Der Kommissar von St. Pauli

Mord oder Selbstmord? Alfred Weber ermittelt im St. Pauli der 30er Jahre.

Hamburg im März 1931. Eine Serie von mysteriösen Todesfällen erschüttert die Stadt. Auf Strecken der Hochbahn stürzen Frauen vor fahrende Züge - scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Die Kriminalpolizei steht vor einem Rätsel, viele Menschen meiden inzwischen Fahrten mit der Hochbahn. Kommissar Alfred Weber ermittelt eigentlich in einem politischen Mord im Umfeld der aufsteigenden Bewegung der Nationalsozialisten. Dabei stößt er auf einen Zusammenhang mit den Todesfällen auf der Hochbahn. Doch seine Vorgesetzten bremsen ihn. Weber ermittelt auf eigene Faust und gerät selbst ins Visier des Mörders ...

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Der Kommissar von St. Pauli

Mord oder Selbstmord? Alfred Weber ermittelt im St. Pauli der 30er Jahre.

Hamburg im März 1931. Eine Serie von mysteriösen Todesfällen erschüttert die Stadt. Auf Strecken der Hochbahn stürzen Frauen vor fahrende Züge - scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Die Kriminalpolizei steht vor einem Rätsel, viele Menschen meiden inzwischen Fahrten mit der Hochbahn. Kommissar Alfred Weber ermittelt eigentlich in einem politischen Mord im Umfeld der aufsteigenden Bewegung der Nationalsozialisten. Dabei stößt er auf einen Zusammenhang mit den Todesfällen auf der Hochbahn. Doch seine Vorgesetzten bremsen ihn. Weber ermittelt auf eigene Faust und gerät selbst ins Visier des Mörders ...

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Der Kommissar von St. Pauli

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by Robert Brack
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Mord oder Selbstmord? Alfred Weber ermittelt im St. Pauli der 30er Jahre.

Hamburg im März 1931. Eine Serie von mysteriösen Todesfällen erschüttert die Stadt. Auf Strecken der Hochbahn stürzen Frauen vor fahrende Züge - scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Die Kriminalpolizei steht vor einem Rätsel, viele Menschen meiden inzwischen Fahrten mit der Hochbahn. Kommissar Alfred Weber ermittelt eigentlich in einem politischen Mord im Umfeld der aufsteigenden Bewegung der Nationalsozialisten. Dabei stößt er auf einen Zusammenhang mit den Todesfällen auf der Hochbahn. Doch seine Vorgesetzten bremsen ihn. Weber ermittelt auf eigene Faust und gerät selbst ins Visier des Mörders ...


Product Details

ISBN-13: 9783843718127
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 09/07/2018
Series: Alfred-Weber-Krimi , #3
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 400
File size: 3 MB
Language: German

About the Author

Robert Brack, geboren 1959, lebt seit 1981 in Hamburg. Er arbeitet als Übersetzer und freier Schriftsteller. Für seine historischen und politischen Kriminalromane wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Robert Brack, geboren 1959, lebt seit 1981 in Hamburg. Er arbeitet als Übersetzer und freier Schriftsteller. Für seine historischen und politischen Kriminalromane wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Voruntersuchung

»Da haben Sie aber noch mal Glück gehabt, Herr Kommissar.«

»Das sehe ich anders.«

»Hmhm.«

»Ich sagte ...«

Der Barbier umfasste Webers Nase mit Daumen und Zeigefinger und bog sie nach links. Ein paar Härchen wurden beseitigt. Dann bog er die Nase nach rechts. Und wieder schabte er mit der scharfen Klinge einige dünne Borsten weg, die an der falschen Stelle gesprossen waren.

Nun mussten die Wangen rasiert werden, denn Kommissar Alfred Weber trug seit einiger Zeit einen Henriquatre-Bart. Obwohl oder gerade weil dieser eher unmodern war. Aber welche Bedeutung hatte Modernität schon, wenn man mit Riesenschritten auf die fünfzig zuging?

»Ich sagte, das sehe ich anders.«

»Ja, ja.« Der Barbier war so geschickt, dass Weber kaum bemerkte, wie die Klinge über seine Wangen huschte. Im Nullkommanichts sah er aus wie aus dem Ei gepellt.

»Das Handgas klemmte. Dabei kam der Wagen gerade aus der Werkstatt.«

»Handgas?«

»Ja, ganz recht.«

»Fährt man denn nicht mit dem Fuß? Ich habe kein Automobil, deshalb ... Sie fahren einen Ford, Herr Kommissar?«

»Ja, die gute alte Blechliesel, das Model T.«

»Ich bin da nicht auf dem Laufenden, denn wie gesagt, ich chauffiere nicht.«

Weber hob die Hand. »Eben. Und deshalb können Sie das Ausmaß der Situation gar nicht erfassen.« Einen kurzen Moment lang war er erstaunt, dass seine Aussprache wieder sehr klar war. Nach der Zecherei letzte Nacht nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.

»Da haben Sie recht, Herr Kommissar.«

»Sehen Sie, ich hatte mich ja vorher schon geärgert. Ich hatte nämlich Feierabend. Es war erst Nachmittag und meine Bekannte war noch auf der Arbeit. Ein Moment der Entspannung – und dabei gelegentlich einen Blick in die Runde werfen, kann nicht schaden. Man hat schließlich einen Beruf.«

»Immer auf dem Quivive, Herr Kommissar.« Der Barbier bog den Kopf seines Kunden nach hinten, um die Kehle zu bearbeiten.

»Genau. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, das funktioniert in meinem Beruf nicht«, erklärte Weber mit einer Offenheit, die ihn selbst erstaunte.

»Holzauge sei wachsam«, lachte der Barbier.

»Ich saß nun also bei ›Ostermanns‹, weil mir zugetragen worden war, dass ein Hehler dort Kundschaft trifft. Politische Kundschaft. Aber wie gesagt, nach Dienstschluss, also war ein zweites Glas Wein drin. Ostermanns ist nämlich ein Weinlokal. Dort geht es ganz schön etepetete zu.«

»Sehr vornehm soll es dort sein«, sagte der Barbier. »Erstklassige Küche, heißt es, und Künstlerkonzerte.«

»Na ja, ein Streichquartett am Nachmittag ist nicht jedermanns Sache.«

Der Barbier strich jetzt geschickt über die Ränder von Webers Ohren, um dort vereinzelt wachsende Härchen zu beseitigen. »Jeder nach seiner Façon«, sagte er. »Und war denn der Hehler zugegen?«

»Nein. Aber das war mir nur recht, ich konnte noch einen Mosel bestellen. Der war angenehm süß. Und wie gesagt, ich hatte ja Feierabend.«

»Und Ihre Süße war noch fern ...«, scherzte der Barbier.

Weber warf ihm einen strafenden Blick zu.

»Und dann steht auf einmal dieser kleine dicke Kerl vor mir. Jung und übereifrig. Rote Wangen vor Begeisterung. Und lockiges Haar.« Weber verzog abfällig das Gesicht.

»Jung und gut aussehend«, vermutete der Barbier.

»Von wegen, vor allem aber aufdringlich. Aber das Schlimme war ja: auch noch ein Kollege! Schmeißt sich an mich ran. Guten Tag, Herr Kommissar, mein Name ist ...« Weber dachte angestrengt nach. »Hab ich jetzt vergessen, ist ja auch egal. Ein Kriminalanwärter. Behauptete, er sei mir zugeteilt worden. Dabei habe ich mir derartige Zuweisungen verbeten. Wissen Sie, in meiner Abteilung, also Politische Polizei, kann man nicht einfach jeden nehmen. Da sucht man die Mitarbeiter sehr genau aus.«

»Selbstverständlich.« Der Barbier kürzte einige widerspenstige Haare an Webers Augenbrauen, die in alle Richtungen standen.

»Es geht um Staatsschutz. Da sind nicht mal altgediente Beamte einfach so unverdächtig. Antirepublikanische Umtriebe allenthalben.«

»Gewiss.«

»Und die schicken mir einen unbekannten, unbeleckten Jüngling. Ohne Ankündigung.«

»Unbeleckt ...« Der Barbier drehte sich um und griff nach dem feuchten Tuch, das er vor dem Ofen zum Wärmen auf einen Bügel gehängt hatte.

»Ich schicke ihn also weg. Muss ihn mehrfach auffordern. Macht ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Heulsusen können wir schon gar nicht gebrauchen.«

»Harte Männer wie Sie, Herr Kommissar«, sagte der Barbier und warf Weber das feuchte Tuch über das Gesicht.

Weber erinnerte sich, wie er nach dem Fortgang des jungen Kollegen noch ein Glas Wein bestellt hatte. Das war zweifellos eins zu viel gewesen, denn er spürte jetzt unter der heißen Maske seinen Brummschädel. Nach diesem Glas hatte er »Ostermanns« verlassen. Noch immer leicht verärgert, war er an der »Volksoper« vorbeigegangen und in die Eckernförder Straße abgebogen, wo sein Automobil geparkt war. Kurz hatte er überlegt, es stehen zu lassen, weil er sich ein wenig beduselt fühlte, aber dann war er doch eingestiegen. Da er sich unschlüssig gewesen war, wo er hinfahren sollte – zu Hannchen oder doch erst mal nach Hause oder in die Böhmkenstraße, um den Wagen in der Garage unterzustellen? –, war er in die Heinestraße gebogen, hatte die Reeperbahn überquert, auf dem Wilhelmsplatz einen Bogen beschrieben. Dabei entschloss er sich, schnell nach Hause zu fahren, um sich frisch zu machen, bevor er Hannchen besuchte.

Also rüber über die Davidstraße und – trotz des zornigen Klingelns der Tram, der er den Weg schnitt – rein in die Kastanienallee. Und da klemmte der verdammte Gashebel! Was diesen Angeber in seinem offenen Rosengart-Sportwagen nicht davon abhielt, von rechts aus der Taubenstraße herauszuschießen und auf sein Vorfahrtsrecht zu beharren. Webers hochtourig fahrender Ford wurde jäh gestoppt. Weber prallte mit der Brust gegen das Lenkrad und bekam erst wieder Luft, als dem anderen Fahrer die Schimpfworte ausgingen. Er stieg aus, und es hätte beinahe eine Schlägerei gegeben, wenn nicht ein zufällig vorbeikommender Kollege eingeschritten wäre. Dem gelang es mit viel diplomatischem Geschick, die Situation zu entschärfen und die Herren zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. Der Rosengart hatte eine Beule und etwas Lackschaden, der Fahrer ein dickes Portemonnaie – was sollte denn die ganze Aufregung?

Übel an der Sache war nur, dass es sich bei diesem so überaus geschickt agierenden Kollegen um den jungen, dicken Kriminalanwärter mit den lächerlichen Locken handelte. Als Weber sich bei ihm bedankte, schwitzte er vor Scham und kochte gleichzeitig vor Wut.

Jetzt fiel ihm auch der Name wieder ein: Fritz Klindworth – so hatte er sich vorgestellt.

Der Rosengart fuhr weiter, aber Webers Ford musste abgeschleppt werden. Das Kühlwasser war ausgelaufen. Als er sehr spät bei Hannchen ankam und ihr von seinem Missgeschick erzählte, schlug sie die Hände überm Kopf zusammen, schluchzte laut auf und begann ihm detailliert vor Augen zu führen, wie schlimm die Sache hätte enden können. Als sie sich immer mehr in anatomischen Details verlor, während es zügig auf Mitternacht zuging, stand er auf, hob sie hoch und trug sie ins Bett, wo sie sich bald beruhigt hatte.

Was war denn auch geschehen? Das bisschen Blechschaden ließ sich beheben. Der Handgashebel konnte repariert oder ausgewechselt werden. Und die Kopfschmerzen vom Moselwein würden auch vergehen. Beinahe waren sie schon verflogen.

Der Barbier nahm das feuchte Tuch von Webers Gesicht und trocknete ihn sanft ab. Massierte sein Gesicht mit einem wohlriechenden Rasierwasser, das er aus einer Glasflasche auf die Hand träufelte. Als Weber vom Frisiersessel aufstand, fühlte er sich beinahe wie ein neuer Mensch. Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, deren Zeiger verkehrt herum über das Ziffernblatt wanderten, und schüttelte irritiert den Kopf. Ein Blick in den Spiegel und er erkannte, dass es Viertel vor elf war, Zeit für seinen Dienstantritt zur Spätschicht.

Weber legte den üblichen Betrag passend auf den kleinen Ladentresen, verabschiedete sich und wandte sich ab. Da spürte er die Hand des Barbiers auf seinem Unterarm.

»Nur eines noch, Herr Kommissar ...«

»Ja bitte?«

»Seien Sie vorsichtig heute.« Der Barbier machte ein besorgtes Gesicht.

Weber drehte sich zu ihm um. »Nanu, was haben Sie denn?«

»Heute ist Freitag, der Dreizehnte.«

Weber lachte fröhlich. »Na und? Ich bin nicht abergläubisch.« Er hob die Hand und gab dem Barbier einen Klaps auf die Schulter. Der hatte damit nicht gerechnet und schreckte zusammen. Dabei entglitt ihm die Flasche mit dem Rasierwasser. Sie fiel auf den Boden und zersprang. Glasscherben flogen herum, der Inhalt spritzte über das Linoleum.

»Nein, lassen Sie nur«, sagte der Barbier, als Weber sich bückte.

»Na gut, aber die Flasche ersetze ich Ihnen«, sagte Weber und legte einen Schein auf den Tresen, während der Barbier nach einem Feudel suchte.

»Vielen Dank, Herr Kommissar, das ist sehr freundlich.«

»Also dann ...« Weber ging zur Tür und zog sie auf. Das Klingelzeichen ertönte.

Weber hielt inne und drehte sich ein letztes Mal um. Der Barbier war schon auf den Knien und mit dem Saubermachen beschäftigt.

»Es tut mir wirklich leid«, erklärte Weber leutselig, »aber durch dieses Ungeschick bin ich quasi reingewaschen.«

»Wie bitte?« Der Kopf des Barbiers erschien über einer Sessellehne.

»Das war mein Freitag, der Dreizehnte. Nun kann mir dieser Unglückstag nichts mehr anhaben.«

Dass die zerbrochene Flasche womöglich auf das Schicksalskonto des Barbiers ging, darüber machte sich Kommissar Weber keine Gedanken, als er die Tür hinter sich zuzog und fröhlich pfeifend die Düsternstraße entlangging, Richtung Stadthaus zur Polizeizentrale.

In seinem Büro angekommen, hängte Weber leicht schnaufend Hut, Mantel und Schal an die Garderobe und knöpfte die Gamaschen von den Schnürstiefeln, die er wegen des Schneematschs vorsorglich übergezogen hatte. Das Schnaufen kam vom Treppensteigen, es war ihm unangenehm. Sicher lag es an der Erkältung, die er sich vor einigen Wochen eingefangen hatte und die noch nicht ganz abgeklungen war. Das Treppensteigen hinauf in den dritten Stock konnte kaum die Ursache sein, so viel Bauch schleppte er nun auch wieder nicht mit sich herum.

Nachdem er das Fenster zwecks Frischluftzufuhr kurz geöffnet und wieder geschlossen hatte, setzte er sich an eines der drei Schreibpulte. Die Kollegen, mit denen er sich das Dienstzimmer teilte, ein Kriminalobersekretär und ein Kriminalsekretär, waren schon unterwegs. Sie sollten Auskünfte über ein geheimes Waffenversteck der Roten Marine im Hafen einholen und dazu einen Informanten treffen und inkognito eine Kommunistenkneipe aufsuchen.

Weber war das nur recht. Er war ganz gern allein im Büro. In letzter Zeit hatte er sogar Gefallen am Studieren und Bearbeiten von Akten gefunden.

Er holte seine Thermoskanne mit dem Pfefferminztee aus der mitgebrachten Aktentasche und legte seine Wurststulle in die Schreibtischschublade. Den Tee braute Hannchen ihm immer, wenn er von ihrer Wohnung in der Lilienhof-Terrasse zum Dienst aufbrach. »Der ist gut für deinen Magen«, hatte sie ihm erklärt. Weber hatte sich an das Getränk gewöhnt und fand inzwischen, dass es sogar wohltuend auf das Gehirn wirkte. Eine Illusion wahrscheinlich, aber zweifellos aus der innigen Zuneigung geboren, die er seiner Lebensgefährtin entgegenbrachte, die ihm zuliebe ihre Tätigkeit am Straßenrand auf St. Pauli zugunsten einer Anstellung in einer Wäscherei aufgegeben hatte.

Ach, Hannchen, dachte Weber. Er nippte an dem Tee und schlug eine Akte auf, in der ein eigenartiger, polizeiinterner Konflikt dokumentiert war. Es handelte sich um die Versetzung eines männlichen Beamten, der bei der Weiblichen Kriminalpolizei arbeitete, die vor allem für Delikte an Frauen zuständig war. Kurios daran war, dass der Beamte namens Schlegel aus »sexuellen« Gründen versetzt worden war. Angeblich sei er homosexuell und ein »Onanist«, dem der Dienst in der WKP nicht guttäte. Begründung des Kripo-Leiters Dr. Schlanbusch: Der Mann sei immer sehr blass. Die Leiterin der WKP-Dienststelle, Frau Erkens, die seit einiger Zeit im Clinch mit Schlanbusch lag, fand das empörend. Und nun hatte Weber den Auftrag bekommen, die »Gesinnung« von Schlegel und einigen anderen Beamten innerhalb der WKP zu ergründen.

Was um Himmels willen hatte das denn mit dem Aufgabenbereich der Politischen Polizei zu tun? Sollte Weber die Kollegen etwa beschatten lassen, ihr Privatleben ausforschen, ihnen nachsteigen, wenn sie während der Freizeit ein Lokal oder eine Bar besuchten? Also ehrlich gesagt ... Weber sah hier zwei Aspekte, die ihm überhaupt nicht gefielen: Zum einen empfand er es als beleidigend, quasi die Arbeit der Sittenpolizei übernehmen zu müssen. Damit hatte er rein gar nichts zu tun und wollte auch nichts damit zu tun haben. Zum anderen ahnte er, dass es hier um polizeiinterne Machtkämpfe ging, und für die wollte er sich schon gar nicht einspannen lassen. Trotz der fortschrittlichen Führung gab es vor allem in den oberen Rängen viele Beamte, die es als Schwächung, ja sogar als einen Angriff auf die Staatsmacht ansahen, wenn Frauen als Polizistinnen auftraten.

Weber hatte über ein Jahr bei der WKP gearbeitet, bevor er im Herbst 1928 auf eigenen Wunsch zur Politischen Polizei versetzt worden war. Nicht dass ihm die Arbeit bei der WKP unangenehm gewesen wäre. Er arbeitete gern mit Frauen zusammen, hatte sich sogar einmal in eine junge Kollegin verliebt (bevor die Sache mit Hannchen akut wurde), aber als die internen Zwistigkeiten überhandnahmen, war er lieber gegangen.

Und nun hatten sie ihm diese Akte geschickt. Wirklich ungeheuerlich. Ihm war schon klar, wer hinter den Machenschaften zur Untergrabung der Frauenpolizei steckte. »Falls jemals an die Öffentlichkeit dringt, was hier im Stadthaus an Intrigen gesponnen wird, dann fliegt uns der Laden um die Ohren«, hatte Weber einmal zu seinem Freund Hilbrecht, dem Polizeifotografen, gesagt. Der hatte beschwichtigt: »Du übertreibst, Alfred, wie immer. Das sind nur ein paar kleinliche Querelen. Das gehört dazu. Sieh mal, zu Hause bei mir, wenn die Kinder ...« Und so weiter. Hilbrecht legte grundsätzlich bei allen Vorkommnissen der Weltgeschichte den Maßstab seiner Familie an.

Weber überlegte, wie er die Akte loswerden könnte. Vielleicht sollte er sie demjenigen zurückgeben, der sie ihm aufgedrückt hatte. Das war Regierungsrat Lassally gewesen, sein Vorgesetzter. Allerdings war nicht so ganz klar, wie der darauf reagieren würde. Er war ein Hundertfünfzigprozentiger, studierter Jurist aus großbürgerlichen Verhältnissen, er verlangte, dass alles exakt nach Vorschrift und auf korrektem Dienstweg bearbeitet wurde. Sich an ihm vorbei an eine höhere Stelle zu wenden, war gänzlich unmöglich, Lassally würde sich sein maßgeschneidertes Sakko zuknöpfen und ihn ganz sachlich zur Schnecke machen.

Die zweite Möglichkeit wäre, sie einem untergebenen Kollegen aufzudrücken. Aber das hätte zwei Nachteile: Erstens würde sie dann irgendwann wieder bearbeitet zu ihm zurückkommen, und zweitens würde ein anderer diese unsauberen Ermittlungen durchführen. Blieb drittens noch die Methode der unschuldigen Provokation: Er konnte mit der Akte zu Frau Erkens, der Leiterin der WKP, gehen und ihr ein paar scheinheilige, nichtssagende Fragen dazu stellen. Frau Erkens würde garantiert an die Decke gehen und eine weitere Intrige gegen sie und ihre Dienststelle wittern. Die Folge wäre ein Konflikt auf der Ebene seiner Vorgesetzten. Die Fetzen würden fliegen und er würde unbemerkt seinen Kopf aus der Schlinge ziehen und sich davonstehlen.

Weber schmunzelte und fing leise an zu lachen. Was für eine grandiose Idee! Er stellte sich vor, wie Frau Erkens sich wie eine Furie auf Dr. Schlanbusch stürzte, der die Verantwortung zweifellos auf Lassally abwälzen würde. Und schon würde Präsident Campe, angelockt von dem lauten Geschrei, durch die endlosen Flure der Polizeizentrale herbeieilen, um den Streit zu schlichten, bevor man sich gegenseitig an die Gurgel ging. Solche Eklats hatte es in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben. Weber fiel ein, dass er selbst einmal beobachtet hatte, wie Frau Erkens vor Dr. Schlanbusch einen Hofknicks gemacht hatte mit den Worten: »Ich danke auch vielmals für die fortgesetzten gnädigen Schikanen.« Was für eine Szene! Hofknicks! »Ich danke vielmals.« Wie eine Madame Pompadour! Das war einfach zu schön gewesen. Weber lachte vor sich hin.

Und da knallte es.

Laut. In unmittelbarer Nähe. Bestenfalls ein oder zwei Zimmer weiter. Womöglich auf dem Flur? Ein Schuss? Weber sprang auf und horchte.

Ein schriller Schrei.

Weber stürzte in den Korridor. Was er dort sah, kam ihm zunächst völlig unverständlich vor.

Zwei Türen weiter stand ein Polizeibeamter der Ordnungspolizei vor dem Büro von Regierungsrat Lassally, in voller Uniform, den Tschako auf dem Kopf, breitbeinig, mit ausgestreckten Armen. Er stemmte die Hände gegen den Türrahmen, um den Durchgang zu blockieren.

(Continues…)


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Table of Contents

Der Autor / Das Buch,
Titelseite,
Impressum,
Prolog: Hurra ich lebe!,
Erstes Kapitel: Voruntersuchung,
Zweites Kapitel: Hokuspokus,
Drittes Kapitel: Vom Täter fehlt jede Spur,
Viertes Kapitel: Einbrecher,
Fünftes Kapitel: Die Eroberung der Luft,
Sechstes Kapitel: Geisterschenke,
Siebtes Kapitel: Der Andere,
Achtes Kapitel: Der Mann, der den Mord beging,
Neuntes Kapitel: Im Geheimdienst,
Zehntes Kapitel: Das gestohlene Gesicht,
Elftes Kapitel: Das letzte Lied,
Zwölftes Kapitel: Die Nacht ohne Pause,
Dreizehntes Kapitel: Hochverrat,
Vierzehntes Kapitel: Der Hampelmann,
Fünfzehntes Kapitel: Das verlorene Paradies,
Epilog: Die Frau, nach der man sich sehnt,
Danksagung,
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