Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

Von Hamburg nach Sydney.

Als Tochter eines Werftbesitzers wächst Emilia in Hamburg auf. Sie soll eine gute Partie heiraten, aber nicht den Mann, in den sie sich verliebt hat. Carl Gotthold Lessing ist der Großneffe des berühmten Dichters. Er hat ein Kapitänspatent erworben und sich Geld geliehen, um ein Schiff zu bauen. Er will Emilia heiraten, doch ihre Familie ist strikt gegen diese Verbindung. Die beiden beginnen, nachdem Lessing von seiner ersten großen Fahrt zurückgekehrt ist, eine Affäre. Als ein Hausmädchen sie verrät, kommt es zum Bruch.

Emilia beschließt, mit ihm zu reisen. In Südamerika kommt ihr erstes Kind zur Welt, in Hamburg das zweite. Doch sie haben ein anderes Ziel: Australien ...

Die spannende Geschichte einer Auswanderung, die auf wahren Begebenheiten beruht.

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Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

Von Hamburg nach Sydney.

Als Tochter eines Werftbesitzers wächst Emilia in Hamburg auf. Sie soll eine gute Partie heiraten, aber nicht den Mann, in den sie sich verliebt hat. Carl Gotthold Lessing ist der Großneffe des berühmten Dichters. Er hat ein Kapitänspatent erworben und sich Geld geliehen, um ein Schiff zu bauen. Er will Emilia heiraten, doch ihre Familie ist strikt gegen diese Verbindung. Die beiden beginnen, nachdem Lessing von seiner ersten großen Fahrt zurückgekehrt ist, eine Affäre. Als ein Hausmädchen sie verrät, kommt es zum Bruch.

Emilia beschließt, mit ihm zu reisen. In Südamerika kommt ihr erstes Kind zur Welt, in Hamburg das zweite. Doch sie haben ein anderes Ziel: Australien ...

Die spannende Geschichte einer Auswanderung, die auf wahren Begebenheiten beruht.

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Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

by Ulrike Renk
Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin: Von Hamburg nach Sydney

by Ulrike Renk

eBook4. Auflage (4. Auflage)

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Overview

Von Hamburg nach Sydney.

Als Tochter eines Werftbesitzers wächst Emilia in Hamburg auf. Sie soll eine gute Partie heiraten, aber nicht den Mann, in den sie sich verliebt hat. Carl Gotthold Lessing ist der Großneffe des berühmten Dichters. Er hat ein Kapitänspatent erworben und sich Geld geliehen, um ein Schiff zu bauen. Er will Emilia heiraten, doch ihre Familie ist strikt gegen diese Verbindung. Die beiden beginnen, nachdem Lessing von seiner ersten großen Fahrt zurückgekehrt ist, eine Affäre. Als ein Hausmädchen sie verrät, kommt es zum Bruch.

Emilia beschließt, mit ihm zu reisen. In Südamerika kommt ihr erstes Kind zur Welt, in Hamburg das zweite. Doch sie haben ein anderes Ziel: Australien ...

Die spannende Geschichte einer Auswanderung, die auf wahren Begebenheiten beruht.


Product Details

ISBN-13: 9783841206770
Publisher: Aufbau digital
Publication date: 12/04/2013
Series: Die Australien Saga , #1
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 544
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Familiengeschichten haben sie schon immer fasziniert, und so verwebt sie in ihren erfolgreichen Romanen Realität mit Fiktion.

Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Australien-Saga, die Ostpreußen-Saga, die Seidenstadt-Saga, die große Berlin-Saga um die Dichterfamilie Dehmel und zahlreiche historische Romane vor.

Mehr zur Autorin unter www.ulrikerenk.de

Read an Excerpt

Die Australierin

Von Hamburg nach Sydney


By Ulrike Renk

Aufbau Digital

Copyright © 2014 Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
All rights reserved.
ISBN: 978-3-8412-0677-0



CHAPTER 1

Der Tag, an dem Julius zur Welt kam, hatte sich für immer in Emilias Gedächtnis eingebrannt. Schon in der Nacht auf den 5. Mai wanderte ihre Mutter unruhig durch die Stube des Hauses in Othmarschen. Der Vater sah ihr verängstigt zu und wies das Mädchen an, Emilia früh zu Bett zu bringen.

Die Luft war lau, von der Elbe wehte der salzige Wind das Kreischen der Möwen ans Ufer.

»Es ist viel zu früh«, beschwerte Emilia sich. »Warum muss ich schon zu Bett gehen?«

»Deiner Mutter geht es nicht gut«, sagte Inken, die Dienstmagd. »Also füg dich.«

»Ich habe noch Hunger«, quengelte die Sechsjährige.

»Dann bringe ich dir eine Schale mit Dickmilch. Aber danach huschst du ins Bett.«

Ihre Mutter, das wusste Emilia, würde ein Kind zur Welt bringen. Sie würde schreien und weinen, und ihr Vater würde durch das Haus laufen und die Hände ringen. Es war nicht das erste Mal, dass dies geschah. Auf dem Friedhof gab es eine Reihe kleiner Gräber, und jedes Mal, wenn ihre Mutter ein Kind gebar, kam ein weiteres Grab hinzu. Diesmal hatte die Mutter das Kind länger getragen als sonst, und alle hofften auf ein gutes Ende.

Inken brachte die Dickmilch und strich dem Kind über den Kopf. »Du musst heute und morgen ganz brav sein, Emma.«

»Das weiß ich doch.« Emilia biss sich auf die Lippe, sie versuchte immer, ganz brav zu sein. Manchmal lächelte ihre Mutter, doch die Falten um ihren Mund wurden tiefer und ihre Augen blieben traurig, selbst wenn sie lachte.

Emilia öffnete das Fenster ihrer kleinen Kammer und schaute über die Bäume hinweg. Dort war die Elbe, und die floss ins Meer. Auf der anderen Seite des Meeres lagen fremde Länder. Über diese Länder sprachen ihr Vater und ihr Onkel, wenn die beiden zusammensaßen. Und das taten sie oft, auch wenn Onkel Hinrich in Hamburg wohnte.

Manchmal nahm der Vater Emilia mit an das sandige Ufer des großen Stroms und zeigte auf ein Segelschiff, das gerade den Hafen verließ.

»Das haben wir gebaut«, erklärte er stolz. »Unsere Familie baut Schiffe, die über die Weltmeere segeln.«

Es war noch hell, als Emilia sich ins Bett legte. Von unten waren leise Stimmen zu hören, aber noch keine Schreie und kein Weinen. Vielleicht würde es diesmal anders werden. Sie schloss die Augen und betete, so, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte.

Es war immer noch hell, als sie wieder wach wurde. Lautes Jammern drang aus dem Erdgeschoss nach oben und Emilia kniff die Augen zusammen und presste die Hände auf die Ohren. Es roch seltsam, wunderte sie sich und öffnete die Augen. Rotes, flackerndes Licht fiel durch das Fenster in die Stube. Es roch wie im Herbst, dachte Emilia, wenn die Felder abgebrannt wurden. Vorsichtig nahm sie die Hände herunter und lauschte. Inken war es, die jammerte, nicht die Mutter. Was war nur passiert? War das Kind schon da und tot? Sie traute sich nicht, die Tür zu öffnen und nach unten zu gehen. Der Lichtschein war so seltsam, dass sie ans Fenster trat. Über der Elbe war der Himmel dunkel, doch in Richtung Stadt leuchtete es hell. Es brennt, dachte sie erschrocken. Es brennt in der Nachbarschaft. Dort wohnte der Lotse Jörgensen mit seiner Familie. Sie lief oft hinüber, um mit den Kindern zu spielen. In deren Haus war es immer laut und fröhlich, so ganz anders als bei ihnen.

Sie hörte Schreie von draußen und das Klappern von Hufen auf dem Kopfsteinpflaster der Straße. Und dann sah sie die Flammen, die wie Zungen über den Nachthimmel leckten.

Voller Angst öffnete sie die Tür, raffte ihr Nachthemd zusammen und stapfte die Treppe hinunter. Die Tür zur Stube war geschlossen, doch sie konnte Stimmengemurmel hören. Inkens Weinen kam aus der Küche.

»Inken, der Lichtschein da draußen ...« Emilia blieb unsicher an der Tür stehen. Die Magd hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt, sie schluchzte laut.

»Ich weiß, mein Mäuschen«, sagte sie und wischte sich mit dem Schürzensaum die Tränen ab. »Hamburg brennt.«

»Es brennt nicht bei Jörgensens?«

»Nein. Komm her.« Sie breitete die Arme aus. Emilia kletterte auf Inkens Schoß und drückte sich an die Magd. Inken roch immer nach frischem Brot und Lavendel. Ein tröstlicher Geruch.

»Hamburg ist weit weg.« Emilia nickte, kuschelte sich aber noch enger an Inken. »Warum bist du so traurig?«

»Ich habe Angst um meine Familie. Das Feuer ist gewaltig, man kann es bis hierher sehen«, flüsterte sie.

Onkel Hinrich und Tante Minna wohnten auch in Hamburg, dachte Emilia und steckte sich den Daumen in den Mund.

»Ole soll anspannen.« Ihr Vater kam atemlos in die Küche. Emilia machte sich ganz klein, doch er schien sie gar nicht zu bemerken. »Wir fahren in die Stadt.«

»Jetzt?« Inken riss erschrocken den Mund auf. Sie setzte Emilia auf die Küchenbank am Herd. »Und Eure Frau?«

»Sie ist in Gottes Händen. Ich habe Mats nach der Hebamme geschickt. Jörgensen und Olufson kommen mit in die Stadt. Sie werden dort jede Hand, die einen Eimer halten kann, brauchen.«

Inken lief in die Gesinderäume, sie musste den Knecht nicht wecken. Wohl kaum einer schlief in dieser Nacht. Die Sorge, die sich in das Gesicht der Magd eingrub, wurde immer deutlicher. Emilia rollte sich auf der Küchenbank zusammen. Manchmal fielen ihr die Augen zu, doch dann kam jemand in die Küche und sie wurde wieder wach.

Inken kochte Suppe und Tee, sie buk Brot und holte einen Schinken aus dem Keller. »Wenn sie wiederkommen, brauchen sie etwas Kräftiges zu essen«, murmelte sie. Zwischendurch ging sie in die Stube. Durch den Türspalt konnte Emilia die Mutter sehen, die sich an die Lehne des Ohrensessels klammerte und stöhnte. Ihre Haare hingen ihr wirr und schwitzig ins Gesicht. Sie trug ein Nachtgewand und sah so fremd aus, dass es Emilia Angst machte. Dennoch konnte das Kind den Blick nicht abwenden, sobald sich die Tür öffnete.

»Was machst du hier?«, fragte die Hebamme verblüfft, als sie in die Küche kam.

Emilia hockte auf der Bank, hatte die Beine angezogen und den Saum des Nachthemdes unter die Füße gestopft.

Inken schaute sich um. »Sie ist heute Nacht wach geworden und hat dann auf der Bank geschlafen. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie nach oben zu schicken.«

Die Hebamme, eine runzelige Alte, die nach Kampfer und anderen scharfen Kräutern roch, schüttelte den Kopf. »Sie sollte nicht hier unten sein. Heute ist Christi Himmelfahrt, sie sollte in die Kirche gehen und für uns alle beten.«

Inken schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Das habe ich ganz vergessen. Lauf, Emma, zieh deine guten Sachen an und kämm dir die Haare. Sicher nimmt Frau Jörgensen dich mit. Du musst dich sputen.«

Emilia stand zögernd auf.

»Nun geh schon, Kind«, sagte die Hebamme. »Und koch du mir einen Kaffee, Inken. Das wird sicher noch ein langer Tag werden.«

»Wie geht es ihr denn?«, fragte Inken. Emilia blieb hinter der Tür stehen und lauschte.

»Es geht. Sie verkrampft sich, das ist nicht gut. Ich werde ihr einen Aufguss machen.«

»Hat das Kind eine Chance?«

»Das weiß man doch nie. Aber mehr als die anderen vorher«, sagte die Hebamme.

Emilia schlich die Treppe nach oben. Obwohl der Tag schon angebrochen war, sah es düster draußen aus. Seit Wochen hatte es nicht geregnet, alles war ausgedörrt, das Gras vor dem Haus gelb und welk. Sie ging ans Fenster, öffnete es. Hatte Inken sich in der Zeit vertan? Bis zum Kirchgang war es sicherlich noch lange hin. Doch dann sah Emilia, dass dicke, schwarze Wolken die Sonne verdunkelten. Wind war aufgekommen, die Bäume rauschten wie das Meer bei Sturm. Emilia zog die Schultern hoch, in ihrem Magen grummelte es. Der rote Lichtschein des Feuers, der unter dem Qualm hervorleckte, wirkte angsteinflößend. Wie feuerspuckende Drachen, von denen ihr Onkel Hinrich manchmal erzählte. Doch Drachen gab es nur im Märchen, und dies war kein Märchen. Es roch beißend nach Rauch, Emilia musste husten und schloss schnell das Fenster, als könne sie so alle Gefahren aussperren.

Das gute Kleid sollte sie anziehen. Und waschen sollte sie sich. Schnell schlüpfte sie aus dem Nachthemd und tauchte den Lappen in das Wasser der Waschschüssel. Jeden Morgen brachte Inken ihr warmes Wasser, meist half sie ihr beim Ankleiden und mit den Haaren, aber heute war Inken beschäftigt. Sie hatte wichtige Dinge zu tun. Wenn ich alles ganz richtig mache, dachte Emilia, dann wird auch alles gut. Das Kind in Mamas Bauch wird am Leben bleiben. Es wird in der Wiege liegen und nicht auf dem Friedhof. Wenn ich alles richtig mache, dann hört das Feuer auf zu brennen. Das Feuer bedeutete etwas Schreckliches, das hatte sie in den Gesichtern der Erwachsenen gesehen. Feuer war beides – schrecklich, aber auch gut. Ohne Feuer hätten sie kein warmes Wasser. Der nasse Lappen war kalt und glitschig, sie fuhr sich über das Gesicht und die Arme, erschauerte. Reichte das? Die Hände, die müssen sauber sein, und der Hals. Das war wichtig, darauf achten die Leute. Sie rubbelte sich trocken, bis die Haut brannte, nahm dann ein sauberes Unterkleid aus der Truhe, eine Wäschehose mit Rüschen, die für Feiertage vorbehalten war. Ob sie es allein schaffte, die Hose an das Unterkleid zu knöpfen? Es musste gelingen. Dann nahm sie das gute Leinenkleid und zog es sich über den Kopf. Wer sollte die Knöpfe schließen? Wer würde die Schnüre schnüren, die Schleifen binden? Wie sie sich auch drehte und wendete, ihr gelang es nicht. Doch es musste, es war ihre Aufgabe, alles richtig zu machen.

Tränen stiegen ihr in die Augen, als sich die Zimmertür öffnete.

»Wie weit bist du?«, fragte Inken und schlug die Hände vor den Mund. »Oh lieber Herr Jesus, Kind!«

Nun flossen die Tränen ohne Halt. »Ich habe es versucht«, schluchzte Emilia.

»Nun, nun, nun, Mäuschen. Alles ist gut.« Mit flinken Händen schloss Inken Knöpfe, zog Säume gerade, schnürte Bänder. Dann bürstete sie Emilias Haare und steckte sie fest. »Noch die Schuhe, und schon bist du fertig. Was ist mit deinen Strümpfen?«

Die Strümpfe hatte das Mädchen ganz vergessen.

»Dann eben ohne«, beschloss die Magd. »Schnell, schnell, bevor Frau Jörgensen los ist.«

»Aber ich ... habe Hunger.« Emilia folgte Inken die Treppe hinunter, ließ sich die Schnürstiefel anziehen. »Komm, ein Brot mit Butter auf die Hand muss ausreichen. Nachher bekommst du eine gute Suppe und nun lauf.« Sie setzte dem Mädchen die Haube auf und schob es hinaus. Als Emilia draußen stand, schrie die Mutter zum ersten Mal laut und quälend auf. Das Kind presste die Hände auf die Ohren und lief den Hang hinunter.

Etwas weiter zur Chaussee hin stand das Haus der Jörgensens. Es war aus rotem Backstein, hatte nur das Erdgeschoss und Kammern unter dem Reetdach. Vor zwei Jahren hatte die Familie angebaut, um der Heerschaar der Kinder Platz bieten zu können. Es gab eine Scheune und einen Stall. Einen Garten, so, wie bei der Familie Bregartner, gab es dort nicht. Emilias Mutter hatte vor dem Haus eine Rasenfläche anlegen lassen, mit einem Pavillon und vielen blühenden Büschen sowie gestutzten Buchsbäumen. Jörgensens hatten eine Wiese mit Obstbäumen und Beerensträuchern vor dem Haus, hinter dem Haus befand sich der Wirtschaftsgarten. Sie hielten einige Schafe und Ziegen auf den Deichen, so wie Bregartners auch. Beide Familien hatten einen Wirtschaftsgarten, doch gab es Unterschiede. Emilias Familie besaß Land und die Werft, Vater Jörgensen war Lotse im Hafen.

»Euch geht es viel besser als uns«, sagte Mette Jörgensen oft. »Deine Mutter kann Inken auf den Markt schicken, Schinken und Speck kaufen.«

Mette war zwei Jahre älter als Emilia, die beiden Mädchen liebten sich aufrichtig und verbrachten viel Zeit miteinander.

Doch bei Jörgensens, dachte Emilia oft, ist es anders als bei uns. Allein schon, dass Ida, die Magd, ihre Herrschaft mit »Mutter« und »Vater« ansprach, während Inken »gnädige Frau« und »gnädiger Herr« sagte. Es war wie mit den Kleidern, die sie trugen. Das Leinen ihrer Wäsche war immer gestärkt, während Mettes Sachen sich viel leichter und weicher anfühlten.

Emilia war gerne bei den Nachbarn drüben, während es für Mette nichts Schöneres zu geben schien, als bei Bregartners zu sein. Ida hatte immer etwas zu tun. Viel mehr als Inken und Sofie. Sofie war die alte Magd der Bregartners. Sie wohnte noch beim Gesinde, aber ihre Hände waren von der Gicht verkrümmt. Sie taugte nur noch, um den Besen ein wenig zu schwingen, die Hühner zu füttern und Unkraut zu zupfen. Doch sie würde bei ihnen wohnen bleiben, bis sie starb, das hatte Emilias Vater versprochen.

Schon kam das Reethaus des Lotsen in Sicht, das sich unter dem großen Rosskastanienbaum duckte wie ein Tier. Emilia lief schneller. Die Schreie der Mutter waren nun nicht mehr zu hören, seltsam still war es. Die Bäume rauschten im Wind, aber kein Vogel schrie, keine Möwe kreischte. Plötzlich bemerkte Emilia, dass es schneite. Flocke um Flocke landete auf ihrem Kleid, auf dem Gras und den Büschen. Dabei war es gar nicht kalt. Verwundert schaute sie in den Himmel, der von dunklen Wolken bedeckt war. Ein Schneesturm schien herniederzugehen. Sie fing die weichen Flocken ein, die nicht in der Hand schmolzen, und zerrieb sie zwischen den Fingern. Es waren Ascheflöckchen. Oh nein, dachte sie und strich hektisch über das helle Kleid, das dadurch graue Streifen bekam.

Ich muss doch alles richtig machen, aber es will mir einfach nicht gelingen. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie rannte zum Haus der Jörgensens und riss die Küchentür auf, ohne anzuklopfen. Schluchzend blieb sie stehen.

»Emma, Kind!« Grete Jörgensen lief zu ihr. »Was ist denn passiert?«

»Ich ... ich soll ... es ist doch ... Kirche ...« Emilia versuchte, die Luft anzuhalten, doch der Schluckauf wollte nicht aufhören.

»Sch-sch-sch.« Grete nahm sie in den Arm. »Beruhige dich, Kind. Ida, hol einen Becher Wasser und gib einen Fingerhut Branntwein hinein.«

Emilia wich aus ihrer Umarmung zurück. »Ich bin ganz dreckig«, flüsterte sie. »Es schneit Asche.«

Grete warf einen Blick aus dem Küchenfenster, ihr Blick wurde ernst. »Ja, ich weiß. Als ob das Fegefeuer naht.«

Der Weg zur Kirche in Ottensen erschien Emilia länger als sonst. Meistens fuhren sie mit dem Wagen, bei gutem Wetter liefen sie manchmal bis nach Ottensen. Mutter ging alle paar Tage zum Friedhof und betete. Vielleicht, wenn Emilia alles richtig machte und das Kind am Leben blieb, würde die Mutter bald nicht mehr so oft dorthin gehen müssen. Aber so viel war schon schiefgelaufen. Sie würde sich ab jetzt ganz besonders anstrengen, nahm sich Emilia vor.

»Lieber Gott«, keuchte Ida und hustete. »Dieser Qualm ist ein Elend.«

Besorgt schaute Grete Jörgensen in den Himmel. Der Wind trieb die Wolken zu ihnen. »Sie müssten das Feuer doch längst im Griff haben«, murmelte sie. »Gebe Gott, dass es nicht zu schlimm ist.«

»Da werden wohl die Speicher brennen«, meinte Ida düster. »Und so trocken, wie es in den letzten Wochen war, brennt alles wie Zunder.«

Gut eine halbe Stunde betrug der Weg zur Kirche, doch wegen der kleinen Kinder und der rauchgeschwängerten Luft kamen sie nur langsam voran.

Auf dem Kirchplatz hatten sich bereits viele Menschen versammelt, die immer wieder besorgt in Richtung Hamburg schauten. Die meisten Frauen waren ohne ihre Männer gekommen.

»Grüßt Euch, Frau Jörgensen«, sagte Frau Carstensen. »Mögt Ihr einen Schluck Wasser?« Sie reichte ihr einen Krug. »Und die Kinder sicher auch.«

Dankbar nahm Grete den Krug entgegen, trank durstig und reichte ihn dann an Levke weiter.

»Euer Mann ist auch in der Stadt?«

»So wie auch Herr Bregartner und Herr Peters. Sie haben die Knechte mitgenommen. Habt Ihr schon gehört, wie es steht?«

»Das Nikolaiviertel brennt. Bisher haben sie es nicht geschafft, das Feuer einzudämmen.«

»Das ganze Viertel?«, Grete schlug entsetzt die Hand vor den Mund.

»So wurde es berichtet.« Frau Carstensen schüttelte den Kopf. »Man kann es sich gar nicht vorstellen.«

In der Kirche war es kühl wie immer. Die Jörgensens saßen im hinteren Teil der Kirche. Die Familie Bregartner hatte eine eigene Bank mit einem kleinen Messingschild an der Seite. Diese Bank blieb heute leer, Emilia setzte sich neben Mette. Ihr Blick ging zu dem Engel, der über dem Taufbecken schwebte. Das rötliche Licht des Feuers, das man hier noch deutlicher sehen konnte als in Othmarschen, schien durch die hohen, bunten Fenster, malte farbige Flecken an die Wände und den Kanzelaltar. Es sah unheimlich aus, fand Emilia, die ansonsten die helle Kirche mit den weißen Bänken liebte.

Ida, die neben Mette saß, murmelte die ganze Zeit: »Das Fegefeuer, das ist das Fegefeuer. Möge der Herr uns gnädig sein.«

»Ida!«, zischte Grete vom anderen Ende der Bank wütend. »Du machst allen Angst. Senk den Kopf und bete still.«

Die Stimme des Pfarrers war ernster als sonst.

»Wir feiern Christi Himmelfahrt an diesem Tag. ›Er ist am dritten Tag auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt nun zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten, seiner Herrschaft wird kein Ende sein.‹«

Der Pfarrer richtete den Blick zum Fenster.

»Dieser Tag, den wir lobpreisen, ist überschattet von einem großen Unglück. Wir beten für alle, die das Feuer bekämpfen.«


(Continues...)

Excerpted from Die Australierin by Ulrike Renk. Copyright © 2014 Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin. Excerpted by permission of Aufbau Digital.
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