Gerade dadurch sind sie mir lieb: Theodor Fontanes Frauen

Gerade dadurch sind sie mir lieb: Theodor Fontanes Frauen

by Christine von Brühl
Gerade dadurch sind sie mir lieb: Theodor Fontanes Frauen

Gerade dadurch sind sie mir lieb: Theodor Fontanes Frauen

by Christine von Brühl

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Fontane und die Frauen – eine Spurensuche. Kaum ein Autor hat so eindrückliche Frauenfiguren geschaffen wie Theodor Fontane. Ob Grete Minde oder Effi Briest, ob Mathilde Möhring oder Jenny Treibel – sie erscheinen allesamt heute lebendiger denn je. Oft verarbeitete Fontane seine realen Erfahrungen mit starken Frauen, zu denen seine Ehefrau Emilie und seine geliebte Tochter Martha gehörten, für seine Figuren. Christine von Brühl zeigt in faszinierenden Porträts die Welt der Frauen, die Fontanes Leben und sein Werk bevölkerten. „Christine von Brühl schildert mit Liebe zum Detail.“ dpa

Product Details

ISBN-13: 9783841216151
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 09/14/2018
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 320
File size: 7 MB
Language: German

About the Author

Christine von Brühl, geboren 1962, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Nach Stationen bei DIE ZEIT, Sächsische Zeitung und Das Magazin lebt sie heute als freischaffende Autorin in Berlin.

Im Aufbau Taschenbuch sind von ihr lieferbar: "Die preußische Madonna. Auf den Spuren der Königin Luise", "Anmut im märkischen Sand. Die Frauen der Hohenzollern" und "Gerade dadurch sind sie mir lieb. Theodor Fontanes Frauen". Zuletzt erschien bei Aufbau: "Schwäne in Weiß und Gold. Geschichte einer Familie".



Read an Excerpt

CHAPTER 1

»Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt, und sie beinahe doppelt liebt (...), dann bin ich es.«

Vorwort

Kaum ein Autor hat derart eindrückliche Frauenporträts geschaffen wie Theodor Fontane. Ob Corinna Schmidt oder Effi Briest, ob Melanie van der Straaten oder die Witwe Pittelkow – sie erscheinen allesamt heute lebendiger denn je. Nur wenige literarische Werke sind derart flächendeckend von weiblichen Figuren geprägt. Seien es Grete Minde oder Jenny Treibel, seien es Cécile, die Schwestern Poggenpuhl oder Mathilde Möhring – sie bevölkern die Romane Fontanes und bleiben im Gedächtnis.

Obwohl wir längst in einer gänzlich anderen Zeit leben, verfolgen wir heute noch mit Spannung das Schicksal von Hilde Rochussen (Ellernklipp, 1881), hoffen inständig, dass der Junge, den sie liebt, nicht vom Vater erschlagen wird. Wir empören uns über Baron von Innstetten, der den Liebhaber seiner Frau ganze sechs Jahre nach dem Ende der Affäre kaltblütig im Duell erschießt (Effi Briest, 1895). Oder wir leiden mit Ernestine Rehbein, genannt Stine, von der wir erfahren, dass ihr Verehrer Waldemar Graf von Haldern ihr aufrichtig zugetan ist (Stine, 1890). Da er sie aus Standesgründen jedoch nicht heiraten kann, setzt er seinem Leben ein Ende. Seite an Seite mit Stine schleichen wir uns heimlich zu seiner Beerdigung und fragen uns gleichermaßen, warum diese Geschichte so tragisch hat ausgehen müssen.

Interessant ist, dass es gerade die Frauenfiguren sind, an denen Fontane exemplarisch die gesellschaftlichen Widersprüche aufzeigte, die er zu kritisieren suchte. In ihren Lebensentwürfen kulminieren die dramatischen Momente, die solche Widersprüche nach sich ziehen. Auch dem englischen Historiker Gordon A. Craig, der wie kein anderer die Präzision in Fontanes Schilderungen gepriesen hat, fiel auf: »Trägerinnen seiner Kritik in den Romanen und Erzählungen waren zumeist die Frauen, die nicht selten über den unmenschlichen und antiquierten Verhaltensnormen unglücklich wurden und an ihnen zerbrachen.«

Wie zur Bestätigung schrieb Fontane in einem Brief an seine Freunde Paul (1854–1916) und Paula Schlenther (1860–1938): »Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt und sie beinahe doppelt liebt, wenn er ihren Schwächen und Verirrungen, dem ganzen Zauber des Evatums, bis zum infernal Angeflogenen hin, begegnet, so bin ich es (...).«

Woher rührte diese Leidenschaft? Und woher bezog Fontane seine Informationen über das weibliche Geschlecht, beschritt er doch bei der Beschreibung von Frauen ein Terrain, das einem Mann des neunzehnten Jahrhunderts größtenteils verschlossen blieb. War er ein wilder Liebhaber, der sich schwärmerisch von einer Kemenate in die andere schwang, immer auf der Suche nach einem neuen Weiberherz, das es zu erobern galt? War er Charmeur und Schwerenöter zugleich? Im Gegenteil: Fontane war ein grundsolider Charakter. Abgesehen von zwei außerehelichen Schwangerschaften, die er mit Ende zwanzig verursacht haben muss, verliebte er sich als Jugendlicher in Emilie Rouanet-Kummer (1824–1902), verlobte sich mit ihr im Alter von sechsundzwanzig Jahren, heiratete sie fünf Jahre später und blieb ihr sein Leben lang treu.

Oder war Fontane ein Mitstreiter der Frauenbewegung, die zu seiner Zeit gerade erstarkte? Sah er sich als Fürsprecher der englischen Suffragetten, als Sprachrohr der bürgerlichen Kämpferinnen um Helene Lange (1848–1930) und Auguste Schmidt (1833–1902) oder gar als Vertreter der sozialistischen Bewegung um Clara Zetkin (1857–1933)? Wollte er mit seinen Erzählungen, Novellen und Romanen für Frauen das Recht auf Abitur, Studium und Erwerbsarbeit, dazu das Wahlrecht erwirken?

Oder war sein Interesse vielleicht ganz anderer Natur? Trieben ihn vielmehr diffuse Gelüste nach seinen Schwestern, seiner Tochter, wie eine Forschungsarbeit zu Fontane nahelegt? Lebte er in seinem Werk inzestuöse Phantasien aus?

All diesen Fragen geht das vorliegende Buch nach und versucht Klarheit darüber zu schaffen, was Fontanes Movens war, sich mit der Sache der Frauen zu befassen. Zweifelsohne gingen seine präzisen Kenntnisse unter anderem auf die Frauen zurück, die ihn direkt umgaben. Entscheidend war zum Beispiel sein Verhältnis zu Martha (1860–1917), seiner einzigen Tochter, die ihn freimütig an ihrem Leben als Mädchen, Jugendliche und schließlich erwachsene Frau teilnehmen ließ. Große Anhänglichkeit zeigte er auch gegenüber seiner Mutter Emilie, geborene Labry (1797–1869), sowie seinen Schwestern Jenny (1823–1904) und Elisabeth (1838–1923). Nicht zuletzt war seine Ehe eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Naturgemäß gab es Konflikte, doch Fontane zog Emilie stets ins Vertrauen und bewies ihr gegenüber eine geradezu anrührende Offenheit, wie der umfangreiche Briefwechsel der Eheleute zeigt.

Einen weiteren Hinweis gibt Fontanes Art, auf Menschen zuzugehen. Dank seines freundlich-respektvollen und gleichzeitig humorvoll- unbedarften Charakters pflegte er eine Form von zwischenmenschlichem Umgang, mit dem er das Vertrauen seines Gegenübers leicht gewinnen konnte. Ähnlich wie viele Frauen hatte er eine Vorliebe für Plaudereien, erzählte gerne, dachte laut nach, hörte genau zu. Er spielte sich nicht auf und machte sich nicht künstlich wichtig. Entsprechend unbekümmert traten Frauen ihm gegenüber auf und teilten sich ihm offen mit.

Fontanes Schriftstellerkollegen machten sich darüber lustig. Sie nannten ihn »Nöhl«, ein berlinerischer Ausdruck, der für »nöhlen« (quasseln, plaudern) steht. Aber gerade dadurch gelang es ihm wohl, eine spezifische Nähe zu seinem Gegenüber und engere Beziehungen zu Frauen herzustellen, die nicht seiner Verwandtschaft angehörten. Zu diesen gehörte beispielsweise die Diakonissin Emmy Danckwerts (1812–1865), die er als junger Mann in Pharmazie unterrichtete, oder Henriette von Merckel (1811–1889), die Witwe eines seiner Schriftstellerkollegen, und nicht zuletzt die Stiftsdame Mathilde von Rohr (1810–1889) in Dobbertin, bei der er sich längere Zeit aufhielt, mit der er Ausflüge machte und einen intensiven Briefwechsel führte. Auch in diesem Punkt bewies er sich als Zeitgenosse, der in Bereiche vordrang, die Vertretern seines Geschlechts gewöhnlich vorenthalten blieben. Überflüssig, darauf hinzuweisen, dass er sein Leben naturgemäß in vorwiegend männlicher Gesellschaft verbrachte: in der Kindheit mit Schulfreunden und seinen Brüdern, später mit Kollegen von literarischen Gesellschaften wie »Tunnel« oder »Rütli«, zu denen Frauen selbstverständlich keinen Zutritt hatten, oder mit Männerfreunden wie Bernhard von Lepel (1818–1885), Paul Heyse (1830–1914), Karl Zöllner (1821–1897) oder Georg Friedlaender (1843–1914), mit denen er zudem ausführlich korrespondierte.

Erstaunlich ist es, welche Bedeutung Fontane den Protagonistinnen in seinem Werk beimaß und wie präzise er insbesondere ihr Empfinden und Denken schilderte, diesen ausgesprochen komplexen und wechselhaften Bereich, den Frauen oft selbst nicht so genau zu durchschauen wissen. Woher nahm er dazu die Sicherheit, letztlich den Mut?

Auffallend ist auch, wie offen Fontane in seinen persönlichen Aufzeichnungen über die Befindlichkeiten und Krankheitsbilder von Frauen reflektierte, wie unbefangen sein Umgang damit war. So teilte er seiner Frau detailliert mit, wie sie die Kinder behandeln, welche Medikamente sie Tochter Martha verabreichen sollte. Auch ihr selbst gab er ärztliche Ratschläge, wenn sie sich unwohl fühlte.

Ausschlaggebend hierfür war seine Ausbildung zum Apotheker, durch die er nicht nur mit zeitgenössischen Heil- und Therapiemethoden, sondern auch mit den entsprechenden Essenzen vertraut war. Ihr verdankte er letztlich auch den unerschrockenen, analytischen Blick eines Naturwissenschaftlers und Mediziners, der es ihm ermöglichte, Frauen gesamtheitlich zu erfassen, ihr Verhalten einzuordnen und ihre Seelenzustände treffend zu beschreiben. Nicht zuletzt kannte er Krankheit und wiederkehrende Unpässlichkeit aus persönlicher Erfahrung.

Fontanes Schilderungen waren derart gegenwarts- und ortsbezogen, dass sich mancher Zeitgenosse kritisch darüber äußerte, wenn er einzelne Geschäfte, Personen und Plätze in seinen Werken unbekümmert beim Namen nannte. Dann erhielt er Zuschriften von übereifrigen Lesern, die einzelne Wegbeschreibungen oder Details als fehlerhaft empfanden.

Fontane reagierte mit Engelsgeduld: »Es ist mir selber fraglich, ob man von einem Balkon der Landgrafenstraße aus den Wilmersdorfer Turm oder die Charlottenburger Kuppel sehen kann oder nicht. Der Zirkus Renz, so sagte mir meine Frau, ist um die Sommerszeit immer geschlossen. (...) Gärtner würden sich vielleicht wundern, was ich alles im Dörrschen Garten à tempo blühen und reifen lasse; Fischzüchter, daß ich – vielleicht – Muränen und Maränen verwechselt habe; Militärs, daß ich ein Gardebataillon mit voller Musik vom Exerzierplatz kommen lasse; Jacobikirchenbeamte, daß ich den alten Jacobikirchhof für ›tot‹ erkläre, während noch immer auf ihm begraben wird. Dies ist eine kleine Blumenlese, eine ganz kleine; denn ich bin überzeugt, daß auf jeder Seite etwas Irrtümliches zu finden ist. Und doch bin ich ehrlich bestrebt gewesen, das wirkliche Leben zu schildern. Es geht halt nit. Man muß schon zufrieden sein, wenn wenigstens der Totaleindruck der ist: ›Ja, das ist Leben.‹«

Gerade was Frauen angeht, dokumentierte Fontane die Umstände und gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen sie im neunzehnten Jahrhundert lebten, besondes präzise. Dadurch lieferte er, nicht zuletzt, wertvolle Informationen zu ihrer jeweiligen persönlichen Lebenssituation und leistete ganz allgemein einen wesentlichen Beitrag zur Kulturgeschichte der Frau.

Ein besonderes Interesse zeigte Fontane an Frauenschicksalen, die mit dem bürgerlichen Moralkodex seiner Zeit im Konflikt standen. Das spiegelt sich in seinem Werk und wurde von Zeitgenossen streng verurteilt. So soll ein Mitinhaber der Vossischen Zeitung in der Zeit, in der Irrungen, Wirrungen (1888) vorabgedruckt wurde, den Chefredakteur in höchster Erregung gefragt haben: »Wird denn die gräßliche Hurengeschichte nicht bald aufhören?« In einem Brief an seinen Sohn Theodor machte Fontane seinem Ärger darüber Luft: »Wir stecken ja bis über die Ohren in allerhand konventioneller Lüge und sollen uns schämen über die Heuchelei, die wir treiben, über das falsche Spiel, das wir spielen. Gibt es denn, außer ein paar Nachmittagspredigern, in deren Seelen ich auch nicht hineinkucken mag, gibt es denn außer ein paar solchen fragwürdigen Ausnahmen noch irgendeinen gebildeten und herzensanständigen Menschen, der sich über eine Schneidermamsell mit einem freien Liebesverhältnis wirklich moralisch entrüstet? Ich kenne keinen und setze hinzu, Gott sei Dank, daß ich keinen kenne. (...) Empörend ist die Haltung einiger Zeitungen, deren illegitimer Kinderbestand weit über ein Dutzend hinausgeht (der Chefredakteur immer mit dem Löwenanteil) und die sich nun darin gefallen, mir ›gute Sitte‹ beizubringen. Arme Schächer!«

Aus heutiger Sicht klingt die Einschätzung von Fontanes Leistung natürlich ganz anders. So stellte Craig fest: »Für seine Zeit nahm Fontane eine einzigartig aufgeschlossene Haltung gegenüber Frauen ein, denn er mochte sie und gestand ihnen Eigenschaften zu wie Intelligenz, Mut und geistige Unabhängigkeit, die andere Männer nicht wahrnahmen.«

Die folgenden Kapitel nehmen sich der Frauen an, denen Fontane zu seinen Lebzeiten besonders nahestand, und arbeiten das Außergewöhnliche der jeweiligen Beziehung heraus. Im Anschluss daran werden die literarischen Frauenfiguren in seinem Werk beleuchtet, besonders jene, die auf ein historisches Vorbild zurückgehen. Selbstredend hat Fontane seine Protagonistinnen frei erfunden, doch er ließ sich in einzelnen Fällen von lebenden Personen inspirieren.

Bei vielen Charakterisierungen stand ihm seine Tochter Martha Pate. Sie diente als Vorbild für die Figur der Corinna und inspirierte ihn mit ihrer natürlichen Selbstverständlichkeit und Redegewandtheit auch bei der Darstellung von Grete Minde, Lene Nimptsch, Brigitte Hansen, Ebba von Rosenberg, Effi Briest oder auch Melusine Ghiberti. Sie ist dadurch unwillkürlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten.

Zunächst widmen wir uns jedoch der Frauenbewegung und zeigen Parallelen zu Fontanes Biographie auf.

CHAPTER 2

»Man kann all diesen Dingen gegenüber sagen: ›warum nicht!‹ aber doch noch mit größrem Recht: ›wozu?‹«

Theodor Fontane und die Frauenbewegung

Als Fontane 1819 geboren wurde, steckte die Frauenbewegung noch in den Kinderschuhen. Ihren Anfang genommen hatte sie 1791 in Frankreich. In ihrer Publikation »Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne« forderte die französische Schriftstellerin Olympe de Gouges (1748–1793) absolute Gleichberechtigung von Männern und Frauen in rechtlichen, politischen und sozialen Belangen. Die neue Verfassung sei ungültig, beschuldigte de Gouges die Nationalversammlung, denn an ihrer Entwicklung sei keine Frau beteiligt gewesen.

Mit ihren Forderungen machte sich die Revolutionärin keineswegs beliebt. Man empfand ihr Engagement als Einmischung in Politik und Entscheidungsgewalt, sie wurde als Royalistin angeprangert, verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Wie viele andere bedeutende Streiter und Idealisten jener aufgewühlten Zeit, die sich durchaus solidarisch mit den Parolen von »Liberté, Égalité, Fraternité« fühlten, fiel sie der Terrorherrschaft Maximilien de Robespierres (1758–1794) zum Opfer, wurde vom Revolutionstribunal verurteilt und am 3. November 1793 auf der Place de la Concorde in Paris enthauptet.

Doch die Erklärung de Gouges' war wie ein Fanal und entfaltete ihre Wirkung weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Sie fand ihren Widerhall in England, wo sich Frauen unter anderem für die Verbesserung und Aufwertung der Krankenpflege, in Deutschland, wo sie sich etwa für differenziertere Bildungsmöglichkeiten von Frauen einsetzten, und auch in Amerika, wo sie sich beispielsweise im Widerstand gegen Sklaverei engagierten. Entscheidend war, dass geschlechtsabhängige Benachteiligungen erstmals in gebildeten Kreisen thematisiert wurden und auch von Frauen bestätigt oder generell anerkannt wurden, die aus wohlhabenden Familien stammten. Zuvor war man allgemein der Ansicht gewesen, Opfer von Ungerechtigkeiten seien allein Frauen einfacher Herkunft.

Die Forderung de Gouges' wurden Bestandteil der Diskussionen in den Clubs und Salons und führten zu einer Solidarisierung unter Frauen aller sozialer Gruppen. Und sie gaben Anlass zur Gründung von Frauenvereinigungen, die sich ausdrücklich für die Umsetzung der Gleichberechtigungsziele einsetzen wollten.

In Preußen war davon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht viel zu spüren. Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) hatte 1819 mit Hilfe seiner Bündnispartner Napoleon (1769–1821) besiegt, die französischen Besatzungstruppen waren abgezogen und das Land erholte sich allmählich von den jahrelangen Auseinandersetzungen. Das Bürgertum gewann sukzessive an Bedeutung, und die Regierung leitete Reformen ein. Seit 1810 existierte in der zentralen Prachtstraße Unter den Linden Berlins erste Universität. Neben Gründungsrektor Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) lehrte hier ab 1818 Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). In den vornehmlich jüdischen Salons entwickelte sich eine intellektuelle Elite. Regelmäßig erschienen nun Tageszeitungen. Wilhelm (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769–1859) prägten mit ihren Bildungsidealen eine ganze Epoche.

Fontanes frühe Kindheit war von diesem Aufschwung bestimmt. Seine Eltern Emilie Labry und Louis Henry Fontane (1796–1867) waren beide hugenottischer Abstammung und Mitglieder der »Französischen Kolonie«, deren Vorfahren, unter dem Schutz des Edikts von Potsdam 1685 nach Brandenburg gekommen, über die Jahre einigermaßen selbstbewusst und wohlhabend geworden waren. Fontanes Vater war ausgebildeter Apotheker, nach der Hochzeit zog er kurzerhand mit seiner jungen Frau nach Neuruppin, kaufte eine ansehnliche Offizin, wie man das Laboratorium eines Apothekers damals nannte, und am 30. Dezember 1819 wurde Fontane in dieser Stadt geboren. In rascher Folge kamen drei weitere Kinder zur Welt, Jahre später noch eine zweite Tochter. Anschaulich beschrieb der Schriftsteller diese erste Lebenszeit später in seinem autobiographischen Roman Meine Kinderjahre (1894).

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Table of Contents

Über Christine von Brühl,
Informationen zum Buch,
Newsletter,
»Wenn es einen Menschen gibt, der für Frauen schwärmt, und sie beinahe doppelt liebt (...), dann bin ich es.« – Vorwort,
»Man kann all diesen Dingen gegenüber sagen: ›warum nicht!‹ aber doch noch mit größrem Recht: ›wozu?‹« – Theodor Fontane und die Frauenbewegung,
Trennung ohne Scheidung – Mutter Emilie Labry (1797–1869),
Zwei ungleiche Schwestern – Jenny (1823–1904) und Elisabeth Fontane (1838–1923),
Augen wie glühende Kohlen – Ehefrau Emilie Rouanet-Kummer (1824–1902),
Die Elevin – Diakonissin Emmy Danckwerts (1812–1865),
Die Familienseelsorgerin – Nachbarin Henriette von Merckel (1811–1889),
Die eng Vertraute – Stiftsdame Mathilde von Rohr (1810–1889),
Vaters Liebling – Tochter Martha Fontane (1860–1917),
»(...) dies ist wohl der Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knacks weghaben.« – Weibliche Figuren in Fontanes Werk,
Die Brandstifterin – Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik (1880),
Die Ehebrecherin – L'Adultera (1882),
Die Salonière – Schach von Wuthenow. Erzählung aus der Zeit des Regiment Gensdarmes (1883),
Die Fürstengeliebte – Cécile (1887),
Die Liebhaberin – Effi Briest (1895),
»(...) um ihrer Menschlichkeiten, d. h. um ihrer Schwächen und Sünden willen.« – Schlussbetrachtung,
Anmerkungen,
I. Biographische Angaben zu Theodor Fontane,
II. Bibliographie (Auswahl),
III. Dank,
Bildnachweis,
Impressum,

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