Herr Baron von Fest war eine schillernde Persönlichkeit, wie man sie nicht oft trifft, und wenn, meist nicht erkennt, weil sie sich mit allen Mitteln zu tarnen weiß. Und darauf achtete er sehr, daß man ihm nicht in die Karten sah. Nach außen nahm man einen alten Mann wahr, höflich, gescheit und liebenswürdig, der sich offenbar trotz schmalen Geldbeutels viel Mühe machte, respektabel zu erscheinen, und dessen einziger Lebenssinn in geistigen Dingen bestand. Und strenggenommen, genau das war er auch. Nur daß er tausend Dinge zu verstecken hatte - jeden Gedanken, jeden Umstand seines Lebens, jeden Wunsch und jeden ausgegebenen Pfennig. Aus Furcht, daß es zu seinem Nachteil benützt werden könnte. In falschen Händen würde es ihm gewiß zur Last gelegt werden, dessen war er sich absolut sicher. Er war ein sozialer Hypochonder. Er glaubte nicht an das Gute im Menschen oder im Tier, nicht an die heilenden Kräfte der Natur, nicht an eine bessere Zukunft. Überflüssig zu sagen, daß er auch nicht an Gott oder ein Leben nach dem Tode als Belohnung für gute Taten glaubte. Dennoch war er nicht ohne Glauben. Er glaubte an die Naturwissenschaft, den großen Urknall und die Expansion des Universums, an die Medizin und die historische Wahrheit, wie sie in Büchern steht. Doch vor allem glaubte an die Unbill des Lebens, die einem Damoklesschwert gleich über seinem Haupt schwebte, jederzeit bereit, sich auf ihn zu stürzen. Das war sein stärkster Glaube.
