Die Tote im Wannsee

1968 – Wolf Heller ermittelt in politisch aufgeheizter Zeit

Rudi Dutschke, Uschi Obermaier, Willy Brandt, Axel Springer, Benno Ohnesorg - die Sechzigerjahre sind ihre Bühne, Berlin ist ihre Bühne. Es stand viel auf dem Spiel. Und Wolf Heller muss sich als junger Polizist in diesen Zeiten beweisen.

Wolf Heller interessiert sich eigentlich nicht für Politik, doch plötzlich ist alles politisch. Ohne es zu wollen, gerät er zwischen die Fronten. Die Polizei ist ein reaktionärer Haufen, Studenten demonstrieren lautstark in den Straßen, und seine Freundin Luise zieht in eine Kommune. Da wird eine junge Frau tot am Ufer des Wannsees gefunden. Nur die roten Schlangenlederschuhe geben einen brauchbaren Hinweis auf ihre Identität. Als der Kommissar ein Bild der Schuhe in einer Berliner Zeitung veröffentlichen lässt, meldet sich eine Kollegin der Toten: Heidi Gent arbeitete in Horst Mahlers Anwaltsbüro. Heller soll den Fall schnell abschließen. Auf der Polizei liegt noch der Schatten der Ermordung von Benno Ohnesorg, der Druck aus dem Schöneberger Rathaus ist enorm. Doch als er zufällig mitbekommt, dass sein Chef lautstark mit einem Unbekannten über die Tote streitet, lässt er nicht mehr locker. 

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Die Tote im Wannsee

1968 – Wolf Heller ermittelt in politisch aufgeheizter Zeit

Rudi Dutschke, Uschi Obermaier, Willy Brandt, Axel Springer, Benno Ohnesorg - die Sechzigerjahre sind ihre Bühne, Berlin ist ihre Bühne. Es stand viel auf dem Spiel. Und Wolf Heller muss sich als junger Polizist in diesen Zeiten beweisen.

Wolf Heller interessiert sich eigentlich nicht für Politik, doch plötzlich ist alles politisch. Ohne es zu wollen, gerät er zwischen die Fronten. Die Polizei ist ein reaktionärer Haufen, Studenten demonstrieren lautstark in den Straßen, und seine Freundin Luise zieht in eine Kommune. Da wird eine junge Frau tot am Ufer des Wannsees gefunden. Nur die roten Schlangenlederschuhe geben einen brauchbaren Hinweis auf ihre Identität. Als der Kommissar ein Bild der Schuhe in einer Berliner Zeitung veröffentlichen lässt, meldet sich eine Kollegin der Toten: Heidi Gent arbeitete in Horst Mahlers Anwaltsbüro. Heller soll den Fall schnell abschließen. Auf der Polizei liegt noch der Schatten der Ermordung von Benno Ohnesorg, der Druck aus dem Schöneberger Rathaus ist enorm. Doch als er zufällig mitbekommt, dass sein Chef lautstark mit einem Unbekannten über die Tote streitet, lässt er nicht mehr locker. 

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Die Tote im Wannsee

Die Tote im Wannsee

by Lutz Wilhelm Kellerhoff
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1968 – Wolf Heller ermittelt in politisch aufgeheizter Zeit

Rudi Dutschke, Uschi Obermaier, Willy Brandt, Axel Springer, Benno Ohnesorg - die Sechzigerjahre sind ihre Bühne, Berlin ist ihre Bühne. Es stand viel auf dem Spiel. Und Wolf Heller muss sich als junger Polizist in diesen Zeiten beweisen.

Wolf Heller interessiert sich eigentlich nicht für Politik, doch plötzlich ist alles politisch. Ohne es zu wollen, gerät er zwischen die Fronten. Die Polizei ist ein reaktionärer Haufen, Studenten demonstrieren lautstark in den Straßen, und seine Freundin Luise zieht in eine Kommune. Da wird eine junge Frau tot am Ufer des Wannsees gefunden. Nur die roten Schlangenlederschuhe geben einen brauchbaren Hinweis auf ihre Identität. Als der Kommissar ein Bild der Schuhe in einer Berliner Zeitung veröffentlichen lässt, meldet sich eine Kollegin der Toten: Heidi Gent arbeitete in Horst Mahlers Anwaltsbüro. Heller soll den Fall schnell abschließen. Auf der Polizei liegt noch der Schatten der Ermordung von Benno Ohnesorg, der Druck aus dem Schöneberger Rathaus ist enorm. Doch als er zufällig mitbekommt, dass sein Chef lautstark mit einem Unbekannten über die Tote streitet, lässt er nicht mehr locker. 


Product Details

ISBN-13: 9783843718288
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 08/10/2018
Series: Wolf Heller ermittelt , #1
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 384
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Martin Lutz (1969) und Sven Felix Kellerhoff (1971) sind von Beruf Journalisten. Uwe Wilhelm (1957) ist Drehbuchautor und Schriftsteller. Kriminalität, Geschichte und Geschichten sind schon seit Jahren ihre Passion. Alle drei leben in Berlin.
Martin Lutz (1969) und Sven Felix Kellerhoff (1971) sind von Beruf Journalisten. Uwe Wilhelm (1957) ist Drehbuchautor und Schriftsteller.Kriminalität, Geschichte und Geschichten sind schon seit Jahren ihre Passion. Alle drei leben in Berlin.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Eins

Freitag, 25. Oktober

Das ist also der Augenblick, in dem ich sterben werde, denkt sie. Da ist das Messer bereits achtmal in ihren Körper eingedrungen und legt nun eine kleine Pause ein. Ihr Atem rasselt, die Bronchien sind verstopft. Das Herz pumpt hektisch Blut aus den offenen Wunden. So lange, bis es kein Blut mehr gibt, das gepumpt werden kann. Was habe ich getan, dass ich sterben muss?

Sie ist wie immer freitagmittags zu der kleinen Laube am Rande der Schrebergartensiedlung gefahren. Diesmal ist sie zu früh da gewesen. Sie wollte die Zeit nutzen, um zu überlegen, wie sie es erklären kann. Dass sie Schluss machen muss. Weil sie genug hat von der Angst, dem Misstrauen, der Heimlichtuerei. Von der Gefahr, entdeckt zu werden. Ich werde weggehen. Weg aus Berlin, diesem Hexenkessel. Nach Kalifornien. Mit den Kindern. Neu anfangen. In ein kleines Dorf mit Hühnern und einem Garten, in dem ich Gemüse anbaue. Und drum herum Kühe und Pferde. Ich hab ja genug Geld gespart.

Das alles hat sie schon vor Tagen angekündigt. Die richtigen Worte liegen immer noch bereit. Aber für Gründe und Argumente ist es jetzt zu spät. Jetzt, wo sie in der Laube den kalten Boden unter sich spürt, wo es um sie herum feucht ist von ihrem Blut. Das Kleid ist hochgerutscht, und die schöne Strickweste aus dem KaDeWe ist zerschnitten. Der rechte Schuh ist vom Fuß gerutscht. Wo ist er? Wo ist mein Schuh? Sonderangebot, dreißig Mark bei Leiser in der Tauentzienstraße. Schlangenlederimitat. Der letzte Schrei. Sie friert.

Im Tagesspiegel hat sie gelesen, dass man einen hell leuchtenden Tunnel betritt, wenn man stirbt. Ist das so? Bisher ist nichts von einem Tunnel und einem Licht zu sehen. Und das ist auch gut so. Sie darf nicht sterben. Nicht wegen ihrer selbst, sondern wegen der Kinder, die am Grab stehen und weinen werden. Was soll aus ihnen werden, wenn sie nicht mehr ist? Sollen sie etwa bei Klaus bleiben?

Gerade bei ihm. Er mit seinen ewigen Verdächtigungen, seiner Wut, den Schlägen. Dabei hatten alle sie gewarnt. Der ist ein jähzorniger Typ, hat ihre Mutter am Tag der Hochzeit gesagt, der hat sich nicht unter Kontrolle, wenn er getrunken hat. Aber sie hatte die Stimmen ignoriert. Immer und immer wieder. Weil sie verliebt gewesen war. Bis über beide Ohren. Er hatte so gut ausgesehen, als sie sich kennenlernten, mit seinen schwarzen Locken, den braunen Augen und seinem spöttischen Lächeln. Am 13. August 1961. Sie erinnert sich genau an das Datum, weil keine Frau solche Tage vergisst. Und weil an dem Tag die Sektorengrenze abgeriegelt wurde. Erst nach der Geburt von Ralf und dann von Betty hatte sie bemerkt, dass in seinem Lächeln kein Spott, sondern Verachtung liegt. Verachtung für alles und jeden. Also muss sie für die Kinder am Leben bleiben, muss sie sich mit aller Kraft wehren.

Jetzt, wenn das Messer erneut in sie hineinsticht. Die Haut durchdringt und mit einem hässlichen Kratzen an Knochen entlanggleitet. Sie schreit. Windet sich. Greift mit der rechten Hand nach der Messerhand, hält sie fest. Drückt dagegen, versucht, die Waffe zur Seite abzulenken. Bis der Stahl zuletzt zwischen den Rippen hindurch in das Herz eindringt und die unermüdliche Arbeit des Muskels beendet.

Von diesem Augenblick an gibt es keine Rettung mehr. Die Impulse, die ihr Gehirn an Muskeln und Sehnen sendet, werden schwächer und schwächer. Tragen sie fort. In den Tunnel hinein, in dem es hell ist. Sehr hell. Eine Kakofonie von Tönen und Stimmen. Erinnerungen. Bald ist Weihnachten, im Büro ist das Fenster noch offen, der Arzt hat gesagt, es ist ein Ekzem, Vater unser, der du bist im Himmel, ich muss Geschenke kaufen, der Hund bellt die ganze Nacht, lieber Gott, hilf mir, wenn wir auf den Funkturm gehen, trinken wir Weiße mit Waldmeister.

Und dann atmet sie ein letztes Mal aus. Es wird still. Eine tröstliche, heilsame Dunkelheit umfängt sie.

Fahr in die Laube. Das Problem ist gelöst. Es war ein kurzer Anruf. Harry wusste sofort, was gemeint war. Er nahm den Autoschlüssel, murmelte beim Verlassen des Büros etwas von einer Verabredung, die er vergessen habe. Sein weißer BMW stand direkt vor dem Eingang zum Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Er raste los. Eine halbe Stunde, wenn er über die Stadtautobahn, dann die Heerstraße und den Nennhauser Damm fuhr. Die letzten Meter bis zur Kolonie Gartenbauverein Staaken v. 1922 dann zu Fuß. Zweihundert Meter südlich des Bahnübergangs Staaken, wo Güterzüge aus Westdeutschland nach West-Berlin abgefertigt wurden.

Als er die Tür zur Laube aufstieß, sah er sie. Sie lag rücklings, die Arme ausgebreitet, mit den Füßen zum Bett hin. Der Kopf in einer Lache aus geronnenem Blut. Die Augen offen, der Blick zur Decke gerichtet. Ihre Brille lag neben ihr. War sie tot? Natürlich war sie tot.

Tat sie ihm leid? Er spürte den Anflug eines ungewohnten Gefühls. Ja, ein wenig schon, sie war jung, sie war hübsch. Aber vor allem war da Angst, dass ihn jemand beobachten könnte. Er sah auf die Uhr, halb vier. Bald würden die ersten Schrebergärtner eintrudeln, um noch ein paar Stunden lang die Himbeeren zu schneiden, die Beete umzugraben.

Die Leiche musste weg. Sofort. Er nahm das Wachstuch vom Tisch, legte es auf den Fußboden, zog die Tote darauf und schlug die Seiten über ihr zusammen. Nahm zwei Seile aus dem Schrank, band eines in Höhe der Brust und eines in Höhe der Knie um sie herum. Die blutige Tatwaffe, die neben der Toten lag, ein Messer mit Holzgriff, wickelte er in eine Zeitung ein. Er musste es zusammen mit der Leiche verschwinden lassen. Dann schaute er aus dem Fenster. Niemand zu sehen. Gut so. Wenn er sich beeilte, würde alles gut werden.

Harry schulterte die Tote. Schloss die Tür hinter sich ab und ging los. Von Weitem sah er einen Mann auf einer Zündapp, der recht schnell auf die Kolonie zufuhr. Beeil dich, dachte er. Auf dem Parkplatz angekommen legte er Leiche und Messer in den Kofferraum seines BMW. Dann stieg er ein und gab Gas. Drehte den Kopf weg, als er dem Mopedfahrer auf der Kreuzung Finkenkruger Weg begegnete. Dann nach links abbiegen. Und dann die große Frage, wohin mit ihr.

Harry ärgerte sich, weil er nicht schon auf der Fahrt zur Laube darüber nachgedacht hatte. Aber da war ihm alles Mögliche durch den Kopf gegangen, nur das nicht. Er könnte die Leiche im Wald vergraben. Aber die Gefahr war zu groß, dass Tiere sie ausbuddelten. Er könnte sie zersägen und an die Tiere verfüttern. Auch zu riskant. Wenn etwas von ihr übrig bliebe, würden Spaziergänger es finden.

Als er die Kreuzung zur Teltower Straße erreichte, wusste er, was zu tun war. Er würde die Leiche auf die Insel Schwanenwerder bringen, die im Wannsee nördlich vom Strandbad lag und über eine Brücke mit dem Ufer verbunden war. Um diese Jahreszeit standen dort die meisten Villen leer. Er würde seine Fracht vor dem Anwesen des Zeitungszaren Axel Springer ablegen. Direkt vor dem Tor.

In der gegenwärtigen Stimmungslage würde die Polizei den Mord unweigerlich mit den radikalen Studenten in Verbindung bringen. Als Racheakt für Rudi Dutschke. Oder noch besser, die Polizei würde davon ausgehen, dass es sich bei der Toten um eine von Springers Liebschaften handelte. Davon gab es angeblich etliche. Das würde sogar zu den anderen abgestochenen Frauen der letzten eineinhalb Jahre passen. Derselbe Mörder. Ein Perverser aus der besseren Gesellschaft. Sticht sie ab und legt sie aus Wut vor Springers Anwesen. Zugegeben, es war nicht die Idee des Jahrzehnts, aber doch besser als alle anderen.

Auf der Havelchaussee kam er gut voran. Bis plötzlich nahe dem Grunewaldturm die Straße abgesperrt war. Blaulicht überall. Was war hier los? Kontrollierten sie die Fahrzeuge? Drei Wagen vor ihm. Keiner hinter ihm. Er könnte noch umdrehen und die Avus nehmen. Aber kaum hatte er den Rückwärtsgang eingelegt, hielten vier Autos hinter ihm. Was jetzt? Aussteigen und wegrennen? Was für ein idiotischer Gedanke. Die würden ihn anhand seines BMW ausfindig machen.

Er spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete. Bleib ruhig, dachte er. Das ist bestimmt ein Unfall, deswegen steht ein Krankenwagen da. Dann ging es weiter. Er passierte den Rettungswagen. Ein Mann mit Motorradhaube wurde eingeladen. Das rechte Bein war seltsam verdreht. Die Maschine lag im Graben. Dann war er vorbei. Glück gehabt. Er fuhr weiter, aber langsamer. Auf keinen Fall einen Unfall riskieren.

Zehn Minuten später erreichte er den Kronprinzessinnenweg, bog rechts in den Wannseebadweg ein und fluchte, als er nur noch dreihundert Meter von der Brücke nach Schwanenwerder entfernt war. Wegen Bauarbeiten gesperrt. Zwei Männer machten sich an dem Geländer zu schaffen. Ein schwarzer Mercedes mit Behördenkennzeichen kam von der Inselseite her. Die Arbeiter zogen die Absperrung beiseite, ließen den Wagen passieren und schoben die Absperrung wieder in die ursprüngliche Position zurück. Das würden sie in seinem Fall bestimmt auch so machen. Aber dann hätten sie sein Auto gesehen und würden sich später vielleicht daran erinnern. Der BMW 2000 C war auffällig, davon gab es in Berlin nicht viele.

Er musste eine andere Möglichkeit finden. Und zwar schnell. War da nicht ein Schild gewesen, das den Weg zum Berliner Yacht-Club wies? Er fuhr rückwärts. Als er bremste, rumpelte es im Kofferraum, als würde jemand von innen gegen den Deckel schlagen.

Montag, 28. Oktober

Vierzehn Tage lang waren in Berlin kein Mord, kein Totschlag und keine Selbsttötung gemeldet worden. Eine überraschend ruhige Zeit. Kommissar Wolf Heller hatte drei Wochen Bereitschaft bis auf einen Tag hinter sich gebracht. Bereitschaft bedeutete, als Kommissar des Kriminalreferats M in der Keithstraße, Unterabteilung Inspektion M I, Tötungsdelikte und erpresserischer Menschenraub, Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen. Es hatte schon Bereitschaften gegeben, da war er nicht aus den Klamotten gekommen, hatte sogar am Schreibtisch im Dienstzimmer im zweiten Stock geschlafen, das er sich mit seinem Kollegen Albert Doll teilte.

Die letzte Leiche hatten Doll und er am 14. Oktober gegen fünf Uhr morgens am Stuttgarter Platz in Augenschein genommen. Eine der vielen Prostituierten, die nachts dort standen, hatte um drei Uhr morgens die 110 angerufen, weil ein Mann mit einer Axt im Kopf vor der Lolita-Bar umhertaumelte. Wie ein Huhn, das, nachdem es geköpft worden ist, noch weiterflattert. Auf der Kreuzung Kantstraße/Kaiser-Friedrich-Straße war der Mann schließlich von einem Bus der BVG überrollt worden. Acht Personen kamen dabei zu Schaden. Weil der Kopf des Toten von dem Busreifen zerquetscht wurde und er keine Papiere bei sich trug, dauerte es zwei Tage, bis seine Identität festgestellt werden konnte. Rolf Garstig, 56, stadtbekannter Bauunternehmer, der sich gelegentlich am Stutti bei einer ebenfalls stadtbekannten Domina namens Madame de Sade in Behandlung begab. Allerdings war er in dieser Nacht nicht bei Claudia Müller, wie Madame de Sade mit bürgerlichem Namen hieß, gewesen. Eine Axt in einen Schädel zu schlagen, so erklärte sie dem Ermittlungsrichter, gehöre nicht zu ihrem Repertoire.

Tatsächlich war es die Ehefrau des Unternehmers gewesen, die in jener Nacht beschlossen hatte, dem Martyrium ihrer Ehe ein Ende zu bereiten. Sie war mit der hellblauen Pagode von der Villa in Dahlem an den Stuttgarter Platz gefahren, hatte gegen zwei Uhr dreißig ihrem Mann aufgelauert und ihm um zwei Uhr achtundfünfzig den Kopf gespalten. Anschließend war sie nach Hause gefahren, hatte eine Flasche Dom Pérignon Rosé von 1962 geköpft und ihre Befreiung gefeiert.

Heller und Doll waren ihr wegen eines gekauften Alibis auf die Spur gekommen. Als sie die Dame in ihrer schönen Villa festnehmen wollten, hatte sie sich im Keller bereits erhängt. Ihr Abschiedsbrief bot einen erschreckenden Einblick in die Abgründe einer bürgerlichen Idylle.

Da Heller Claudia seit der Grundschule kannte und früher so etwas wie ein großer Bruder für sie gewesen war, wartete er an diesem Vormittag des 28. Oktober gegenüber der Haftanstalt in der Alfredstraße, bis sie aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Er stand an seinen blauen Karmann-Ghia gelehnt. Den Kragen seines Kurzmantels hochgeschlagen, den Porkpie tief ins Gesicht gezogen, blätterte er in der Berliner Morgenpost vom Tag zuvor. Auf Seite fünf wurde berichtet, dass der Osten Dutzende Spione in West-Berlin postiert hätte. Angeblich ermunterten die Ost-Agenten die radikalen Studenten finanziell und ideologisch zur Randale.

Punkt zehn Uhr wurde das stählerne Tor geöffnet. Heraus trat eine kleine, zierliche Person mit dunkelblondem Haar und einem kleinen Paket in der Hand. Dass dieses unscheinbare Wesen sich nachts in einen Engel der Hölle verwandeln konnte, war kaum zu glauben. Verloren schaute sie sich um, bis sie Heller auf der anderen Straßenseite entdeckte.

»Nix zu tun, Heller?«, rief sie über die Straße hinweg.

Heller öffnete die Tür auf der Beifahrerseite. Claudia stieg ein, klaute ihm die Zigarette aus dem Mund und nahm einen tiefen Zug.

»Ick hab dir ja gleich gesagt, dass es seine Alte war. Er hat sie wie den letzten Dreck behandelt. An ihrer Stelle hätte ick den schon lange in seine Einzelteile zerlegt und im Garten vergraben.«

»Du hättest uns sagen sollen, dass du sie gesehen hast. Wenn wir nicht herausgefunden hätten, dass sie ihr Alibi gekauft hat, würdest du jetzt fünfzehn Jahre Urlaub antreten.«

»Ick hab doch jewusst, dass du fleißig bist und der Gerechtigkeit zum Sieg verhilfst.«

»Wie wäre es mit einer Umschulung?«

»Was meinst du? Brave Ehefrau?«

»Zum Beispiel.«

»Soll das ein Heiratsantrag werden?«

Heller lächelte.

»Bevor ick mich versklaven lasse, versklave ick lieber selbst und werde dafür auch noch bezahlt.«

Sie fuhren in Richtung Westen. Alt-Moabit, Gotzkowskybrücke, Helmholtzstraße. Vorbei an den bleichen Häusern, die notdürftig repariert worden waren. Den riesigen Lücken, die der Krieg gerissen hatte. Den jungen Bäumen, die man nach 1945 gepflanzt hatte und die sich schüchtern am Straßenrand in die Höhe reckten.

Heller lieferte Claudia in der Suarezstraße ab, wo sie zusammen mit ihrer Mutter eine Zweizimmerwohnung direkt neben der Feuerwache bewohnte. Seine Ermahnung, vorsichtig zu sein, wischte sie beiseite.

»Wieso soll ick? Ick hab ja dich.«

Bevor er zurück in die Keithstraße fuhr, gönnte er sich bei Heuwers in der Kaiser-Friedrich eine Currywurst mit Spezialsoße und schaute eine Weile dem Treiben auf der Straße zu. Obwohl er hier geboren war, fühlte er sich zuletzt mit jedem Tag fremder. Die Stadt entwickelte sich, seit der Osten die Mauer hochgezogen hatte, immer mehr zu einem riesigen, dreckigen Hinterhof. Überall alte und neue Nazis, gierige Geschäftemacher, korrupte Politiker. Und denen gegenüber Studenten, die den Staat abschaffen und eine kommunistische Diktatur errichten wollten. Im letzten Sommer war Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen worden, vor gut einem halben Jahr hatte Josef Erwin Bachmann drei Kugeln auf Rudi Dutschke abgefeuert. Bei der Vernehmung hatte Bachmann gefaselt, dass er eine Maschinenpistole hätte kaufen oder Dutschke hätte zersägen sollen.

Damit überhaupt noch jemand in diese Freiluft-Irrenanstalt kam, zahlte Bonn kräftig. Also machten sich all diejenigen auf den Weg nach Berlin, die zuhause in Tübingen und Köln oder Berchtesgaden nicht klarkamen, und kassierten dafür Geld vom Staat. Es war ein Wahnsinn. Und Heller hatte das Gefühl, dass der Wahnsinn sich ausbreitete und irgendwann auch ihn befallen würde. Er war zweiunddreißig Jahre alt, unverheiratet und wohnte in Kreuzberg bei einer Mutter von zwei Kindern zur Untermiete. In seinem Ausweis stand: eins zweiundachtzig groß, fünfundsiebzig Kilo schwer, blaue Augen, dunkles Haar. Die Frauen standen auf ihn.

Es hatte zu nieseln begonnen. Ein feiner Nebel, der sich auf die Straße, die Autos und die Seele legte. In den nächsten Monaten würde die Selbstmordrate ansteigen. Das Stoffverdeck seines Karmann-Ghia leckte auf der Beifahrerseite, weshalb sich dort auf der kunstledernen Sitzfläche eine kleine Pfütze gebildet hatte. Zuhause würde er das Verdeck mit Klebestreifen abdichten. Irgendwann war ein neues fällig.

Weil der Ku'damm wegen eines Feuerwehreinsatzes gesperrt war, nahm er die Kantstraße, was sich bald als Fehler herausstellte. Einmal pro Woche marschierten zweihundert bis dreihundert Studenten am Amerikahaus in der Hardenbergstraße vorbei, warfen Farbbeutel und Eier und riefen USA-SA-SS, Ho-Ho-Ho-Chi-Minh und andere Parolen. Wolf Heller wusste nicht, was damit gemeint war. Die Studenten schienen auf Krieg aus zu sein, als würden sie bedauern, beim letzten nicht dabei gewesen zu sein. Es ging gegen die Spießer, gegen die Amerikaner, gegen Vietnam. Und vor allem ging es gegen Axel Springer und die Bild-Zeitung.

Heller stellte den Wagen ab und sah dem Spektakel eine Weile zu. Hundert Beamte des Einsatzkommandos standen auf der »Spielwiese«, wie sie die Kreuzung Ku'damm und Joachimsthaler Straße direkt vor dem Café Kranzler nannten. In drei Reihen aufgestellt erwarteten sie die Studenten, die untereinander eingehakt wie eine Herde Ziegenböcke auf sie zustürmten. Polizisten wie Studenten stürzten zu Boden. Es kam zu Rempeleien, zu unbeholfenen Ringkämpfen. Als die Polizisten sich wieder gesammelt hatten, regnete es schwarze Gummiknüppel auf die Demonstranten herab, auf Köpfe, Arme, Beine. Die Studenten zogen sich zurück, die Polizisten rannten hinter ihnen her, kreisten sie ein und schlugen weiter zu, ließen einer lang angestauten Wut freien Lauf. Zwei Wasserwerfer fegten unschlüssig Herumstehende von der Straße, als wären sie Unrat, der im Rinnstein weggespült werden musste. Transparente und Plakate mit den Köpfen von Karl Marx, Che Guevara, Rosa Luxemburg wurden konfisziert. Heller fragte sich wie viele andere in der Stadt auch, ob die Studenten wirklich ernsthaft so etwas wie die DDR wollten. Wo Leute, die versuchten, das Land zu verlassen, an der Mauer erschossen wurden.

(Continues…)


Excerpted from "Die Tote im Wannsee"
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