Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf

Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf

by Oliver Pötzsch
Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf

Die Henkerstochter und der Rat der Zwölf

by Oliver Pötzsch

eBookGerman-language Edition (German-language Edition)

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Overview

Ein Henker als Serienmörder

Der Schongauer Henker Jakob Kuisl reist im Februar 1672 mit seiner Familie zum Scharfrichtertreffen nach München. Erstmals hat ihn der Rat der Zwölf dazu eingeladen – eine große Ehre. Kuisl hofft, unter den Ratsmitgliedern außerdem einen Ehemann für seine Tochter Barbara zu finden. Barbara ist verzweifelt: Sie ist ungewollt schwanger und traut sich nicht, ihre Notlage ihrem Vater zu offenbaren. Dann kommt in München eine Reihe von Morden an jungen Frauen ans Licht, und Kuisl wird um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten. Alle Morde tragen die Handschrift eines Scharfrichters. Der Verdacht fällt auf den Rat der Zwölf ...

Der siebte Band der beliebten Henkerstochter-Serie


Product Details

ISBN-13: 9783843715126
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 07/14/2017
Series: Die Henkerstochter-Saga , #7
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 688
File size: 5 MB
Language: German

About the Author

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, war jahrelang Filmautor beim Bayerischen Rundfunk und lebt heute als Autor in München. Seine historischen Romane um den Schongauer Henker Jakob Kuisl haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht. Er ist selbst ein Nachfahre der Kuisls, die 300 Jahre lang die berühmteste Henker-Dynastie Bayerns waren.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Mehr als zwanzig Jahre später. Schongau, 26. Januar, Anno Domini 1672

Es ist nicht so, dass er selbst schuld ist. Aber er macht es den anderen Kindern schon verdammt leicht.«

»Wie darf ich das verstehen?« Zornig sah Magdalena den alten Schongauer Schulleiter Hans Weininger an, der verlegen vor ihr stand und die Krempe seines Huts knetete. Dann ging ihr Blick hinunter zu ihrem Sohn Peter. Rotz und Blut liefen dem Neunjährigen aus der Nase, tropften auf sein einziges weißes Leinenhemd und hinterließen dort grünrote Schlieren. Peter schniefte und blickte starr vor sich hin, ganz offensichtlich bemühte er sich, die Tränen zurückzuhalten.

»Meint Ihr etwa, mein Sohn bittet die anderen darum, ihn zusammenzuschlagen?«, hakte Magdalena nun nach. »Ist es das, was Ihr sagen wollt?«

Sie standen vor dem Gebäude der Schongauer Lateinschule in der Münzgasse, einem düsteren Bau, dessen Kamin so windschief auf dem Dach saß, dass Magdalena befürchtete, er könne jeden Moment herunterfallen und sie alle drei erschlagen. Im Erdgeschoss befand sich die städtische Schlachterei, aus der es süßlich nach Blut und Fleisch stank. Ein trockener Wind pfiff durch die Gassen und wehte Magdalena vereinzelte Schneeflocken ins Gesicht. Es war bitterkalt, doch die Wut ließ sie innerlich erglühen.

»Das ist jetzt schon das dritte Mal in diesem Monat, dass ihn seine Schulkameraden so zurichten!«, schimpfte sie und deutete dabei auf Peter. »Warum prügelt Ihr diese Tunichtgute nicht mit der Rute einmal windelweich, damit sie wissen, wie sich das anfühlt?«

»Äh, ich komme ja immer erst hinterher dazu«, sagte der Schulleiter leise und starrte dabei auf seinen Hut, als würde er eine winzige Laus beobachten. »Deshalb weiß ich nicht, wer dahintersteckt.«

Natürlich weißt du es, dachte Magdalena. Vermutlich sind es die Berchtholdtkinder oder die Blagen vom Semer oder irgendwelche andere Fratzen, deren Väter im Rat sitzen.

»Vielleicht sollte Euer Sohn sich bei den Lateinaufgaben ein wenig zurückhalten«, schlug Hans Weininger nun vor. Er war ein dürrer, knochiger Mann, der am liebsten Kantaten sang und sich ansonsten hinter dem Schulkatheder versteckte. Magdalena kannte ihn seit ihrer Kindheit. Immerhin hatte Weininger einst in Ingolstadt Theologie und sogar ein wenig Jura studiert. Damit war er schon weit gebildeter als der versoffene Schulleiter der deutschen Schule nahe dem Friedhof, bei dem die ärmeren Kinder lediglich das Vaterunser und ein wenig Rechnen mit dem Holzschieber lernten. Dorthin ging Peters jüngerer Bruder Paul, wenn er nicht den Unterricht schwänzte und unten am Lech durch die Auen tollte.

»Die Buben mögen es eben nicht gern, wenn sie ein Kamerad ständig verbessert«, gab Weininger zu bedenken. »Vor allem dann nicht, wenn ... wenn, äh ...«

Er stockte. Doch Magdalena wusste auch so, was er sagen wollte.

»Vor allem dann nicht, wenn dieser Schlaumeier ein Henkersbalg ist«, ergänzte sie verbittert. »Dank auch recht schön. Ich weiß selbst, aus welcher Familie ich stamme.«

Mittlerweile hatte Magdalena sich fast daran gewöhnt, dass sie für die Schongauer auf immer und ewig die ehrlose Henkerstochter sein würde. Obwohl ihr Mann Simon vor schon fast zwei Jahren zum Stadtarzt ernannt worden war, machten die Leute noch einen Bogen um sie. Dass der Makel ihrer Abstammung auch auf ihre Kinder überging, schmerzte Magdalena jeden Tag.

Und es machte sie unglaublich wütend.

»Mein Sohn hat mehr im Kopf als sämtliche Patrizierkinder zusammen!«, wandte sie sich voller Zorn an den Schulleiter. »Wenn er irgendwann mal ein angesehener Arzt sein wird, dann sicher nicht wegen Eures erbärmlichen Unterrichts.«

Weininger zuckte zusammen, und Magdalena spürte, dass sie zu weit gegangen war.

»Wenn Ihr meint, dass Euer Sohn zu gut für mich und Schongau ist, dann schickt ihn doch auf eine andere Schule«, bemerkte er süffisant. »Zum Beispiel auf das Jesuitenkolleg in München. Wie ich hörte, habt Ihr ohnehin vor, in die große Stadt zu reisen.« Er lächelte. »Klopft dort ruhig an, und stellt Euren Junior vor. Mal sehen, was die Patres von ihm halten.«

Magdalena biss sich auf die Lippen. Weininger hatte sie an einem wunden Punkt erwischt. »Ihr wisst genau, dass das nicht geht«, erwiderte sie knapp. »Nicht mit seinem Großvater. Und nun gehabt Euch wohl, Herr Schulmeister

Sie ließ Hans Weininger stehen und stapfte mit Peter an der Hand die Münzgasse entlang, bis sie außer Sichtweite waren. Innerlich kochte sie. Und das nicht nur, weil sie einmal mehr erfahren hatte, was es hieß, die Tochter des Schongauer Scharfrichters zu sein. Diese Stadt war eine einzige brodelnde Gerüchteküche! Offenbar wusste ganz Schongau bereits, dass die Familie Kuisl verreisen würde.

Einen Monat war es nun her, dass Jakob Kuisl eine überaus wichtige Einladung erhalten hatte: Er war in den sogenannten Rat der Zwölf gewählt worden, das oberste Gremium der bayerischen Scharfrichterzunft. Schon nächste Woche, zu Mariä Lichtmess, würden sich die einflussreichsten Henker Bayerns in München versammeln, und Jakob Kuisl war aufgefordert worden, dort auch seine Familie vorzustellen. Magdalena hatte lange überlegt, ob sie diese Reise wirklich auf sich nehmen sollte. Die kleine Sophia, ihre Jüngste, war gerade mal etwas über ein Jahr alt, es war bitterkalt, die Flüsse teils vereist. Doch sie wusste, dass sie ihrem Vater den Wunsch nicht verwehren konnte. Im Grunde war es ohnehin mehr ein Befehl gewesen.

Und vielleicht ist es ja die letzte Reise in seinem Leben, dachte Magdalena. Unwillkürlich drückte sie Peters kleine Hand fester.

Ihr Vater war alt, fast sechzig. Immer noch war er ein gefürchteter Henker, seine letzte Hinrichtung lag erst wenige Wochen zurück – ein vagabundierender Straßendieb, dessen Überreste nun am Schongauer Galgen im Wind baumelten. Doch auch wenn Kuisl stark war wie ein Ochse und schlau wie ein Fuchs, so wurden seine Bewegungen doch allmählich langsamer, fahriger. In seinem Blick lag die Last der vergangenen Jahrzehnte, die Bürde des Großen Krieges und all die Schmach, die ihm als ehrlosem Scharfrichter seitdem widerfahren war. Magdalena ahnte: Die Einladung nach München war auch eine Wiedergutmachung für viele Jahre der Verachtung. Sie und die übrigen Familienmitglieder mussten den Vater begleiten, ob sie nun wollten oder nicht.

Um sich von diesen düsteren Gedanken abzulenken, blieb Magdalena stehen und tupfte Peter mit einem Tuch Blut und Rotz aus dem Gesicht. Ein dünnes rotes Rinnsal floss ihm aus der Nase und erinnerte sie an die erlittene Ungerechtigkeit. Ihr Sohn war noch blasser als sonst, an seinem rechten Auge begann bereits ein Veilchen zu blühen. Die teure Hose war an einem Bein zerfetzt und musste genäht werden.

»Warum schlägst du denn nicht zurück?«, fragte Magdalena verbittert ihren schmalen Ältesten, der unter dem dünnen Hemd sichtlich fror. »Deinem Bruder Paul wäre das nie passiert! Er ist ein Jahr jünger als du, und trotzdem nehmen sogar die Zehnjährigen vor ihm Reißaus. Warum kannst du dich nicht wehren?« Im gleichen Moment taten ihr diese Worte leid, doch es war zu spät. Peter wandte sich von ihr ab, sein kleiner dünner Körper versteifte sich.

»Sie waren zu fünft«, sagte er nach einer Weile leise. »Das hätte auch der Paul nicht geschafft.«

»Wer war es? Raus mit der Sprache! Der räudige Berchtholdt? Der kleine fette Seiler? Ich knöpf sie mir einzeln vor. Ich geh zu ihren Eltern und ...«

Peter schüttelte den Kopf, und Magdalena verstummte abrupt.

»Dann wird es nur noch schlimmer«, flüsterte er. »Sie sind so dumm. Sie haben bloß ihre Fäuste.« Er versuchte ein Lächeln. »Wenn sie mich schlagen, schließe ich einfach die Augen und denke an etwas Schönes. An die Bilder in der Altenstadter Kirche zum Beispiel oder an ein Gedicht von Ovid.«

Magdalena seufzte. Als sie und ihr Mann Simon ihren älteren Sohn auf die Schongauer Lateinschule schickten, hatten sie gewusst, dass es für Peter schwer werden würde. Zuvor war er im nahe gelegenen Oberammergau in die Schule gegangen, doch das war nur von kurzer Dauer gewesen. Als Sohn des hiesigen Stadtmedicus war Peter berechtigt, die hiesige Lateinschule zu besuchen, abgesehen davon war er klug, feinfühlig und künstlerisch begabt. Seine Zeichnungen und anatomischen Entwürfe verrieten großes Talent.

Aber er war eben auch der Enkel des Schongauer Henkers.

»Was hältst du davon, wenn wir deinem Vater einen Besuch abstatten?«, fragte Magdalena augenzwinkernd. Sie wusste, dass Peter am liebsten bei Simon in der Arztstube war. Dort lernte er vermutlich in einer Stunde mehr als in einer Woche beim tattrigen Weininger. Allerdings war Simon mit den vielen Fragen seines Ältesten oft ein wenig überfordert. Außerdem hatte Peter schon zweimal wertvolle anatomische Skizzen mit eigenen Zeichnungen verunziert – sehr zum Ärger des Vaters.

Peter nickte freudig und wischte sich den restlichen Rotz aus dem Gesicht. Hand in Hand eilten sie die vereiste Münzgasse hinauf zum Hoftorviertel, wo sich unweit des alten Schlosses Simons Praxis im Wohnhaus der Familie befand.

Als Magdalena vor dem frischgetünchten Fachwerkgebäude mit angebautem Stall und rückwärtigem Garten stand, erfüllte sie einmal mehr heimlicher Stolz. Es war noch nicht lange her, dass sie mit Simon und den Kindern unten im stinkenden Gerberviertel im Haus ihres Vaters gewohnt hatte. Nun residierten sie in der Stadt und zudem im Hoftorviertel, wo die reichen Bürger und Patrizier lebten.

Deren Kinder meinen Sohn verprügeln, dachte sie, und die Freude schwand so plötzlich wie Schnee in der Sonne. So wie die Berchtholdts früher mich und meine Geschwister. Wird sich das denn nie ändern?

Sie öffnete die Haustür und sah sofort, dass es für Simon heute ein langer Tag werden würde. Über ein halbes Dutzend Männer und Frauen warteten auf der Bank im düsteren Gang, mit triefenden Nasen, keuchendem Husten und fiebrigen Augen. Es stank nach Schweiß, Rauch und verbrannten Kräutern. Jetzt, Ende Januar, war die hohe Zeit der Erkältungskrankheiten. Oft kam es vor, dass Leute noch nachts an die Tür des Stadtmedicus klopften, weil sie ein wenig Thymian oder Bärenklau brauchten, um ihren Husten zu stillen. Außerdem ging zurzeit ein Fieber um, dem schon zwei Kinder und etliche Alte zum Opfer gefallen waren.

Magdalena grüßte die Patienten mit einem kurzen Nicken, dann ging sie an der Wohnstube mit dem Kachelofen vorbei. Links befand sich das ebenfalls beheizte Behandlungszimmer, eine ausgetretene Treppe führte hinauf in die Schlafkammern der Familie.

Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie zwei ältere Frauen auf der Bank miteinander tuschelten und dabei auf Peter zeigten. Sie vermutete, dass sie sich über das Henkersbalg mit schmutzigem Hemd und zerfetzter Hose das Maul zerrissen.

Und trotzdem gehen sie zu seinem Vater, dem Medicus, die falschen Schlangen!

Ohne die Frauen weiter zu beachten, betrat sie mit ihrem Sohn an der Hand das Behandlungszimmer. Das Getuschel hatte Magdalena so wütend gemacht, dass sie ganz vergaß anzuklopfen.

Der Anblick, der sich ihr nun in der mit Regalen und Truhen vollgestellten Kammer bot, ließ sie abrupt zurückweichen.

Mit heruntergezogenen Hosen beugte sich eben der Ratsherr und Tuchhändler Josef Seiler über den Tisch in der Mitte des Zimmers. Auf seinem Hintern funkelte ein dickes rotes Furunkel, das leuchtete wie ein Stern in der Nacht. Simon stand mit erhobenem Skalpell daneben und war eben im Begriff zuzustechen.

Es fiel Magdalena schwer, ein Lachen zu unterdrücken. Der fette Seiler schnaufte wie ein alter Keiler, ganz offensichtlich hatte er noch nicht gemerkt, dass jemand den Raum betreten hatte. Magdalena musste daran denken, dass vermutlich auch Josef Seilers Bub unter denen gewesen war, die ihren Sohn vorhin verprügelt hatten. Und nun stand der Vater hier mit heruntergelassenen Hosen und nacktem Arsch, ausgestellt wie für eine Tracht Prügel.

Verdattert blickte Simon hinüber zu seiner Frau, die sich die Hand vor den Mund hielt.

»Äh, entschuldigt mich kurz«, wandte er sich an Seiler.

Hastig legte er das Skalpell weg und ging hinüber zur Tür. »Bist du wahnsinnig?«, zischte Simon Magdalena zu. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht während meiner Arbeit in ...«

»Es geht um deinen Sohn hier«, unterbrach ihn Magdalena leise und deutete auf Peter. »Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass er blutet.«

Simon sah kurz hinunter zu Peter, der mit sichtlich medizinischem Interesse das rote Furunkel auf Seilers Hintern musterte. Ärgerlich zuckte der Medicus mit den Schultern. »Eine Prügelei unter Jungs ist doch nichts Ernstes. Jedenfalls nichts, was nicht warten könnte.«

»Dein Sohn blutet«, erwiderte Magdalena, jetzt schon ein wenig lauter. »Wie wäre es, wenn der Herr Doktor ihn sich wenigstens anschauen würde? Oder ist dir der Arsch vom Seiler wichtiger als die Nase deines Ältesten?«

»Sind wir schon fertig?«, fragte von weiter hinten Josef Seiler, der immer noch über dem Tisch hing und das leise Gespräch offenbar nicht mitgehört hatte. »Ich hab gar nichts gespürt.«

»Äh, ich suche noch eine Salbe, die Eure Schmerzen lindert«, sagte Simon. »Einen Augenblick noch, mein Bester. Ich bin gleich wieder bei Euch.« Er schob Magdalena und Peter hinaus auf den Gang, wo die wartenden Patienten sie wie zwei bunte Vögel anstarrten.

»Ich kann jetzt nicht, das siehst du doch«, flüsterte er.

»Ist es denn zu viel verlangt, dass du deinen Sohn kurz in Augenschein nimmst?«

Simon seufzte, dann beugte er sich hinunter zu Peter und betrachtete oberflächlich seine Nase. »Sie ist nicht gebrochen, das ist die Hauptsache. Er soll sich Hirtentäschel in die Nasenlöcher stopfen. Das stoppt die Blutung.« Er richtete sich auf und sah sich suchend um. »Wo hast du denn die Sophia gelassen?« Sein Blick verdüsterte sich. »Doch nicht etwa wieder beim Großvater?«

Magdalena zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich denn tun sollen? Der Weininger hat zwei Buben geschickt mit der Bitte, ich soll schleunigst zur Schule kommen. Draußen ist es bitterkalt. Ich konnte sie so schnell nicht mitnehmen.«

»Dann wollen wir beten, dass dein Vater mit ihr keinen Unsinn anstellt. Du weißt doch, er ist nicht gerade eine brauchbare Amme. Vor allem dann nicht, wenn Paul bei ihm ist. Wer weiß, was dem Buben wieder mit Sophia einfällt.« Simon hob den Finger. »Denk nur an die Schlittenfahrt letzte Woche am Peitinger Schlossberg.«

Magdalena verdrehte die Augen. Simons Angst, dass ihrer Tochter etwas zustoßen könnte, ging ihr manchmal zu weit. Die Sorgen ihres Gatten mochten davon herrühren, dass sie schon einmal ein kleines Mädchen nach nur wenigen Monaten verloren hatten. Über fünf Jahre war das nun her, es hatte lange gedauert, bis Magdalena wieder schwanger war. Und Sophia war der ganze Stolz ihres Vaters.

Auch wenn sie diesen Makel besitzt, der die Leute tuscheln lässt, dachte Magdalena.

Sie sah hinüber zu den Patienten, allesamt alte Weiber und Männer, die ganz offensichtlich freudig auf eine Fortsetzung des Ehestreits warteten.

»Vielleicht hast du Sophia ja auch nicht mitgenommen, weil du nicht willst, dass man in der Stadt über sie redet«, mutmaßte Simon mit gepresster Stimme. »Weil du dich mit ihr schämst.«

»Was ... was redest du da für einen Unsinn!«, fuhr Magdalena auf. »Ist das wirklich dein Ernst?« Nun war es ihr plötzlich egal, ob die Leute sie hören konnten. Die beiden Weiber begannen erneut zu tuscheln.

»Ach, geht doch allesamt zum Teufel!«, zischte sie. Mit lauter Stimme wandte sie sich zur Tür zum Behandlungszimmer, die einen Spaltbreit offen stand: »Einen schönen Tag noch, Herr Ratsherr! Und grüßt mir Euren prügelnden Sohn. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, werde ich ihm ebenso die Hosen runterziehen wie mein Mann Euch.«

Sie packte Peter an der Hand und drehte sich wortlos um, während ihr Simon mit offenem Mund hinterherstarrte.

Schon während sie mit schnellen Schritten an den verwunderten Patienten nach draußen eilte, bereute Magdalena ihre Worte. Sie konnte förmlich die Blicke der Leute im Rücken spüren. Warum war sie auch immer so jähzornig! Eine Eigenschaft, die sie von ihrem Vater geerbt hatte und die sie beinahe so oft wie ihn in Schwierigkeiten brachte. Doch ihr Wutausbruch ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Gut möglich, dass Simon dadurch einen betuchten Patienten verloren hatte. Und das, wo er eben dabei war, sich als Stadtmedicus auch bei den Patriziern durchzusetzen. Es war schwer, die Pacht jeden Monat aufs Neue zu verdienen. Sie hätte sich ohrfeigen können! Andererseits – wie konnte Simon nur annehmen, sie wollte sich nicht mit ihrer Tochter sehen lassen? Mit dem Kind, das sie über alles liebte?

(Continues…)



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