Die verspielte Freiheit: Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik

Die Weimarer Republik gilt als erster Versuch Deutschlands, auf demokratischen Füßen zu stehen. Dem großen Historiker Hans Mommsen, bekannt dafür, "unbequeme Blicke auf die deutsche Geschichte" zu werfen (Franziska Augstein, SZ), gelang es in seinem bis heute wegweisenden Standardwerk, pointiert zu verdeutlichen, weshalb diese erste deutsche Demokratie keine reelle Chance hatte, sich zu etablieren. Zu sehr machten die verklärende Rückwärtsgewandtheit der Eliten, kompromisslose Parteien, der ökonomischer Frust und wachsender Populismus in der Bevölkerung dem jungen Staat zu schaffen - was der Machtentfaltung der NSDAP und dem Untergang der Republik den Weg bereitete. "Das Werk Hans Mommsens wird lange über seinen Tod hinaus Bestand haben. Er veröffentlichte eine Reihe wichtiger Bücher - "Die verspielte Freiheit" zählt zu meinen liebsten." Ian Kershaw, Die Zeit "Streitbar, unbequem und unendlich klug: Hans Mommsen war der bedeutendste deutsche Zeithistoriker. Er schreckte nie davor zurück, den Deutschen die Leviten zu lesen." Marc von Lüpke, Spiegel Online

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Die verspielte Freiheit: Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik

Die Weimarer Republik gilt als erster Versuch Deutschlands, auf demokratischen Füßen zu stehen. Dem großen Historiker Hans Mommsen, bekannt dafür, "unbequeme Blicke auf die deutsche Geschichte" zu werfen (Franziska Augstein, SZ), gelang es in seinem bis heute wegweisenden Standardwerk, pointiert zu verdeutlichen, weshalb diese erste deutsche Demokratie keine reelle Chance hatte, sich zu etablieren. Zu sehr machten die verklärende Rückwärtsgewandtheit der Eliten, kompromisslose Parteien, der ökonomischer Frust und wachsender Populismus in der Bevölkerung dem jungen Staat zu schaffen - was der Machtentfaltung der NSDAP und dem Untergang der Republik den Weg bereitete. "Das Werk Hans Mommsens wird lange über seinen Tod hinaus Bestand haben. Er veröffentlichte eine Reihe wichtiger Bücher - "Die verspielte Freiheit" zählt zu meinen liebsten." Ian Kershaw, Die Zeit "Streitbar, unbequem und unendlich klug: Hans Mommsen war der bedeutendste deutsche Zeithistoriker. Er schreckte nie davor zurück, den Deutschen die Leviten zu lesen." Marc von Lüpke, Spiegel Online

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Die Weimarer Republik gilt als erster Versuch Deutschlands, auf demokratischen Füßen zu stehen. Dem großen Historiker Hans Mommsen, bekannt dafür, "unbequeme Blicke auf die deutsche Geschichte" zu werfen (Franziska Augstein, SZ), gelang es in seinem bis heute wegweisenden Standardwerk, pointiert zu verdeutlichen, weshalb diese erste deutsche Demokratie keine reelle Chance hatte, sich zu etablieren. Zu sehr machten die verklärende Rückwärtsgewandtheit der Eliten, kompromisslose Parteien, der ökonomischer Frust und wachsender Populismus in der Bevölkerung dem jungen Staat zu schaffen - was der Machtentfaltung der NSDAP und dem Untergang der Republik den Weg bereitete. "Das Werk Hans Mommsens wird lange über seinen Tod hinaus Bestand haben. Er veröffentlichte eine Reihe wichtiger Bücher - "Die verspielte Freiheit" zählt zu meinen liebsten." Ian Kershaw, Die Zeit "Streitbar, unbequem und unendlich klug: Hans Mommsen war der bedeutendste deutsche Zeithistoriker. Er schreckte nie davor zurück, den Deutschen die Leviten zu lesen." Marc von Lüpke, Spiegel Online


Product Details

ISBN-13: 9783843718295
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 09/07/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 864
File size: 35 MB
Note: This product may take a few minutes to download.
Language: German

About the Author

Hans Mommsen, geboren 1930; Studium in Marburg und Tübingen; 1959 Promotion, Referent im Institut für Zeitgeschichte in München; 1963 bis 1968 wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg; 1968 Professor für Neuere Geschichte II an der Ruhr-Universität Bochum; Fellow des Institute for Advanced Study in Princeton und des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Gastprofessuren in den USA und in Israel. Publikationen zur mitteleuropäischen Arbeitsbewegung und zur politischen und sozialen Entwicklung Deutschlands in der Zwischenkriegszeit. Hans Mommsen verstarb am 5. November 2015.

Hans Mommsen, geboren 1930; Studium in Marburg und Tübingen; 1959 Promotion, Referent im Institut für Zeitgeschichte in München; 1963 bis 1968 wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg; 1968 Professor für Neuere Geschichte II an der Ruhr-Universität Bochum; Fellow des Institute for Advanced Study in Princeton und des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Gastprofessuren in den USA und in Israel. Publikationen zur mitteleuropäischen Arbeitsbewegung und zur politischen und sozialen Entwicklung Deutschlands in der Zwischenkriegszeit. Hans Mommsen verstarb am 5. November 2015.

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CHAPTER 1

DAS DEUTSCHE REICH AM AUSGANG DES ERSTEN WELTKRIEGES

Als das Deutsche Reich am 1. August 1914 mit der Kriegserklärung gegen das zaristische Rußland den seit langem befürchteten europäischen Krieg, der sich bald zum Weltkrieg ausweitete, unabwendbar machte, ahnten nur wenige, daß an dessen Ausgang der Zusammenbruch des wilhelminischen Kaiserreiches stehen würde. Die Kriegsbegeisterung der Massen, die vom Rausch des Patriotismus erfaßt wurden, schwemmte die Befürchtungen darüber hinweg, daß die Mittelmächte in einem Mehrfrontenkrieg aufgerieben werden könnten. Die Vorkämpfer des Antimilitarismus auf dem linken Flügel der Sozialdemokratie sahen sich plötzlich innerhalb der Arbeiterbewegung isoliert. Die innenpolitischen Gegensätze schienen angesichts der bevorstehenden Kriegsanstrengung weitgehend aufgehoben zu sein. Reichskanzler Bethmann Hollweg setzte sich gegen die Heißsporne unter den Militärs mit der Formel des »Burgfriedens« durch; zuvor hatten die Freien Gewerkschaften zugesichert, sich den deutschen Verteidigungsanstrengungen nicht in den Weg zu stellen. Wilhelm II. fand mit der Erklärung, er kenne keine Parteien mehr, er kenne nur noch Deutsche, allgemeine Zustimmung. Die Vorstellung, daß die Nation geeinigt in den ihr aufgezwungenen Abwehrkampf hineinginge, wurde von bürgerlichen Intellektuellen als beglückend empfunden und als Anfang einer nationalen Regeneration gefeiert.

Mit dem Fortgang des Krieges zerstoben die Illusionen, daß sich die gesellschaftlichen und politischen Gegensätze einfach vertagen ließen. Der »Burgfriede« bewirkte, daß der Reichstag zunächst nur ausnahmsweise zusammentrat, in der Regel, um anstehende Kriegskredite zu bewilligen, daß man bei Nachwahlen auf den Parteienwettbewerb verzichtete und die Parteien sich in der Öffentlichkeit zurückhielten. Dies hatte zur Folge, daß die frühzeitig aufbrechenden politischen Fronten in der Kriegsziel-Debatte zum Ausdruck kamen, die vor allem von Verbänden und selbsternannten Repräsentanten des Volkswillens geführt wurde. Sie weckte völlig übersteigerte Hoffnungen und abstrahierte von den begrenzten militärischen Ressourcen der Mittelmächte. Die extremen imperialistischen Wunschvorstellungen, die in unzähligen KriegszielDenkschriften festgeschrieben wurden, weil eine öffentliche Erörterung untersagt war, waren nur schwer abzubauen, als sich im Herbst 1916 herausstellte, daß der vielgeforderte »Siegfriede« in weite Ferne gerückt war.

Ebensowenig wie der Appell an die Einigkeit der Nation die inneren Brüche auf die Dauer verdeckte, blieb die chronische Führungskrise des wilhelminischen Systems, die den Weg in den Krieg erleichtert hatte, verborgen. Letztere verschärfte sich noch dadurch, daß die verfassungsrechtlich unzureichend eingebundene militärische Macht die zivile Reichsleitung, welche die politische Gesamtverantwortung trug – sowohl was die Spitzenentscheidungen als auch was deren Durchsetzung vor Ort anging – immer mehr beiseite drängte. Das seit der Daily-Telegraph-Affäre preisgegebene »persönliche Regiment« Wilhelms II. hinterließ ein Führungsvakuum, das sich unter den Bedingungen des Krieges in vieler Hinsicht als verhängnisvoll erwies. Denn gerade militärische Grundentscheidungen lagen noch immer in der Zuständigkeit des Kaisers, dem die notwendige politische Übersicht fehlte und der von der zivilen Führung abgeschirmt wurde. Daß gerade Bethmann Hollweg den Sturz Falkenhayns und die Übertragung der Obersten Heeresleitung an Paul von Hindenburg und dessen hochbegabten, aber durch nagenden Ehrgeiz geprägten Ersten Generalquartiermeister, Erich Ludendorff, betrieb, spiegelte die unzureichende innenpolitische Durchsetzungskraft der Reichsleitung. Nach dem Scheitern der Falkenhaynschen Ausblutungsstrategie vor Verdun war sich der Reichskanzler darüber klargeworden, daß die Mittelmächte den Krieg nicht einseitig für sich zu entscheiden vermochten. Er glaubte die öffentliche Meinung nur dann für einen Verständigungsfrieden gewinnen zu können, wenn er dafür die Unterstützung des wegen seines Sieges bei Tannenberg gefeierten Feldherrn besaß. Die Bildung der Dritten OHL bot zugleich die Chance, auf den in der Öffentlichkeit nachdrücklich geforderten unbeschränkten U-Boot-Krieg zu verzichten, der, wie Bethmann wohl wußte, die USA in den Weltkrieg hineinziehen und das Übergewicht der Gegner der Mittelmächte besiegeln würde.

Die Berufung Hindenburgs und Ludendorffs verstärkte deren gewaltiges Prestige in der deutschen Öffentlichkeit; es begründete eine Art »Ersatzkaisertum« durch die OHL und bedeutete die völlige Zurückdrängung des Monarchen aus dem politischen Entscheidungsprozeß. Hindenburg und Ludendorff griffen von Anfang an in die innere und äußere Politik selbstherrlich ein und errichteten eine schleichende Militärdiktatur. Die OHLstellte sich in der Frage der preußischen Wahlreform und der verfassungspolitischen Neuordnung im Reich auf die Seite der preußischen Konservativen, die jegliche Reform zumindest bis Kriegsende aufschieben wollten. Hauptziel des von ihr geforderten umfassenden Aufrüstungsprogramms war die rückhaltlose Ausschöpfung der Arbeitskräfteressourcen auf Kosten des zivilen Produktionssektors. Aus taktischen Erwägungen stimmte die OHL der parlamentarischen Verabschiedung des nach langen Verhandlungen mit den Gewerkschaften im Dezember 1916 eingebrachten Vaterländischen Hilfsdienstgesetzes zu. Entgegen den ursprünglichen Erwägungen Ludendorffs, die aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen mittels Oktroi unter Ausschaltung des Reichstages zu verwirklichen, hatten sich das Kriegsministerium und Wilhelm Groener, der Leiter des Kriegsamtes, für eine Verständigung mit den Gewerkschaften eingesetzt.

Bethmann Hollwegs Kalkül, mit der Deckung Hindenburgs und Ludendorffs den Weg eines Verhandlungsfriedens einschlagen zu können, erfüllte sich nicht. Das von ihm mit Mühe durchgebrachte Friedensangebot der Mittelmächte vom 12. Dezember 1916 war zu vage gehalten, um bei den Westmächten auf ernsthafte Resonanz zu stoßen. Dessen brüske Zurückweisung bedeutete eine schwere Niederlage für den Kanzler und räumte die politischen Widerstände gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg beiseite, den nun auch die OHL forderte, weil sie sich davon eine kriegsentscheidende Wende versprach. Um so wehrloser stand Bethmann den diktatorischen Machtansprüchen der OHL gegenüber. Immerhin raffte er sich noch einmal dazu auf, durch eine Initiative zur Reform des preußischen Wahlrechts die verkrusteten innenpolitischen Fronten wieder in Bewegung zu bringen und die von ihm verfolgte »Politik der Diagonale« zu realisieren. Aber über die Ankündigung einer nach dem Ende des Krieges eintretenden Wahlrechtsreform in der Osterbotschaft Wilhelms II. vom April 1917 gelangte er nicht hinaus.

Die hinhaltende Politik des Reichskanzlers, der klare Zusagen in der Frage der Parlamentarisierung unterließ, rief bei den bürgerlichen Parteien im Reichstag, aber auch bei der SPD den Eindruck hervor, daß unter Bethmann Hollweg eine Änderung der bloß dilatorischen Politik der Reichsleitung nicht erwartet werden konnte. Matthias Erzberger nutzte interne Informationen über die kritische militärische Lage Österreich-Ungarns zu einer offenen Polemik gegen den Reichskanzler. Seine Rede vor dem Hauptausschuß des Reichstages am 6. Juli 1917 zielte zugleich darauf, durch das grundsätzliche Bekenntnis zu einem Verhandlungsfrieden die psychologischen Voraussetzungen für eine verstärkte Kriegsanstrengung unter Einschluß der Arbeiterschaft zu schaffen. Im Zusammenhang damit kam es zur Bildung des Interfraktionellen Ausschusses, dem neben dem Zentrum, der Fortschrittlichen Volkspartei und der SPD die Nationalliberalen angehörten. Der Interfraktionelle Ausschuß fungierte bis zum Sturz des Kaiserreiches als parlamentarisches Koordinierungsinstrument, das die Interessen der Reichstagsmehrheit gegenüber der kaiserlichen Regierung und der OHL zum Ausdruck brachte.

Der sich bildenden Mehrheit im Interfraktionellen Ausschuß fehlte die letzte Konsequenz, die Bewilligung weiterer Kredite von der Durchsetzung der uneingeschränkten Parlamentarisierung abhängig zu machen. Selbst innerhalb der SPD überwogen die Bedenken, die volle parlamentarische Mitverantwortung zu verlangen. Sie verzichtete deshalb darauf, im Ausschuß eine Führungsrolle oder den Vorsitz zu beanspruchen. Die Mittelstellung, die sie zwischen indirekter Einflußnahme auf die Regierungsentscheidungen und Zugehörigkeit zur Opposition einnahm, entsprang der Rücksichtnahme auf ihren linken Flügel, vor allem aber auf die konkurrierende USPD, die sie bewußt aus dem informellen Parteienbündnis heraushielt. Auch die Initiative, die die Mehrheitsparteien mit der Verabschiedung der Friedensresolution ergriffen, wurde nicht zu Ende geführt. Die Rückkehr zu den Bedingungen des »Burgfriedens« und des Verteidigungskrieges, die damit angestrebt war, war auch von dem Motiv bestimmt, der SPD die sonst politisch untragbare Zustimmung zu den Kriegskrediten zu ermöglichen und damit die innere Verteidigungsbereitschaft des Reiches zu erhöhen. Die SPD reagierte auf das informelle Bündnis, das in mancher Hinsicht die spätere Weimarer Koalition vorwegnahm, mit Erleichterung. Es ersparte ihr, durch eine sonst unvermeidliche Ablehnung der Kriegskredite ins politische Abseits zu geraten und den inzwischen erlangten personellen Einfluß innerhalb des Regierungssystems preiszugeben.

Die halbherzige Politik der Mehrheitsparteien erreichte in mancher Hinsicht das Gegenteil zur angestrebten innenpolitischen Liberalisierung. Kurzsichtigkeit, zugleich die Überschätzung der Machtstellung der Reichstagsmehrheit brachten den Interfraktionellen Ausschuß in einen offenen Gegensatz zu Bethmann Hollweg, der aus Rücksichtnahme auf die Krone, aber auch aus seinem politischen Selbstverständnis heraus nicht bereit war, sich mit der Friedensresolution förmlich zu identifizieren, obwohl er in vieler Hinsicht mit ihrem sachlichen Inhalt übereinstimmte. Die Mehrheitsparteien honorierten seine Bemühungen nicht mehr, die Wahlrechtsreform in Preußen durchzusetzen, die schließlich vom Kaiser positiv beschieden wurde. Auf Initiative Erzbergers und mit nachdrücklicher Unterstützung Stresemanns ließen die Parlamentarier den Hof wissen, daß der Kanzler nicht mehr mit einer Mehrheit rechnen könne. Doch die entscheidende Aktion ging von der OHL aus, deren ultimative Rücktrittsdrohung den Sturz Bethmann Hollwegs erzwang.

Die Mehrheitsparteien hatten nicht bedacht, daß es wenig Sinn hatte, den Kanzler zu stürzen, bevor eine personelle Alternative in Sicht war. Erzbergers Liebäugeln mit Bernhard Fürst Bülow war fern aller Realität, weil dieser außenwie innenpolitisch nicht genügend Vertrauen besaß. So präsentierte die OHL unerwartet den Unterstaatssekretär im Kriegsernährungsamt, Georg Michaelis, ohne daß der Reichstag hinzugezogen worden wäre. Zwar brachte der Kanzlerwechsel personelle Umschichtungen in einigen Ressorts und stellte insofern eine Niederlage der mit der OHL verbündeten konservativen Kräfte dar, aber Michaelis war ein erklärter Gegner des von den Mehrheitsparteien nur halbherzig geforderten Übergangs zum parlamentarischen System. Die Bildung eines beratenden Siebener-Ausschusses, dem führende Parlamentarier angehörten, sowie die Einbeziehung einiger Mitglieder des Reichstages in die Reichsregierung stellten einen fragwürdigen Ersatz dafür dar.

Die Ernennung von Michaelis ohne die Einschaltung der Parteien des Interfraktionellen Ausschusses bedeutete für sie einen empfindlichen Prestigeverlust. Die Reformmehrheit des Interfraktionellen Ausschusses erwies sich gleichwohl als die einzige verläßliche politische Kraft gegenüber den Verbänden der politischen Rechten, die im Einvernehmen mit der OHLnun die offene Militärdiktatur ins Auge faßten. Durch die Gründung der Deutschen Vaterlandspartei, die faschistische Organisations- und Agitationsmethoden vorwegnahm, versuchten sie, ihren weitgesteckten außen- und innenpolitischen Zielen eine populistische Grundlage zu verschaffen.

Das semiparlamentarische System, das sich herausgebildet hatte, hinderte die Reichstagsmehrheit daran, ihr Gewicht bei der Besetzung von Führungspositionen zur Geltung zu bringen. Sie war zwar in der Lage, sich gegen Reichskanzler Michaelis durchzusetzen und dessen Rücktritt zu veranlassen, zumal auch die OHL einsah, daß dieser den Aufgaben des Kanzleramtes in keiner Weise gewachsen war, konnte aber keine Entscheidung über die Wahl des Nachfolgers herbeiführen. Erneut zeigte sich der chronische Mangel an qualifizierten Führungskräften, als sich schließlich nur der Zentrumspolitiker und bayerische Ministerpräsident Georg von Hertling dazu bereitfand, das Kanzleramt zu übernehmen. Von den ihm aufgetragenen Reformen wurde nur der kleinere Teil realisiert. Mit der Wahlrechtsvorlage im preußischen Abgeordnetenhaus scheiterte der Kanzler auf der ganzen Linie.

Die Frage, ob eine volle Parlamentarisierung und entschiedene Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Preußen die innere Stabilität des Kaiserreiches grundlegend gestärkt hätten, ist vermutlich falsch gestellt. Denn selbst die Parteien des Interfraktionellen Ausschusses ließen sich mit Halbheiten abspeisen, und zu keinem Zeitpunkt waren sie ernstlich entschlossen, das Mittel der Kreditverweigerung im innenpolitischen Kräftemessen einzusetzen. Vor allem aber blieb, solange der Krieg nicht offenkundig verloren war und die Siegesillusionen der Vaterlandspartei und des Unabhängigen Ausschusses für einen deutschen Frieden nicht verblaßt waren, die Stellung der OHL unüberwindlich, ja sie verstärkte sich noch aufgrund der Schwäche der Nachfolger Bethmann Hollwegs. Die Zurücksetzung von Reichsleitung und Reichstag wurde daran deutlich, daß die OHL ihnen den Rücktritt des Staatssekretärs des Äußeren, Richard von Kühlmann, aufzwingen konnte, dessen Stellung deshalb unhaltbar wurde, weil er öffentlich erklärt hatte, der Krieg könne nicht mehr allein mit militärischen Mitteln gewonnen werden.

Die Vetoposition, die die Oberste Heeresleitung im Hinblick auf die politischen Spitzenentscheidungen innehatte, war ungebrochen. Desgleichen hatte sich an der weitreichenden Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens nichts Wesentliches geändert, obwohl das preußische Kriegsministerium sich nachdrücklich um einen sozialen Ausgleich bemühte – im Unterschied zu den Stäben der OHL, die mit Aufgaben der zivilen Kriegführung befaßt waren. Da eine befriedigende verfassungsrechtliche Regelung fehlte, übten die Wehrkreisbefehlshaber die ihnen übertragene vollziehende Gewalt in den Armeekorpsbereichen nach Maßgabe des preußischen Gesetzes über die Handhabung des Belagerungszustands von 1851 aus. Es hing vom Gutdünken der Armeebefehlshaber ab, wie weit die Zensur, die Einschränkungen des Versammlungsrechts und die Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen im einzelnen reichten. Das preußische Kriegsministerium war im allgemeinen zur Kooperation mit den Gewerkschaften bereit, die sich ihrerseits bemühten, Konflikte in den Betrieben beizulegen. Dabei kam es nicht selten zu einem stillschweigenden Zusammengehen gegen linksoppositionelle Gruppen.

Das Vaterländische Hilfsdienstgesetz stärkte die Stellung der Gewerkschaften, die in den dort vorgesehenen Arbeiter- und Schlichtungsausschüssen vertreten waren. Allerdings geschah dies um den Preis, daß sie für die Beibehaltung der Kriegsanstrengungen, für Ruhe in den Betrieben und Streikverzicht zu sorgen hatten. Dies hinderte die Schwerindustrie nicht daran, bis in den Spätherbst 1918 hinein eine Revision des Hilfsdienstgesetzes zu fordern, da sie nicht bereit war, die Gewerkschaften als Tarifpartei anzuerkennen. Gerade weil die Gewerkschaften in weitem Umfang eingeschaltet wurden, um die immer unlösbarer erscheinende Lebensmittelversorgung sicherzustellen, waren sie in den Augen der Arbeiterschaft für die verheerende Ernährungslage mitverantwortlich. Diese spitzte sich schon im Winter 1916/17 verhängnisvoll zu und machte seit dem Sommer 1917 eine auch nur einigermaßen ausreichende Lebensmittelversorgung für die breiten Massen unmöglich, wobei selbst die Mittelschichten immer weniger in der Lage waren, die horrenden Schwarzmarktpreise zu zahlen, und nahezu ein Drittel der Agrarproduktion in behördlich nicht kontrollierte Kanäle gelangte. Trotz Lohnerhöhungen, die freilich beträchtliche regionale und branchenbedingte Unterschiede aufwiesen, hielten die Arbeitereinkommen mit der galoppierenden Inflation nicht Schritt; sie ließ sich durch Preisbindungsvorschriften nicht wirksam eindämmen. Seit 1917 kam es wegen mangelnder Brotrationen und unzureichender Belieferung immer wieder zu Streiks; desgleichen häuften sich Felddiebstähle und Mundraub.

(Continues…)


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