Die Frauen von Long Island: Roman

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eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Der Sommer der Frauen.

Maggie hat alle Mühe, für sich und ihre kleine Tochter zu sorgen. Dann erbt sie ein Strandhaus in den Hamptons und könnte auf einen Schlag alle Probleme los sein – sofern sie sich um die darin lebende 82-jährige Edith kümmert, die an Alzheimer erkrankt ist. Doch Edith hat überhaupt keine Lust, ihr Heim mit einer schlechtgekleideten Fremden und einem trotzigen Kleinkind zu teilen. Dann verschlimmert sich ihr Zustand, und in ihrer Not ihre Erinnerung zu verlieren, lässt sie es zu, dass Maggie ihr hilft ein Geheimnis ihrer Vergangenheit zu lüften. Und so erleben die so unterschiedlichen Frauen einen einzigartigen Sommer der Neuanfänge ...

“Ein tragikomischer Lesegenuss und eine köstliche literarische Hühnersuppe für die Seele.“ Mary Kay Andrews.


Product Details

ISBN-13: 9783841214768
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 04/13/2018
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 400
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Zoe Fishman arbeitete jahrelang in der New Yorker Verlagswelt, bevor sie mit ihrer Familie nach Atlanta zog und zu schreiben begann. Ihre Vorgängerromane wurden hochgelobt und vielfach ausgezeichnet. Zurzeit lehrt sie Kreatives Schreiben und schreibt ihren nächsten Roman.  


Annette Hahn studierte Englische Literaturwissenschaft und Literarische Übersetzung in München und lebt heute in Münster. Sie übertrug Graeme Simsion, Anne Fortier, Zoe Fishman und Elise Hooper ins Deutsche.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Ein Haus am Meer, wiederholte Maggie in Gedanken und trat benommen durch die Drehtür des Bürogebäudes in das Feierabendgewimmel von Manhattan hinaus.

Ein Haus in Sag Harbor. Allein die Worte Sag Harbor beschworen Bilder eines ihr bislang unbekannten Lebens herauf. Sanddünen und Wellen, Seetang und Bauernmärkte, reiche Frauen mit sonnenverwöhntem Teint und künstlich gestraffter Haut ... »Sind Sie sicher?«, hatte sie den Anwalt ungläubig gefragt.

»Ja, Miss Sheets«, erwiderte der mit freundlichem Lächeln und tippte mehrfach auf das Testament. »Hier steht es, schwarz auf weiß. Sie wollte, dass Sie es bekommen.«

Maggie konnte es immer noch nicht fassen und schüttelte den Kopf. Seit über vier Jahren hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Das ergab einfach keinen Sinn.

»Sag Harbor ist wundervoll, Miss Sheets. Ein Küstenort mit dem Ambiente von New York.«

»Haben Sie da auch ein Haus?«, erkundigte sie sich, obwohl es ihr im Grunde gleichgültig war.

»Wir haben eins im Norden. Meine Frau hasst Sand.«

Maggie nickte automatisch. Es sagt viel über einen Menschen aus, wenn er Sand hasst, dachte sie. Sie selbst hasste Sand schon aus Prinzip, weil er in jede Unebenheit eines Holzbodens kroch, sich in nassen, grießigen Haufen in der Badewanne sammelte und als trockener Staub in den Knitterfalten der Bettlaken. Wo Sand hinkam, kriegte man ihn nicht mehr weg. Ihn aber zu hassen, wenn man für seinen Lebensunterhalt nicht putzen ging (und stattdessen vermutlich jemanden wie Maggie dafür bezahlte), war etwas anderes.

»Aber zurück zu Ihnen«, fuhr der Anwalt fort. »Zu dem Haus in Sag Harbor kommt noch etwas hinzu.«

»Noch was?«

»Besser gesagt: noch jemand ...«

Maggie seufzte. Natürlich ... »Die Mutter«, sagte sie resigniert.

»Genau ... Dann kennen Sie Edith?«

»Kennen? So würde ich es nicht ausdrücken. Wir haben uns ein Mal gesehen.«

»Aber Sie wissen, dass sie bei Liza wohnte, als sie verstarb.« Verstarb ... Das Wort klang falsch, dachte Maggie. Liza hatte sich umgebracht.

»Ja, das weiß ich.« Sie sah zu Boden und fragte sich, wie es Edith nach dem Tod ihrer Tochter nun wohl ging. Bei ihrer ersten Begegnung war Maggie von der alten Dame nicht gerade begeistert gewesen – sie hatten gemeinsam zu Mittag gegessen, und Edith hatte Maggie wie eine Bedienstete behandelt, obwohl Liza mehrfach erklärt hatte, dass sie vor allem Freundinnen seien. Dennoch sollte keine Mutter den Tod ihres eigenen Kindes erleben müssen.

Der Anwalt faltete die Hände auf seinem Schreibtisch. »Vor kurzem ist bei Edith Alzheimer diagnostiziert worden.«

»O nein«, sagte Maggie. »Ich hatte keine Ahnung ... Liza und ich ... wir hatten seit einer Weile keinen Kontakt mehr.«

»Die Diagnose besteht auch noch nicht lange. Um genau zu sein, wusste Liza es seit zwei Monaten.«

Maggie rieb sich die Schläfen. Das alles war schwer zu fassen.

»Tut mir leid, aber wäre jemand aus der Familie nicht besser geeignet, sich um sie zu kümmern? Ich putze Häuser und Wohnungen, Mr. Barnes. Ich kann nicht ... ich habe noch nie einen älteren Menschen betreut. Davon habe ich keine Ahnung.«

Der Tod ihrer eigenen Mutter lag schon Jahre zurück, und ihr Vater hatte bald darauf ein neues Leben mit einer neuen Familie und neuen Kindern begonnen – von denen sie keines je gesehen hatte, fiel ihr nun ein, geschweige denn, dass sie sich dafür interessiert hätte. Sie dachte an all die Male, die Liza sie für ihre finanzielle Sorglosigkeit gerügt hatte, für ihr Beziehungschaos, ihren mangelnden Ehrgeiz ... dafür, dass sie im Februar eine Jeansjacke trug. Warum hatte Liza ausgerechnet sie für diese Aufgabe ausgewählt?

»Ich fürchte, nein. Edith ist die einzig Verbliebene der Familie, und Liza war ein Einzelkind.«

»Und was ist, wenn ich das Haus nicht nehme? Was passiert dann damit? Und mit Edith?«

»Das Haus wird verkauft und Edith in einem nahe gelegenen Pflegeheim untergebracht«, antwortete er.

»Und das wollte Liza nicht.«

»Nein.«

Maggie überlegte, wann Liza das Testament wohl gemacht und ob sie zu dem Zeitpunkt schon gewusst hatte, dass sie sich das Leben nehmen würde. Die Vorstellung, wie Liza in ihrer alten Wohnung am Schreibtisch saß, ihre geliebten Erdnussbutterplätzchen knabberte, deren Krümel oft an den unmöglichsten Stellen herumlagen, dazu Cola Light aus der Dose trank, was einen dieser schwer entfernbaren Ringe auf der Tischplatte hinterließ, und beschloss, ausgerechnet Maggie all ihr Hab und Gut zu hinterlassen, versetzte ihr einen Stich.

»Würde es dich umbringen, einen Untersetzer zu benutzen?«, hatte sie Liza irgendwann einmal gefragt.

»Ja, würde es«, hatte die geantwortet, ohne von ihrem Buch aufzusehen, als Maggie beim Staubsaugen vor dem Sofa innegehalten und auf den ringförmigen Fleck auf dem Couchtisch gezeigt hatte. Jetzt kam ihr die Wortwahl von damals gedankenlos vor.

Von Lizas Tod hatte sie nicht etwa durch gemeinsame Bekannte erfahren – vier Jahre nach dem Ende ihrer Freundschaft waren davon keine mehr übrig –, sondern online, im Bett, beim Durchscrollen der Schlagzeilen.

Danach war sie tagelang wie betäubt durch ihr Leben gestolpert, den Kopf voller Erinnerungen. Und dann hörte sie überraschend die Nachricht des Anwalts in ihrer Mailbox, sie möge doch bitte vorbeikommen, er habe etwas mit ihr zu besprechen. Sie konnte es immer noch nicht glauben – nichts von alldem. Liza hatte so viele Leute gekannt ... Warum hatte sie ausgerechnet Maggie auserwählt, ihr Erbe anzutreten? War das womöglich ihre Art, sich zu entschuldigen? Nein, das wäre als Geste viel zu dramatisch gewesen, zu übertrieben für die Situation. Und wer wusste schon, ob es überhaupt als Entschuldigung gemeint war?

Ganz gleich, was Lizas Beweggründe gewesen sein mochten, es war offensichtlich, was dieses Angebot bedeutete: mietfreies Wohnen sowie ein beachtliches monatliches Einkommen – und das weit über die absehbare Zukunft hinaus. Mit anderen Worten: Sicherheit für ihre Tochter Lucy. Als Maggie nur für den eigenen Lebensunterhalt geputzt hatte, war das ja eine Sache gewesen, aber jetzt, da sie für zwei Personen plus Kinderbetreuung arbeitete, eine ganz andere. Seit Lucys Geburt war es schwerer für sie geworden, das war nicht zu leugnen.

Maggie dachte an Strand und Meer ... an das Gefühl von Sand zwischen den Zehen und an Lucys Lachen, wenn sie vor den Wellen davonliefe ... Es wäre ein so viel schöneres Leben für ihre Tochter. Und alles wäre einfacher.

Maggie würde keine fremden Häuser mehr putzen müssen, nur noch ihr eigenes. In letzter Zeit war ihr die Arbeit immer mehr zuwider geworden – fremde Fußböden zu schrubben, während sie jemand anderen bezahlte, um auf Lucy aufzupassen, erschien ihr nicht sonderlich sinnvoll. Was das Finanzielle betraf, kam Lizas Angebot einem Lottogewinn gleich.

Aber: Das große Los bedeutete als Dreingabe eine eigenwillige alte Dame, die Maggie zu betreuen hätte. Es bedeutete außerdem, dass sie und Lucy ihr altes Leben aufgeben und an einen Ort ziehen müssten, an dem sie niemanden kannten. Und würden sie sich dort nicht auch der Schwermut und Schuld aussetzen, die Liza zurückgelassen hatte? Zwar glaubte Maggie nicht an Geister, aber die Reue, die sie schon jetzt nach dem Tod der Freundin empfand, verfolgte sie selbst hier in sicherer Entfernung schon wie ein Spuk.

Die Ampel auf der gegenüberliegenden Seite blinkte rot, aber Maggie sah kurz in beide Richtungen und lief trotzdem über die Straße.

Sie hatte Liza vor zehn Jahren kennengelernt, mit achtundzwanzig. Maggie hatte das Gefühl, seitdem sei ein ganzes Leben vergangen. Damals hatte sie gerade erst angefangen, für die Reinigungsfirma zu arbeiten. Es hörte sich zwar kläglich an, wenn eine Frau mit einem College-Abschluss putzen ging, aber die Rechnungen ließen sich damit besser bezahlen als mit dem Bürojob, den sie davor gehabt hatte.

Außerdem war es deutlich interessanter, als sie ursprünglich angenommen hatte, denn die Firma betreute ausschließlich vermögende Leute mit luxuriös ausgestatteten Häusern oder Wohnungen. Maggie gefiel ihre Arbeit. Die körperliche Betätigung war ihr lieber als Schreibtischarbeit, bei der man sich nur den Hintern platt saß und ihn mit nach Sitzungen übriggebliebenen Plunderstücken und durchweichten Nudelsalaten zusätzlich verbreiterte. Zudem lag eine große Befriedigung in dem Wissen, dass selbst reiche Leute im stillen Kämmerlein Dreck machten.

Sie war durchaus neugierig gewesen, wie es im Penthouse der weltberühmten Autorin Liza Brennan an der Upper West Side wohl aussähe. Und dann war es genau so, wie erwartet: Einbauregale vollgestopft mit unzähligen Büchern, jede Menge wertvolle Kunstgegenstände, edle Bettwäsche aus Mako-Satin, glatt und weich wie Seide. Die Wohnung war nicht übertrieben protzig eingerichtet, sie wirkte edel. Liza hatte einen guten Geschmack und kaufte genau solche Sachen, die Maggie – hätte sie entsprechende Mittel gehabt – auch gewählt hätte.

Als sie anfing, dort zu putzen, einmal pro Woche, am Donnerstagvormittag, hatte Liza sie zunächst nur kurz begrüßt und war dann – mit Laptop und einem Stapel Zeitungen in der dunkelblauen Umhängetasche – aus dem Haus gegangen. Doch schon bald fragte sie, ob es Maggie etwas ausmachen würde, wenn sie bliebe, weil sie sich im Café nicht so gut konzentrieren könne. Natürlich sagte Maggie, es mache ihr nichts aus, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. Sie mochte es nicht, wenn ihre Klientinnen dablieben und jeden Handgriff überwachten, wie um sicherzugehen, dass sie nicht herumschnüffelte oder bei der Arbeit trödelte. Doch Liza war anders. Sie kümmerte sich nur um das, was sie auf dem Bildschirm vor sich sah, oder um das Buch, das sie las, ohne Maggie weiter zu beachten. Dies Vertrauen weckte in Maggie den Wunsch, ihre Sache besonders gut zu machen. Was sie auch tat.

»Jetzt kann man hier ja vom Boden essen«, hatte Liza beim Abschied gesagt, bevor Maggie sich mit ihrem kleinen Putzwagen wieder auf den Weg machte. »Vielen Dank.« Worauf sie ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, fünfzig Dollar Trinkgeld in die Hand drückte. Jedes Mal.

Maggie kam am Gramercy Park vorbei. Der schmiedeeiserne Zaun schirmte den makellos gepflegten Privatpark und seine privilegierten Nutzer vor dem Pöbel ab – also vor Leuten wie ihr. Ob Pöbel tatsächlich das richtige Wort war? Liza hätte es gewusst.

Nach einigen Monaten hatten sie angefangen, sich zu unterhalten, waren ins Gespräch gekommen. »Was ist Ihre Geschichte?«, hatte Liza eines Morgens überraschend gefragt, als Maggie mit ihren gelben, ellenbogenlangen Gummihandschuhen gerade das Waschbecken schrubbte. Ihre Hände waren immer trocken wie Treibholz und die Nagelhäute dünn wie Seidenpapier, das ließ sich bei diesem Beruf wohl nicht vermeiden. Handschuhe halfen immerhin ein wenig.

»Meine Geschichte?«, hatte sie verwundert zurückgefragt.

»Ja, wie kommt es, dass Sie putzen gehen? Sie kommen mir nicht wie der klassische Putzfrauentyp vor.«

Maggie gehörte nicht zu den Menschen, die gern viel von sich erzählen, aber Liza vermittelte ihr ein Gefühl von Vertrautheit, und sie fühlte sich mit ihr wohl. So ungleich sie auch waren, wurden Freundinnen aus ihnen.

Bis ihre Freundschaft dann endete.

Maggie kam an den Bodegas und Secondhandläden vorbei, an den Weinstuben und Bars, dem Peruaner, dem Chinesen, dem Nagelstudio, in dem sie sich einmal die Augenbrauen hatte zupfen lassen, wonach nur eine unschöne Kommaform übrig geblieben war.

»Hallo José.«

Er sah von dem kleinen Schwarzweißfernseher auf, der neben ihm auf dem Tisch stand, und nickte. Sobald es Juli wurde, zog José aus seinem Kellerapartment, das er seit fast vierzig Jahren bewohnte, tagsüber auf die Eingangstreppe des Wohnhauses. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang saß er in Shorts und T-Shirt in seinem grünen Klappstuhl und guckte Baseball, und bis zum September waren seine Glatze und Unterarme dunkelbraun gebrannt.

Im Treppenhaus nahm Maggie immer zwei Stufen auf einmal und keuchte, als sie den vierten Stock erreichte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und schob die Wohnungstür auf, die jedoch von der vorgelegten Kette gestoppt wurde.

»Mommy!«, rief Lucy augenblicklich.

»Hallo Miss Sheets«, sagte Daliah und löste die Kette. Lucy sprang mit der Geschwindigkeit einer olympischen Sprinterin auf Maggie zu und umklammerte ihre Beine. Ein zartes Pflänzchen war sie nicht gerade, ihre Tochter. »Lucy war wieder sehr brav. Hat gut gegessen, ein paar Puzzles gemacht ...«

»Erniebert!«, krähte Lucy dazwischen.

»Ja, wir haben auch ein bisschen ferngesehen«, gab Daliah zu.

»Das ist okay. Sie ist heute ziemlich aufgekratzt, das merke ich schon.« Maggie zog das Portemonnaie aus der Tasche und gab Daliah ihren Lohn. Dabei fiel ihr auf, dass sie für den Rest der Woche nur noch zwei Zwanziger übrig hatte.

»Danke, Miss Sheets.« Daliah faltete die Scheine sauber zusammen und schob sie in die Gesäßtasche ihrer Shorts. »Ciao, Lucy!«

»Tssau, Dawia«, antwortete Lucy. »Umarmen!«

Lachend beugte Daliah sich vor. Lucy zog ihren Kopf mit der Bestimmtheit eines kleinen Don Corleone zu sich heran und hielt ihn eine Weile fest. Dann, zufrieden über den Segen, den sie anscheinend gerade verabreicht hatte, ließ sie Daliah wieder los und war zu neuen Taten bereit.

Noch bevor Daliah die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann Lucy in der Wohnung herumzulaufen und zu wiehern. Zum wiederholten Mal musste Maggie feststellen, wie ähnlich sie ihrem Vater doch sah. Die blonden Locken, die braunen Augen, das Grübchen, das Maggie überhaupt erst in diesen Schlamassel hineingebracht hatte ...

»Wie war es mit Daliah?«, erkundigte sie sich. »Habt ihr Pferdchen gespielt?« Erschöpft und verschwitzt wie sie war, ließ sie sich aufs Sofa fallen, und Lucy kletterte ihr auf den Schoß. Nachdem sie es sich dort bequem gemacht hatte, trank sie ihre Milch aus der Nuckeltasse und schlug die stämmigen Beinchen übereinander.

»Ist Mommy traurig?«, erkundigte sie sich.

»Ja, Mommy ist traurig.«

»Wegen der Frau?«

»Ja.«

»Was ist passiert? Sie ist tot, oder?«

»Ja, mein Schatz, sie ist tot.«

An jenem Morgen, als sie von Lizas Tod gelesen hatte, waren Maggies Augen vom Weinen so gerötet und geschwollen gewesen, dass sie sie kaum noch aufbekam. Als Lucy dann fragte, was los sei, war Maggie nicht in der Verfassung, sich eine einfühlsame Geschichte über den Lauf des Lebens auszudenken.

»Meine Freundin ist gestorben«, sagte sie und überraschte sich selbst mit diesem Wort. Schon lange hatte sie an Liza nicht mehr als Freundin gedacht.

»Was ist gesstorben?«, wollte Lucy wissen.

»Tot. Weg. Für immer.«

»Oh.«

Lucy hatte eine Weile ihre Hand gestreichelt und sich dann, während Maggie mit stumpfem Blick aus dem Fenster in die leere Küche der Wohnung gegenüber starrte, wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung gewidmet: die kleinen Zootiere aus Plastik in einer langen Parade aufzureihen.

Jetzt sah Maggie sich im Wohnzimmer um, musterte die Puzzles und die bunten Kreidestifte, den abgewetzten Teppich, die Esstischgarnitur von Ikea, die sie gleich nach dem College gekauft hatte, und seufzte. Dann betrachtete sie ihre Hände, trocken und rau wie Schleifpapier.

Sie dachte an Liza und welchen Rat sie ihr wohl gegeben hätte, wäre jemand anders auf die Idee gekommen, Maggie ein Haus samt Mutter zu vererben.

»Wo liegt das Problem?«, hätte Liza gefragt.

»Aber die Mutter ...«, hätte Maggie zu bedenken gegeben.

»Was ist mit der Mutter? Wie schwer kann es schon sein, zu kontrollieren, ob eine alte Dame ihre Medikamente einnimmt? Du wärst bescheuert, wenn du dieses Angebot nicht annimmst. So eine Gelegenheit kriegt man nur einmal im Leben.«

Und dann hätte sie das Thema gewechselt. Maggie konnte ihren Rat annehmen oder es bleiben lassen, das läge ganz bei ihr. So hatte ihre Freundschaft funktioniert. Damals noch.

Dies war nun also Lizas letzter Ratschlag. Nimm mein Haus und meine Mutter, schaff Lucy raus aus deiner winzigen Wohnung in dieser chaotischen Stadt, und fang noch mal von vorn an.

Maggie ließ sich nicht gern sagen, was sie zu tun oder zu lassen hatte, doch das hier war anders. Seit Lucys Geburt stand ihr das Wasser bis zum Hals, und sie hatte das Gefühl, langsam, aber sicher den Halt zu verlieren, unterzugehen, zu versinken.

Nach dieser Rettungsleine sollte sie greifen.

(Continues…)


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