Martinsmorde: Ein Schwarzwald-Krimi

Martinsmorde: Ein Schwarzwald-Krimi

by Christa S. Lotz
Martinsmorde: Ein Schwarzwald-Krimi

Martinsmorde: Ein Schwarzwald-Krimi

by Christa S. Lotz

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Der erste Fall für Lisa Faber
Die Journalistin Lisa Faber besucht das kleine Dorf Niederweiler, um für den Schwarzwaldkurier einen Artikel über die Traditionen zum Martinstag zu schreiben. Doch die Dorfbewohner begegnen ihr mit Argwohn. Als nach dem Martinsritt der örtliche Pfarrer ermordet aufgefunden wird, ist die Feindseligkeit kaum noch zu übersehen. Hauptkommissar Steidle übernimmt den Fall, doch Lisa wittert eine Story. Sie findet heraus, dass vor vielen Jahren im Dorf schon einmal ein Pfarrer verschwand. Während sie auf eigene Faust ermittelt, stößt sie auf ein düsteres Geheimnis und gerät schließlich selbst ins Visier des Täters …


Product Details

ISBN-13: 9783958191570
Publisher: Midnight
Publication date: 07/02/2018
Series: Lisa Faber ermittelt , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 304
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Christa S. Lotz, geboren 1950, wuchs an der Flensburger Förde auf, bevor sie in ihre Wahlheimat im Süden Deutschlands zog. Sie studierte an der Universität Tübingen, arbeitete als Diplom-Pädagogin vor allem mit traumatisierten Menschen und unternahm ausgedehnte Reisen in Europa und Übersee. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie ihren ersten Roman über den Dichter Eduard Mörike, der große Beachtung in den Medien fand. Seitdem hat sie weitere historische Romane und historische Krimis veröffentlicht. Heute lebt sie in einer kleinen Stadt am Rande des Schwarzwalds. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, geht sie mit ihrem Lebensgefährten wandern, fotografiert oder macht Ausflüge, die sie zu neuen Geschichten anregen.

Christa S. Lotz, geboren 1950, wuchs an der Flensburger Förde auf, bevor sie in ihre Wahlheimat im Süden Deutschlands zog. Sie studierte an der Universität Tübingen, arbeitete als Diplom-Pädagogin vor allem mit traumatisierten Menschen und unternahm ausgedehnte Reisen in Europa und Übersee. Im Jahr 2004 veröffentlichte sie ihren ersten Roman über den Dichter Eduard Mörike, der große Beachtung in den Medien fand. Seitdem hat sie weitere historische Romane und historische Krimis veröffentlicht. Heute lebt sie in einer kleinen Stadt am Rande des Schwarzwalds. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, geht sie mit ihrem Lebensgefährten wandern, fotografiert oder macht Ausflüge, die sie zu neuen Geschichten anregen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Sonntag, 11. November

Lisa nahm den Fuß vom Gas. Der Nebel wurde immer dichter. Uralte Fichten säumten rechts und links die Straße. An der Windschutzscheibe perlten Tröpfchen herab. Ein Blick auf die Uhr zeigte Lisa, dass es mit dem Termin in Niederweiler knapp werden würde. Dabei freute sie sich auf die Tage, die vor ihr lagen. Rechercheurlaub im Schwarzwald, Erholung vom stressigen Alltag in der Redaktion, Gespräche mit Menschen, Spaziergänge, und dazu die gute Schwarzwälder Küche. Sie schaute in den Rückspiegel und sah die trüben Scheinwerfer eines Wagens, der ihr in einiger Entfernung folgte. Er schien sich an ihre Fersen geheftet zu haben, fuhr nicht schneller oder langsamer und überholte auch nicht. Wie lange war er schon hinter ihr hergefahren? Mit einem Mal verspürte sie ein beklemmendes Gefühl. Sie fuhr hier ganz allein durch den Nebel und wurde von einem Auto verfolgt. Oder bildete sie sich das nur ein?

Jetzt führte die Straße einen steilen Berg hinunter. Lisa beschleunigte. Der andere Wagen beschleunigte ebenfalls. Er kam näher heran, so nah, dass er fast die Stoßstange von Lisas Golf berührte. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Es musste ein Opel Astra sein, Farbe dunkelblau. Ein Kollege in der Redaktion fuhr auch so einen, allerdings einen silbergrauen. Das Nummernschild konnte sie nicht erkennen, er war zu nah dran.

Noch einmal beschleunigte sie, doch der andere blieb ihr dicht auf den Fersen. Was wollte der von ihr? Trieb er einfach nur ein böses Spielchen oder legte er es darauf an, dass sie einen Unfall baute? Sollte sie anhalten, ihn stellen und fragen, was er da für einen gottverdammten Bullshit veranstaltete? Auf der Gegenseite näherte sich langsam ein Fahrzeug, die Nebelscheinwerfer voll aufgeblendet. Lisa hupte und gestikulierte wie wild mit der linken Hand, aber der Wagen fuhr unbeirrt vorbei.

Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Möglicherweise wollte ihr Verfolger sie zwingen anzuhalten, um sie auszurauben oder zu vergewaltigen. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug mehr zu sehen. Und es gab auch keine Dörfer oder einzelnen Bauernhöfe, wo sie hätte halten und Hilfe holen können. Sie drückte aufs Gas, und der Wagen schoss vorwärts. Die Straße verlief auf dem Talgrund in einer scharfen Kurve nach rechts.

Gerade als sie dachte, ihn abgehängt zu haben, kam das Motorengeräusch wieder näher. Der Astra fuhr fast auf ihren Wagen auf, berührte ihn leicht mit seiner Stoßstange. Der Golf geriet ins Schlingern, Lisa musste gegensteuern, um ihn auf der Straße zu halten. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass sie an einem Abgrund entlangfuhren. Wenn der Fremde sie noch einmal rammte, würde sie ins Schleudern geraten und durch die Leitplanke brechen. Der Astra fiel etwas zurück. Lisa machte eine Vollbremsung. Der Astra scherte kurz vor dem Aufprall aus, beschleunigte und raste an ihr vorbei. Dabei erhaschte sie einen Blick auf eine rote Baseballkappe und eine Sonnenbrille. Der Fahrer drückte auf die Hupe, deren Ton in Lisas Ohren widerhallte. So ein gottverdammter Idiot!

Sie fuhr in eine Parkbucht, stieg aus und lief einige Schritte hin und her, um ihre zitternden Knie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war kalt geworden. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg sie wieder in ihren Wagen, schnallte sich an und gab Gas. Bei der Weiterfahrt versuchte sie den Zwischenfall zu vergessen. Aber ganz gelang es ihr nicht. Das Verhalten des Fahrers hatte Gefühle der Ohnmacht in ihr hervorgerufen. Und das war sie nicht gewohnt. Sie war es gewohnt, immer alles unter Kontrolle zu haben.

Es ging nun stetig bergab in ein Bachtal hinein. Der Himmel war aufgeklart, nur auf den Wiesen standen noch einzelne Nebelschwaden. Da brauen die Hexen ihr Abendbrot, hatte ihre Mutter mal erzählt. In der Ferne sah Lisa Lichter schimmern. Gott sei Dank, dort wohnten Menschen, Leute, mit denen man reden konnte und die sie bei ihren Recherchen unterstützen würden.

Sie passierte das Ortsschild von Niederweiler. Das Dorf bestand aus einigen Bauernhöfen und Einfamilienhäusern, einer Kirche mit Zwiebelturm und zwei Gasthäusern. Lisa parkte vor der Wirtschaft Zum Löwen. Es war ein Fachwerkhaus mit kleinen Fenstern und einer überdachten Treppe. Irgendwie kam das Haus ihr bekannt vor, aber sie konnte nicht sagen, wann und wo sie es schon einmal gesehen hatte. Gegenüber befand sich ein anderes Gasthaus, der Engel, vor dem schwarzgekleidete Männer standen und rauchten. Von einem Opel Astra war weit und breit nichts zu sehen.

Als Lisa den Löwen betrat, wehte ihr ein Duft nach gebratener Gans entgegen. Am Stammtisch saßen ein paar Einheimische, tranken Bier aus Krügen und spielten Karten. Bei Lisas Eintreten verstummten sie und musterten sie von Kopf bis Fuß. Ein unbehagliches Schweigen entstand. Wo war sie hier nur hineingeraten? Was hatte diese Feindseligkeit zu bedeuten?

Lisa marschierte auf den Wirt zu, der hinter dem Tresen stand und Gläser spülte. Er sah aus wie um die fünfzig, das Hemd spannte sich über seinem Bauch. »Ich hatte gestern bei Ihnen ein Zimmer bestellt«, sagte Lisa. »Unter dem Namen Faber.«

Sein pausbäckiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Willkommen in Niederweiler!« Er streckte ihr die Hand hin. »Ich heiße Eberle. Wie lange wollen Sie denn bleiben?«

Lisa erwiderte seinen Händedruck. »So genau weiß ich das noch nicht. Vielleicht ein paar Tage.«

»Seit wann hast du denn eine Fremdenpension?«, rief einer der Kartenspieler und feixte.

»Reiß deinen Mund nur nicht zu weit auf«, gab der Wirt zurück. »Ihr könnt froh sein, wenn uns überhaupt mal jemand von draußen beehrt.«

Der Mann winkte ab und schob sein Kinn vor wie ein Nussknacker. »Wo kommen wir denn da hin? Demnächst werden wir noch von Touristen überlaufen. Die machen sich doch überall im Schwarzwald breit.« Er schaute seine Mitspieler herausfordernd an. »Das denkt ihr doch auch, oder? Wir lassen uns unser Dorf nicht kaputtmachen!«

»Jetzt gib Ruh und spiel weiter«, meinte einer der Spieler.

Das war ja ein netter Empfang. Zuerst der Astra und dann dieses Empfangskomitee. »Ich komme wegen des Martinsrittes. Der findet doch heute Abend hier im Dorf statt, oder? Ich werde darüber in unserer Zeitung berichten.«

»Direkt vor unserer Haustür«, meinte der Wirt. »Pünktlich um neunzehn Uhr, wenn der Gottesdienst vorüber ist. Wenn Sie sich bitte noch eintragen wollen?« Er schob ihr einen Meldezettel hin.

»Oje, von der Presse ist sie auch noch«, kam es aus der Ecke der Kartenspieler. Ein Glas klirrte. »Hoffentlich lässt die ein gutes Haar an uns.«

»Es ist ja bekannt, dass die Schwarzwälder rau, aber herzlich sind«, sagte Lisa und lächelte so gewinnend wie möglich.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte der Wirt beschwichtigend.

Am Stammtisch hatte sich Stille ausgebreitet, nur unterbrochen vom Klatschen der Karten auf den Tisch. Der Wirt packte Lisas Tasche, nahm einen Schlüssel vom Bord und stapfte vor ihr eine Treppe hinauf. Oben angekommen, musste er erst einmal verschnaufen. Eine Kuckucksuhr schlug sechs Mal.

»Sind Sie zum ersten Mal hier in Niederweiler, Frau Faber?«, fragte er, nachdem er die Tür aufgeschlossen und die Tasche im Zimmer abgestellt hatte.

»Ich habe den Ort über das Internet gefunden«, sagte Lisa. »Aber irgendwie kommt mir die Gegend bekannt vor.«

»Vielleicht waren Sie ja schon einmal hier?«

»Auf jeden Fall bin ich meines Wissens noch nie im Löwen gewesen.«

»Dann richten Sie sich jetzt ein wenig ein«, meinte er. »Und kommen Sie rechtzeitig herunter, das ganze Dorf wird auf den Beinen sein.«

»Ich bin schon sehr gespannt darauf«, sagte Lisa. »Es soll übrigens eine Serie über die Schwarzwalddörfer werden. Wie die Leute hier früher gelebt haben, welche Bräuche und Feste es gab und was davon noch übriggeblieben ist.«

»Sie kommen aus Tübingen?«

»So ist es. Ich arbeite für den Schwarzwaldkurier.«

»Welch Glanz in unserer Hütte! Ich fühle mich sehr geehrt. Zu Ihrer eigenen Sicherheit: Fahren Sie bitte noch ihren Wagen weg, sonst kommen Sie hinterher nicht mehr raus aus dem Spektakel. Und entschuldigen Sie bitte das Benehmen meiner Gäste. Sie sind misstrauisch gegenüber Fremden, vor allem denen aus der Stadt.«

»Schon notiert«, sagte Lisa. »Aber ich werde das etwas freundlicher formulieren. Eine Frage hätte ich noch. Gibt es hier jemanden, der einen blauen Opel Astra fährt?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Eberle. »Warum fragen Sie?«

»Da ist vorhin einer hinter mir hergefahren und hat mich so bedrängt, dass ich fast einen Unfall gebaut hätte.«

Er schaute ihr aufmerksam ins Gesicht. »Das wundert mich nicht«, meinte er. »In der Kneipe da drüben hocken Abend für Abend Leute, denen ich nicht gern im Dunkeln begegnen würde. Sie kommen von überall her und fressen sich den Ranzen voll. So einem würde ich das schon zutrauen. Aber wegen denen sind Sie ja nicht hier.«

»Ich glaube, wenn die zur Dorfkultur dazugehören, wäre das schon interessant für mich«, sagte Lisa.

Eberle lachte, Lisa stimmte ein. Sie hatte es leichthin gesagt, doch bei der Aussicht, sich mit diesen Leuten auseinandersetzen zu müssen, wurde ihr doch ein wenig mulmig zumute. Eberle verließ den Raum, und Lisa blickte sich um. Das Zimmer sah genauso aus, wie sie sich eine Schwarzwaldstube vorgestellt hatte. Es war mit Holz ausgekleidet, im Herrgottswinkel hing ein Kruzifix. Lisa schaute aus dem Fenster. Auf dem Platz begannen jetzt Leute aus dem Dorf damit, ein Zelt aufzustellen. Eine rundliche Frau stand vor einem riesigen Grill, auf dem Holzkohle glühte.

Lisa lief hinunter und brachte ihr Auto in eine Seitengasse. Wieder oben angekommen, duschte sie, zog sich um und legte sich auf das Bett. Das Handy hatte sie abgeschaltet. Außer ihrer Redaktion wusste niemand, wo sie sich befand. Bilder aus den vergangenen Wochen zogen ihr durch den Kopf. Sie hatte Streit mit ihrem Exmann Robert gehabt, doch inzwischen hatten sich die Wogen geglättet. Sie hatten das gemeinsame Sorgerecht für Julian, ihren vierzehnjährigen Sohn, beantragt. Und es lief auch ganz gut, nur meinte Robert, weiter eine Rolle in Lisas Leben spielen zu müssen. Die Arbeit in der Redaktion war heftig gewesen, die ganze Zeit hatte das Telefon geklingelt. In den Gesichtern der Kollegen hatte Lisa die ständige Angst vor einer Kündigung gesehen. Die zunehmende Digitalisierung drehte den Zeitungen allmählich das Wasser ab.

Die Kirchenglocke schreckte Lisa aus ihren Gedanken. Sie nahm ihre Kamera aus der Tasche, verließ das Zimmer und stieg die Treppe hinunter auf den Dorfplatz, auf dem sich inzwischen eine stattliche Menge an Zuschauern versammelt hatte. Eine Blaskapelle platzierte sich scheinbar erwartungsfroh. Hinter dem Grill stand die rundliche Frau, deren Wangen glühten, während sie Würste briet. Eberle stellte sie als seine Gattin vor. Eine andere Frau rührte in einem Bottich mit Glühwein. Lisa fotografierte die Szene.

Plötzlich erstarb das Gerede, und alle blickten in eine Richtung. Huftrappeln war zu hören. Von der Kirche her näherte sich ein Reiter auf einem Schimmel, gefolgt von Kindern und Erwachsenen, die Laternen und Fackeln in den Händen hielten. Der Reiter war mit rotem Mantel und einer Bischofsmütze bekleidet. Lisa wusste, dass er den heiligen Martin von Tours darstellte, der im vierten Jahrhundert am Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann begegnet war, seinen Mantel mit dem Schwert geteilt und die Hälfte dem Bettler gegeben hatte.

Die Kinder stellten ihre Laternen auf den Boden und bildeten einen Kreis. Sie sangen: Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind ...

Sankt Martin ritt in die Mitte des Kreises. Dort saß der Bettler und streckte die Arme zu ihm empor. Der Reiter stieg vom Pferd, zog seinen Mantel aus und zog mit einer schnellen Bewegung sein Schwert aus der Scheide. Ratsch! Die Blaskapelle spielte »O du fröhliche« und »Stille Nacht, heilige Nacht«. Eltern sahen mit glänzenden Augen zu ihren Sprösslingen hinüber. Von allen wichtigen Szenen hatte Lisa Fotos für die Zeitung gemacht.

Schließlich drängten sich alle um den Stand, und bald dampfte ein Glas Glühwein in Lisas Hand. Die Kinder tobten zwischen den Erwachsenen herum.

»Wie hat Ihnen der Martinsritt gefallen, Frau Faber?«, wollte Frau Eberle wissen. »Den gibt es seit mindestens dreißig Jahren. Wir sind ja noch nicht so lange hier, aber jedes Mal macht es uns wieder großen Spaß.«

»Sehr gelungen«, meinte Lisa. »Besonders das Pferd macht alles authentisch. Das sieht man nicht überall.«

»Martha Vogt hat es dem Dorf zur Verfügung gestellt. Sie wohnt hinten im Bachtal auf ihrem Bauernhof.«

Inzwischen war es noch kälter geworden, und die Leute drängten in das Zelt. Es war rappelvoll. Die Dorfbewohner nahmen auf Bierbänken Platz, aßen, tranken und redeten laut durcheinander. Lisa glaubte, auch die Spieler an einem der Tische zu sehen, die unbehelligt von dem Lärm ihre Karten klopften.

Sie ließ sich auf einem freien Platz bei den Eberles nieder. Gegenüber saß ein Mann in den Fünfzigern mit einem Dauerlächeln im Gesicht. »Heinrich Härter, Ortsvorsteher«, stellte er sich mit einem Nicken vor. »Und das hier sind Torsten Schmid, unser Pfarrer, und Gesine Pfeiffer, seine Haushälterin.«

Der Pfarrer hatte sich inzwischen seines Martinskostüms entledigt. Er war im mittleren Alter, leger gekleidet, während die Haushälterin mit ihrem Dutt und dem wadenlangen Rock etwas altbacken wirkte. Am Nebentisch saßen drei Männer in schwarzen T-Shirts, die mit Totenköpfen bedruckt waren. In ihrer Mitte befand sich ein junges Mädchen, auch in Schwarz gekleidet, die Augen mit Kajal umrandet.

»Die sind vom Engel vorne an der Straße«, raunte Frau Eberle Lisa zu. »Gerhard Maisch heißt der Besitzer. Stellen Sie sich vor, da vertilgen sie pfundweise Fleisch und saufen wie die Löcher!«

»Was machen die denn in einem so kleinen Dorf?«, fragte Lisa ebenso leise zurück. »Läuft das überhaupt? Die machen Ihnen doch Konkurrenz!«

»Die Gäste kommen sogar von Stuttgart dorthin. Vor allem wegen der großen Portionen. Ich finde das ja irgendwie eklig mit der Fresserei, aber sollen sie doch glücklich damit werden. Die Dorfbewohner und auch die Besucher aus Hohenstadt wissen die schwäbische Küche durchaus noch zu schätzen. Rostbraten und Spätzle, Maultaschen, Bubenspitzle und so weiter.«

Vom Nebentisch ertönte ein Ausruf. Die drei Männer mit den Totenkopfhemden waren hochrot angelaufen und diskutierten erregt miteinander, während das Mädchen dasaß und sich die Fingernägel feilte. Einer von ihnen griff sich sein Gegenüber und versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen.

»Versuch sie doch zu halten, die kleine Hure!«, rief der Angegriffene. Die Weizengläser klirrten. Einige Männer im Zelt waren aufgesprungen. Der Tisch flog krachend um, das Bier spritzte in alle Richtungen, Gläser zerbrachen. Härter lief zu den Randalierern hinüber, andere Dorfbewohner versuchten, die Kontrahenten auseinanderzubringen. Das Mädchen, um das der Streit entbrannt war, stand etwas abseits und widmete sich weiter seinen Fingernägeln.

»Aufhören!«, schrie Härter in das Getümmel hinein. »Sonst rufe ich die Polizei!«

Augenblicklich verstummte der Lärm. Die Raufbolde gingen zu ihren Plätzen zurück und setzten sich.

Danach sprachen die Zeltbesucher zunächst nur leise miteinander, bis der Lärm wieder anschwoll.

»Die Gabriele hat nicht gerade den besten Ruf«, raunte Frau Eberle Lisa zu. »Und nicht nur, weil sie in dem XXL-Lokal bedient.«

»Na, na.« Härter drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Wir wollen hier doch keine Gerüchte aufkommen lassen.«

»Ich habe nichts Anrüchiges gesagt«, meinte Frau Eberle etwas pikiert.

»Ja, ja, der Martinsritt«, erwiderte Härter, der das Gespräch offensichtlich in eine andere Richtung lenken wollte. »So lange wird diese Tradition jetzt schon aufrechterhalten.«

»Da war doch mal was«, sagte Eberle. »Ich hatte es fast schon wieder vergessen. Die Martha Vogt hat es mir mal erzählt.«

»Ach, du meinst die Geschichte von dem verschwundenen Pfarrer?«, fragte Härter. »Die hat doch einen ewig langen Bart!«

»Ich würde die Geschichte gern hören«, sagte Lisa. »Mich interessiert alles, was hier früher einmal geschehen ist.«

»Darüber spricht man eigentlich nicht«, sagte Härter. »Ich glaube, man würde mich teeren und federn, wenn bekannt wird, dass ich die ollen Kamellen wieder ausgrabe.«

»Jetzt wurde schon gegackert«, meinte Thorsten Schmid, der Pfarrer. »Nun müssen Sie das Ei auch legen.«

»Also gut«, sagte Härter. »Ich übernehme keinerlei Verantwortung.«

Er hob seine Hände entschuldigend in die Höhe. »Vor genau fünfundzwanzig Jahren, am 11. November 1987«, erzählte er, »verschwand der damalige Pfarrer von Niederweiler spurlos. Nach dem Martinsritt hatte er noch zusammen mit den anderen im Löwen gesessen. Danach wurde er nie mehr gesehen. Alle Nachforschungen der Polizei blieben ergebnislos.«

»Gab es keinerlei Hinweise?«, fragte Lisa.

»Doch«, meinte der Pfarrer. »Kommen Sie morgen Nachmittag zu mir ins Pfarrhaus hinüber. Da könnte ich Ihnen einiges berichten. Und fragen Sie auch Martha Vogt, von der Herr Eberle gerade sprach.«

(Continues…)


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