Mein Leben als Tennisroman: Roman

Mein Leben als Tennisroman: Roman

by Andreas Merkel
Mein Leben als Tennisroman: Roman

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by Andreas Merkel

eBook

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Overview

It’s a match! Arthur Wilkow, fourtysomething, Literatur- und Sportjunkie, setzt alles auf eine Karte. Sein Ziel: einen autobiographischen Tennisroman zu schreiben. Aber was, wenn das Leben für einen Roman nicht taugt? Hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Wirklichkeit reist Wilkow durchs Jahr, nach Hawaii, zum Lago Maggiore, nach Köln und Kühlungsborn, Polen und Portland. Mein Leben als Tennisroman erzählt von Gegner- und Partnerschaft, den täglichen Kämpfen und letzten großen Duellen. Zwischen Mann und Frau, Autor und Figur, Erinnerung und Gegenwart. »In der hiesigen Literatenszene, in der es von Kojoten, Tagedieben und anderen Heiligen nur so wimmelt, ist Andreas Merkel der – wie es im Sport heißt –, „den du gesehen haben musst“. Ronald Reng

Product Details

ISBN-13: 9783841215949
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 09/14/2018
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 304
File size: 8 MB
Language: German

About the Author

Andreas Merkel, geboren 1970 in Rendsburg, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Philosophie, Politik- und Filmwissenschaft in Kiel und Berlin. Magisterarbeit über Christoph Heins "Der fremde Freund" ("Die Problematik des Ich angesichts der Erfindung und Abschaffung des Anderen"). Autor von Kurzgeschichten und der Romane "Große Ferien" und "Das perfekte Ende". Journalistische Arbeiten für taz, Berliner Zeitung, ZEIT und Süddeutsche. Schreibt im "Literatenfunk" (piqd.de) und für den Freitag die Kolumne "Bad Reading". Sein Tagebuchroman "Fan-Fibel 1. FC Köln" (11Freunde: "das Anti-Fußballbuch des Jahres") wurde 2017 von der Deutschen Fußball-Akademie zum "Fußballbuch des Jahres" nominiert. Merkel ist Inhaber einer abgelaufenen Tennistrainer-C-Lizenz und steht im Tor der Autorennationalmannschaft. 

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Teil 1:

Das Schwache Denken

Who's that laughing in my library?

Frank Ocean

AMERIKA

2. Januar: I'm writing a novel

Der Überfahrer war auch schon mal auf Hawaii und erzählt uns davon. Montagmorgen, five AM in Portland, Oregon. Die Fahrt zum Flughafen dauert eine halbe Stunde. Der Wagen ist ein ganz normaler Ford, aber hinten gibt es eine kleine Vase mit Blumen, Kleenex und Wasserflaschen. E. sitzt neben mir und hält meine Hand, während sie aus dem Fenster die vorbeigleitenden Lichter der Stadt betrachtet, in der ihre Tochter wohnt.

Seine Ahnen kämen auch aus Deutschland, sagt der Überfahrer: In alten Einreiseregistern auf Ellis Island stehe, dass die Urgroßeltern reich gewesen wären, weil sie mit drei Gepäckstücken in der Neuen Welt ankamen, ein Handwerk hatten, lesen und schreiben konnten. Damit hätte man damals als reich gegolten. Der Überfahrer hat das recherchiert, er interessiert sich für Geschichte. Seine Lieblingsstadt (in Europa) ist Rom. Dessen antike Überreste haben es ihm angetan, die Amphitheater und Katakomben. Und unter dem Kolosseum gebe es diese geheimen Gänge. Mehr noch als für History, sagt der Überfahrer mit einem unangenehmen Blick in den Rückspiegel, interessiere er sich für MisteryHistory.

Dann fragt er, was wir machen.

Vor der schweigenden E. antworte ich wie für uns beide Writing, und es dauert dann noch mal eine Weile, bis wir das Missverständnis aufgeklärt haben, weil der Überfahrer aus irgendeinem Grund zuerst Hunting verstanden hat (und ganz abgesehen davon, dass E. natürlich auch nicht schreibt).

»Then what are you writing about?«

Ich muss an die Homeland Security denken, die vor einer Woche genauso nachgefragt hat und der ich erzählte, ich wäre Journalist und würde über Sport, Literatur und Pop schreiben – mostly Bundesliga, um mir weitere Nachfragen zu ersparen.

Jetzt sage ich einfach die Wahrheit.

»I'm writing a novel.«

»Oh«, sagt der Überfahrer, nicht im Mindesten überrascht. »What is it about?«

»It's about death, sex and tennis.«

Der Überfahrer guckt mich wieder im Rückspiegel an. »Now, that's quite some combination.«

Das kleine Gespräch könnte hier schon beendet sein. Wir könnten einfach den restlichen Weg zum Flughafen schweigen.

Dann überlegt es sich der Überfahrer aber noch mal anders: »I mean, death and sex sound like any other novel I've read so far. But tennis? That's different.«

»Thank you.«

»May I ask you something?« Ich nicke.

»Why death?«

»Because it's such an important thing in life. I mean, people are always dying. And because people want to read about it.«

Wir halten an einer roten Ampel, der Überfahrer blickt geradeaus auf die Straße und wirkt nicht so, als würde er zuhören.

»But who is dying in your novel?«

»The author.« Ich überlege kurz, ob das stimmt, dann füge ich hinzu:

»It's always the author, who is dying.«

Der Überfahrer guckt aus dem Seitenfenster und hupt kurz, grüßt den Fahrer nebenan, der ihn entgeistert anschaut.

»Right. Like in the song: so you can remember him.«

Die Ampel springt auf Grün, der Überfahrer fährt weiter:

»And why sex?«

»Because the novel plays in Berlin, you know. The Party Capital. It's all going down there right now. Plus: most of the tennis-players I know are sex-addicts. I mean ...«

E. drückt meine Hand. Ich schaue sie an. Aber ihre Augen sind geschlossen, und es ist nur ein Zucken im Schlaf gewesen.

Der Überfahrer nickt nachdenklich.

»Yeah, I understand.«

Die Abfahrt zum Airport taucht auf, er setzt den Blinker.

»And so this is why you write about tennis.«

Ich habe den Überfahrer vorhin genau beobachtet, als er uns half, das Gepäck in den Kofferraum zu wuchten: Ein großer Typ in markenlosen Sneakers, Jeans, Sweatshirt. Hohe Stirn, leichtes Übergewicht. In Berlin wäre er ein ganz normaler Taxifahrer, der bloß irgendwann erwähnt, dass er Adolf Hitler wählt. In Amerika dagegen wirkt so jemand gleich wie der Zodiac Killer. Jemand, mit dem man sich auf einer Reise unterhält und den man fünf Minuten später wieder vergessen hat.

»Tennis ... is just something I practised a lot. I could hit winners with my backhand ...«

Beim Gedanken an meine Rückhand muss ich plötzlich lachen, und der Überfahrer lacht netterweise ein bisschen mit.

»But of course, I'm not this good. Not like a pro. But I can see why it's a nice game. And I can see what's the problem with it ...«

Der Überfahrer will wissen, was das denn für ein Problem sei.

»It's a singles' sport you can't play alone.«

»Death, sex and tennis, you said?«

»That's right.«

»Sounds like a very private project.«

»Yeah, that's why I will write it in English. So I won't feel too lonely. And I want to write for a bigger readership. You know, go global ...«

»Well, that's pretty smart. Good luck then.«

Wir sind am Flughafen angekommen. E. ist aufgewacht, und ich frage sie auf Deutsch, ob wir dem Überfahrer Trinkgeld geben sollen. E. antwortet, dass schon alles online bezahlt wurde und es nicht Über, sondern Uber heißt. Für den Uberfahrer klingt diese kleine Unterhaltung vielleicht wie Geheimsprache, aber als er das hört, grinst er (»That's alright, he can call me Über!«) und wünscht uns eine gute Reise.

Am Terminal ist die destination immer noch domestic, das Ziel immer noch Inland. Um uns rum lauter Amerikaner in Outdoor-Klamotten und kurzen Hosen – im Januar, der Anblick hilft gegen den leichten Schwindel, jetzt sechs Stunden raus auf den Pazifik zu fliegen. An Bord lese ich die Sonntags New York Times von gestern, zwei Artikel aus dem Ressort MOST READ 2016. Im ersten geht es darum, wie Obama die Abende seiner Präsidentschaft verbracht hat: nach einem frühen Dinner mit der Familie zog er sich zurück, um circa fünf Stunden allein in einem Raum im Weißen Haus zu sein (Lesen, Mailen, Basketball im Fernsehen gucken) und exakt sieben leicht gesalzene Mandeln zu essen – pretty anal, scherzte der Stab.

Der andere Artikel handelt von jesidischen Sex-Sklavinnen im sogenannten Islamischen Staat: bemerkenswert wenige seien bei den Vergewaltigungen schwanger geworden. Mittelalterliche Vorschriften verböten Sex mit Schwangeren, weswegen die Kämpfer sich strikt an Empfängnisverhütung hielten, was in dem Text als das Allerverwunderlichste betont wurde.

Ich überwinde den Impuls, E. zu erzählen, was ich gerade gelesen habe. Wir befinden uns irgendwo über dem Ozean, und den Rest des Fluges mache ich mir auch keine Notizen mehr zu dem geplanten Tennisroman, den ich in diesem Jahr schreiben will, weil ich zum Glück schon weiß, wie es losgeht. Ich werde ihn einfach als Arthur Wilkow schreiben. Niemand sonst heißt so, ich habe meinen Namen extra noch mal im Internet nachgeguckt. Aus Gründen der erzählerischen Härte und maximalen Distanzierung könnte ich mich im Tennisroman außerdem einfach nur Wilkow nennen – Klarname Nachname: wie aus einem schonungslosen Hintergrundbericht im Sport- oder Politikteil. Mein Herz schlägt wild, und ich muss jetzt nur aufpassen, dass ich mir nicht selbst in die Falle gehe, indem ich mir zu smart vorkomme.

3. Januar: Das Parfum von Yvonne

Der Tennisroman befindet sich nun als Tagebuch seit gestern auf Hawaii. Heute, am Dienstagmittag, sitze ich im Schatten der Bäume des Statepark zwischen Waikiki Beach und Diamond Head an einem Picknick-Tisch aus Beton. Während ich E. im Auge behalte, die etwa hundert Meter entfernt am Strand liegt, schreibe ich vorsichtig mit blutigen Fingern und Knien. Wenn man im Ozean schwimmen will, muss man sich noch im Flachen über ein scharfkantiges Riff direkt unter der Oberfläche tasten, auf das einen die Wellen dann immer wieder sanft runterdrücken ... beim Rauskommen rinnt das Blut dünn aus kleinen Papercuts und vermischt sich auf der Haut mit dem schnell trocknenden Salzwasser des Pazifik.

Ich habe zwei Notizbücher: ein rotes (fürs Tagebuch) und ein blaues (für den Roman). Klassischer Fall von doppelter Buchführung. Das rote ist ein dickes Moleskin, das blaue ein elegantes, dünnblättriges Smythson, auf dem in goldenen Lettern To be perfectly frank steht (ein Geschenk von meinem Freund Eilinger, weil ich ab und zu auf seinen Dackel aufpasse). Ich fange mit dem blauen Notizbuch für den Roman an, und dieser Tennisroman beginnt immer wieder mit dem Betreten einer Anlage, die sich gerade Zehntausende Meilen Luftlinie entfernt im Land der Erinnerung befindet. Im engeren Sinne könnte die Anlage ein Tennisclub sein, im weiteren Sinne aber vielleicht auch eine Art Traumlandschaft. Der Traum wäre dann eine Geschichte, die den Autor so lange verfolgt, bis sie irgendwann nicht mehr von einer Geisteskrankheit zu unterscheiden ist. Diese Geschichte ist der Tennisroman.

Er könnte zum Beispiel damit beginnen, wie Wilkow einmal allein in einem leeren Stadion im äußersten Westen der Stadt saß und sich ein Zweitrunden-Match der German Junior Open anguckte. Das war im Juli 2008: Obama kam zum ersten Mal nach Berlin, und Wilkow fuhr an einem Donnerstagnachmittag mit dem Rad zum Lawn Tennis & Hockey Club Rot-Schwarz Berlin. Das wäre dann die wahre Anlage, und alles würde nicht besonders ermutigend mitten in Dahlem seinen Anfang nehmen. Um den Roman zu betreten, müsste man am Ende einer von Villen gesäumten Straße durch ein Tor gehen, hinter dem dann tatsächlich ein komischer Offizieller in einem Clubjackett rumstand, als wäre man gerade in Wimbledon angekommen. Das Clubjackett erinnerte allerdings eher an Higgins aus Magnum. Dafür begrüßte Higgins den Besucher immerhin freundlicher als damals die Schnösel von den Dritten Herren, gegen die Wilkow mal in der Berliner Bezirksliga angetreten war. Die hatten gar nicht erst mit ihren Gegnern geredet, sondern lieber gleich aufs Clubpersonal verwiesen, »falls ihr Fragen habt«.

Higgins konnte also davon ausgehen, dass Wilkow schon mal da gewesen war und sich auf der parkähnlichen Anlage auskannte. Obwohl der Eintritt frei war, bestanden die German Junior Open im Wesentlichen aus Teilnehmern und Trainern. Wilkow sah nicht einen normalen, neutralen Zuschauer. Er ging direkt zum Center Court, der in einem großen Betonstadion untergebracht war, das man in den besseren Tagen des Sports nach Deutschlands berühmtester Spielerin benannt hatte. Heute war das Stadion leer, bis auf eine Frau, die ganz unten hinter den Bänken der beiden Spieler saß, die sich gerade einschlugen.

Mit dem komischen Gefühl, sich unter 5000 grünen Plastiksitzen für einen Platz zu entscheiden, setzte sich Wilkow in den Ober-Rang, um sich auf das Spiel von oben konzentrieren zu können, wie man ein dickes Buch beim Lesen von sich weghielt. Die Namen der beiden Spieler standen mit Kreide auf einer Anzeigetafel geschrieben, die am ebenfalls verwaisten Schiedsrichterstuhl angebracht war. Sie sagten Wilkow nichts, und er vergaß sie auch sofort wieder. Der eine war ein Slowake (oder Tscheche), der andere ein Deutscher. Die Frau war die Trainerin, Freundin oder vielleicht sogar Mutter des Tschechen, vorstellbar war irgendwie alles. Der Deutsche hatte niemanden außer Wilkow im Ober-Rang auf seiner Seite.

Der Tscheche spielte müheloses Federer-Tennis, mit der einhändigen Rückhand konnte er direkte Winner schlagen. Der Deutsche, schwerer und muskulöser, hatte mit seiner beidhändigen Rückhand dagegen keine Chance. Den ersten Satz verlor er 1 : 6 gegen den Slowaken, fluchte sich einmal durch das obszöne Alphabet mit F (wofür es sofort eine court violation gegeben hätte, wenn denn jemand auf dem Hochsitz gesessen hätte – so mussten die Junioren strittige Bälle unter sich ausmachen, indem sie mit lässig hängendem Schläger Abdrücke im Sand umkreisten). Bei den Seitenwechseln vergrub der Deutsche das Gesicht im Sponsoren-Handtuch von kinderschokolade.

Im zweiten Satz dann die überraschende Wende. Der Deutsche hatte sein Spiel umgestellt, orientierte es jetzt besser am Gegner und dessen schwächerer Vorhand und konnte im Tiebreak gewinnen, 7 : 6. Das Match ging in den dritten Satz. Langsam legte sich eine abendliche Einsamkeit über den Center Court, was an dem seltsamen Klang gelegen haben mag, den es macht, wenn nur zwei Menschen in einer leeren Arena klatschen (als würden in einem Lesesaal Buchseiten umgeblättert). Andere Geräusche schienen von weit her zu kommen: Auf den Nebenplätzen schrie jemand OUT, ein anderer antwortete mit FUCK. Im Hundekehlesee hinter dem Club badeten Kinder. Ab und zu fuhr eine S-Bahn an der Stadionrückseite vorbei.

Der Deutsche verlor den dritten Satz 4 : 6, und als die Gegner sich am Netz die Hand gaben, war Tennis plötzlich wieder ein schöner Sport gewesen. Und Wilkow hatte auf der Tribüne eine Art Erweckungserlebnis gehabt: Es war das erste Mal, dass er über sein Leben als Tennisroman nachdachte.

Dabei fielen ihm sofort folgende Dinge ein:

• Die Verschwendung seiner Jugend auf den nördlichsten Courts der untergehenden Bundesrepublik. Endlose Nachmittage in epische Privatduelle mit den immer gleichen Freunden verstrickt. Forderungsspiele, Clubmeisterschaften, Bezirksturniere an den Wochenenden. Warten, dass der schleswig-holsteinische Regen abzieht und man den Platz selbst mit Schwämmen trockenlegen konnte.

• Der Job als Tennistrainer während des Studiums. Zuerst hatte Wilkow Jugendliche im Heimatverein trainiert, die kaum jünger waren als er selbst. Dann erwachsene Feierabendspieler in den umliegenden Dörfern. Dazwischen einen Sommer lang betagte Millionärinnen auf Sylt.

• Die neuen Freunde fernab seines Studiums bei den Treptower Teufeln, einem Ostberliner Tennisclub. Das Vereinsheim befand sich in einem alten Schachclub, wo ein Dosenbierautomat rumstand (nach dem Montags-Training wurde bis spät in die Nacht gesoffen). Die Kabinen mit altem Linoleum und Stoffvorhängen. Alles roch noch nach DDR, nach wilden Vereinsfeiern und Sex im Osten.

• Die Metapher, die Tennis fürs Schreiben oder Schreiben fürs Tennis sein könnte. Beides dreht sich um das einsame Spiel eines romanesken Ichs gegen sich selbst oder andere Gegner (Rafael Nadal, Christian Kracht, Aaron Krickstein, Roberto Bolaño). Beides findet statt in einer künstlich hochgezüchteten, irgendwie privilegierten, dafür aber auch psychisch ruinösen Welt der Books and Courts.

Seitenwechsel: Aus dieser Welt auftauchend, beschließe ich, dass es Zeit ist für eine kleine Schreibpause mit Eiskaffee, American Spirits und New York Times. Autorsein ist ja auch eine Lifestyle-Entscheidung: wenn nicht mal mehr Kaffee, Zigaretten und Zeitung drin sind, ist der Text sowieso schon verloren. Um das zu verhindern, bin ich heute Morgen mit E. extra in einen der heavy airconditioned ABCs gelatscht. ABC ist eine Supermarktkette, die sich an jeder Straßenecke von Waikiki Beach breitgemacht und so zwischen den ganzen postsozialistisch anmutenden Hotelbunkern vermutlich allen Kolonialwarenläden das Licht ausgeblasen hat. ABC ist dennoch oder gerade deswegen der einzige Ort auf Hawaii, wo man New York Times, American Spirits, Starbucks-Doseneiskaffee auf einmal bekommt.

So unauffällig wie möglich stecke ich mir also jetzt im Rahmen meiner Schreibpause eine an. Der Statepark ist natürlich Non-Smoking-Area. Überall Verbotsschilder, die drakonische Strafen von bis zu 500 Dollar verkünden, wenn man erwischt werden sollte. Aber ich vertraue einfach mal meinen partners in crime, den versprengten Co-Smokern auf den Bänken um mich herum, überwiegend Homeless und Skater, die schon wissen werden, was sie tun. Nur eine kleine Urlaubsaufregung: es tut gut, sich über etwas hinwegzusetzen. Und das war ja auch immer meine Standardfrage gewesen, als ich noch für Andy Warhol's Interview Magazine Leute wie Knausgård, Judith Hermann oder Richard Ford befragte: Hilft ein kriminelles Grundgefühl beim Schreiben?

Mit dieser Grundhaltung kann man sich aber genauso gut über andere Verbote hinwegsetzen, die man für sich selbst und das eigene Schreiben aufgestellt hat. Um dann noch mal ganz anders in den Tennisroman einzusteigen: Peinlicher, anmaßender, romanmäßiger. Denn: Gibt es etwas Peinlicheres und Anmaßenderes, als noch einen Roman schreiben zu wollen? – Ja, einen Familienroman zu schreiben.

Der Tennisroman als Familienroman würde mit der merkwürdigen Reminiszenz beginnen, wie Wilkow mal mit seiner Mutter im Kino gewesen war. Seiner armen Mutter, die in der Familie Tennis als Erste und ganz für sich allein entdeckt hatte. Als nettes, gesundes Hobby: sich einmal die Woche zum Damen-Doppel treffen so wie andere zum Handarbeiten oder Kaffee – bevor die Männer (sein Vater, Bruder und er) den Sport auf das Grausamste für sich okkupierten, die Sache mit ihrem heiligen Ehrgeiz so richtig angingen und so weiter. Der Film, in den er seine Mutter mitgenommen hatte, war ein französischer Autorenfilm, über den Wilkow vermutlich eine Filmkritik in der SZ gelesen hatte: Das Parfum von Yvonne oder Yvonnes Parfum. In Nordburg lief so etwas einmal pro Woche als Der besondere Film. Es handelte sich um einen dieser philosophisch veredelten französischen Softpornos, worauf die Filmkritik in der SZ damals sicherlich nur unzureichend hingewiesen hatte, denn sonst wäre er da garantiert nicht allein mit seiner Mutter reingegangen.

(Continues…)


Excerpted from "Mein Leben als Tennisroman"
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Copyright © 2018 Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin.
Excerpted by permission of Aufbau Digital.
All rights reserved. No part of this excerpt may be reproduced or reprinted without permission in writing from the publisher.
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Table of Contents

Über Andreas Merkel,
Informationen zum Buch,
Newsletter,
Teil 1: Das Schwache Denken,
Amerika,
2. Januar: I'm writing a novel,
3. Januar: Das Parfum von Yvonne,
4. Januar: Der amerikanische Tennisroman,
5. Januar: Lenz,
6. Januar: Wer waren sie voreinander?,
7. Januar: Das schwache Denken,
9. Januar: Home of the NFL,
10. Januar: Nicht-Ichigkeit,
11. Januar: Ongoingness,
12. Januar: Snowbound,
13. Januar: Not the actual events,
14. Januar: 36 Stunden Portland,
16. Januar: Putting Today to Bed,
Görlitz,
27. Januar: Görlitz,
28. Januar: Schlaflos an der Grundlinie,
Die Grundlinie,
Köln,
2. Februar: Alone in Cologne,
3. Februar: Drink doch kene met,
Polen,
28. Februar: Hampton Inn,
1. März: Die halbe Hitlerjugend in der Hala tenisowa,
2. März: Love 17 / 17 all,
3. März: Nicht Paris,
Teil 2: Die schlechte Presse,
Ostsee,
21. April: K-born,
22. April: Overruled,
23. April: Gegenspieler,
Nordburg,
16. Mai: Rückkehr nach N,
17. Mai: Oldenbüttel,
18. Mai: Breiholz,
19. Mai: Neumünster,
20. Mai: Brasilien,
21. Mai: Eine richtige Freundin,
Interlude,
24. Juni: Die schlechte Presse,
Italien,
15. Juli: Junior-Suite,
16. Juli: Lucky Shoulder,
17. Juli: 34. Baveno 1937,
18. Juli: Am Lido,
19. Juli: Ciao fratello,
20. Juli: Demisexuell,
21. Juli: Gottfried von Wilkow,
22. Juli: Ti amo,
23. Juli: Your Ex-Character is dead,
Teil 3: Der falsche Freund,
Amerika,
8. September: Welches Jahr haben wir?,
9. September: Metro Boomin,
11. September: Employees Only,
12. September: Zwischen Salt Lake City …,
13. September: Nocturnal Portland,
14. September: CRITICAL PROCESS DIED,
15. September: Güero,
16. September: Good Writing,
18. September: Renegade,
19. September: Dr. Wilkinson's,
20. September: Crescent City,
21. September: Girl is a gun,
22. September: Schreiben ist das neue Rauchen,
23. September: Stammtisch,
Nordburg,
8. Dezember: Unter dem Tannenbaumsystem,
9. Dezember: Der falsche Freund,
Amerika,
24. Dezember: Der Return des Lenz,
Dank,
Impressum,

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