Eine unbeliebte Frau

Der erste Fall für Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein - jetzt in der ungekürzten Originalfassung mit einem Nachwort von Nele Neuhaus
Eine Ladung Schrot aus dem eigenen Jagdgewehr beschert dem Frankfurter Oberstaatsanwalt ein schnelles, wenn auch sehr hässliches Ende. Die schöne junge Frau, die tot am Fuß eines Aussichtsturms im Taunus liegt, ist viel zu unversehrt, um an den Folgen eines Sturzes gestorben zu sein. Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine neue Kollegin Pia Kirchhoff sind sich einig: Der erste Todesfall war ein Selbstmord, der zweite jedoch ein Mord. Bald häufen sich sowohl die Motive als auch die Verdächtigen. Doch was hat den Staatsanwalt in den Tod getrieben?

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Eine unbeliebte Frau

Der erste Fall für Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein - jetzt in der ungekürzten Originalfassung mit einem Nachwort von Nele Neuhaus
Eine Ladung Schrot aus dem eigenen Jagdgewehr beschert dem Frankfurter Oberstaatsanwalt ein schnelles, wenn auch sehr hässliches Ende. Die schöne junge Frau, die tot am Fuß eines Aussichtsturms im Taunus liegt, ist viel zu unversehrt, um an den Folgen eines Sturzes gestorben zu sein. Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine neue Kollegin Pia Kirchhoff sind sich einig: Der erste Todesfall war ein Selbstmord, der zweite jedoch ein Mord. Bald häufen sich sowohl die Motive als auch die Verdächtigen. Doch was hat den Staatsanwalt in den Tod getrieben?

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by Nele Neuhaus
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Der erste Fall für Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein - jetzt in der ungekürzten Originalfassung mit einem Nachwort von Nele Neuhaus
Eine Ladung Schrot aus dem eigenen Jagdgewehr beschert dem Frankfurter Oberstaatsanwalt ein schnelles, wenn auch sehr hässliches Ende. Die schöne junge Frau, die tot am Fuß eines Aussichtsturms im Taunus liegt, ist viel zu unversehrt, um an den Folgen eines Sturzes gestorben zu sein. Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein und seine neue Kollegin Pia Kirchhoff sind sich einig: Der erste Todesfall war ein Selbstmord, der zweite jedoch ein Mord. Bald häufen sich sowohl die Motive als auch die Verdächtigen. Doch was hat den Staatsanwalt in den Tod getrieben?


Product Details

ISBN-13: 9783843722049
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 10/25/2019
Series: Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 448
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus und schreibt bereits ebenso lange. Ihr 2010 erschienener Kriminalroman Schneewittchen muss sterben brachte ihr den großen Durchbruch, heute ist sie die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands. Außerdem schreibt die passionierte Reiterin Pferde-Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur. Ihre Bücher erscheinen in über 30 Ländern. Vom Polizeipräsidenten Westhessens wurde Nele Neuhaus zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt.
Nele Neuhaus, geboren in Münster / Westfalen, lebt seit ihrer Kindheit im Taunus und schreibt bereits ebenso lange. Ihr 2010 erschienener Kriminalroman Schneewittchen muss sterben brachte ihr den großen Durchbruch, heute ist sie die erfolgreichste Krimiautorin Deutschlands. Außerdem schreibt die Pferdeliebhaberin Jugendbücher und Unterhaltungsliteratur. Ihre Bücher erscheinen in über 30 Ländern. Vom Polizeipräsidenten Westhessens wurde Nele Neuhaus zur Kriminalhauptkommissarin ehrenhalber ernannt.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Sonntag, 28. August 2005

Pia-Luise Kirchhoff lehnte am Zaun der Koppel. Sie hatte die Arme auf die oberste Stange gelegt und beobachtete zufrieden ihre beiden Pferde, die durch das taufeuchte Gras schritten, hin und wieder ein Maul voll abrupften, jedes für sich auf der Suche nach der Stelle, an der das Gras am saftigsten war. Die aufgehende Sonne ließ die Tautropfen glitzern und das Fell der Pferde schimmern. Pia sah lächelnd zu, wie die beiden Pferde mit gesenktem Kopf über die große, mit hohen Bäumen bestandene Koppel zogen, und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Die schmerzliche und unschöne Trennung von Henning hatte, im Nachhinein betrachtet, nur Gutes gehabt. Nach sechzehn Jahren in der Stadt, in schicken und luxuriösen Altbauwohnungen im Frankfurter Westend und Sachsenhausen, nach sechzehn Jahren, in denen sie die Rolle der Ehefrau des Dr. Henning Kirchhoff gespielt hatte, war sie nun mit achtunddreißig Jahren ganz sie selbst. Glückliche Umstände hatten sie den kleinen Hof direkt an der A 66 Richtung Wiesbaden finden lassen, auf dem sie mit ihren beiden Pferden leben konnte. Statt eines BMW Cabrio fuhr sie jetzt einen Geländewagen. Die Designerkleider, in denen sie sich nie wohlgefühlt hatte, hatte sie gegen Jeans, Pullover und Arbeitsschuhe eingetauscht. Ihre Freizeit verbrachte sie damit, den kleinen Hof auf Vordermann zu bringen, die Pferdeboxen auszumisten, Stroh- und Heuballen zu stapeln und das Haus zu renovieren. Ein abgebrochener Fingernagel war längst keine Katastrophe mehr. Seit einem Monat arbeitete sie wieder in ihrem alten Beruf bei der Kriminalpolizei. Es war eine ebenso glückliche Fügung wie der Erwerb des Birkenhofs in Unterliederbach, dass sie eine Stelle beim erst vor zwei Jahren eingerichteten K11 der Hofheimer Kriminaldirektion bekommen hatte. Eigentlich hätte an diesem Wochenende ihr Kollege Frank Behnke Bereitschaftsdienst gehabt, aber als er sie gefragt hatte, ob sie den Dienst übernehmen könnte, hatte sie Ja gesagt. Es war Viertel nach sieben, als ihr die Leitstelle mitteilte, dass ein Winzer aus Hochheim eine halbe Stunde zuvor die Leiche eines Mannes in seinem Weinberg gefunden habe. Pia verschob das Stallausmisten auf später, tauschte die Jeans gegen eine saubere, streute den Hühnern und Enten Futter hin und fuhr die geschotterte Auffahrt des Birkenhofes hinunter. Ein letzter zufriedener Blick auf die beiden Pferde, die Gras, Wasser und ausreichend Schatten hatten, dann konzentrierte sie sich auf den ersten eigenen Fall in ihrem neuen Job.

* * *

Es wäre das erste Mal gewesen, dass Cosima vor dem Abflug nicht irgendetwas Lebenswichtiges in ihrem Büro vergessen hätte. Deshalb war Oliver von Bodenstein auch nicht sonderlich überrascht, als seiner Frau morgens um halb acht siedend heiß die Frachtpapiere für die Kameraausrüstung einfielen, die noch im Tresor in den Räumen ihrer Firma lagen. Das bereits vorbereitete ausgiebige Abschiedsfrühstück wurde gestrichen, und der Abschied von Tochter und Hund fand zwischen Tür und Angel statt.

»Wo ist dein Bruder?«, fragte Cosima ihre siebzehnjährige Tochter, die mit zerzausten Haaren und glasigen Augen gähnend auf der untersten Treppenstufe saß, unsanft mitten aus dem sonntagmorgendlichen Tiefschlaf gerissen. Eine überstürzte Abreise der Mutter in irgendein fernes Land und ihre wochenlange Abwesenheit war sie von Kindesbeinen an gewohnt.

»Der liegt wahrscheinlich noch im Koma«, Rosalie zuckte die Schultern, »seine Schnalle hat zur Abwechslung mal ihm den Laufpass gegeben. Das hat ihn ziemlich fertiggemacht.«

Die schnell wechselnden Freundinnen ihres älteren Bruders waren ihr ebenfalls schon zur Gewohnheit geworden, regelmäßige, auf eine leidenschaftliche Verliebtheit folgende Trennungen nach etwa vier bis sechs Monaten waren im Hause Bodenstein längst kein Gesprächsthema mehr.

»Kein Grund, seiner Mutter nicht wenigstens Auf Wiedersehen zu sagen«, bemerkte Bodenstein im Vorbeigehen. »Wo ist er denn?«

»Frag mich was Leichteres.«

Gefolgt vom aufgeregt hechelnden Hund, schleppte er die letzten beiden Reisetaschen Richtung Auto.

»Soso«, Cosima musste beinahe grinsen. »Mona hat mit Lorenz Schluss gemacht? Nicht zu fassen.«

»Die blöde Ziege«, Rosalie gähnte wieder. »Die konnte ich eh nicht leiden.«

»Wir müssen los, Cosima«, Bodenstein erschien in der Haustür. »Es muss nur noch etwas dazwischenkommen, dann fliegt das Flugzeug ohne dich nach Ecuador.«

»Bolivien«, verbesserte Cosima und zauste ihrer Tochter liebevoll das Haar. »Pass auf dich auf, meine Kleine. Und geh in die Schule, auch wenn ich nicht da bin.«

»Klar doch«, Rosalie verdrehte die Augen und stand auf, um ihre Mutter zum Abschied zu umarmen. »Guten Flug. Pass du auch auf dich auf. Ich komm hier schon klar.«

Mutter und Tochter sahen sich an und lächelten ein wenig gezwungen. Sie waren sich zu ähnlich, um sich wirklich gut zu verstehen.

* * *

Es war ein trockener goldener Spätsommermorgen. Der blaue Himmel wölbte sich wolkenlos über dem Taunus, die Sonne löste die dünnen Schleier des Morgennebels auf und versprach einen warmen Tag.

»Lorenz hat Liebeskummer«, sagte Cosima und klang halb belustigt, halb mitleidig. »Das hätte ich niemals für möglich gehalten.«

Bodenstein warf seiner Frau einen Blick zu. Cosima war eine aparte Frau mit klaren Gesichtszügen, faszinierend grünen Augen und tizianrotem Haar. Sie besaß ein leidenschaftliches Temperament, einen präzisen Verstand und eine großzügige, wenn auch oft zynische Weltsicht. Noch immer, nach all den Jahren, erfüllte ihn bei ihrem Anblick ein tiefes Glücksgefühl. Vielleicht lag es daran, dass sie durch Cosimas Beruf häufig für längere Zeit getrennt waren, vielleicht hatte es etwas mit der Gegensätzlichkeit ihrer Charaktere zu tun – aber irgendwie war es ihnen trotz der Kinder und ihrer anstrengenden Berufe gelungen, den kostbaren Funken der Verliebtheit zu bewahren, der in anderen Beziehungen oft sehr schnell der Trivialität des Alltags zum Opfer fiel.

»Kenne ich seine letzte Freundin überhaupt?«, erkundigte Bodenstein sich bei seiner Frau.

»Solltest du eigentlich«, Cosima lächelte. »Mona. So eine Große, Stille. Rosalie behauptet, sie sei stumm. Ich habe sie auch nie ein Wort reden hören.«

»Zum Schlussmachen wird sie den Mund schon aufgemacht haben.«

»Oder sie hat ihm eine SMS geschickt.« Cosima grinste. »So funktioniert das heute doch.«

»Hm.« Bodenstein war in Gedanken ganz woanders. Die Herzensangelegenheiten seines zweiundzwanzigjährigen Sohnes interessierten ihn im Augenblick nicht besonders. In der letzten Nacht hatte er kaum geschlafen. Wie jedes Mal, wenn Cosima zu einer ihrer abenteuerlichen Filmexpeditionen aufbrach, verspürte er das verzweifelte Bedürfnis, sie festzuhalten, und er kam sich wie eine Seemannsbraut vor, die ihren Mann an den Hafen begleitet und ihm nachblickt, wie er in eine ungewisse Zukunft davonsegelt. Erst um halb fünf war Cosima in seinen Armen eingeschlafen, aber er war wach geblieben, hatte sie betrachtet und versucht, sich jede Linie ihres Gesichts einzuprägen. Er war froh, dass Sonntag war und er sie selbst zum Flughafen bringen konnte.

Sie fuhren aus Fischbach hinaus Richtung Ruppertshain. Vor ein paar Jahren hatte Cosima in dem kleinen Ort im Taunus für ihre Filmproduktionsgesellschaft eine neue Bleibe gefunden, nachdem die Räumlichkeiten in Frankfurt nach einer dritten Mieterhöhung in kurzer Zeit einfach zu teuer geworden waren. In dem imposanten, denkmalgeschützten Gebäudekomplex der ehemaligen Lungenheilstätte, die vor ein paar Jahren in den prestigeträchtigen »Zauberberg« mit Eigentumswohnungen, Künstlerateliers, Arztpraxen, Büroräumen und Restaurant verwandelt worden war, waren die Mieten für dreihundert Quadratmeter noch erschwinglich. Nicht zuletzt deshalb war Oliver von Bodenstein die Entscheidung, sich vor gut zwei Jahren freiwillig als Leiter des neu gegründeten K11 von Frankfurt in den Main-Taunus-Kreis versetzen zu lassen, nicht schwergefallen. Im Zuge der Umstrukturierung der hessischen Polizei war ein eigenes Dezernat für Gewaltkriminalität bei der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim entstanden, und er hatte den Wechsel in die Provinz nach über zwanzig Jahren in der hektischen Großstadt nicht bereut. Zwar hatte er als Kriminalhauptkommissar in Hofheim nicht viel weniger Arbeit als früher in Frankfurt, aber die Arbeitsbedingungen hatten sich bedeutend verbessert. Bodenstein bog auf den leeren Parkplatz des Zauberbergs ein.

»Wir könnten noch am Flughafen zusammen frühstücken«, schlug er vor, als er den BMW anhielt. »Bis du einchecken musst, haben wir noch jede Menge Zeit.«

»Gute Idee.« Cosima lächelte und stieg aus. »Bin gleich zurück.«

Bodenstein stieg auch aus, lehnte sich an den Kotflügel seines Autos und genoss für einen Moment die sensationelle Aussicht über das Rhein-MainGebiet. In diesem Moment summte sein Handy.

»Guten Morgen, Chef«, erklang die Stimme seiner neuen Kollegin PiaLuise Kirchhoff an seinem Ohr. »Tut mir leid, dass ich so früh störe.«

»Kein Problem«, erwiderte er, »ich bin schon auf den Beinen.«

»Das ist gut, wir kriegen nämlich Arbeit«, sagte Pia Kirchhoff. »Ein Winzer aus Hochheim hat heute Morgen die Leiche eines Mannes in seinem Weinberg gefunden. Ich bin schon dort. Es handelt sich um Selbstmord.«

»Aha. Wozu brauchen Sie mich dann?«, fragte Bodenstein.

»Bei dem Toten handelt es sich um jemanden, den Sie kennen«, Pia Kirchhoff senkte die Stimme, »nämlich um Oberstaatsanwalt Joachim Hardenbach.«

»Wie bitte?« Bodenstein richtete sich auf und spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. »Sind Sie sicher?«

Dr. Joachim Hardenbach war der wohl bekannteste Verbrecherjäger der Frankfurter Staatsanwaltschaft, gefürchtet als unbarmherziger und humorfreier Hardliner mit beträchtlichem politischen Ehrgeiz. Es war kein Geheimnis, dass er im Falle eines Wahlsieges der CDU bei der Bundestagswahl im September und dem damit verbundenen Umzug des derzeitigen hessischen Justizministers nach Berlin dessen Nachfolge antreten sollte. Bodenstein war fassungslos.

»Ja, das bin ich«, sagte Pia Kirchhoff. »Er hat sich mit einem Jagdgewehr in den Mund geschossen.«

Bodenstein sah Cosima, die mit schnellen Schritten über den Parkplatz auf ihn zukam.

»Ich bin in einer halben Stunde da«, sagte er zu seiner neuen Kollegin. »Wo finde ich Sie?«

»Was gibt's?«, erkundigte sich Cosima, als er das Gespräch beendet hatte, und blickte ihren Mann neugierig an. »Ist etwas passiert?«

»Allerdings.« Bodenstein öffnete ihr die Beifahrertür. »Oberstaatsanwalt Hardenbach hat sich erschossen. Unser Abschiedsfrühstück fällt leider aus.«

* * *

Auf der Fahrt nach Hochheim war Bodenstein schweigsam und versuchte sich auszumalen, welche Konsequenzen der Freitod des designierten hessischen Justizministers haben würde. Er kannte Hardenbach seit mehr als zwanzig Jahren, hatte in seiner Frankfurter Zeit regelmäßig mit dem Mann, der als überkorrekt und gnadenlos galt, zu tun gehabt. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte Hardenbach eine Frau und vier Kinder. Wie entsetzlich!

Trotz der frühen Stunde hatten sich an der Stelle, die Pia Kirchhoff ihm genannt hatte, bereits einige Schaulustige eingefunden. Mehrere Streifenwagen standen am Rande der Weinberge, und die uniformierten Kollegen hatten den Fundort der Leiche bereits weiträumig abgesperrt. Bodensteins Herz klopfte. Er war schon unzählige Male am Schauplatz von Verbrechen gewesen, hatte zahlreiche Leichen in allen Formen der Verstümmelung und allen Stadien der Verwesung gesehen, aber jedes Mal beschlich ihn dieses eigentümliche Gefühl. Er fragte sich zum wiederholten Mal, ob er eines Tages abgebrüht oder fatalistisch genug sein würde, um nichts mehr dabei zu empfinden, wenn er zum Fundort einer Leiche gerufen wurde.

Pia Kirchhoff sprach gerade mit dem Leiter der Spurensicherung, als sie ihren Chef mit unbewegter Miene den Weg zwischen den Weinstöcken herunterkommen sah, wie immer von Kopf bis Fuß korrekt gekleidet. Gestreiftes Hemd, Krawatte, heller Leinenanzug. Sie war mehr als gespannt darauf, wie es sein würde, mit ihm gemeinsam an einem Fall zu arbeiten. Bisher hatte sie kaum zehn Sätze mit ihm gewechselt.

»Guten Morgen«, sagte sie. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen den Sonntag verderbe, aber ich dachte, es wäre in diesem speziellen Fall besser, wenn Sie die Leitung der Ermittlung selbst übernehmen.«

»Guten Morgen«, erwiderte Bodenstein, »das ist schon in Ordnung. Ist es denn wirklich Hardenbach?«

Pia war mit knapp eins achtundsiebzig ziemlich groß, aber zu ihrem Chef musste sie aufblicken. Oliver von Bodenstein hätte bis zum tödlichen Flugzeugabsturz von JFK junior vor ein paar Jahren problemlos als dessen Double auftreten können.

»Ja«, sie nickte. »Von seinem Gesicht ist zwar nicht mehr viel übrig, aber er hatte seine Brieftasche bei sich.«

Bodenstein ging weiter, um sich die von einer Ladung Schrot grausam entstellte Leiche des Staatsanwalts anzusehen, die man bereits mit einem Tuch abgedeckt hatte. Die Kollegen von der Spurensicherung waren dabei, den Leichenfundort Zentimeter um Zentimeter zu untersuchen und zu fotografieren.

»Sind Sie Frau Kirchhoff?«, hörte Pia eine Stimme hinter sich und drehte sich um. Vor ihr stand eine schlanke Rothaarige und blickte sie neugierig an. Pia nickte.

»Cosima von Bodenstein.« Die Frau lächelte und hielt ihr die Hand hin. Pia ergriff sie überrascht. Sie war der Frau ihres Chefs bisher noch nicht begegnet, aber nach den Erzählungen ihrer Kollegen hatte sie sich Frau von Bodenstein als zickig und arrogant vorgestellt. Angeblich stammte Cosima von Bodenstein aus reicher Familie und schlug die meiste Zeit ihres Lebens mit irgendwelchen exotischen Weltreisen tot. Diesen Eindruck machte die Frau, die ihr jetzt in Jeans und T-Shirt gegenüberstand, allerdings überhaupt nicht.

»Freut mich, dass wir uns kennenlernen«, sagte Pia und fragte sich, was Frau von Bodenstein wohl um diese Uhrzeit am Fundort einer Leiche machte.

»Mich auch«, erklärte diese. »Leider muss ich gleich wieder weg, ich fliege um zehn nach Südamerika. Wir waren gerade auf dem Weg zum Flughafen, als Sie angerufen haben. Meinen Sie, ich kann auch mal kurz einen Blick auf die Leiche werfen?«

Pia musste sich anstrengen, damit sie die Frau nicht wie eine debile Zwölfjährige mit offenem Mund anstarrte. Offenbar war die Frau ihres Chefs ganz und gar nicht das vornehme Geschöpf, als das man sie ihr geschildert hatte. Cosima von Bodenstein bemerkte Pias Erstaunen und grinste amüsiert.

»Ich habe schon jede Menge Leichen gesehen«, erklärte sie. »Früher, als ich noch fest beim Fernsehen war, gehörte das zu meinem täglichen Brot. Blutige Körperteile auf der Autobahn und im Straßengraben verteilt. Einmal habe ich selbst den Kopf eines Toten gefunden, nach einem Motorradunfall oben am Feldberg.«

Pia war sprachlos.

»So habe ich übrigens meinen Mann kennengelernt«, verriet Cosima von Bodenstein. »Quasi zu Füßen eines Selbstmörders, der sich in seinem Büro aufgehängt hatte.«

Sie kicherte bei der Erinnerung.

»Ich war mit meinem Kamerateam da, und mein Mann war ganz frisch bei der Polizei. Es war seine erste Leiche, und er musste sich übergeben. Ich habe ihm ein Kleenex gereicht.«

Pia revidierte ihre vorgefasste Meinung über Frau von Bodenstein in Sekundenbruchteilen. Da kam Bodenstein zurück.

»Und?«, fragte seine Frau. »Ist es wirklich Hardenbach?«

»Ja, leider«, erwiderte Bodenstein und verzog das Gesicht. »Kannst du ein Taxi zum Flughafen nehmen? Das wird hier eine größere Sache.«

»Natürlich«, Cosima von Bodenstein warf einen Blick auf die Uhr. »Ich rufe dich an, bevor ich ins Flugzeug steige, okay?«

Pia entfernte sich diskret, damit ihr Chef von seiner Frau Abschied nehmen konnte. Es war ihr egal, dass ihr Oberstaatsanwalt Joachim Hardenbach mit seinem Drang, von eigener Hand aus dem Leben zu scheiden, den Sonntag ruiniert hatte. Das kurze Gespräch mit Cosima von Bodenstein wog alles auf. Ihr bisher so unnahbar wirkender Chef war also auch nur ein Mensch, der sich beim Anblick seiner ersten Leiche übergeben hatte. Diese Schwäche machte ihn in Pias Augen plötzlich sympathisch.

* * *

Die Witwe von Oberstaatsanwalt Joachim Hardenbach war nicht in der Lage, mit Bodenstein und Pia zu sprechen, nachdem diese ihr die schreckliche Nachricht vom Freitod ihres Mannes so einfühlsam wie möglich überbracht hatten. Sie hatten auch keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass die Frau ihren ersten Schock überwinden würde, denn kurz darauf klingelte Bodensteins Telefon. Unterhalb des Atzelbergturmes in Ruppertshain war die Leiche einer Frau gefunden worden.

Sie ließen Frau Hardenbach und ihre schluchzenden Kinder in der Obhut einer Nachbarin und eines befreundeten Arztes zurück und machten sich auf den Weg in den Taunus. Während der Fahrt telefonierte Bodenstein mit Kriminaldirektor Nierhoff, seinem direkten Vorgesetzten, versorgte diesen mit den notwendigen Details zum Fall Hardenbach und bat ihn, die für ein Uhr anberaumte Pressekonferenz im Frankfurter Polizeipräsidium zu leiten.

»Ich kann auch alleine nach Ruppertshain fahren«, bot Pia an, als Bodenstein das Gespräch beendet hatte. »Die Pressekonferenz ist doch sicherlich wichtiger ...«

»Nein, nein«, unterbrach Bodenstein sie schnell. »Der Kriminaldirektor und ich haben in Fällen wie diesen klare Arbeitsteilung vereinbart. Im Gegensatz zu mir mag er das Rampenlicht und macht so etwas gerne. Gerade bei so prominenten ... Kunden.«

(Continues…)


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Table of Contents

Die Autorin / Das Buch,
Titelseite,
Impressum,
Sonntag, 28. August 2005,
Montag, 29. August 2005,
Dienstag, 30. August 2005,
Mittwoch, 31. August 2005,
Donnerstag, 1. September 2005,
Freitag, 2. September 2005,
Samstag, 3. September 2005,
Sonntag, 4. September 2005,
Montag, 5. September 2005,
Dienstag, 6. September 2005,
Mittwoch, 7. September 2005,
Donnerstag, 8. September 2005,
Freitag, 9. September 2005,
Samstag, 10. September 2005,
Sonntag, 11. September 2005,
Danksagung,
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