Leaving the Frame: Eine Weltreise ohne Drehbuch

Leaving the Frame: Eine Weltreise ohne Drehbuch

by Maria Ehrich
Leaving the Frame: Eine Weltreise ohne Drehbuch

Leaving the Frame: Eine Weltreise ohne Drehbuch

by Maria Ehrich

eBook

$14.99 

Available on Compatible NOOK Devices and the free NOOK Apps.
WANT A NOOK?  Explore Now

Related collections and offers

LEND ME® See Details

Overview

Seit sie zehn ist, steht Maria Ehrich regelmäßig vor der Kamera. Jetzt hat sich die 25-Jährige eine Auszeit genommen, um gemeinsam mit ihrem Freund Manuel auf Weltreise zu gehen. Im Januar 2018 ging es los: Die beliebte Jungschauspielerin (»Ku'damm 56/59«, "Edelstein-Trilogie") bereiste innerhalb eines halben Jahres (so) verschiedene Länder wie Kenia, Mexiko, Hawaii, die USA und Kanada, um Menschen zu treffen, die mit dem, was sie tun, faszinieren. Menschen, die im Dunklen agieren und etwas Licht in die Welt bringen. Wie zum Beispiel die Ordens-Schwester Mary Jane, die in Nairobi ohne jegliches Geld ein Waisenhaus leitet und schon über 300 Kinder großgezogen hat. Oder der in New York lebende Pole Jurek, der als Jude den Holocaust überlebt hat und seitdem jeden Tag unzählige, eindringliche Bilder auf Leinwand bringt um die damaligen Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Aus der Reise ins Unbekannte wurden unvergessliche Begegnungen mit berührenden Geschichten und viel Raum für spontane Abenteuer.


Product Details

ISBN-13: 9783843720625
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 08/30/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 280
File size: 52 MB
Note: This product may take a few minutes to download.
Language: German

About the Author

Maria Ehrich, geboren 1993 in Erfurt, ist Schauspielerin und wurde durch ihre Kino-Hauptrolle in der "Edelstein-Trilogie" bekannt. 2013 erhielt sie den "New Faces Award" als beste Nachwuchsschauspielerin und 2015 die "Goldene Kamera" in der Kategorie "Nachwuchspreis" sowie den "Jupiter Award" als "Beste Darstellerin national". Sie spielte in TV-Filmen wie "Die Frau vom Checkpoint Charlie", "Das Adlon. Eine Familiensaga" und "Die Glasbläserin" mit und war zuletzt als Hauptdarstellerin in der Erfolgsserie "Ku'Damm 59" zu sehen.

Maria Ehrich, geboren 1993 in Erfurt, ist Schauspielerin und wurde durch ihre Kino-Hauptrolle in der „Edelstein-Trilogie“ bekannt. 2013 erhielt sie den „New Faces Award“ als beste Nachwuchsschauspielerin und 2015 die „Goldene Kamera“ in der Kategorie „Nachwuchspreis“ sowie den „Jupiter Award“ als „Beste Darstellerin national“. Sie spielte in TV-Filmen wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, „Das Adlon. Eine Familiensaga“ und „Die Glasbläserin“ mit und war zuletzt als Hauptdarstellerin in der Erfolgsserie „Ku’Damm 59“ zu sehen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Berlin

Ich hoffe, du hast es dir bequem gemacht und bist bereit für einen ziemlich wilden Ritt, und das ganz ohne moderne Klimaanlage.

Unsere Reise führte über drei Kontinente, durch sechs Länder und 20 000 Kilometer weit durch Nordamerika auf den Sitzen eines alten VW Käfers. Die staubige Hitze in Kenia hat meine Haut verbrannt, und die kalten Winde, die über Neufundland fegten, ließen mich zu einem bewegungsunfähigen Eisblock gefrieren. Wir fanden uns in den wahnwitzigsten Situationen wieder, haben unsere eigenen Grenzen regelrecht gesprengt und dabei unsere gesamten Ersparnisse ausgegeben.

Hätte mir das jemand vor Antritt unserer Reise erzählt – ich weiß nicht, ob ich gefahren wäre.

Aber da ich von alldem zum Glück noch keine Ahnung hatte, saß ich im grauen Berliner Dezember an meinem Schreibtisch in Schöneberg und blätterte gedankenversunken durch vier dicke Reiseplaner. Kenia, Hawaii, Mexiko und Norwegen. An diese grundverschiedenen Orte sollte uns unsere Route führen – so weit der Plan. Ich weiß ... ziemlich irrsinnige Auswahl an Reisezielen. Mein Freund Manuel und ich fühlten uns bei der Entscheidung, wo es hingehen sollte, wie zwei unbeaufsichtigte Neunjährige, die mit 100 Euro in der klebrigen kleinen Hand ein Süßigkeitengeschäft stürmen dürfen. Denn jeder dieser Flecken Erde hatte eine besondere Bedeutung für uns, und wir hatten vier Monate Zeit, um sie zu erkunden. Once in a lifetime also.

Den Entschluss zu fassen, einfach mal für ein paar Monate den Alltag auf Eis zu legen, war keine leichte gewesen. Warum wollten wir überhaupt so lange von zu Hause weg? Denn objektiv betrachtet war ja alles super.

Um eins vorwegzunehmen: In Deutschland wird man mit dem Schauspielern nicht reich. Schon gar nicht als Frau. Die deutsche Filmindustrie ist nicht mit der amerikanischen zu vergleichen. So oft werde ich gefragt, wie reich ich denn nun eigentlich mit meinen Filmen geworden bin. Die Bilanz entlockt mir meistens nur ein müdes Lächeln. Aber ich hatte es trotzdem zu einer recht bekannten, gut verdienenden und ambitionierten 24 Jahre jungen Schauspielerin geschafft, die schon 15 Jahre Arbeitserfahrung auf dem Buckel hatte. Ich hatte mein Abitur in der Tasche, eine schöne Mietwohnung und einen tollen Partner an meiner Seite. So weit, so gut. Warum sollte ich auf die Idee kommen, einfach Reißaus zu nehmen und damit vielleicht sogar meine Karriere zu gefährden? Das Filmgeschäft vergisst schließlich schnell.

Aber da war dieses Ziehen in mir. Ein Ticken und Tacken. Das irgendwann zu einem Dröhnen wurde und immer mehr Raum einnahm: Ich war unzufrieden. Trotz all des Glücks, das sich schon in meinem Leben befand, machten sich plötzlich Eifersucht und Missgunst in mir breit. Gefühle, die ich bis dahin nicht an mir gekannt hatte, die ich nicht in meinem Leben haben wollte. Es gab keinen Grund, sie zu haben, und doch – waren sie da.

Ich versuchte wirklich alles, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich meditierte mich auf den Mond, trieb Sport, ging zum Psychologen, las spirituelle Bücher, versuchte es mit Yoga, malte Mandalas aus, ließ Mandalaausmalen wieder sein, klebte in der ganzen Wohnung Affirmationen auf, ging meinem Freund damit ziemlich auf die Nerven und schickte Gebete Richtung Himmel. Aber nichts schien richtig zu helfen. Vorerst.

Denn wenn du das Universum so hartnäckig rufst, dann kommt es. Nur meistens haut es dir beim Landeanflug erst mal ordentlich eins gegen die Melone. Und so wurden meine Rollenangebote immer weniger und nichtssagender. Während alle um mich herum ihre größten Coups zu landen schienen, kassierte ich Absage über Absage und wurde zu den tollsten Castings erst gar nicht mehr eingeladen. Ungläubig beobachtete ich, was mein Leben da gerade mit mir trieb, und ich verstand es nicht. Nada. So hatte ich mir das alles wirklich nicht vorgestellt.

Auf einer Berlinale-Veranstaltung, bei der das komplette Who is Who des deutschen Films anwesend war, unterhielt ich mich mit einem Kollegen, der auf einmal seine perlweißen Zähne bleckte und sagte: »Du drehst ja auch enorm viel, Maria! Richtig Karriere – echt geil!« Ich sah ihn fassungslos an und ließ mein Gehirn nach der richtigen Antwort suchen. Wäre uns die Musik nicht so unglaublich laut um die Ohren geschallt, hätte man es in meinem Kopf wahrscheinlich rattern hören können. So nahm man mich also wahr? Eine Rolle nach der anderen? Ich wusste nicht, ob mich das nun aufmuntern oder noch mehr frustrieren sollte.

Statt einer Antwort schnappte ich mir ein Glas Champagner, das gerade auf einem Tablett an uns vorbeigetragen wurde, und trank es auf ex. Bedröppelt schaute ich zu Boden.

Plötzlich begriff ich, warum manche Schauspieler irgendwann den Beruf aufgeben. Warum das, was als Leidenschaft begann, keinen Bestand mehr hatte. Warum es sich wie ein Gift in jeder Faser des Körpers ausbreiten konnte und am Ende nur noch ein unerfüllter Traum blieb, an den du dich bald schon gar nicht mehr richtig erinnern konntest.

Aber war das nun wirklich auch meine Realität? Mich hatte die Schauspielerei doch eigentlich gerettet, damals, als das Schlimmste passierte. Als ich meinen geliebten Cousin bei einem schrecklichen Unfall verlor. Als danach diese Angst kam und sich in mir einnistete, öffnete sich mir durch die Schauspielerei wie durch Magie die Tür in eine andere Welt. Dort war ich nicht mehr hilflos. Ich wusste plötzlich, wer ich war und wo mein Weg hinführte. Und es ging ganz leicht, wie von selbst. Schritt für Schritt, Rolle für Rolle schwebte ich auf dieser Wolke, die mich immer höher trug, und ich verschwendete nicht einen ernsthaften Gedanken daran, wie es sich unten vielleicht anfühlen könnte.

Aber von diesem Gefühl war ich zu diesem Zeitpunkt meilenweit entfernt. Ich stand nun da – unten – und blickte sehnsüchtig hoch. Es musste sich schleunigst etwas ändern, so viel stand fest. Nur hatte ich absolut keine Ahnung, was.

Doch nicht nur ich hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten und hin und her geschubst zu werden. Auch mein Freund Manu wollte wieder selbstbestimmt leben und arbeiten. Unabhängig sein und Projekte voranbringen, die ihm unter den Fingernägeln brannten. Als Quereinsteiger im Journalismus hatte er sich in einer Sportredaktion einen Namen gemacht und ganz gutes Geld verdient. Dort entdeckte er, dass seine Leidenschaft für Fotografie eng mit dem Film verwandt war, und reiste als Videojournalist um die Welt. Aber immer nur Fußball? Für manche Menschen mag das ja der absolute Traumjob sein, aber Manu wollte mehr als das.

Eines Tages saßen wir gemeinsam am Frühstückstisch und schwiegen uns an. Während ich meinen Haferbrei in mich hineinschaufelte und er lustlos an seinem Brötchen knabberte, starrten wir auf die uns gegenüberliegende Wand. Dort hing eine von Manus wunderschönen, auf Leinwand gedruckten Fotografien aus seiner Zeit in Brasilien. Er hatte mehrere Jahre in Latein- und Südamerika verbracht, bevor wir uns kennenlernten, und sprach auch später immer noch häufig von der sogenannten »Saudade«, der Sehnsucht nach Brasilien, die in ihm steckte. Auf dem Bild sieht man einen kleinen Jungen mit seiner jüngeren Schwester auf dem Arm eine etwas ansteigende Straße herauflaufen. Direkt auf Manu zu, der mit seiner Kamera den Moment festhält. Der Junge trägt Flipflops, die ihm etwas zu groß sind, sein Blick ist direkt auf die Linse gerichtet. Hinter ihm erstreckt sich, so weit das Auge reicht, eine von Rios Favelas. Es ist ein unglaublich eindringliches Bild. Während wir dort so saßen und es betrachteten, formte sich auf einmal ein Gedanke, der zuerst leise im Raum schwebte und dann plötzlich mit einer Deutlichkeit auf dem Tisch landete, die uns beide überraschte. Wir sahen uns an, und Manu sprach es als Erster aus: »Ich würde so gerne mal wieder richtig reisen. Nicht nur für zwei Wochen oder so, sondern richtig lange. Vielleicht für drei Monate oder sogar länger!«

»Ich auch!«, stotterte ich. Ich sagte das, bevor ich überhaupt an die Konsequenzen gedacht hatte. Denn ich war eigentlich viel zu heimatverbunden und ängstlich, um für längere Zeit von zu Hause wegzugehen. Meine Drehs hatten mich zwar schon häufig für ein paar Wochen ins Ausland geführt, aber während dieser Zeit war ich immer beschützt worden und musste mich nie selbst zurechtfinden. Vom Flieger über die Hotelbuchung bis hin zu meinen Freizeitaktivitäten war alles durchgeplant und wurde für mich organisiert. Ich musste mich um rein gar nichts kümmern – und nahm es auch dankend an. Ich ahnte natürlich schon da, dass die Wirklichkeit in diesen Ländern ein wenig anders aussah – wie sehr, das sollte ich noch erfahren.

Während wir unserer Fantasie freien Lauf ließen und darüber nachdachten, wo wir überall hinreisen könnten, packte mich aber doch plötzlich wieder die Angst. Was, wenn ich für drei Monate weggehe und mir in dieser Zeit meine absolute Traumrolle durch die Lappen geht? Was, wenn ich Heimweh bekomme? Was, wenn unsere Beziehung eine so lange gemeinsame Reise nicht aushält? Was, wenn das alles viel zu viel kostet?

Was wenn, was wenn, was wenn. Auf einmal ging ich mir mit meinen ewigen Fragen und den ständigen Zweifeln selber auf die Nerven, und ich war sauer. Wieso konnte ich nicht einmal mutig sein und etwas zulassen, das sich nicht innerhalb meines Dinge-die-ich-schon-hundert-Mal-getanhabe-Kreises befand? »Everything you want is on the other side of fear«, heißt es bei Motivationstrainer Jack Canfield. Stimmt. Niemals ist irgendjemand irgendwann ein Risiko eingegangen, ohne vorher Bedenken, Zweifel oder Furcht gehabt zu haben. Und niemals ist irgendjemand irgendwann, ohne ein Risiko einzugehen, als Gewinner aus einer Sache hervorgegangen. »Wir müssen das machen, Manu!« Mit großen Augen sah ich ihn an und freute mich über das breite, zustimmende Lächeln, das er mir schenkte.

In den nächsten Stunden, als wir uns in die erste Planung stürzten, wurde uns schnell klar, dass wir auf dieser Reise auch eine Aufgabe brauchen würden. Faul am Strand zu liegen, sei jedem vergönnt (und das würden wir sicher auch machen), aber all die Fragen über das Leben, die sich im Laufe der Jahre in unseren Köpfen angesammelt hatten, verlangten nach Antworten. Wie konnten wir also unsere beiden Talente miteinander verbinden und gleichzeitig Antworten auf diese Fragen bekommen?

Ich sah wieder auf zum Bild an der Wand gegenüber und dem Jungen direkt in die Augen. Er blickte skeptisch, stolz und ein wenig unsicher zurück, unablässig auf sein Ziel zuschreitend. Wohin er wohl unterwegs war? Warum er wohl auf dieses kleine Mädchen aufpassen sollte? Ich sinnierte vor mich hin, und da war sie plötzlich, die Lösung: Geschichten erzählen! Wir beide brannten dafür, ich vor und Manu hinter der Kamera. Wir beide dachten uns in fremde Situationen und andere Menschen hinein, wir kitzelten Emotionen aus einem Publikum heraus und brauchten Zuschauer, um uns ausdrücken zu können!

Wir wollten auf unserer Reise Menschen finden, die ein völlig anderes Leben führen als wir. Menschen, die sich für etwas einsetzen, etwas tun, etwas zurückgeben, wovon die meisten Leute auf dieser Welt gar keine Ahnung haben. Menschen, die groß denken und die Welt auf ihre Art ein bisschen besser machen, und – wir wollten einen Film darüber drehen.

Im Film wird ein einzelnes Bildsegment »Frame« genannt. 24 Bilder pro Sekunde ermöglichen es dem menschlichen Auge, eine Szene flüssig wahrzunehmen. Genügend Bilder pro Sekunde machen also einen Moment, einen Dialog, eine Person im Film lebendig. Und obwohl Manu und ich einen Großteil unserer Leben damit verbracht hatten, über nichts anderes nachzudenken als über das, was sich innerhalb dieser 24 Frames abspielte, konnten wir es jetzt gar nicht abwarten, auszubrechen und unser eigenes Ding zu machen. Für mich war es wahnsinnig aufregend, mir vorzustellen, dass ich schon bald nicht wie gewohnt als Schauspielerin vor der Kamera stehen sollte, sondern als Reporterin.

In den folgenden Monaten legten wir also nicht nur fest, in welche Länder wir unbedingt reisen wollten, sondern recherchierten auch unablässig nach möglichen Reportagethemen und -protagonisten. Wir kontaktierten Freunde, die in den jeweiligen Ländern lebten oder Zeit verbracht hatten, suchten nach bezahlbaren Flügen, klamüserten aus, welche Plattformen für unsere Videos am besten geeignet waren, und erzählten unseren Freunden, Familien und Arbeitgebern, was wir vorhatten.

Neben unzähligen guten Wünschen und Schulterklopfern ernteten wir aber auch die ersten kritischen Reaktionen. »Seid ihr euch da wirklich sicher?« »Aha ... und was soll der rote Faden eurer Geschichte sein?« »Und ihr denkt, dass ihr das dann irgendwie verkauft kriegt, oder wie?« »Ach so! Und bei den Themen, die ihr auswählt, macht ihr dann schon so auf Clickbaiting und auf die Tränendrüse drücken, stimmt's? Elefantenbabys ziehen ja immer.« Wow.

Aber wir sind beide große Träumer und ein gutes Team. Von ein bisschen Gegenwind hatten wir uns noch nie von unserem Weg abbringen lassen und ignorierten die aufgesetzt besorgten Gesichter und marschierten immer weiter Richtung Ziel, wo auch immer das genau sein sollte. Ich spürte einfach, dass ich mich, wenn ich jetzt nicht ging, um mich ein wenig in der Welt zu verlieren, vielleicht nicht mehr in meiner eigenen wiederfinden würde.

Am Abend vor Antritt unserer Reise, vor unserem Flug nach Nairobi, flogen aber erst einmal die Fetzen.

Während ich fieberhaft versuchte, meine Checkliste wieder und wieder durchzugehen und sicherzustellen, dass ich nichts vergessen hatte, hantierte Manu im Wohnzimmer mit seiner Kamera herum, die er am Abzugsrohr unseres Ofens befestigte.

»Was machst du denn da?«, fragte ich, schon leicht entnervt, weil er mal wieder die Ruhe weghatte.

»Ich will 'ne Timelapse vom Kofferpacken machen. Kannst du deinen bitte mal herholen?«

»Meinen Koffer?«

»Ja.«

»Den habe ich aber im Arbeitszimmer schon fast fertig gepackt. Kannst du nicht die Kamera da drüben aufbauen?«

»Hier ist es aber viel schöner! Jetzt hol doch den Koffer.« Ein eindringlicher Blick von ihm, dann: »Bitte.«

Ich stapfte mit einem Stöhnen nach nebenan, schnappte meinen 23 Kilogramm schweren Koffer und hievte ihn ins Wohnzimmer.

»Nein, warte mal! Ich wollte, dass wir noch zusammen reinkommen und die Taschen dann hier abstellen«, rief mir Manu entgegen, kaum dass ich den Koffer über die Türschwelle gebracht hatte. Einer der Griffe rutschte mir aus der Hand und ließ die Rollen des Koffers wie zur Untermalung laut auf den Boden aufschlagen. Er zuckte mit den Schultern und warf mir einen Jetzt-stell-dich-nicht-soan-Blick zu. Ich antwortete mit meinen allerbesten Du-willstmich-doch-verarschen-Augen.

Im Flur stellten wir uns nebeneinander, zählten bis drei und gingen dann – inklusive unserer Taschen – wieder ins Wohnzimmer, wo wir sie abstellten, als:

»Mann, Maria! Ich wollte doch, dass wir die Taschen hier vor der Kamera einräumen! Deine ist schon voll, merkste was?«

Manu bezeichnet mich, wenn er über diesen Abend spricht, immer noch gerne als »The Old Faithful«, den größten Geysir im Yellowstone-Nationalpark, der täglich mehrmals unter lautem Getöse minutenlang sein kochend heißes Wasser in die Höhe schießen lässt, während riesige Bisons die Flucht ergreifen und kleine Vögel vor Schreck aus den Bäumen aufflattern. Keine Ahnung, was er damit meint ...

Jedenfalls bin ich doch froh, dass wir diesen »Ausbruch« aus Versehen digital festgehalten haben, denn das nennt sich »Muffensausen« und ist ein unabdingbares, nicht gern gesehenes, aber extrem wichtiges Gefühl, das sich vor jedem großen Abenteuer breitmacht.

CHAPTER 2

Kenia

Wenn ich an Kenia zurückdenke, breiten sich ein warmes Gefühl und gleichzeitig tiefe Melancholie in meiner Brust aus. Es ist ein Land so voller Gegensätze, extrem komplex und für Außenstehende deshalb nur schwer zu verstehen.

Selbst für uns, die wir einen Monat Zeit hatten, um in dieses Land einzutauchen, war es ein ständiges Lernen, ein immerwährendes Neuorientieren.

Unsere anfängliche Naivität gegenüber diesem Mordsprojekt, das wir gerade erst aus dem Boden gestampft hatten, brachte zwei Vorteile: Zum einen wuchsen aus ihr Kreativität und Tatendrang – wie wir wissen, gehört die Welt den Mutigen. Zum anderen sorgte sie auch dafür, dass wir erst einmal ordentlich auf der Nase landeten. Zwar fand ich diese Momente im Augenblick des Geschehens alles andere als lehrreich, sondern völlig unnötig, aber die Chaostheorie besagt ja, dass der Flügelschlag eines kleinen Schmetterlings am anderen Ende der Welt einen Tsunami auslösen kann. Alles ist miteinander verbunden. Und wenn ich so über den Lauf der Dinge auf unserer Reise nachdenke, dann bin ich mir tausendprozentig sicher, dass jede Niederlage für unseren Weg mindestens genauso wichtig war wie unsere Erfolge.

Jambo, M'zungu!

Wir kamen in der Nacht des 10. Januar am Flughafen in Nairobi an. Der Flug hatte gefühlt eine Ewigkeit gedauert, und wir schälten uns mühsam aus Reihe 36. Neben den schmerzenden Knien durchs sardinenartige enge Sitzen machte mir auch noch der Verlust meiner Kontaktlinsen zu schaffen. Als ich sie endlich wieder nach vorne befördert hatte und wieder sehen konnte, brach ich in Gelächter aus. Manus Locken standen zu allen Seiten ab, und eine riesige Schlaffalte zog sich mitten über sein Gesicht. Kenia, wir kommen!

(Continues…)


Excerpted from "Leaving the Frame"
by .
Copyright © 2019 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
Excerpted by permission of Ullstein Buchverlage.
All rights reserved. No part of this excerpt may be reproduced or reprinted without permission in writing from the publisher.
Excerpts are provided by Dial-A-Book Inc. solely for the personal use of visitors to this web site.

Table of Contents

Die Autorin / Das Buch,
Titelseite,
Impressum,
Vorwort,
Berlin,
Kenia,
Jambo, M'zungu!,
Glamour und Chaos in Nairobi,
Zwei Touris auf Safari,
Money, Money, Money in Unity,
R. E. S. C. U. E. Reteti Elephant Sanctuary Community United for,
Elephants,
Sister Mary Jane,
Wo die Wildnis wohnt,
Die Löwin und der Hasenfuß,
Hawaii,
Honolulu,
Die Sache mit dem Ego,
Mexiko,
Käferkauf,
Jetzt träum ich aber wirklich!,
Heimweh in Bacalar,
Feenstaub oder Meerjungfrauenzauber?,
Der Burger & die Tankstelle,
Steve und die Lost Boys,
100 km/h,
Die sympathischen Gringos,
USA,
Der ganz normale Wahnsinn,
Grand Teton,
New York,
New York bei Nacht und my Fair Lady,
Jurek,
Neufundland,
Bonavista,
Ein Zauber,
Heimwärts,
Epilog,
Danksagung,
Bildteil,
Social Media,
Vorablesen.de,

From the B&N Reads Blog

Customer Reviews