Feinde des Sports: Undercover in der Unterwelt des Spitzensports

Feinde des Sports: Undercover in der Unterwelt des Spitzensports

by Hajo Seppelt
Feinde des Sports: Undercover in der Unterwelt des Spitzensports

Feinde des Sports: Undercover in der Unterwelt des Spitzensports

by Hajo Seppelt

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Overview

Er ist der Enthüller im internationalen Spitzensport: Hajo Seppelt deckt seit Jahren Korruption und Doping auf. Während der Fußball-WM 2018 verweigerte ihm Gastgeber Russland die Einreise. Seppelt hatte dessen systematisches Staatsdoping offengelegt. Erstmals erzählt Seppelt von seinen brisanten Recherchen rund um den Globus. In seinem großen Hintergrundbericht geht es um zwielichtige deutsche Sportärzte, Doping in der britischen Premier League und im europäischen Radsport, Stammzell-Behandlungen in China und um Kenianer, die sich auf lebensgefährliche Behandlungen einlassen. Seppelt schildert die Angriffe seiner Gegner und nimmt den Leser mit zu geheimen Treffen mit Whistleblowern. Hajo Seppelt ist es ernst mit seinem Kampf gegen die Feinde des Sports, das zeigt auch sein Forderungskatalog: Ohne Transparenz, supranationale Kontrollen und Abschaffung von Subventionen wird der Spitzensport seine Glaubwürdigkeit verlieren.


Product Details

ISBN-13: 9783843721639
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 09/27/2019
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 384
File size: 7 MB
Language: German

About the Author

Hajo Seppelt, *1963, ist seit 1985 Sportreporter bei der ARD. Er wurde vielfach ausgezeichnet für seine journalistische Arbeit - von Internationalen Filmpreisen über den Deutschen Fernsehpreis oder "Sportjournalist des Jahres" bis zum Bundesverdienstkreuz ist alles dabei.

Hajo Seppelt, geboren 1963, ist seit 1985 Sportreporter bei der ARD. Er wurde vielfach ausgezeichnet für seine journalistische Arbeit - von Internationalen Filmpreisen über den Deutschen Fernsehpreis oder "Sportjournalist des Jahres" bis zum Bundesverdienstkreuz ist alles dabei.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Vorab

Der Mann, den ich im Sommer 2018 an einem sonnigen Tag in Berlin traf, war bester Laune. Gerade lief die Fußballweltmeisterschaft in Russland, Deutschland hatte mit 0:1 gegen Mexiko verloren. Der Mann ist Mexikaner. Er heißt Angel Heredia.

Heredia war für ein Interview nach Deutschland gereist. Eigentlich hätte ich für das Treffen gar keine Zeit gehabt – ich hatte selbst nach Russland fahren wollen. Doch der WM-Gastgeber hatte mich zur unerwünschten Person erklärt, nachdem die ARD-Dopingredaktion in mehreren Filmen das russische Staatsdoping enthüllt hatte.

Kennengelernt hatte ich Angel Heredia schon 2009. Damals war er erst vierunddreißig Jahre alt, hatte sich aber bereits den Ruf eines Global Players erworben. Seine Branche: Doping.

Als Läufer hatte Heredia sich einst selbst gedopt, danach Chemie studiert und angefangen, andere Athleten mit verbotenen Substanzen zu versorgen. Er hielt Kontakt zu Sportlern und ihren Managern, verschickte Medikationspläne, reiste auch selbst durch die Welt. Im Gepäck: Steroide, Wachstumshormon und EPO, Insulin, Testosteron und andere Dopingmittel. Manche Substanzen hatte er selbst hergestellt. Im Frühjahr 2009 gab er der ARD sein erstes großes Fernsehinterview.

Leistungssport ohne Doping sei aus seiner Sicht völlig unrealistisch und Ehrlichkeit nicht allzu weit verbreitet, erzählte Heredia uns. »Neun von zehn Athleten nehmen wahrscheinlich Wachstumshormon.« Er habe seinen Sportlern immer beigebracht, wie die Mittel anzuwenden seien, damit man nicht auffalle. Das sei ihm wichtig gewesen.

In den zehn Jahren zuvor hatte er fünfundvierzig Athleten betreut, unter anderem die amerikanischen Sprinter Dennis Mitchell und Marion Jones. Zweiunddreißig seiner Kunden, sagte Heredia, hätten zur Weltspitze gezählt. Der Mann, der die Schnellsten der Welt noch schneller gemacht hatte, war dann in vielen Passagen unserer Fernsehdokumentation im August 2009 zu sehen. Es war der Auftakt der ARD-Sendereihe »Geheimsache Doping«. Damals sagte Heredia, er habe sich aus dem Geschäft mit den verbotenen Substanzen zurückgezogen. 2018 in Berlin erzählte er mir, er sei jetzt als wissenschaftlicher Berater im Profiboxen tätig.

Ein Sport, der auch nicht gerade frei von Doping ist.

In meinen Jahren als Reporter mit dem Schwerpunkt Doping war ich stets in zwei Welten unterwegs. Ich besuchte schillernde Events, Weltmeisterschaften und Olympische Spiele, habe aber auch jenseits der großen Bühnen recherchiert, dort, wo Betrug und Korruption stattfinden und kein Scheinwerfer hinleuchtet. Dort habe ich Leute wie Angel Heredia kennengelernt, Trainer und Funktionäre, Ärzte, Manager und etliche Sportler. Sie haben betrogen, den Betrug ermöglicht oder ihn gefördert. Man kann sie deshalb als Feinde des Sports bezeichnen. Von ihnen erzähle ich in diesem Buch.

Ich erzähle auch von mutigen Menschen, die gegen kriminelle Machenschaften im Weltsport ankämpfen. Einige dieser Whistleblower waren Protagonisten unserer Filme. Andere trauten sich nur im Schutz der Anonymität, ihre Erlebnisse zu schildern. Und manche unserer Gesprächspartner mussten wir schützen und ihren Beitrag außen vor lassen. Eine Berichterstattung im Fernsehen hätte sie in Gefahr gebracht.

Ich habe immer versucht, bei meinen Recherchen auch mit denen zu reden, die dem Sport schaden. Die sich an ihm bereichern, bewusst betrügen und den Fair-Play-Gedanken mit Füßen treten. Mit manchen dieser Leute stehe ich bis heute in Verbindung. Andere habe ich niemals wiedergesehen. Auf einige treffe ich hin und wieder, doch zu einem Gespräch kommt es nicht. Es stört sie, wenn Journalisten ans Licht bringen, was verborgen bleiben soll. Sie empfinden das als unangemessen. Den Sport banalisieren sie, stellen ihn als schönste Nebensache der Welt dar.

In Wahrheit ist der Spitzensport ein Milliardengeschäft, das wirtschaftlichen und auch politischen Einflüssen ausgeliefert ist. Er zieht weltweit Menschen in seinen Bann. Konzerne und Staatslenker wollen ihn für ihre eigenen Interessen nutzen. Nebensache? Nicht für Visa, Samsung und Coca-Cola. Nicht für Putin. Und genauso wenig für die Spitzenathleten, die so viel hineingeben in den Sport und für die längst nicht immer so viel dabei herauskommt.

Allein schon ihretwegen hat der Sport es verdient, dass man sich seiner Feinde bewusst wird und versucht, ihr Treiben aufzudecken.

CHAPTER 2

Russland I Volles Risiko

Am 31. Oktober 2018 hielt im Weißen Haus in Washington eine russische Läuferin eine Rede. Die Drogenkontrollbehörde der USA, die direkt dem Büro des Präsidenten unterstellt ist, hatte sie eingeladen. Der Rahmen war prachtvoll: Flaggen, Wandgemälde, viel Marmor und Stuck, hohe Decken.

Die Sportlerin kam gleich zur Sache. Als Athletin sei sie Teil des russischen Dopingsystems gewesen. Sie habe betrogen. Und jetzt spreche sie darüber. Als Whistleblowerin versuche sie seit sechs Jahren zu zeigen, dass sie sich geändert habe und dabei helfen wolle, dass der Sport sauber werde.

»Ich begann mit siebzehn, auf Wettkampfniveau zu laufen«, erzählte die Sportlerin. »Mit zwanzig begann mein Trainer, mir Testosteron zu geben. Da hat es angefangen. Bald bekam ich Epo-Spritzen, nahm Steroide und mehr. Nachdem ich all die Dopingsubstanzen genommen habe, habe ich heute gesundheitliche Probleme. Mein Ferritin-Wert ist zwanzigmal höher, als er sein sollte. Ärzte sagen mir, durch mein Training werde das Extra-Ferritin in meinem Körper verbraucht. Wenn ich aber aufhöre zu trainieren, muss ich eine andere Lösung finden – oder ich sterbe an einer Eisenvergiftung.«

Die Sportlerin, damals zweiunddreißig Jahre alt, heißt Julia Stepanowa. Ihre Rede war nicht die einzige bei der Tagung, aber aus meiner Sicht die eindringlichste. Ihre Worte hallten bedeutungsschwer durch den Raum. Die Teilnehmer wirkten gebannt.

Mein Respekt konnte durch den eindrucksvollen Auftritt von Julia Stepanowa tatsächlich nicht mehr wachsen. Ohne die Entschlossenheit und den Mut dieser früheren Spitzenläuferin und ihres Mannes Witali hätte die ARD das systematische Doping in der Sportnation Russland nicht aufdecken können. Es hätte keine unabhängige Kommission ermittelt. Der russische Leichtathletikverband wäre nicht aus dem Internationalen Leichtathletikverband IAAFverbannt worden. Die Welt hätte nicht erfahren, in welchem Ausmaß russische Sportler gedopt wurden. Und wie auch hohe Funktionäre außerhalb Russlands davon profitierten. Ohne Julia und Witali Stepanow wäre auch nicht ein anderer Russe in die USA geflüchtet und dort zum Kronzeugen des russischen Staatsdopings geworden. Niemand hätte erfahren, wie viele Sportarten in Russland von dem staatlich unterstützten Dopingsystem betroffen waren.

Auch für mich wäre manches anders gelaufen, wenn die Stepanows sich nicht entschieden hätten, mit dem russischen Dopingsystem zu brechen und es mit ihrem Insiderwissen von außen zu bekämpfen. Mit ihrer Bereitschaft auszupacken, begann für mich eine Russlandrecherche, die so schnell nicht enden sollte. Journalistisch habe ich viel aufdecken können, unsere Arbeit hat hohe Anerkennung erfahren. Persönlich brachte mir die Beschäftigung mit der Sportmacht Russland manches Mal auch Unannehmlichkeiten.

Was hat mein Interesse an Russland geweckt? Zunächst ein Kongress von Sportmedizinern in Wien 2010, an dem ich selbst gar nicht teilgenommen habe. Dort trat ein Forscher aus Russland auf, ein renommierter Mann, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Ein Teilnehmer des Symposiums wandte sich später an mich. Was der Russe vorgetragen hatte, empörte ihn. Der Forscher habe von einem neuen Mittel geschwärmt, das Muskeln wie aus dem Nichts wachsen lasse. Es sei für medizinische Zwecke entwickelt worden, habe aber bei gesunden Menschen Nebeneffekte, die man doch mal ausprobieren solle, bei sich selbst etwa. Oder man könne es gern auch mal der Gattin mitbringen. So hatte sich der Russe dem Kongressteilnehmer zufolge geäußert.

Wir hatten damals überlegt, dieser Spur nachzugehen, und der Mann trat dann auch in Hannover bei einem weiteren Fachkongress auf. Wirklich verfolgt haben wir die Sache aber nicht. Bis mir der Wissenschaftler Ende des Jahres 2013 wieder einfiel. Er war ja aus Russland. Und im Februar empfing sein Heimatland die Sportwelt zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi.

Ich schickte dem Forscher eine Mail und fragte, ob er mir etwas zu seiner Arbeit erzählen könne. Dabei gab ich mich als Manager von Olympiateilnehmern aus. Der Fisch biss an, sofort. Wir verabredeten uns für Januar 2014 in Moskau.

Völlig unbekannt war ich als Journalist zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Doch in Russland dürfte mich damals kaum jemand gekannt haben. Trotzdem tarnte ich mich. Ich habe das danach nie wieder getan, würde es wohl auch nicht wieder machen, aber damals, in diesem Fall, schien es mir hilfreich. Vor meinem Abflug besorgte ich mir bei einem Maskenbildner vom Theater einen künstlichen Vollbart. Zudem wechselte ich meine Brille, trug nun ein Modell mit dicken dunkelbraunen Rändern und breiten Bügeln.

An einem weißen Wintertag im Januar 2014, einem Samstag, saß ich dem Wissenschaftler in einer Gaststätte in Moskau gegenüber. Wir waren fast die einzigen Gäste. Ich hatte eigentlich mit einer längeren Gesprächsanbahnung gerechnet. Doch er vermittelte mir den Eindruck, dass er schnell zur Sache kommen wolle. Der Mann, zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, berichtete von seiner Forschung und dem Wundermittel, das er »Fullsize MGF« nannte. »Es wirkt im Muskel doppelt so stark wie ein herkömmlicher Wachstumsfaktor«, erklärte er mir. Bisher werde es nur in geringen Mengen hergestellt und sei sehr teuer, aber eben nicht nachzuweisen. Zwei bis drei Tage vor dem Wettkampf sei der beste Zeitpunkt für eine Injektion.

Ich ahnte, dass hieraus eine interessante Geschichte werden könnte, und wollte keine Zeit verlieren. Also fragte ich ihn ohne Umschweife, ob ich eine Probe des Mittels nach Deutschland mitnehmen könne. Ich würde es dort in einem geheimen Labor auf Echtheit untersuchen lassen, danach könnten meine Sportler es testen. Das war für ihn in Ordnung, nur: Er hatte keine Probe dabei.

Nun musste ich überlegen. Ich wollte an diesem Samstag noch weiter nach Sotschi fliegen, um dort Sonntag früh zum Hintergrundgespräch Grigori Rodtschenkow zu treffen, den Chef des Dopingkontrolllabors der bevorstehenden Olympischen Winterspiele. Am Sonntagabend sollte mein Flieger von Moskau zurück nach Berlin gehen.

Ich fragte den Wissenschaftler in der Gaststätte, ob er mir die Probe vielleicht schon morgen am späten Nachmittag übergeben könne. Dann wäre ich wieder in Moskau.

Kein Problem, antwortete er.

Ein anderes Problem konnte der unkomplizierte Forscher hingegen nicht lösen. Als wir uns verabschiedeten, war mir das noch nicht klar. Aber bald danach: Im Laufe des Nachmittags löste sich nämlich langsam mein falscher Bart. Den hatte ich mir vor dem Treffen morgens im Hotel sorgfältig angeklebt. Einen Ersatzbart hatte ich aber nicht mitgenommen, ausreichend Theaterkleber, um ihn erneut zu befestigen, ebenfalls nicht. Dass ich den Forscher gleich zweimal kurz hintereinander treffen würde, hatte ich nicht in Betracht gezogen.

Ich flog ans Schwarze Meer und traf am Sonntagmorgen auf dem Olympiagelände Grigori Rodtschenkow. Der Leiter des Moskauer Dopinglabors dachte wahrscheinlich, ich hätte einen Tick: Während unseres Gesprächs umschloss eine meiner Handflächen unentwegt meine Kinnpartie.

Allzu lang sprachen Rodtschenkow und ich nicht miteinander. Ich fragte mich später, ob sein Staat ihm schon damals misstraute und ihn von Agenten beobachten ließ. Ich selbst erfuhr jedenfalls zwei Jahre danach, dass mein Trip ans Schwarze Meer wahrgenommen worden war. Russische Medien berichteten, 2014 sei Seppelt in einem Flugzeug auf dem Weg von oder nach Sotschi gesehen worden, ein Passagier habe ihn trotz falschen Bartes erkannt.

Für den Moment war ich froh, wieder im Flugzeug zurück nach Moskau zu sitzen, eine Hand am falschen Bart. Als Treffpunkt hatte der Wissenschaftler nur »belarus station« angegeben, den Weißrussischen Bahnhof im Nordosten Moskaus. Es dämmerte bereits, als ich auf dem verschneiten Vorplatz ankam. Als würde hier gleich eine Szene für einen Agentenkrimi gedreht, standen Grüppchen von Soldaten herum, vielleicht waren es auch Polizisten. Auf mich wartete ein Mann in hoch geschlossenem Mantel, der eine landestypische Fellmütze trug. Ich selbst hatte mich ebenfalls eingemummelt. Aus gegebenem Anlass verbarg ein dicker roter Schal das untere Drittel meines Gesichts.

Der Mann deutete auf ein Auto. Ich stieg ein und erkannte dort den Wissenschaftler. Mit meinem Smartphone nahm ich das Treffen unauffällig auf.

Zum Glück war dem Russen auch diesmal nicht an ausufernder Kommunikation gelegen. »Sie bekommen ein Milligramm erst mal so, damit Sie prüfen können, dass es rein ist«, teilte er mir mit. »Ich kann Ihnen dann später mehr anbieten. Sie erhalten hier die optimalen Dosierungstipps, können das noch vor Sotschi nehmen. Wem Sie es dann geben, interessiert mich nicht.« Für eine Hundert-GrammLieferung seien hunderttausend Dollar zu zahlen, sagte er.

Ich verabschiedete mich. Dann schritt ich zügig in ein Restaurant im Bahnhofsgebäude und dort auf die Toilette. Der Bart ließ sich leicht lösen. Weg damit, dachte ich nur. Erleichtert flog ich noch am Abend zurück nach Berlin.

Zu Beginn der folgenden Woche lag die Probe schon auf dem Tisch des Dopingkontrolllabors der Kölner Sporthochschule. Dorthin hatte ich sie sofort nach meiner Rückkehr per Kurier geschickt. Die Biochemiker vor Ort hatten ein solches Mittel vorher noch nie auf dem Tisch gehabt und analysierten die Substanz sofort. »Wir haben festgestellt, dass es authentisches MGF ist«, sagte uns Professor Mario Thevis. Diese bei Dopingtests nicht nachweisbare neuartige Substanz sei als »hochwirksam« in puncto Muskelwachstum einzustufen. In Kanada zeigte sich der WADA-Generaldirektor David Howman schockiert darüber, dass Menschen zu »Versuchstieren« würden bei der Einnahme solcher Mittel.

Unser Bericht lief in der »Sportschau« und in längerer Fassung in der WDR-Sendung »Sport inside«. Er erregte Aufmerksamkeit. DieARD-Dopingredaktion hatte kurz vor Beginn der Winterspiele in Sotschi gezeigt, dass sie sich auch mit Russland beschäftigte. Erfolgreiche Recherchen sind die beste Visitenkarte für weitere potenzielle Hinweisgeber. Wir legten zum Ende der Olympischen Spiele noch eine nach.

Die britische Zeitschrift »Economist« hatte berichtet, dass ein Edelgas mit dem Namen Xenon in Russland eingesetzt worden sei. Ich bat meine Kölner Kollegin Olga Sviridenko zu recherchieren, was die Grundlage des Artikels war. Und tatsächlich: Russischen Publikationen entnahmen wir, dass im zurückliegenden Jahrzehnt die Verabreichung von Xenon zur Leistungssteigerung zumindest untersucht worden war.

Eine Studie des Verteidigungsministeriums bezeichnete Xenon auch als Sauerstoffcocktail und empfahl einen breitflächigen Einsatz, denn: »Xenon steht nicht auf der Verbotsliste und wird nicht von der WADAbeobachtet.«

In deutschen Krankenhäusern setzten Anästhesisten das Gas manchmal zur Narkose ein. Das Einatmen von Xenon löst einen Vorgang im Körper aus, bei dem die Neubildung verschiedener Proteine wie zum Beispiel EPO angeregt wird, sodass deren Konzentration im Körper steigt, erklärte uns der Wissenschaftler Andreas Götzenich. Er hatte an der Uniklinik Aachen dazu geforscht. EPO ist das am häufigsten missbrauchte Mittel im Ausdauersport. Durch Inhalation von Xenon-Gas wird es vom Körper verstärkt ausgeschüttet. Und mehr EPO bedeutet mehr Sauerstoff im Blut, bedeutet mehr Ausdauer. Gut für Sportbetrüger war außerdem: Die Dopinganalytiker konnten Xenon noch nicht bei ihren Labortests aufspüren. Obwohl inzwischen ein Nachweisverfahren existiert, erteilen Sport- oder Antidopingorganisationen den Dopingkontrolllaboren auch heute nur selten den Auftrag, nach XenonSpuren im Körper zu suchen.

An Tieren war das Gas schon getestet worden, mit erstaunlichem Ergebnis: »Innerhalb von vierundzwanzig Stunden war die EPOProduktion um den Faktor 1,6, also um 160 Prozent, gesteigert worden«, erklärte uns Mario Thevis von der Kölner Sporthochschule. Es sei »sehr wahrscheinlich«, so der Biochemiker, »dass es auch im Menschen dieselbe Wirkung erzielen wird«.

In Russland hat sich ebenfalls eine Forschungseinrichtung mit der Wirkung von Xenon beschäftigt, mit der Wirkung am Menschen allerdings. Das Institut am Rande Moskaus hieß Atom-MedZentrum und arbeitete mit Skilangläufern, Biathleten und Eisschnellläufern zusammen – aber keineswegs allein mit Ausdauersportlern. Nach Atom-Med-Angaben half das Edelgas auch Basketballern, Volleyballern. Es half auch Eishockey- und Fußballspielern. Das Zentrum bot außerdem passende Inhalationsgeräte für Xenon an, als tragbare Apparate für unterwegs und damit ideal für Reisen zu Wettkämpfen. Fünf bis sechs Stunden vor extremen körperlichen Anstrengungen und dreißig Minuten danach sei Xenon einzuatmen, hieß es in der Anwendungsempfehlung. Nur von EPO war in den Veröffentlichungen des Atom-Med-Zentrums nichts zu lesen.

Mehr als siebzig Prozent aller Russen, die bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen (Sommer) und 2006 in Turin (Winter) an den Start gingen, hatten nach Angaben des Forschungsinstituts Xenon eingeatmet. Das war in meinen Augen nichts anderes als eine massenhafte Manipulation. Der Chef des Atom-Med-Zentrums allerdings sah das anders. »Sie wissen doch, was Doping ist«, sagte er meiner Kollegin Olga Sviridenko. »Das ist doch dann, wenn Spuren von biochemischen Reaktionen bleiben. Wenn es nicht so ist, wie kann es ein Dopingmittel sein?« Russlands Nationales Olympisches Komitee äußerte sich gar nicht.

(Continues…)


Excerpted from "Feinde des Sports"
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Table of Contents

Über das Buch/ Über die Autoren,
Titel,
Impressum,
Vorab,
Russland I: Volles Risiko,
Berlin: Anfänge,
Doping-Reportagen: Mein Thema,
Tour de France: Der überführte Champion,
Russland II: Verraten und verkauft,
Russland III: Im Visier,
Medienanwälte: Gegenwind,
Kenia: Kein Wunder,
Olympia-Legende: Nicht überführt,
China: Im Reich der Mittel,
DDR: Im Auftrag des Staates,
Fußball: Abwehrlücken,
Nordkorea: Herr Kim und Herr O,
Fakes: Falsche Fährten,
Dopingnetzwerk I: Mit der Nadel im Arm,
Dopingnetzwerk II: Wahrheit und Lüge,
Sport, Doping, Korruption: Was sich ändern muss,
Dank,
Zitatnachweis,
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