Die Magnolienfrau: Eine wahre Geschichte übers Freisein und die große Liebe

Die Magnolienfrau: Eine wahre Geschichte übers Freisein und die große Liebe

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Die Magnolienfrau: Eine wahre Geschichte übers Freisein und die große Liebe

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Overview

Schon als kleines Kind wird Sabrina auf eine harte Probe gestellt. Jahrelang ans Gipsbett gefesselt, findet sie unter dem blühenden Magnolienbaum im Garten ihrer Großmutter Hoffnung und Trost. Die erwachsene Sabrina schließlich sucht auf abenteuerlichen Reisen ihren Weg zu innerer Freiheit. Vor allem die Exotik Indiens und die Einkehr in Ashrams faszinieren sie. In Gestalt des geheimnisvollen Shankar begegnet ihr die große Liebe. Doch ihr Glück ist nur von kurzer Dauer. Unschuldig landet Sabrina in einem der berüchtigtsten Gefängnisse Asiens. Wieder stößt sie an Grenzen, wieder wird sie in ihrer Freiheit beschnitten. Zudem ist sie schwanger, und ihre Gedanken kreisen einzig darum, wie sie entkommen kann. Doch der Blick auf die blühende Magnolie im Gefängnishof gibt ihr in dieser ausweglosen Situation Zuversicht. Wird ihr die Flucht gelingen?
In schillernden Farben und berührenden Szenen erzählt uns die Autorin die Geschichte ihres Lebens. Sie lässt uns auf packende Weise daran teilhaben, wie sie sich inneren und äußeren Herausforderungen immer wieder mutig stellt.


Product Details

ISBN-13: 9783843717403
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 04/06/2018
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 300
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Sabrina De Stefani (geb. 1964) ist ein Mensch mit vielen Wurzeln. Auf ihrer Suche nach sich selbst hat sie zahlreiche Länder bereist. Sie lebt heute in der Schweiz und arbeitet als Personalberaterin im Amt für Wirtschaft, wo sie sich auf die Integration schwieriger Fälle spezialisiert hat und wo ihr psychologisches Geschick und ihr unterstützendes Talent gefragt sind. Nach Ausbildungen in alternativen Heilmethoden eröffnete sie ihre Praxis für Spirituelle Partnerschafts- und Lebensberatung, in der sie Menschen in Krisensituationen zu neuen Perspektiven verhilft.

Sabrina De Stefani (geb. 1964) ist ein Mensch mit vielen Wurzeln. Auf ihrer Suche nach sich selbst hat sie zahlreiche Länder bereist. Sie lebt heute in der Schweiz und arbeitet als Personalberaterin im Amt für Wirtschaft, wo sie sich auf die Integration schwieriger Fälle spezialisiert hat und wo ihr psychologisches Geschick und ihr unterstützendes Talent gefragt sind. Nach Ausbildungen in alternativen Heilmethoden eröffnete sie ihre Praxis für Spirituelle Partnerschafts- und Lebensberatung, in der sie Menschen in Krisensituationen zu neuen Perspektiven verhilft.


Christiane Schlüter (Co-Autorin) (Jg. 1961) ist ev. Theologin und Journalistin. Nach zwölf Jahren als Zeitungs- und Zeitschriftenredakteurin machte sie sich 2004 als Dozentin und Buchautorin selbstständig. Ihre Bücher wie ‚Der innere Jakobsweg‘ oder ‚Kraftquellen für den Alltag‘ haben sich insgesamt über 250.000 Mal verkauft.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Das Versprechen

Wieder bin ich weinend aufgewacht. Mir ist heiß, etwasdrückt und scheuert mich wund. Ich will Luft holen, doch mein Brustkorb stößt an eine Schale, die ihn fest umschließt. Ich bin darin gefangen, von den Schultern bis zu den Beinen.

»Kind!« Oma beugt sich über mich. Ihre schmalen Hände streicheln mein verschwitztes Köpfchen, mit dem Taschentuch tupft sie mir die Tränen ab. Aber ich ziehe den Kopf weg. Ich will keine Berührung, alles ist mir zu nah, zu eng.

Die ersten drei Jahre meines Lebens habe ich im Gips verbracht. Jeden Dienstag schob mich meine Großmutter, bei der ich aufwuchs, in die Stadt, in die Praxis von Doktor Werner. Der hob mich aus dem umgebauten Kinderwagen, löste die Lederschnallen, die den Gips zusammenhielten, und prüfte mit den Fingerspitzen meine Wirbelsäule, sehr leicht, sehr vorsichtig. Ein Nicken, ein freundlich strenger Blick durch Brillengläser und zum Abschied die Ermahnung, mich nur zum Waschen und Wickeln herauszunehmen. Dann umschlossen mich die beiden Hälften wieder, und wir waren entlassen. Alle paar Monate aber wurde das Gipsbett erneuert.

Ich werde hochgehoben, jetzt öffnen sich die beiden Schalen, das kenne ich, dann werde ich gebadet. Doch diesmal ist es anders, wir sind nicht zu Hause, sondern bei dem weißgekleideten Mann mit der sanften Stimme. Er nimmt mich und setzt mich auf den Schoß einer fremden Frau. Gleich darauf fühle ich ein Streicheln auf meinem Rücken – es wird schnell warm und immer lastender. Ich weine nicht, ich spüre nur meinen Rücken, auf den sich mit dem Streicheln Schicht um Schicht häuft. Schließlich werde ich hingelegt, und nun senkt sich das Streicheln auch auf meinen Bauch, meine Brust bishinauf zum Hals. Auch hier wird es warm und schwer. Ich will weinen, doch ich bringe keinen Ton heraus.

Langsam wird das Schwere kalt und starr. Immer engerumschließt es mich, ich möchte mich wehren, doch die Frau hält meine Beine fest und Oma, hinter mir, die Arme. Jetzt weine ich doch, panisch drücke ich Brust und Bauch gegen das Starre, um Luft zu bekommen, und ich weine, bis ich keine Kraft mehr habe. Doch schon reißt ein neuer Schreck mich hoch: Etwas Spitzes, Glänzendes fährt dicht an meiner Seite entlang, und ich schreie, schreie. Krachend spaltet sich die harte Masse. »Gleich ist es vorbei!« Omas Stimme von Ferne. Auch an meinem Bauch frisst das Spitze ein Loch in die weiße Schicht – jetzt kann ich besser Luft holen. Zuletzt schiebt sich etwas Hartes gegen meine rechte Wange, so fällt mein Kopf nicht mehr zur Seite. Der Mann mit der Brille streichelt mir über das tränennasse Gesicht, Oma lässt meine Arme los, und dann legen sie mich mitsamt der festen Schale in den Kinderwagen. Unter einem grauen Himmel werde ich nach Hause geschoben.

Viele Jahre später erzählte meine Großmutter Johanna mir, dass die anderen Patienten sie jedes Mal böse ansahen, wenn sie mit mir das Behandlungszimmer verließ. Ihr waren die fremden Blicke egal. Sie wollte mich eines Tages ganz gerade laufen sehen, dafür tat sie alles.

Nicht nur in der Praxis, auch zu Hause wehrte ich mich verzweifelt gegen das Gipsbett. Aber ich mochte noch so sehr um mich schlagen und mit den Beinen strampeln, irgendwann schloss sich der harte Deckel doch wieder über mir. Dann versank ich in mein Inneres oder starrte blicklos gegen die weiß gekalkte Zimmerdecke. Oft schlief ich vor Erschöpfung ein, und meine Großmutter konnte endlich die Wohnküche putzen oder sich um Uroma Elfriede kümmern, ihre alte Mutter, die mit uns lebte.

Uroma vergaß schon viel und sah schlecht. Wenn sie mich im Kinderwagen spazieren schob, kamen wir manchmal nicht zurück, und meine Großmutter rannte aufgeregt die Straße hinunter: »Helft suchen! Die Elfriede ist mit dem Kind unterwegs!« Bis sie eine Handvoll Nachbarn zusammenhatte, die in alle Richtungen ausschwärmten. Einmal fand man uns spätabends am Ententeich, die Uroma schlafend auf der Bank und mich reglos im Kinderwagen daneben. Ab da durfte sie mich nicht mehr ausfahren. Nur halten durfte sie mich ganz kurz, morgens, wenn ich zum Waschen aus dem Gipsbett genommen wurde.

Ich bin ganz leicht, denn auf einmal sind die harten Schalen weg. Meine Füße ruhen auf Uromas Oberschenkeln. Sie umschlingt mich mit beiden Armen, und ich lasse mich gegenihre füllige, weiche Brust sinken, ich vergrabe mich darin wie in einer warmen Höhle. Es duftet so gut nach Holz und NiveaCreme. Bis Oma wieder nach mir fasst, denn das Badewasser ist fertig.

»Nimm mir das Kind nicht weg, Johanna.«

»Ich nehm's dir doch nicht weg, Mutter.«

»Nicht dass die uns das stehlen, dass wir es verlieren!«

»Aber wer soll uns die Kleine denn stehlen?«

»Die anderen Leute, böse Leute.«

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte meine verwitwete Urgroßmutter ihre Kinder, die damals fünfjährige Johanna und die kleine Schwester, allein lassen müssen, um im nahen Düsseldorf bei reichen Familien zu putzen. Immer war sie in Sorge gewesen: Wenn den Mädchen nun was passierte? Die Angst begleitete sie ein Leben lang.

»Unsere Sabrina stiehlt doch niemand«, sagte die erwachsene Johanna, meine Oma, dann zu ihrer Mutter. Doch meistens dauerte es, bis diese sich beruhigte. Unterdessen lag ich schon wieder im Gips und schaute ins Leere.

Im Frühling aber wurde alles leichter. Im Frühling blühte die lila Magnolie, die noch heute im großen Garten hinter dem Haus steht. Sobald die Sonne schien, fuhr meine Großmutter mich und das Gipsbett unter den Baum. Dort schob sie das Verdeck meines Kinderwagens zurück und setzte sich auf einen mitgebrachten Stuhl, Kartoffeln schälen. Von Zeit zu Zeit hörte ich sie tief aufseufzen. Ich hörte Taubengurren und das leise Geschnatter der Gänse, die im frischen Gras nach Futter suchten.

Meine Augen brauchen einen Moment, bis sie sich an das Licht gewöhnt haben. In zarten Strahlen fällt es durch einen Himmel aus lilafarbenen Blüten, es streichelt und wärmt mich an Wangen und Armen. Reglos liege ich da und schaue nach oben in diesen Blütenhimmel, der sich beschützend über mir wölbt. Manchmal bewegen sich die Zweige, und die Sonnenstrahlen zwischen den Blüten tanzen fröhlich auf und ab.

Wie lange liege ich hier schon? Ich weiß es nicht. Was ich spüre: dass es gut ist unter diesem Baum. Ich strecke die Arme aus und versuche die lila Blüten zu berühren. Meine Hände erreichen sie nicht, aber mein Blick schafft es. Er trägt mich hinaus und hoch in die Zweige. Der Baum nimmt mir Schmerz, Angst und Zorn, er öffnet mein Herz. Der blumige, leicht würzige Duft seiner Blüten trägt mich in eine andere Welt, weit weg von allem.

»Kind, wo bist du?«

Omas Stimme hinter mir.

Ich bin nicht da. Bin nicht in diesem eingezwängten Körper, der sich kein bisschen strecken und dehnen kann. Ich schwebe – warm, weich und frei.

»Sabrina, Liebes!«

Omas Gesicht schiebt sich zwischen mich und die Blüten, ihre Augen suchen meinen Blick. Die Verbindung zur anderen Welt zerreißt, und ich falle zurück in den bewegungslosen kleinen Körper, der wieder die feste Schale spürt. Oma nimmt ein heruntergefallenes Blütenblatt aus dem Kinderwagen, verstaut die geschälten Kartoffeln und schiebt mich ins Haus, Mittag essen.

Den ganzen Frühling und Sommer hindurch lag ich unter der Magnolie. Ich sah die lila Knospen wachsen und sich öffnen. Aufrecht und gerade standen die Blüten auf den Zweigen, die Kelche der Sonne zugewandt. Wie leicht sie waren und wie stark zugleich! Manchmal verirrte sich eine Biene oder Hummel in ihnen. Oder ein Eichhörnchen huschte wie ein Schatten vorüber. Das gehörte meiner Großmutter, sie hatte es gefangen und ihm ein rotes Bändchen angelegt.

Hier, unter diesem Baum, konnte ich vergessen, dass ich einen Körper hatte. Manchmal, wenn der Wind durch die Zweige fuhr, hörte ich die Blätter flüstern. Eines Tages bist du frei, flüsterten sie geheimnisvoll.

Wann das sein würde? Irgendwann. Ich müsse nur geduldig sein. Müsse warten und Vertrauen haben.

Das Wispern verstand ich, ohne die Worte zu kennen. Mein Blick hielt sich an der Magnolie fest. Ich spürte die Tränen auf meinen Wangen, und doch fühlte ich mich eins mit jeder Blüte, jedem Windhauch.

CHAPTER 2

Findelkind

Nach drei Jahren wurde ich vom Gipsbett erlöst. Die Röntgenbilder bewiesen es: Meine Wirbelsäule hatte sichgestreckt, der Rücken war gerade geworden.

»Sie dürfen die Kleine jetzt rausnehmen. Aber immer nur stundenweise.« Diesmal war Doktor Werner zufrieden.

Auf dem Heimweg malte meine Großmutter mir aus, wieschön nun alles würde. »Laufen kannst du, Sabrina. So wie dieOma! Das Gipsding, das pfeffern wir in die Ecke. Was wohl die Uroma dazu sagt? Und deine Mutter erst!« Dann lachte sie ihr dunkles, kräftiges Lachen. Das Lachen meiner Großmutter kam immer von ganz tief unten, man konnte es durch drei geschlossene Türen hören.

Und meine Mutter? Sie wohnte in Köln und kam nurmanchmal an den Wochenenden zu uns. Ich vermisste sie nicht, ich war ja bei Oma zu Hause. Wir gehörten zusammen, meine Großmutter und ich. Wir schliefen sogar nebeneinander in den Ehebetten, denn mein Großvater war im Krieg gestorben, wie mein Urgroßvater auch.

Ich liege ohne das Gipsbett auf dem Wohnzimmerteppich, auf einer Wolldecke. Oma kniet neben mir, sie hat eine Schürze über ihr gutes Kleid gebunden und streicht über meinen Bauch, über Schultern und Hüften. Zögernd lasse ich es geschehen, spüre ihre Hand auf meinem Pulli, meiner Strumpfhose. Mein Körper kennt kaum andere als die zweckmäßigen Berührungen beim Waschen, denn selten duldete ich mehr. Wie nackt und bloß bin ich jetzt, wie verletzlich ohne die harte Schale. Alles ist so unmittelbar – der Druck des Fußbodens durch den Teppich und die Wolldecke hindurch, Omas schmale Hände und meine eigenen, die sie nun auf meinen Bauch legt. Das bin ich? Es ist, als ob zwei Fremde sich begegnen.

»Guck, Sabrina«, sagt Oma und hebt ein wenig meine rechte Schulter, mein rechtes Becken vom Boden. »Du kannst dich drehen, kannst dich auf die Seite rollen.« Doch ich brauche Zeit, bis ich die Bewegungen begreife, zu denen sie mich locken will. Nur langsam wird mir klar: Ich bin nicht mehr eingezwängt. Ich kann mich jetzt nach allen Seiten ausstrecken und drehen. Ich kann tief atmen, ohne dass mein Brustkorb an den harten Deckel stößt. Wie ein Vogel im Käfig es zunächst nicht merkt, wenn das Türchen offen ist: Er flattert auch nicht gleich davon. Man muss ihn erst dazu bringen, muss ihm zeigen, dass er frei ist.

Im Kinderwagen durfte ich jetzt sitzen. Die neue Perspektivegefiel mir gut. Was da so alles an uns vorbeizog! Menschen auf Rädern, mit Kindern und Hunden. Enten, Schwäne, Bäume, Häuser, Autos ... Um mich zu stützen, polsterte meineGroßmutter den Wagen rechts und links mit Kissen aus, auf denen meine Ärmchen ruhten. So gingen wir nach Hilden einkaufen, immer zuerst zum Metzger. Während sie drinnen ihre Besorgungen erledigte, blieben draußen vor dem Laden oft Passanten bei mir stehen: »Guck mal, wie niedlich!«, »Diese Löckchen und die dunklen Kirschaugen! Das wird mal eine Schönheit.« Ich muss wohl allerliebst ausgesehen haben mit meinem weißen Angoramützchen und dem hellblauen Jäckchen, beides von Oma selbstgestrickt. Aber die Menschen waren mir unangenehm. Ich mochte nicht angeschaut werden und fühlte mich bedrängt. So machte ich es wie unter der Magnolie: Mein Blick suchte einen Punkt, an dem er sich festhalten konnte, einen Punkt jenseits dieser Leute, und ich beamte mich weg. Bis meine Großmutter endlich wieder herauskam und mir eine Wurstscheibe in die Hand drückte. »Wie eine Puppe aus Wachs hast du ausgesehen, Kind«, würde sie mir Jahre später erzählen. »Hast geradeaus geguckt und gar nichts mehr wahrgenommen.«

Geduldig übte sie jeden Tag weiter mit mir. Meine Atmung wurde langsam tiefer und der Schleier zwischen mir und derAußenwelt dünner. Viel klarer sah ich nun die Farben undGesichter. Ich traute mich, Dinge anzufassen. Die meisten berührte ich zum ersten Mal. Wie unterschiedlich sich alles anfühlte: der Samt meines Nickipullovers oder die unregelmäßige Oberfläche des gewebten Teppichs. Wenn ich bäuchlings auf ihm lag, konnte ich die Blumen sehen, die kunstvoll in alle vier Himmelsrichtungen wuchsen. Sie fühlten sich fest an und ein wenig rau. Vielleicht konnte ich sie mit etwas Abstand noch besser erkennen? Ich begann mich hochzustemmen.

Irgendwann ein Schrei: »Oh Gott, sie steht!« Ich hatte mich am Sofa hinaufgezogen, um mehr vom blauen Himmel draußen vorm Fenster zu sehen, und stand kippelig auf meinen eigenen Beinen. Meine Großmutter ging vor mir in die Knie, sie lachte mich an, streichelte mir immer wieder über den Kopf. »Mutter«, rief sie über die Schulter, »Mutter, das Kind kann stehen!«

»Pass auf, Johanna, dass nichts passiert«, klang Elfriedes Stimme aus der Küche. Meine Uroma kam nicht herein, warum auch. Sie konnte uns ja doch nicht sehen, war inzwischen blind und ängstigte sich mehr denn je. Am meisten fürchtete sie sich vor Astor, dem großen schwarzen Hund, der in seinem Zwinger auf dem Hof lebte, und vor den bösen Männern, die durch ihre Träume geisterten.

Oma ist mit Kochen beschäftigt, und ich steige vorsichtig die Treppe hinunter, ein Händchen immer schön am Geländer.Barfuß wackele ich hinaus in den Garten. Wieder ist Frühling. Dort in der Mitte steht mein geliebter Magnolienbaum, er ist über und über mit lila Blüten bedeckt. Plötzlich berührt etwas meine Hand: Ein rotes Käferchen mit schwarzen Punkten krabbelt mir über die Finger und weiter über den Handrücken, es schickt sich an, meinen Arm hinaufzulaufen. Ich halte den Arm in die Luft und sehe den Marienkäfer krabbeln. Wie das kitzelt! In dem Moment geschieht es: Ausgehend von diesem Kitzeln breitet sich etwas Helles in mir aus, leicht und weich fließt es durch den Körper bis in die Fingerspitzen und die Zehen, es füllt mich ganz aus und lässt mich Luft holen. Ich atme ein, so tief wie nie zuvor. Welch eine Entdeckung! Auf einmal ist da ein Körper, ein warmer, lebendiger Körper, der kann einen kleinen Käfer über sich laufen lassen und fühlen, wie es kitzelt. Der kann einatmen und ausatmen, ohne Enge, ohne Schmerz. Und dieser Körper gehört zu mir!

Ganz still bin ich und spüre, wie meine Seele jede Faser meines Körpers durchdringt. Die Sonne strahlt, die Magnolie leuchtet, und auch in mir leuchtet es. Ein großer Friede breitet sich aus: Ich bin in mich eingekehrt. Körper und Seele sind eins.

Ich wurde ein bewegungshungriges Kind. Als müsste ich alles nachholen, hüpfte ich schon bald die Treppen hinauf undhinunter und rannte im Garten umher. Wenn ich hinfiel, lief ich weinend ins Haus, bekam Jod aufs Knie und einen Bonbon zwischen die Lippen. »Ist nicht so schlimm, Kind. Da, kriegst ein Klümpchen.«

Samstagmorgens begleitete ich meine Großmutter zu Fuß nach Hilden, zwei Kilometer hin und zwei zurück. Ich war stets wie aus dem Ei gepellt: weiße Bluse, karierter Rock, weiße Strümpfe und schwarze Lackschuhe. Die langen schwarzenHaare ausgiebig gebürstet, zu Zöpfen geflochten oder alsKnoten auf dem Kopf festgezwirbelt: »Kind, halt doch mal still.« Wie ich diese Prozedur hasste!

Auch Oma machte sich fürs Einkaufen fein, sie war gelernte Schneiderin und eine Dame. Im Sommer ging sie nie ohne Sonnenschirm aus dem Haus. Wenn ich auf dem Rückweg müde wurde, bestellte sie ein Taxi.

Samstagnachmittags kamen die Kränzchenschwestern. Esgab Kaffee und Kuchen, später Fleischbrötchen mit Sekt, danach wieder Kaffee. Und Schnaps, bis alle johlten. Unterdessen saß ich artig am Tisch, baumelte mit den Beinen und langweilte mich zu Tode.

Manchmal wandten sich die Tanten mir zu: »Wie hübsch du bist!« Und zu Oma: »Das haste gut hingekriegt.«

Ich aber hasste es, so angestarrt zu werden. Ich wollte nurweg von den Kaffeetanten und ihrem Gequassel, weg von ihren hohen Stimmen, die mir in den Ohren gellten. Wieder suchte mein Blick einen Punkt, und ich träumte mich fort.

(Continues…)


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