Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist Der Bestseller zum Erreichen einer offenen Geisteshaltung für Ansichten und Urteile, die nur auf soliden Fakten basieren

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Overview

Es wird alles immer schlimmer, eine schreckliche Nachricht jagt die andere: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Es gibt immer mehr Kriege, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen. Viele Menschen tragen solche beängstigenden Bilder im Kopf. Doch sie liegen damit grundfalsch.

Unser Gehirn verführt uns zu einer dramatisierenden Weltsicht, die mitnichten der Realität entspricht, wie der geniale Statistiker und Wissenschaftler Hans Rosling erklärt. Wer das Buch gelesen hat, wird
• ein sicheres, auf Fakten basierendes Gerüst besitzen, um die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
• die zehn gängigsten Arten von aufgebauschten Geschichten erkennen
• bessere Entscheidungen treffen können
• wahre Factfulness erreichen – jene offene, neugierige und entspannte Geisteshaltung, in der Sie nur noch Ansichten teilen und Urteile fällen, die auf soliden Fakten basieren


Product Details

ISBN-13: 9783843717458
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 04/06/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 350
File size: 20 MB
Note: This product may take a few minutes to download.
Language: German

About the Author

Hans Gösta Rosling, geboren 1948 in Uppsala, Schweden, ist Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet und Direktor der Gapminder-Stiftung in Stockholm. 1981 entdeckte Rosling einen Ausbruch einer bis dahin unbekannten Krankheit, die Lähmungen verursachte. Für die Erforschung dieser Krankheit erhielt er 1986 den Ph.D.-Doktorgrad der Universität Uppsala. Er verbrachte insgesamt zwei Jahrzehnte mit der Erforschung von Krankheiten in abgelegenen ländlichen Gebieten in Afrika. 1990 wurde Rosling zum Associate Professor of Internal Medicine an der Universität Uppsala und 1999 zum Professor für Internationale Gesundheit berufen. 1993 war er zudem eines der Gründungsmitglieder von Ärzte ohne Grenzen in Schweden. Seit 2005 ist er Mitglied der Internationalen Gruppe der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Die Gapminder-Stiftung gründete Rosling zusammen mit seinem Sohn Ola Rosling und seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund. Gapminder hat die SoftwareTrendalyzer entwickelt, die internationale Statistiken verständlicher sowie interaktiv darstellt. Seine durch Gapminder unterstützten Vorlesungen und Präsentationen zur Visualisierung der Welt haben Auszeichnungen gewonnen.

Hans Rosling, geboren 1948 in Uppsala, gestorben im Februar 2017, war Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet und Direktor der Gapminder-Stiftung in Stockholm. Er war zudem Gründungsmitglied von Ärzte ohne Grenzen e.V. in Schweden und Mitglied der Internationalen Gruppe der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Zusammen mit seinem Sohn Ola Rosling und seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund gründete Hans Rosling die Gapminder-Stiftung.


Anna Rosling ist die Schwiegertochter von Hans Rosling und Mitbegründerin der Gapminder-Stiftung.


Ola Rosling ist der Sohn von Hans Rosling und Mitbegründer der Gapminder-Stiftung.


Hans Freundl, geboren 1957, studierte Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftsgeographie in München. Er übersetzt aus dem Englischen politische und historische Sachbücher, Wirtschafts- und Managementliteratur, Reiseführer, Medizin/Gesundheitsratgeber und Kriminalliteratur. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören Bill Browder, D. Caruana Galizia, Roger Crowley, Peter Heather, Jon Krakauer, Nelson Mandela, Hans Rosling, Tom Segev, Robin Sharma, George Soros, Arne Odd Westad und Bob Woodward.


Hans-Peter Remmler, geboren 1957, studierte Angewandte Sprachwissenschaft in Germersheim (Universität Mainz). Er übersetzt aus dem Englischen und Spanischen. Zu den von ihm übersetzten Autor:innen gehören Bill Gates, Neil deGrasse Tyson, Ronan Farrow, Blake Gopnik, Tim Marshall, Sue Prideaux und Hans Rosling.


 Albrecht Schreiber, geb. 1955, arbeitete viele Jahre als Programmierer, danach über 20 Jahre als Übersetzer, Lektor und Redakteur in der Lokalisierung von Computerspielen. Seit 2017 ist er freiberuflich als literarischer Übersetzer tätig.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

DER INSTINKT DER KLUFT

Wie ich eine Bestie im Klassenzimmer einfing, und zwar nur mithilfe eines Blatts Papier.

WO ALLES ANFING

Es war im Oktober 1995, und ich wusste noch nicht, dass ich am Abend nach meiner Seminarveranstaltung mit meinem Kampf gegen die globalen Trugschlüsse beginnen würde.

»Wie hoch ist die Rate der Kindersterblichkeit in Saudi-Arabien? Sie brauchen nicht die Hand zu heben, rufen Sie es mir einfach zu.« Ich hatte zuvor Kopien der Tabellen 1und 5 aus dem UNICEF-Jahrbuch verteilt. Die Blätter wirkten etwas langweilig, dennoch war ich gespannt.

Die Studenten riefen einmütig: »35.« »Ja, 35, das ist richtig. Das heißt, dass 35 von 1000 lebend geborenen Kindern nicht das fünfte Lebensjahr erreichen. Kennen Sie auch die Zahl für Malaysia?« »14«, lautete die einstimmige Antwort.

Während mir die Zahlen zugerufen wurden, schrieb ich sie mit einem grünen Stift auf die Kunststofffolie im Overhead-Projektor.

»14«, wiederholte ich. »Weniger als in Saudi-Arabien.«

Meine Schreibschwäche spielte mir einen kleinen Streich, und ich schrieb »Malaisya«. Die Studenten lachten.

»Und Brasilien?«

»55.«

»Tansania?«

»171.«

Ich legte den Stift weg und sagte: »Wissen Sie, warum ich die Zahlen zur Kindersterblichkeit für so wichtig halte? Es hat nicht nur damit zu tun, dass mir Kinder allgemein am Herzen liegen. Diese Kennziffer misst sozusagen die Temperatur einer Gesellschaft. Wie ein riesiges Thermometer. Denn Kinder sind sehr verletzlich. Es gibt so vieles, was sie umbringen kann. Wenn in Malaysia nur 14 von 1000 Kindern sterben, bedeutet das, dass die übrigen 986 überleben. Ihren Eltern und der Gesellschaft gelingt es, sie vor all den Gefahren zu schützen, die ihnen den Tod bringen könnten: Keime, Hunger, Gewalt und so weiter. Diese Zahl 14 sagt uns also, dass die meisten Familien in Malaysia genug zu essen haben, dass keine Abwässer in ihr Trinkwasser gelangen, dass sie einen guten Zugang zu gesundheitlicher Versorgung haben und dass die Mütter lesen und schreiben können. Sie sagt uns nicht nur etwas über die Gesundheit der Kinder. Sie misst die Qualität der Gesamtgesellschaft.

Nicht die nackten Zahlen sind das Interessante. Sondern was sie uns über das Leben hinter diesen Zahlen sagen«, fuhr ich fort. »Schauen Sie sich an, wie unterschiedlich diese Zahlen sind: 14, 35, 55 und 171. Das Leben in diesen Ländern muss sehr unterschiedlich sein.«

Ich griff wieder zum Stift. »Wie war das Leben in Saudi-Arabien vor 35 Jahren? Wie viele Kinder starben 1960? Werfen Sie einen Blick in die zweite Spalte!«

»242.«

Die Lautstärke sank, als meine Studenten die beeindruckende Zahl nannten: 242.

»Ja, richtig. Die saudi-arabische Gesellschaft hat große Fortschritte erzielt, nicht wahr? Die Kindersterblichkeit ist in nur 35 Jahren von 242 auf 35 pro 1000Neugeborene gefallen. Wesentlich schneller als in Schweden. Wir haben 77 Jahre gebraucht, um diese Verbesserung zu erreichen.

Und wie sieht es in Malaysia aus? Heute sind es 14. Wie viele waren es 1960?«

»93«, lautete die gemurmelte Antwort. Die Studenten hatten ihre Tabellen zu durchforsten begonnen, verblüfft und erstaunt. Ein Jahr vorher hatte ich meinen Studenten dieselben Beispiele vorgelegt, allerdings ohne Datentabellen, in denen sie nachschauen konnten, und sie hatten schlicht nicht glauben wollen, was ich ihnen über die Verbesserungen erzählt hatte, die überall auf der Welt erzielt worden waren. Die diesjährigen Studenten, die die Daten schwarz auf weiß vor sich hatten, ließen ihre Augen über die Spalten wandern, um herauszufinden, ob ich vielleicht besonders auffällige Länder herausgesucht hatte, um sie zu verwirren. Sie wollten dem Bild nicht glauben, das sie in den Daten zu sehen bekamen. Es sah ganz anders aus als das Bild der Welt, das sie im Kopf hatten.

»Nur damit Sie es wissen«, erklärte ich, »Sie werden kein Land finden, in dem die Kindersterblichkeit gestiegen ist. Denn generell verbessern sich die Verhältnisse auf der Welt. Machen wir jetzt eine kurze Kaffeepause.«

DER MEGATRUGSCHLUSS, DASS DIE WELT »IN ZWEI HÄLFTEN GETEILT« IST

In diesem Kapitel geht es um den ersten unserer dramatischen Instinkte, den Instinkt der Kluft. Damit meine ich die unwiderstehliche Versuchung, Dinge aller Art in zwei unterschiedliche und häufig in Konflikt miteinander stehende Gruppen zu teilen und uns dabei eine Kluft vorzustellen – einen riesigen Abgrund der Ungerechtigkeit –, die sich zwischen ihnen auftut. Es geht darum, wie der Instinkt der Kluft in den Köpfen der Menschen das Bild einer Welt entstehen lässt, die aufgeteilt ist in zwei Arten von Ländern oder zwei Arten von Menschen: die reichen und die armen.

Es ist nicht leicht, einen Trugschluss aufzuspüren. An jenem Oktoberabend im Jahr1995 habe ich dieses Ungeheuer zum ersten Mal richtig zu Gesicht bekommen. Es geschah nach der Kaffeepause, und dieses Erlebnis war so aufregend, dass ich seitdem nicht mehr aufgehört habe, nach Megatrugschlüssen zu forschen.

Ich spreche von Megatrugschlüssen, weil sie maßgeblich dazu beitragen, dass die Menschen die Welt falsch wahrnehmen. Dieser erste Trugschluss ist der schlimmste. Indem er die Welt in zwei irreführende Schubladen einordnet – Arm und Reich –, verzerrt er alle globalen Proportionen im Denken der Menschen.

DEN ERSTEN MEGATRUGSCHLUSS AUFSPÜREN

Als die Lehrveranstaltung weiterging, erläuterte ich, dass die Kindersterblichkeit in den Stammesgesellschaften im Regenwald und unter den Bauern in entlegenen ländlichen Regionen in allen Teilen der Welt immer schon am höchsten war. »Bei jenen Menschen, die man in exotischen Fernsehdokumentationen sieht. Diese Eltern müssen härter als alle anderen darum ringen, ihre Familien am Leben zu erhalten, und dennoch verlieren sie fast die Hälfte ihrer Kinder. Zum Glück müssen immer weniger Menschen unter solch fürchterlichen Bedingungen leben.«

Ein Student in der ersten Reihe hob die Hand. Er neigte den Kopf und sagte: »Die werden nie wie wir leben können.« Viele andere Studenten nickten zustimmend.

Der junge Mann dachte vielleicht, ich würde überrascht reagieren. Das tat ich nicht. Das war genau jene Aussage über eine »Kluft«, die ich schon so oft gehört hatte. Ich war keineswegs überrascht. Vielmehr hatte ich darauf gehofft. Unser Dialog entwickelte sich dann etwa folgendermaßen:

Ich: Entschuldigen Sie, was meinen Sie mit »die«?

Er: Die Menschen in anderen Ländern.

Ich: In allen anderen Ländern außer Schweden?

Er: Nein, ich meine ... die Menschen in den nicht westlichen Ländern. Sie können nicht leben wie wir. Das wird nicht gehen.

Ich: Aha! (Als wenn ich es jetzt verstehen würde.) Sie meinen Länder wie Japan?

Er: Nein, nicht Japan. Dieses Land hat eine westliche Lebensart.

Ich: Und was ist mit Malaysia? Dieses Land hat keine »westliche Lebensart«, richtig?

Er: Nein, Malaysia ist kein westliches Land. Alle Länder, die noch nicht die westliche Lebensart übernommen haben. Die Menschen dort sollten nicht so leben. Sie wissen, was ich meine.

Ich: Nein, ich weiß nicht, was Sie meinen. Erklären Sie es mir bitte. Sie reden vom »Westen« und vom »Rest der Welt«. Ist das richtig?

Er: Ja, genau.

Ich: Gehört Mexiko ... zum »Westen«?

Er schaute mich nur an.

Ich wollte ihn nicht in die Enge treiben, aber ich machte weiter, denn ich war gespannt, wohin das führen würde. Gehörte Mexiko zum »Westen«, und konnten die Mexikaner so leben wie wir? Oder würden sie leben müssen wie der »Rest der Welt«?

»Ich bin verwirrt«, sagte ich. »Sie haben mit ›die und wir‹ angefangen und sind dann auf ›den Westen und den Rest der Welt‹ gekommen. Ich möchte gern verstehen, was Sie meinen. Ich habe diese Bezeichnungen schon sehr oft gehört, aber ich habe sie nie verstanden.«

Jetzt kam ihm eine junge Frau in der dritten Reihe zu Hilfe. Sie nahm meine Herausforderung an, jedoch auf eine Weise, die mich völlig verblüffte. Sie deutete auf das große Stück Papier, das vor ihr lag, und sagte: »Vielleicht könnten wir es folgendermaßen definieren: ›Wir im Westen‹ haben weniger Kinder, und nur wenige dieser Kinder sterben. Während ›die Menschen im Rest der Welt‹ viele Kinder haben, von denen auch viele sterben.« Sie wollte den Konflikt zwischen der Denkweise ihres Kommilitonen und meinem Datensatz auflösen – auf eine sehr kreative Weise, das muss man sagen –, indem sie eine Definition vorschlug, wie man die Welt unterteilen könnte. Das freute mich. Weil sie vollkommen falschlag – wie sie bald selbst erkennen sollte –, und zwar irrte sie sich auf eine konkrete Weise, an der ich ansetzen konnte.

»Sehr schön, gut.« Ich griff zu meinem Stift und legte los. »Schauen wir mal, ob wir die Länder in zwei Gruppen einteilen können, bezogen auf die Zahl der Kinder, die dort geboren werden, und die Zahl der Kinder, die sterben.«

Die Skepsis auf den Gesichtern wich nun der Neugier, denn die Studenten wollten herausfinden, was mich so fröhlich gestimmt hatte.

Mir gefiel die Definition der Studentin, weil sie so eindeutig war. Wir konnten sie anhand der Daten überprüfen. Wenn man Menschen überzeugen möchte, dass sie einem Trugschluss erliegen, ist es sehr hilfreich, wenn man ihre Ansichten unter Bezug auf konkrete Daten überprüfen kann. Das tat ich jetzt.

Und damit habe ich mich während der restlichen Zeit meines Arbeitslebens beschäftigt. Das große graue Kopiergerät, mit dem ich die Original-Datentabellen fotokopierte, war mein erster Verbündeter beim Kampf gegen diese Trugschlüsse. 1998dann hatte ich einen neuen Partner – einen Farbdrucker, der es mir ermöglichte, meinen Studenten farbige Blasendiagramme der Länderdaten vorzulegen. Dann heuerte ich meine ersten menschlichen Partner an, und die Dinge beschleunigten sich. Anna und Ola waren so fasziniert von diesen Grafiken und Diagrammen und von meiner Idee, Trugschlüsse aufzudecken, dass sie meine Sache zu der ihren machten und durch Zufall eine neue, revolutionäre Methode entwickelten, die es ermöglicht, Hunderte von Datentrends als animierte Blasendiagramme darzustellen. Das Blasendiagramm wurde zu unserer bevorzugten Waffe in unserem Kampf darum, den Trugschluss zu widerlegen, dass »die Welt in zwei Hälften geteilt« sei.

WAS STIMMT NICHT MIT DIESEM BILD?

Meine Studenten sprachen von »sie« und »wir«. Andere reden von den »Entwicklungsländern« und den »entwickelten Ländern«. Wahrscheinlich verwenden auch Sie diese Bezeichnungen. Was stimmt damit nicht? Journalisten, Politiker, politische Aktivisten, Lehrer und Forscher benutzen sie ständig.

Wenn von »Entwicklungsländern« und »entwickelten Ländern« die Rede ist, sind damit meistens »arme Länder« und »reiche Länder« gemeint. Ich höre oft auch die Gegensätze »der Westen und der Rest der Welt«, »Nord und Süd«, »Länder mit niedrigem Einkommen und Länder mit hohem Einkommen«. Wie auch immer, es spielt eigentlich keine Rolle, welche Begriffe die Menschen zur Beschreibung der Welt verwenden, solange die Worte relevante, sachbezogene Bilder in ihren Köpfen entstehen lassen und etwas bezeichnen, das eine Grundlage in der Wirklichkeit besitzt. Doch welche Bilder befinden sich tatsächlich in ihren Köpfen, wenn sie diese einfachen Begriffe benutzen? Und wie verhalten sich diese Bilder zur Wirklichkeit?

Überprüfen wir sie anhand der Daten. Die nachfolgende Grafik zeigt für alle Länder der Welt die Anzahl der Kinder pro Frau und die Überlebensraten der Kinder.

Jede Blase im Diagramm repräsentiert ein Land, wobei die Größe der Blase die Größe der Bevölkerung dieses Landes darstellt. Die größten Blasen sind Indien und China. Auf der linken Seite des Diagramms finden sich jene Länder, in denen die Frauen viele Kinder bekommen, rechts sind jene, in denen die Frauen wenige Kinder haben. Je weiter oben ein Land in der Grafik angesiedelt ist, umso höher ist die Überlebensrate der Kinder in diesem Land. Dieses Diagramm setzt genau den Vorschlag der Studentin aus der dritten Reihe um, die anregte, die Länder nach zwei Gruppen zu unterteilen: »Wir und sie« oder »der Westen und der Rest der Welt«. Hier habe ich die beiden Gruppen als »entwickelte Länder« und »Entwicklungsländer« bezeichnet.

Man beachte, wie schön sich die Länder der Welt in den beiden Kästen verteilen: der entwickelten und der sich entwickelnden Welt. Zwischen den beiden Kästen gibt es eine deutliche Kluft, die 15 kleinere Länder enthält (dazu gehören auch Kuba, Irland und Singapur), in denen zusammengenommen nur zwei Prozent der Weltbevölkerung leben. Im Kasten »Entwicklungsländer« befinden sich 125 Blasen, darunter auch China und Indien. In all diesen Ländern bekommen die Frauen durchschnittlich fünf oder mehr Kinder, und die Kindersterblichkeit ist hoch: Weniger als 95 Prozent der Kinder überleben, was heißt, dass mehr als fünf Prozent der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben. Die andere Box, die »entwickelten Länder«, umfasst 44 Blasen, wozu auch die USA und die meisten europäischen Länder gehören. In all diesen Ländern bringen die Frauen durchschnittlich weniger als 3,5 Kinder zur Welt, und die Überlebensrate der Kinder liegt über 90 Prozent.

Die Welt teilt sich in diese beiden Kästen auf. Das sind exakt jene zwei Kästen, die sich die besagte Studentin vorstellte. Das Bild zeigt klar, dass die Welt in zwei Gruppen aufgeteilt ist und sich zwischen diesen beiden Gruppen eine Kluft auftut. Wie schön. Was für eine leicht zu verstehende Welt! Wo liegt also das Problem? Warum ist es falsch, Länder als »entwickelt« oder »sich in der Entwicklung befindlich« einzustufen? Warum habe ich es meinen Studenten, die von »wir« und »sie« sprachen, so schwer gemacht?

Weil dieses Bild die Welt des Jahres 1965 zeigt! Als ich ein junger Mann war. Das ist das Problem! Würden Sie eine Straßenkarte von 1965 verwenden, wenn Sie durchs Land fahren? Würden Sie sich wohlfühlen, wenn sich Ihr Doktor bei Ihrer Untersuchung und Behandlung auf die neuesten medizinischen Erkenntnisse von 1965stützen würde? Die oben stehende Grafik zeigt, wie die Welt heute aussieht.

Die Welt hat sich völlig geändert. Heute sind kleine Familien vorherrschend, und in den allermeisten Ländern, auch in den größten, in Indien und China, ist die Kindersterblichkeit nur noch gering. Werfen Sie einen Blick auf die linke untere Ecke. Hier ist der Kasten praktisch leer. Alle Länder streben in die kleine Box, wo nur wenige Kinder geboren werden und viele überleben. Und die meisten Länder sind auch bereits dort angekommen. Rund 85 Prozent der Menschheit befinden sich in dieser Box, die mit der Bezeichnung »entwickelte Länder« überschrieben ist. Die restlichen 15 Prozent bewegen sich überwiegend im Bereich zwischen den beiden Boxen. Nur 13 Länder, die sechs Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, befinden sich noch in der Box »Entwicklungsländer«. Die Welt hat sich verändert, die Sicht auf die Welt dagegen nicht, zumindest nicht in den Köpfen der »westlichen« Menschen. Die meisten von uns haben noch eine völlig überholte Vorstellung vom Rest der Welt.

Die grundlegende Veränderung der Welt, die ich hier dargestellt habe, beschränkt sich nicht auf die Familiengröße und die Kindersterblichkeit. Auch in Bezug auf nahezu alle übrigen Aspekte des menschlichen Lebens haben sich ähnliche Veränderungen vollzogen. Diagramme, die das Einkommensniveau, den Tourismus, den Zugang zu Bildung oder Elektrizität darstellen, würden alle die gleiche Geschichte erzählen: dass die Welt früher in zwei Teile geschieden war, was aber heute nicht mehr der Fall ist. Heute befinden sich die meisten Menschen irgendwo im mittleren Bereich. Es gibt keine Kluft mehr zwischen dem Westen und dem Rest der Welt, zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern, zwischen Reich und Arm. Wir sollten daher aufhören, diese schlichten Kategorienpaare zu verwenden, die einen derartigen Gegensatz suggerieren.

Meine Studenten waren engagierte, aufgeschlossene junge Menschen, die die Welt verbessern wollen. Ich war entsetzt darüber, dass sie so wenig wussten von den grundlegenden Fakten über die Welt. Ich war schockiert, dass sie noch immer von zwei Gruppen ausgingen, von »wir« und »sie«, dass sie davon sprachen, »sie« könnten nicht so leben wie »wir«. Wie war es möglich, dass sie eine 30 Jahre alte Weltsicht mit sich herumtrugen?

Als ich an diesem Abend im Oktober 1995 mit dem Fahrrad durch den Nieselregen nach Hause fuhr, mit klammen Fingern, da hatte ich Feuer gefangen. Mein Plan hatte geklappt. Indem ich die Daten in den Seminarraum geholt hatte, hatte ich meinen Studenten beweisen können, dass die Welt nicht in zwei Hälften gespalten ist. Mir war es gelungen, ihre Trugschlüsse aufzudecken. Nun verspürte ich den Wunsch, den Kampf weiterzuführen und auszuweiten. Mir wurde klar, dass ich die Daten noch klarer fassen und noch deutlicher präsentieren musste. Das würde es mir ermöglichen, noch mehr Menschen auf noch überzeugendere Weise aufzuzeigen, dass ihre Ansichten und Meinungen nichts anderes waren als unbegründete Gefühle. Das würde mir helfen, ihre Illusionen zu erschüttern, dass sie über Dinge Bescheid wüssten, von denen sie in Wirklichkeit nur eine vage Ahnung hatten.

Zwei Jahrzehnte später sitze ich in einem modernen Fernsehstudio in Kopenhagen. Die »geteilte« Weltsicht ist 20 Jahre älter, 20 Jahre überholter. Wir sind live auf Sendung, der Journalist neigt seinen Kopf und sagt zu mir: »Wir sehen noch immer einen enormen Gegensatz zwischen dem kleinen reichen Teil der Welt, hauptsächlich dem Westen, und dann dem großen Teil der Welt.«

(Continues…)


Excerpted from "Factfulness"
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Table of Contents

Über das Buch / Über den Autor,
Titel,
Impressum,
Widmung,
Hinweis des Autors,
Einleitung,
1. Der Instinkt der Kluft,
2. Der Instinkt der Negativität,
3. Der Instinkt der geraden Linie,
4. Der Instinkt der Angst,
5. Der Instinkt der Dimension,
6. Der Instinkt der Verallgemeinerung,
7. Der Instinkt des Schicksals,
8. Der Instinkt der einzigen Perspektive,
9. Der Instinkt der Schuldzuweisung,
10. Der Instinkt der Dringlichkeit,
11. Factfulness in der Praxis,
Abschliessende Worte,
Dank,
Anhang,
Karte zur Weltgesundheit,
Wie hat Ihr Land abgeschnitten?,
Anmerkungen,
Quellen,
Biografische Hinweise,
Feedback an den Verlag,
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