte ich auch Prügel bezogen.Doch es geschah ihm recht. An dem Tag jedenfalls konnte er mir nichts sagen, auch wenn mir das Gleiche passiert wäre, und so wurde ich beim Melken in Ruhe gelassen. Mehr als einmal hatten sie uns beiden hineingeschissen, und beide versuchten wir, dies entweder durch Schweigen oder durch hastige Arbeit zu verbergen. Andere Male freilich konnte mein Vater nicht mehr an sich halten. 'Heute haben uns die Viecher zum Narren gehalten. Reingeschissen haben sie uns! Alles zum Teufel! Ite cionfra, ein Hohn!'Jetzt, da auch ich melken konnte, war ich ein richtiger Hirte. Ich brauchte nur noch zu wachsen und abzuwarten, dass mir die Natur mehr Kraft geben würde. Die Zeit der Idylle war für immer vorüber.Mein Vater ging nun zur landwirtschaftlichen Lehre über, von der ich bis jetzt verschont worden war. Unverzüglich lehrte er mich das Hacken in der Olivenanpflanzung und bei den Rebstöcken. Seine Lehre hätte nicht flüchtiger sein können: wie ein Wirbelsturm, den Gegebenheiten entsprechend. Er hackte selbst wie ein Besessener und konnte keine einzige Minute verlieren, mich in die neue Tätigkeit einzuführen. Ab und an, und auch nur in aller Eile, zeigte er mir, wie man die Hacke halten musste.'Mit der Rechten greifst du vorn, mit der Linken hinten. Die linke Hand mit dieser Bewegung … so; und wenn du den Stiel nach unten drückst, hilft das, die Scholle gut umzuwenden. Das ist ein Trick, den man mit der Zeit lernt.' Die Lektion wiederholte er zwei-, höchstens dreimal. Im Übrigen musste ich selbst zusehen, wie ich damit fertig wurde. Ich musste ihm das Handwerk und seine Geheimnisse abschauen, indem ich ihn aufmerksam, ängstlich beobachtete. Genauso wie ich das Melken und alle anderen Dinge auch gelernt hatte. Und trotz dieser oberflächlichen Lektionen brauchte ich nicht lange, um hacken und die Schollen gut wenden zu können (a bostulare ene sas cheves). In kurzer Zeit, so hastig und mit einer so flüchtigen, unerbittlichen Lehre brachte mir mein Vater bei, was man für die Landwirtschaft wissen musste. Wenn er beschnitt (cando illistriada), folgte ich ihm in der Reihe, trug die gebündelten Reben zur Seite und schichtete sie dort auf. In der Zeit des Pfropfens (in s’iffesconzu), wenn er die Rebstöcke oder die wilden Birnen pfropfte, musste ich ihm auch folgen und ihm die ajone tragen, eine Schale aus Kork, in der sich alles Nötige befand: Lappen, Rasierklingen, Lehm und Binsen. Und ich musste immer erraten, was er haben wollte, ohne dass er ein Wort sagte.Wir arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, dae s’avvéschida a iss’interighinada. Hintereinander weg. Und während der winterlichen Unwetter und Schneefälle, wenn die Bauern in ihren Dörfern den Wein in den Kellern probierten, weil man dann draußen nicht arbeiten konnte, saß mein Vater nicht vorm Feuer comente ’e battu chijineri in pagu fogu, wie eine Katze voller Asche neben dem verlöschenden Feuer. Er hatte immer etwas zu tun. 'Sehen wir bei den Mauern nach. Der Wind heute Nacht hat sicher Büsche aus einigen Spalten herausgerissen. Dann kann das Vieh von anderen Leuten su bestiamene anzenu auf unsere noch unbegraste Weide in su pasculu innidu kommen. Los jetzt! Du gehst diese Seite entlang. Ich die andere.' 'Schon recht! Dann treffen wir uns in su addiju wie das letzte Mal.'Oft kamen wir erst gar nicht dazu, die Koppel abzugehen, da rief er schon nach mir.'Ohoo Gavì! Ohoo Gavì!''Heee!''Komm her. Die Mauer ist eingestürzt, wir müssen sie wieder aufbauen.'Für ihn galt freilich so etwas nicht als Arbeit. Das sah nicht produktiv aus. Es war nur ein Missgeschick. In diesen Perioden war für ihn das Einzige, was nach Arbeit aussah, auch die einzige Arbeit, die getan werden konnte: Bäume im Wald fällen und die Stümpfe ausgraben.'Gleich wenn es hell wird, nehmen wir unser Zeug und fällen s’avure ’e sa codina. Hier im Bau bleiben wir nicht. Draußen bei der Arbeit rührt man sich, und das Blut kommt in Bewegung.' Sein Arbeitswille und seine zielbewusste Art machten aus mir einen perfekten Holzfäller, noch bevor ich überhaupt imstande war, die schwere Axt zu halten.In der ersten Zeit machte es mir Spaß, zum Holzfällen zu gehen. Es gefiel mir, wenn die Bäume in ihrer ganzen Länge umfielen. Mein Vater verwendete auch seine ganze Erfahrung darauf. Mit der Axt auf der Schulter betrachtete er sie genau. Und noch bevor er an einen Baum heranging, wusste er fast schon immer, von welcher Seite man ihn fällen musste. Um aber ganz sicher zu gehen, taxierte er dann noch einmal die Proportionen von Zweigen und Stamm, a sas naes e a su truncu. Und bei diesem Abwägen bestimmte er dann unfehlbar, nach welcher Seite der Baum neigte. Er schlug in den Stamm eine kleine Kerbe auf der Seite, wohin er fallen musste; dann ging er auf diejenige, die zum Schlagen günstig war, ohne dass ihm dies gefährlich wurde. Ich sah mir alle diese Vorbereitungen genau an. Schließlich schlug er mit der Axt auf den Stamm ein. Und in den Pausen, die er machte, um sich zu verschnaufen, erklärte er mir irgend etwas, wenn er dies für angebracht hielt. 'Einen Baum fällen, ist nicht leicht! Zuerst muss man wissen, nach welcher Seite er sich neigt. In die Richtung fällt er dann. Du musst immer auf der entgegengesetzten Seite schlagen, damit du ihn ohne Gefahr für dich fallen siehst! …' Und Schlag auf Schlag traf seine Axt den Stamm, dass die Holzspäne nur so umherflogen.'Einmal war Thiu Foriccu hierher nach Thiantina zum Holzfällen gekommen … um sich eine Karre voll Holz zu besorgen. Er hatte nicht viel Verstand und keine Erfahrung und machte sich gleich daran, den Baum zu fällen, den ihm sein Herr zugewiesen hatte. Er machte es wie ein Esel, ohne erst nachzusehen, auf welche Seite der Baum fallen würde. Vielleicht konnte er’s auch gar nicht. Zum Glück war es ein kerzengerade gewachsener Baum. Aber es war nicht leicht. Und er hatte einfach kein Glück. Er fällte ihn auf der falschen Seite. Er war so einer, der immer den eigenen Kopf durchsetzte. Einer von denen, die nie umkehren, wenn sie was angefangen haben, auch nicht, wenn sie es falsch angepackt haben. Ich hab’s aus der Ferne, vom Olivenhain aus gesehen. ›Oh, Forí!‹ hab ich geschrien. ›Schlag von der anderen Seite. Von der anderen Seite!‹ Ach, was! Er schlug nur immer mit seiner Axt drauf los, bis er gemerkt hat, dass der Baum auf ihn zukam. Und statt zurückzulaufen, rannte der Trottel auch noch in die falsche Richtung, dorthin, wohin der Baum fiel. Der Baum erwischte ihn, ehe er sich retten konnte. Ich hab’s gesehen, ich war dort oben auf dem Hügel und bin gleich hingelaufen. Zusammen mit seinem Freund, einem anderen Erztrottel, atteru bellu grabione, habe ich ihn unter dem Baum hervorgezogen. Besinnungslos legten wir ihn auf den Karren und brachten ihn nach Siligo. Es war schlimm. Er war ganz zerquetscht. Nach drei Tagen ist er dann gestorben! Ja … man muss eben aufpassen, das muss man. Mit dem Kopf muss man arbeiten. Und nicht mit den Fersen, non cun issos cascanzos. Siehst du, ich weiß, dass der Baum auf diese Seite fällt. Ich hab’ meine Berechnungen gemacht. Siehst du die Zweige da? Ja? Sie ziehen den Baum mit ihrem Gewicht nach der anderen Seite. Und dann braucht man sich auch nur den Stamm genau anzuschauen und zu überlegen! Natürlich, manchmal kann man schwer feststellen, nach welcher Seite er fällt. Dann muss man eben genau aufpassen. Wenn man den Baum schwanken sieht, seine Äste und die Spitzen, sas naes e sas cbimas suas, darf man die Fassung nicht verlieren. Und wenn der Stamm auf dich zukommt, brauchst du nur um ihn herumzugehen. Dann darf man nicht wie ein Verrückter wegrennen, wie Thiu Foriccu. Der Baum stürzt schnell, und wenn man in die falsche Richtung läuft, endet man wie er.'Vater erzählte seine Lektion, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Ich stand da und wartete ungeduldig, dass der Baum endlich fallen würde. Dass ich das Krachen hören würde, wenn er zu Boden stürzte. Regungslos stand ich da und passte genau auf, bis mein Vater den letzten Schlag tat. Die Eiche bebte an ihrer Spitze und schmetterte mit ihren Ästen zu Boden. Als der Baum dalag, ging auch ich sofort an die Arbeit, bewaffnet mit Hippe und Beil (de rustagliu o de istrale), um ihn auszuputzen (a ischimare). War der Stamm von Zweigen gesäubert, lag er mit seinen Hauptästen in seiner vollen Länge auf dem mit Gestrüpp bewachsenen Boden und wurde in Stücke zersägt.Es war nicht leicht, die Säge mit dem richtigen Druck und auf die richtige Art zu führen. Die Ellenbogen im richtigen Winkel und im richtigen Rhythmus zu bewegen. Einen schönen Schnitt zu machen. Doch um meinen Vater nicht zu verärgern und um die Sache zu einem guten Ende zu bringen, musste ich unbedingt durchhalten.Auf unser Weideland kam nach wie vor kaum jemand. Die Hirten in der Nachbarschaft litten bittere Not und mussten zusehen, dass sie überlebten: Sie hatten gar nicht die Zeit, uns zu besuchen. Zudem hatten wir aus begreiflichen Gründen fast mit allen Streit. Mit den unmittelbaren Nachbarn waren wir verfeindet. Nachts versuchte man sich gegenseitig die Weide zu stehlen, trieb seine Schafe auf die eingegrenzten Koppeln des anderen. Und am Tag, wenn ich die Schafe weidete, hörte ich die Auswirkungen. Die Hirten schimpften, dass es im ganzen Gebiet zu hören war. 'Du Wurm, Elendskerl, Dieb, Verbrecher, Hurensohn, elendes Dreckschwein, Halunke, mi as manigadu su basculu, as incujadu in su meu, meine Weide hast du mir aufgefressen, ja, aufgefressen! Mach das nicht nochmal! Wenn wir aneinandergeraten, si faghimus paris … kannst du dich auf was gefasst machen! Dann richte ich dich aber für den Feiertag her! Dann hau ich dich in die Pfanne! Dann sollst du mich kennenlernen! Idiot!'Und bei einer anderen Gelegenheit: 'Ich hab’s wohl für dich aufgehoben, für deine Schafe, mein eingezäuntes Stück Weide! Dir zeig ich noch, wozu ich imstande bin! Verbrecher! Elendskerl! Dich mach ich immer noch fertig! Verstanden? Mich bescheißt du nicht! Deo jutto sos buttones pius mannos de isos tuos! Cumpresu asa! Non mi futis pius! Wenn ich dich da drin erwische, kriegst du für dein Lebtag ein Andenken von mir! Auspeitschen werd ich dich! Ein feiger Hund bist du, hast es ausgenutzt, dass ich nicht da war. Das zahl ich dir noch heim … Vergiss das nicht … Das kriegst du noch von mir zurück … keine Angst!'So verbrachten die Hirten ihre Tage wütend wie Wespen, die in ihrem Nest gestört werden, und ihre Nächte schlaflos auf Wache, das Gewehr im Anschlag, oder auch gleich auf der Weidefläche, um sie und die wiederkäuende Herde zu verteidigen. Nachts war es ein zermürbender Wettstreit, der nie ein Ende fand, denn der eine wartete immer, bis der andere vom Schlaf übermannt wurde, damit er seine eigenen Schafe in dessen Einfriedung treiben konnte.Tagsüber verrichteten sie ihre Feldarbeit, damit sie ihre Familien versorgen konnten. Ins Dorf kamen sie fast nie. Wer eigene Weideflächen und eine eigene Herde hatte, konnte manchmal tagsüber nach Hause, wenngleich nur selten. Die Hirtenknechte oder die Hirten mit Halbpacht konnten es alle vierzehn, zwanzig Tage, wenn sie einen guten Herrn hatten. Fast alle waren Junggesellen. Und sie hatten gar keine Zeit, ein Mädchen kennenzulernen und zu erobern.Diejenigen, die nach langem und schwierigem Hin und Her schließlich verheiratet waren, mussten sich damit bescheiden, ihre Frauen nur selten zu sehen. Spiel und Tanz im Ehebett fanden in aller Eile statt; die Herde blieb indessen unbewacht. Die selbstständigen Hirten mit ihrem stachligen schwarzen Bart konnten es sich wenigstens einmal wöchentlich leisten, rasch ihren Koitus im Bett zu tanzen.Wenn Thiu Antoniecu, auch ein selbstständiger Hirte, die Möglichkeit hatte, nach Siligo zu kommen, was selten genug geschah, verließ auch er seinen Pferch in aller Hast. Er trieb seinen Esel zur Eile an, denn er war erregt, konnte es vor Verlangen kaum noch aushalten. Das Tier wurde zu einem raschen Trott gezwungen, weil es seinen Herrn nach der sexuellen Fastenzeit juckte. In der zweiten Weghälfte wurde der Trott noch schneller. Und auf dem letzten Kilometer lief der Esel fast im Galopp. Endlich war Thiu Antoniecu zu Hause. Im Nu sprang er ab. Band den Esel an den Ring und ließ ihn dort müde, schwitzend und keuchend mitsamt seiner Last stehen. Und ging ins Haus und suchte seine Frau. Beim Tanz im Bett existierte nichts anderes mehr. Schafe, Banditen, eingezäunte Weideflächen, alles war vergessen. Sturm tobte durchs Zimmer. Hagel und Schnee die Menge. Die Natur lebte sich aus, und anschließend kehrte wieder Ruhe ein. Als sein Verlangen gestillt war, fiel ihm auch der Esel wieder ein, der draußen unterm Tragsattel mit den Milchkannen, dem Holz und dem Quersack stand. 'Armes Tier! … Die Milch! … Das Holz! … Wenn man mir jetzt was gestohlen hat …'Dies war keine Ausnahme. Es war die Krankheit aller Hirten. Thiu Diddìa machte es geradeso. Wenn er einmal wieder soweit war, dass er vom Pferch ins Dorf konnte, trieb auch er seinen Esel zu schnellem Trab.Und auch er wurde, im Dorf angekommen, vom Verlangen überwältigt und schaffte es nicht mehr, das Tier abzuladen. Er rannte in sein Haus. Stürzte sich auf seine Frau. Biss sie überallhin. Sog sie in sich ein. Presste sie an sich, als wollte er sie erdrücken. Kämpfte, von Leidenschaft gepackt, gegen seine Kleidung. Atemlos riss er sie sich mit einem Ruck vom Leibe, als bestünde sie aus einem einzigen Stück, und warf sie irgendwohin. Aber die verdreckten Stiefel hatte er noch an, und die Hose hatte sich ihm um die Knöchel gewickelt. So fiel er über seine Frau her. Manchmal sprang er sogar über das Brett am Fußende: Seine Gier ließ ihm keine Zeit mehr, herumzugehen. Eine Tarantella. Das Bett mit dem Drahtnetz tanzte zu der Musik, hie und da fiel etwas zu Boden. Auch die blecherne Fußleiste scheuerte tanzend an der Wand, bewegte sich mit der Musik. Plötzlich brach alles ab. Das Fußbrett fasste Atem für den nächsten Tanz. Die Musik setzte wieder ein. Anderer Rhythmus. Anderer Tanz. Endlich, die Hosenbeine um die Knöchel verheddert, beruhigte sich Thiu Diddìa über seiner Frau wie ein Strom nach einem Gewitter.Der Lärm des Fußbrettes und seines Tanzes, ja das ganze Gefecht mitsamt Schüssen und Explosionen drangen oft bis zum Fenster hinaus, das Thiu Diddìa und seine Frau offen gelassen hatten.Und die Flintenschüsse trafen die Dörfler auf der Straße. 'He … Thiu Diddìa erfüllt seine Ehepflichten!' 'Er tanzt den sardischen Tanz!''Du sei ganz still! Wir können da gar nichts sagen! Wir machen es doch geradeso! Das kommt alles vom Fasten!' 'Ach! Was vertrödeln wir noch unsere Zeit. Das Tierchen kitzelt mich jetzt auch, verdammt noch mal!' 'Wem sagst du das.'Sie beugten sich über ihre Esel. Rasten nach Hause, um das Feuer am Quell ihrer Gefährtinnen zu löschen, denen es, ebenso wenig gehegt und gepflegt in ihrer Enthaltsamkeit, nicht besser erging. Doch dies galt nur für die selbstständigen und schon verheirateten Hirten.Wir Jungen unter zwanzig (vielleicht war es ein Scherz, den uns Milch oder Käse spielten) befriedigten unsern Überschwang auf jede nur mögliche Art und Weise. In den Senken im Buschwerk, im Wald und auf den Hügeln, überall gab es wütende, nimmersatte Masturbationen. Die Büsche wurden wie vom Unwetter erfasst und schwankten unter unseren stürmischen Händen. Wenn wir bei den Schafen oder auch bei der Arbeit waren, überkam es uns: schwerer Atem, ein Würgen im Hals, der Penis stocksteif und noch härter als der Stiel der Hacke, die wir in Händen hielten.Waren wir allein, verkrochen wir uns in das nächste Gebüsch. Zogen die Hosen herunter und bearbeiteten das Tier mit Leidenschaft, legten uns mit geschlossenen Augen hin, um die Schönheiten oder gar die Schenkelansätze irgendeines Mädchens zu 'schauen', die wir zufällig einmal gesehen hatten. Dann existierte nichts anderes mehr, keine Herde und auch keine Hacke, die wir im Boden stecken ließen, ehe wir uns zurückzogen, kein Regen und kein Eis, genauso wie es Thiu Antoniecu und Thiu Diddìa widerfuhr.Ob unter der Sonne oder im Schweigen des Waldes, wir streckten uns der Länge nach aus, um in den Genuss der Masturbation zu kommen. Oft schwankte und seufzte der Busch unter den ruckartigen Bewegungen der unermüdlichen Rechten und des zuckenden Körpers, der sich stets von Neuem wand. Hatten wir Gelegenheit, uns zu treffen, wurde unter uns Junghirten um die Wette masturbiert. Auch dies war eine Art, unsere Kraft zum Ausdruck zu bringen und dem anderen zu beweisen, wozu man imstande war.'Ciao, Freund! Heute schlag ich dich. Ich trainiere. Wenn mein Vater weg ist, leg ich mich unter den Baum und rühr mich nicht mehr von dort weg. Ich rutsch nur immer dem Schatten nach, wenn mich die Sonne trifft.'Als wir ungefähr zwölf, dreizehn Jahre alt waren, hatte ich mit drei Freunden ein Erlebnis, das zu beichten ich mich fast schäme. Wenige Tage zuvor war Weinlese gewesen. Zum Traubenlesen hatte Vater einige Mädchen um die achtzehn, zwanzig kommen lassen. Den ganzen Tag über hatten wir Jungen ihnen verstohlen unter die Röcke geschaut. Solche Schenkel bekamen wir nicht alle Tage zu Gesicht. Und gemeinsam versuchten wir natürlich zwei, drei Masturbationsangriffe in unserer eifersüchtigen Fantasie, wer auf die eine, wer auf die andere. Einige Tage danach kamen wir zu der Stelle, wo jene Mädchen zum Pissen und Scheißen hingegangen waren. An dem Tag gab es die denkbar heftigsten Masturbationen nach dem Anblick der mittlerweile eingetrockneten Exkremente, die man sich von der einen oder von der anderen stammend vorstellte. Und jeder bildete sich ein, dass gerade dort, wo er sich ausstreckte, die von ihm Bevorzugte hingepisst habe.Oder man trieb es mit Tieren, was zwar nicht so häufig, wenngleich allgemein verbreitet war.Eines Tages, als ich gerade aus Siligo zurückkehrte, wurden G. und ich bei Tuvu Zeugen eines derartigen Geschehens. Von der Hauptstraße aus, auf unseren Eseln sitzend, konnten wir in die vergatterten Weideflächen hineinschauen, die sich dort entlangzogen. Wir sahen einen Hirtenjungen, der sich an seiner Eselin zu schaffen machte.'Der bringt das auch noch fertig', meinte G. Der Hirtenjunge, der vielleicht vierzehn war, versuchte es, aber seine Beine waren zu kurz. Also führte er sein Weib vor einen Steinhaufen und stieg auf diesen. Und endlich schaffte er es. Er ließ sich die Hose herunter und bestieg sein Tier mit einer Forschheit, als wäre dies sein gutes Recht: Es gehörte ja ihm. Er zuckte mit seinem kleinen Hintern, wurde gleich wieder ruhig, umarmte seine Geliebte und legte sich auf sie, nachdem er sein Werk vollbracht. 'Würdest du’s mit einer Eselin können?' fragte ich G.'Das hab ich in Capiana schon mal gemacht. Ein wütender Schwanz kennt keine Hemmungen!'Die beiden waren nicht die einzigen. Die meisten taten es, und wir alle nahmen uns vor, es zu tun. Am liebsten mit Schafen und Ziegen.Thanne praktizierte es oft, wenn der Vater ihn allein losschickte, um die Herde zur Tränke zu bringen, und er auf dem Pfad hinter der üblichen Staubwolke herlaufen musste. Meistens tat er es am Gattertor, wo sich die Herde drängte, bevor sie herausgelassen wurde. Er ging an den Schafen vorbei zum Gatter, um es zu öffnen, kam jedoch nicht immer dazu. Die bekannte Attacke. So ging er mitten in die dichtgedrängten Schafe hinein. Er suchte sich dasjenige aus, das ihm am besten gefiel. Dieses legte er dann Bauch nach oben, damit er das pralle Euter an seinem Leib spürte, und besorgte es in aller Eile bei halbheruntergelassener Hose, während die Herde in der Sonne darauf wartete, dass der Hirte das Gatter öffnen würde. In dem Augenblick hätte nicht einmal ein Kanonenschuss den Geliebten stören können, der sich eine Frau einbildete.Einmal überredeten mich Freunde (wir waren noch klein, etwa zehn Jahre alt, und es geschah in Siligo während einer der freien Stunden, die mir Vater dort zugestand), in einen Hühnerstall einzudringen. Wir waren zu dritt. Drinnen, in all dem Gezeter der Hühner, suchte sich jeder eine Henne aus und tat es unter allgemeinem Gelächter.'Die mit dem nackten Hals hat einen ganz heißen Arsch. Großartig.' Jeder wollte es versuchen. Er hatte die Wahrheit gesagt. Bei den Hirtenknechten und den Junggesellen war die sexuelle Enthaltsamkeit absolut. Viele gingen in die Büsche, bis sie heirateten, einige sogar bis zu ihrem Tod, falls ihnen ihre überschüssige Kraft diese einsame Befriedigung erlaubte. Für die Hirtenknechte galt damals die Regel: Waren sie ungefähr achtzehn, brachte sie der Herr wenigstens einmal im Jahr in ein Bordell. So konnten sie dann ihre Fantasie mindestens drei Monate lang in den Büschen des Waldes beflügeln.Von den Hirten in Siligo hörte ich eine komische, aber wahre Begebenheit. Ein Herr hatte seinem treuen Knecht versprochen, ihn nach Sassari zum Weibe zu bringen, es aber immer wieder verschoben; teils, weil er keine Zeit dazu fand und teils, weil er kein Geld ausgeben wollte. Der Knecht aber erinnerte ihn Monat für Monat daran.'Thiu Antò! Wann bringt Ihr mich denn endlich hin? … Ihr habt’s mir doch versprochen!' 'Schon gut. Am Sonntag gehen wir.'Und dieses Mal gingen sie wirklich. Für den Knecht Giommarí war es das erste Mal.Als der Knecht wieder zum Pferch zurückkam, wollten alle jüngeren Knechte, die ja auch auf ihren großen Tag warteten (falls ihnen der Herr entgegenkam), gleich alles genau wissen. 'Na, Giommarí, wie ist es, wenn man mit einer Frau zusammen ist?''Ach! Ganz was anderes. Die hat ja keinen Schwanz!' Auch den Verheirateten reichte schließlich nicht ihr turnusmäßig bestimmter Beischlaf. Oft mussten auch sie auf die 'Handarbeit' hinter den Büschen zurückgreifen. Für ihre Frauen in den Dörfern waren es die gleichen Durststrecken; und waren sie treu, machten sie es wie ihre Männer.Die verschiedenen Don im Dorfe stellten den Strohwitwen nach. Von diesen habgierigen Herrschaften, deren Väter oder Großväter durch die Flurgesetze (1824 und auch noch 1848) zu Großgrundbesitzern geworden waren, bekamen die Hirten ihr Weideland in Pacht. Sie hatten Macht über alle. Und hatten auch alles im Griff. Selbst wenn sie längst nicht mehr wussten, wo ihre Weiden überhaupt lagen und wie sie beschaffen waren, so bekamen sie doch stets Dreiviertel der Ernte oder die entsprechende Pacht, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Mit Körben voller Käse und korngefüllten Speichern (cun sas coves pienas de casu e sas luscias pienas de laore) konnten sie sich im Dorf leisten, was sie wollten. Und wenn ihre Pachthirten wie üblich auf ihren Feldern arbeiteten oder bei der Herde waren, stürzten sich die Don auf die verlassenen Frauen wie Raubvögel auf einen ungeschützten Hühnerhof.Und die raubgierigen Don beeindruckten die Hühner, die nach damaligem Brauch nur nach Maßgabe des Pfarrers oder der Angehörigen verehelicht wurden. Anders als ihre Ehemänner hatten die Don stets glattrasierte Gesichter und weiche Hände. Und stanken weder nach Schaf noch nach Käse. In Anbetracht ihrer Stellung fiel es ihnen auch nicht schwer, mit den Frauen ihrer eigenen Hirten anzubändeln. Oft genug bedienten sie sich sogar der Erpressung.'Im nächsten Jahr bekommt dein Mann das Weideland nicht mehr. Wenn du deinen Mann liebst, dann tu’s.' Um sich vor seinen beutegierigen Freunden und auch vor seinem Knecht zu brüsten, sagte Don Juanne sogar: 'He, Antò!''Ja, Don Juà, befehlen!''Hältst du die Frau von dem und dem für gut?''Und wie, Don Juà!''Sag ihr, dass ich ihr einen Tragkorb dicke Bohnen zu geben habe, oder bring du sie ihr. Ich gehe dann nachher hin.'Der Knecht, der sich um die Kornspeicher kümmerte, wusste genau, was er zu tun hatte. Irgendwie ließ er der Frau Getreide zukommen, das sie ja immer brauchen konnte, um das Brot für ihre Kinder zu backen. So hatte Don Juanne einen Vorwand, im Haus, im unbewachten Hühnerstall zu erscheinen. Um die Frau mit dem Getreide zu ködern, das ihr eigener Mann selbst angebaut hatte. Thiu Larentu, im ganzen Dorf angesehen (seine Frau und seine Kinder wurden beneidet), hatte sich eines Tages allzu sehr mit seiner Magd abgegeben und sie geschwängert. Unverzüglich kam er auf die übliche Lösung.'Mach dir kein Kopfzerbrechen, Luisa.' Und: 'Sag mir, wen du heiraten willst. Wen von meinen Knechten willst du haben?' 'Aber … ich bin doch …''Das spielt keine Rolle. Ich mach das schon!''Aber, mein Herr … das ist nicht …''Sag: Antoni, Juanne oder Gavinu?'Thiu Larentu wusste genau, dass zwischen Luisa und Antoni etwas war, aber bis dahin hatte er sie dem Jungen trotz dessen Drängens wegnehmen können. Doch wie jetzt die Dinge standen, konnte sie ja ruhig bei dem Knecht enden. Er sattelte sein Pferd, ritt sofort zum Pferch und ließ Antoni rufen. 'Hör mal, Antò! Von Morgen an bleibst du im Dorf, bis die Olivenernte vorbei ist. Luisa hilft dir dabei. Die Oliven verderben mir schon: Sie fallen ins Gras … es ist allerhöchste Zeit … dir vertraue ich nämlich!''Ja, Herr! Schon gut! Schon gut! Wie Ihr befehlt!'Antoni schickte sich an, wieder zu gehen, doch als er gerade zur Hütte hinauswollte, rief ihn Thiu Larentu mit energischer Stimme zurück: 'Hör mal, Antò!' 'Befehlen, Herr!''Nimm die graue Stute, s’ebba murra. Und nimm Luisa zu dir auf die Kruppe … He, aber rühr sie nicht an! … Hast du verstanden? Du sollst sie nicht anrühren! Du bist doch ein anständiger Junge, unu theraccu onu, und ich vertraue dir. Wenn du sie anrührst, weißt du doch, was passiert, oder? Dass du mir ja keine Dummheiten machst! Dann musst du sie heiraten. Ich will keinen Skandal. Mein Haus ist ehrbar und wird von allen geachtet.' 'Nein, Herr! Es wird nichts passieren! Machen Sie sich keine Sorgen. Der Luisa wird bei mir nichts passieren … Wir pflücken nur Oliven.''Ja, so ist’s recht! Sattle dir jetzt das Pferd und reite ins Dorf. Morgen könnt ihr schon frühzeitig anfangen.' Am nächsten Tag ritt Antoni in aller Frühe mit Luisa zum Olivenhain. Dort angekommen, achtete er nicht weiter auf die Reize des strammen Mädchens, sondern stieg auf den Baum und schüttelte die Äste: und klopfte sie mit der Stange (cun sa mazzadosa), um sie abzumelken. Die Oliven kamen in Mengen herunter und sammelten sich auf den Beeten. Luisa, die unten stand, 'molk' die tiefen waagerechten Äste gleich in den Tragkorb hinein. Antoni oben auf dem Baum, tat so, als müsste er sich von Zeit zu Zeit verschnaufen und luchste dabei durch die dicht belaubten Äste auf die festen Brüste Luisas, ihr kohlrabenschwarzes Haar und alles, was seine Augen sonst noch in der Eile erspähen konnten. Schließlich kletterte auch Luisa auf den Baum, um die obersten Zweige abzuernten. So konnte Antoni sie noch besser betrachten. Endlich sah er auch ihre rosaroten Schenkel und die Hüften. Das Mädchen pflückte weiter, und als wollte sie dem Schweigen, der Verlegenheit ihres Arbeitskameraden ein Ende machen, begann sie zu singen: '… unu piantone nou a sos campos est dende umbra …'Nachdem sie den Baum oben abgeschüttelt und auch die unteren Zweige 'gemolken' hatten, nahm sich jeder von ihnen ein Beet vor und sammelte ein. Luisas Beet war etwas abschüssiger und höher gelegen, und Antoni hatte einen tiefen Einblick. Über seinen Tragkorb gebeugt, sah er aus wie ein Esel in Hitze. Doch Thiu Larentu hielt ihn zurück.Aber Luisa musste ihn ja auf Anweisung ihres Herrn provozieren. So war’s befohlen. Beim Einsammeln der Oliven fand sie tausend Arten, sich zu produzieren.'Antò! Leerst du sie mir in den Sack?' bat sie, als ihr Korb voll war.Und während er sich bückte, um den Korb auszuleeren, streifte sie zweckmäßigerweise und sittsam mit ihren Strähnen sein Gesicht. Als es Mittag war, ließen sie die Säcke unter dem Baum stehen und gingen in eine kleine Hütte (in su pinnettu) neben dem Eingangstor (in sa jaga) essen. Doch sie hatten kaum damit begonnen, da hielt sich Antoni in so unmittelbarer Nähe Luisas nicht mehr zurück.Gepackt vom Verlangen, näherte er sich ihr, die sich zwar überfallen lassen sollte, jedoch zurückwich. Aber Antoni hatte nun einmal Farbe bekannt. Und er hatte angefangen. Sollte es gehen, wie es wollte. Luisa zierte sich. Antoni drängte. Aber es war eben nur eine ganz kleine Hütte. Vor lauter Zurückweichen waren Luisas Schultern gleich an der Wand. Weiter zurück ging’s nicht mehr. Der Augenblick war da. Antoni griff ihr an die Schenkel. Jetzt gehörte sie ihm. Das Mädchen ließ ihn gewähren, wie vom Augenblick überwältigt.Su pinnettu, die kleine Hütte, deren Gerüst auf der Erde stand, schwankte bis ins Strohdach und widerstand dem Sturm nur mit Mühe und Not. Die beiden Liebenden waren in ihren Umarmungen außer Rand und Band. Es war der schönste Augenblick in Antonios und vielleicht auch in Luisas Leben. Endlich konnte sie heiraten: Die Ketten, mit denen Thiu Larentu sie gezwungen hatte, 'Jungfer' zu bleiben, waren beim Zusammenstoß mit der Lebensmoral zerrissen. Jetzt war sie frei. In ihrer Liebesrage waren sie mit den Beinen zum pinnettu hinausgekommen, und mitten im leidenschaftlichsten Getobe stand plötzlich (vielleicht gar ohne Luisas Wissen) Thiu Larentu da, der es sich nicht nehmen ließ, seine Rolle weiterzuspielen. 'Unglückseliger Kerl! Verbrecher! Hatte ich dir nicht gesagt, dass du sie nicht anrühren sollst …, dass ich in meinem Haus keinen Skandal will … Gemeiner Mensch! Mein Haus in einen Skandal zu verwickeln! Jetzt heiratest du sie aber … sonst brech ich dir sämtliche Knochen!!! … Ausgerechnet mit der Luisa hast du es tun müssen … mit meiner besten Magd … schöne Geschichten! Dafür musst du zahlen. Du wirst sie heiraten …' 'Verzeihung, Herr, ich …''Ich, einen Dreck! … Dein Augenlicht hast du verloren vor lauter Gier!''Ja, gewiss, aber ich liebe Luisa. Wir lieben uns beide. Ich werde sie heiraten. Es gibt keinen Skandal. Ich danke Euch sogar! Ja, ich danke Euch, dass Ihr uns das Heiraten erlaubt. Danke! Es gibt keinen Skandal, das verspreche ich Euch.''Du versprichst es? Also, gut! Dann nimm’s nicht so tragisch, dass ich in Wut geraten bin. Ihr hättet mir ja auch was sagen können. Wozu die Geheimniskrämerei … Was ich für dich tun kann, das tue ich. Ich will bei ihren Eltern ein gutes Wort einlegen … Aber die Wahrheit müssen sie doch wissen. Ich kann das nicht verschweigen. Umso schlimmer für euch! Aber ich will sehen, dass ich dir bei der Mitgift helfen kann. Und du kannst bei mir Halbpächter werden … Aber das muss alles augenblicklich geschehen … bevor es irgendwelche Scherereien gibt … Heute Abend noch gehe ich zu ihren Angehörigen und will mich bemühen, dass es eine schnelle Hochzeit wird', verfügte Thiu Larentu und entschwand.

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