Read an Excerpt
Death in Venice & A Man and His Dog
Der Tod in Venedig & Herr und Hund
By Thomas Mann, STANLEY APPELBAUM Dover Publications, Inc.
Copyright © 2001 Dover Publications, Inc.
All rights reserved.
ISBN: 978-0-486-14326-2
CHAPTER 1
DER TOD IN VENEDIG
Erstes Kapitel
Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem Frühlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der Prinzregentenstraße zu München aus allein einen weiteren Spaziergang unternommen. Überreizt von der schwierigen und gefährlichen, eben jetzt eine höchste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden, hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden Triebwerkes in seinem Innern, jenem "motus animi continuus", worin nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit seiner Kräfte, einmal untertags so nötig war. So hatte er bald nach dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, daß Luft und Bewegung ihn wiederherstellen und ihm zu einem ersprießlichen Abend verhelfen würden.
Es war Anfang Mai und, nach naßkalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der Nähe der Stadt voller Wagen und Spaziergänger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rand einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg außerhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über Föhring Gewitter drohte, am Nördlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte.
Zufällig fand er den Halteplatz und seine Umgebung von Menschen leer. Weder auf der gepflasterten Ungererstraße, deren Schienengeleise sich einsam gleißend gegen Schwabing erstreckten, noch auf der Föhringer Chaussee war ein Fuhrwerk zu sehen; hinter den Zäunen der Steinmetzereien, wo zu Kauf stehende Kreuze, Gedächtnistafeln und Monumente ein zweites, unbehaustes Gräberfeld bilden, regte sich nichts, und das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenüber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages. Ihre Stirnseite, mit griechischen Kreuzen und hieratischen Schildereien in lichten Farben geschmückt, weist überdies symmetrisch angeordnete Inschriften in Goldlettern auf, ausgewählte, das jenseitige Leben betreffende Schriftworte, wie etwa: "Sie gehen ein in die Wohnung Gottes" oder: "Das ewige Licht leuchte ihnen"; und der Wartende hatte während einiger Minuten eine ernste Zerstreuung darin gefunden, die Formeln abzulesen und sein geistiges Auge in ihrer durchscheinenden Mystik sich verlieren zu lassen, als er, aus seinen Träumereien zurückkehrend, im Portikus, oberhalb der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen, einen Mann bemerkte, dessen nicht ganz gewöhnliche Erscheinung seinen Gedanken eine völlig andere Richtung gab.
Ob er nun aus dem Inneren der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von außen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewiß. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. Mäßig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnäsig, gehörte der Mann zum rothaarigen Typ und besaß dessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepräge des Fremdländischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landesüblichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragen über dem linken Unterarm, den er in die Weiche gestützt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schräg gegen den Boden stemmte und auf dessen Krücke er, bei gekreuzten Füßen, die Hüfte lehnte. Erhobenen Hauptes, so daß an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rotbewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf spähend ins Weite. So – und vielleicht trug sein erhöhter und erhöhender Standort zu diesem Eindruck bei – hatte seine Haltung etwas herrisch Überschauendes, Kühnes oder selbst Wildes; denn sei es, daß er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder daß es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren völlig von den Zähnen zurückgezogen, dergestalt, daß diese, bis zum Zalmfleisch bloßgelegt, weiß und lang dazwischen hervorbleckten.
Wohl möglich, daß Aschenbach es bei seiner halb zerstreuten, halb inquisitiven Musterung des Fremden an Rücksicht hatte fehlen lassen, denn plötzlich ward er gewahr, daß jener seinen Blick erwiderte, und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufs äußerste zu treiben und den Blick des andern zum Abzug zu zwingen, daß Aschenbach, peinlich berührt, sich abwandte und einen Gang die Zäune entlang begann, mit dem beiläufigen Entschluß, des Menschen nicht weiter achtzuhaben. Er hatte ihn in der nächsten Minute vergessen. Mochte nun aber das Wandererhafte in der Erscheinung des Fremden auf seine Einbildungskraft gewirkt haben oder sonst irgendein physischer oder seelischer Einfluß im Spiele sein: eine seltsame Ausweitung seines Innern ward ihm ganz überraschend bewußt, eine Art schweifender Unruhe, ein jugendlich durstiges Verlangen in die Ferne, ein Gefühl, so lebhaft, so neu oder doch so längst entwöhnt und verlernt, daß er, die Hände auf dem Rücken und den Blick am Boden, gefesselt stehen blieb, um die Empfindung auf Wesen und Ziel zu prüfen.
Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Seine Begierde ward sehend, seine Einbildungskraft, noch nicht zur Ruhe gekommen seit den Stunden der Arbeit, schuf sich ein Beispiel für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die sie auf einmal sich vorzustellen bestrebt war: er sah, sah eine Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungeheuer, eine Art Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen, – sah aus geilem Farrengewucher, aus Gründen von fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk haarige Palmenschäfte nah und fern emporstreben, sah wunderlich ungestalte Bäume ihre Wurzeln durch die Luft in den Boden, in stockende, grünschattig spiegelnde Fluten versenken, wo zwischen schwimmenden Blumen, die milchweiß und groß wie Schüsseln waren, Vögel von fremder Art, hochschultrig, mit unförmigen Schnäbeln, im Seichten standen und unbeweglich zur Seite blickten, zah zwischen den knotigen Rohrstämmen des Bambusdickichts die Lichter eines kauernden Tigers funkeln – und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und rätselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschütteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Zäunen der Grabsteinmetzereien wieder auf.
Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen waren, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu genießen, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Maßregel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden müssen. Zu beschäftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europäische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Außenwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begnügt, die jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu rühren, von der Oberfläche der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen. Zumal seit sein Leben sich langsam neigte, seit seine Künstlerfurcht, nicht fertig zu werden, – diese Besorgnis, die Uhr möchte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan und völlig sich selbst gegeben, nicht mehr als bloße Grille von der Hand zu weisen war, hatte sein äußeres Dasein sich fast ausschließlich auf die schöne Stadt, die ihm zur Heimat geworden, und auf den rauhen Landsitz beschränkt, den er sich im Gebirge errichtet und wo er die regnerischen Sommer verbrachte.
DEATH IN VENICE
First Chapter
Gustav Aschenbach (or von Aschenbach, as his name read officially since his fiftieth birthday), on a spring afternoon of that year 19—which for months posed such a threat to our continent, had left his apartment in the Prinzregentenstrasse in Munich and had gone for a rather long walk all alone. Overstrained by the difficult and dangerous labor of the morning hours, which precisely at this moment called for extreme circumspection, discretion, forcefulness, and exactitude of the will, even after the noon meal the writer had been unable to restrain the continued operation of the productive machinery within him—that motus animi continuus in which, according to Cicero, the nature of eloquence consists—and had not found the relieving slumber that, with the increasing tendency of his strength to wear out, was so necessary to him once in the course of the day And so, soon after tea, he had sought the outdoors, in hopes that the fresh air and activity would restore him and help him have a profitable evening.
It was the beginning of May and, after weeks of cold and damp, a spurious midsummer had set in. The English Garden, although its trees still bore only a few leaves, had been as muggy as in August, and in the vicinity of the city it had been full of carriages and strolling people. At the Aumeister, to which increasingly quiet paths had led him, Aschenbach had for a short while glanced at the crowd in that populur outdoor restaurant, alongside which several fiacres and private carriages were stationed; from there, as the sun was setting, he had taken a homeward route outside the park across the open meadow; and now, since he felt tired and a storm was threatening over Föhring, he was waiting at the Northern Cemeteryfor the streetcar that would bring him directly back to the city.
By chance he found the stop and its surroundings free of people. Neither on the paved Ungererstrasse, whose tracks stretched lonely and gleaming toward Schwabing, nor on the Föhringer Chaussee, was any conveyance to be seen; behind the fences of the stonecutters' establishments, where the crosses, memorial tablets, and monuments available for sale constitute a second, unpopulated burial place, nothing was stirring; and the Hall of Last Rites opposite, with its Byzantine-style architecture, lay silent in the reflected glow of the departing day. Its facade, adorned with Greek crosses and hieratic paintings in bright colors, also features symmetrically arranged inscriptions in gold lettering, selected religious phrases concerning the life beyond, such as "They are entering into the dwelling place of God" or "May the eternal light shine for them"; and for a few minutes, as he waited there, he had found some serious amusement in reading off these formulas and allowing his minds eye to become absorbed in their diaphanous mysticism—when, Coming out of his reveries, he noticed in the portico, above the two apocalyptic beasts that guard the monumental staircase, a man whose somewhat unusual appearance gave his thoughts a totally new direction.
Now, whether the man had been inside the Hall and had stepped outside through the bronze portal, or whether he had ascended unnoticed from outdoors, remained uncertain. Aschenbach, without dwelling on the question particularly, inclined toward the first assumption. Moderately tall, thin, beardless, and conspicuously snub-nosed, the man was redheaded and had the milky, freckled skin peculiar to that physical type. He was clearly not of Bavarian ancestry: at least, the broad, straight-rimmed bast hat that covered his head lent his appearance the stamp of foreignness, of having come from far away. To be sure, he was also wearing the locally common rucksack buckled around his Shoulders and a yellowish belted outfit that seemed to be of loden, and he was carrying a gray rain-cape over his left forearm, which he held akimbo against his side; in his right hand was a Walking stick fitted with an iron tip, which he leaned against the ground at an angle and in the crook of which he rested his hip as he stood there with his feet crossed. His head raised, so that his Adam's apple stuck out, prominent and bare, against the scrawny neck protruding from his loose sport shirt, he peered sharply and searchingly into the distance with colorless, red-lashed eyes between which, as a most unusual counterpart to his short, turned-up nose, stood two energetic vertical furrows. In this way—and perhaps his elevated and elevating standpoint contributed to the impression—his bearing was somewhat like that of a lord surveying his domain, with an element of boldness or even savagery; for, whether it was because, dazzled, he was grimacing into the sinking sun, or whether his features were permanently deformed, his lips seemed too short; they were drawn all the way back, so that his long, white teeth, exposed up to the gums, were visible between them.
It is very possible that Aschenbach, in his half-distracted, half-inquisitive examination of the stranger, had showed some lack of etiquette, for suddenly he noticed that the man was returning his gaze, and so hostilely, looking him so directly in the eye, with so obvious an intention to push the matter to extremes and force his Opponent to avert his gaze, that Aschenbach, embarrassed, moved away and began Walking along the fences, deciding casually to pay no further attention to the person. The next minute, he had forgotten him. But whether the wayfaring aspect of the strangers appearance had stirred his imagination, or whether some other physical or mental influence was at work, he was most surprisingly conscious of an odd expansion within himself, a kind of roving unrest, a youthfully ardent desire for faraway places, a feeling so intense, so new or at least unaccustomed and forgotten for so long, that he stopped short as if rooted to the spot, his hands clasped behind him and his eyes fixed on the ground, in order to examine the nature and purpose of this Sensation.
It was an urge to travel, nothing more; but it presented itself in the form of a real seizure, intensified to the point of passionateness; in fact, it was like a delusion of the senses. His desire was clairvoyant; his imagination, which had not yet come to rest since his hours of work, summoned up a representative sampling of all the wonders and terrors of the variegated earth, all of which it attempted to visualize at one and the same time: he saw, saw a landscape, a tropical swampy region under a vapor-laden sky, damp, luxuriant, and uncanny; it was like the portrait of a primitive world of islands, morasses, and siltladen rivers. From lusty fern Clusters, from bottoms in which grew thick, waterlogged plants with outlandish blossoms, he saw hairy palm trunks rising near and far; he saw strangely misshapen trees sinking their roots through the air into the soil, into stagnant waters that reflected the green shade, where amid floating flowers as white as milk and as large as platters, birds of an exotic species, with hunched Shoulders, with monstrous beaks, stood in the shallows and gazed off to the side, motionless; between the knotty, tubulär stalks of the bamboo thicket he saw the eyes of a crouching tiger sparkle—and he felt his heart pounding with fright and a puzzling desire. Then the vision receded; and, shaking his head, Aschenbach resumed his promenade beside the fences of the gravestonecutting Workshops.
Ever since he had had at his disposal the means to enjoy the advantages of world travel whenever he wished, and perhaps even before that, he had looked upon traveling merely as a health measure that had to be taken now and again, even if contrary to his plans and inclinations. Too occupied with the tasks set for him by his own ego and by the European spirit he represented, too burdened with the Obligation to create and too undisposed to diversions to be a proper admirer of the colorful outside world, he had been perfectly satisfied with the view of the earth's surface that anyone can acquire without venturing far away from his own circle of interests, and he had never even been tempted to leave Europe. And now, most of all, when his life was slowly approaching its close and he could no longer dismiss as a mere fancy his fear, shared by every artist, that he might not complete his life's work, that his clock might run down before he had accomplished what was in him and had given all of himself, his external existence had been confined almost exclusively to the beautiful city that had become his home and to the simple country villa which he had built for himself in the mountains and where he spent the rainy summers.
(Continues...)
Excerpted from Death in Venice & A Man and His Dog by Thomas Mann, STANLEY APPELBAUM. Copyright © 2001 Dover Publications, Inc.. Excerpted by permission of Dover Publications, Inc..
All rights reserved. No part of this excerpt may be reproduced or reprinted without permission in writing from the publisher.
Excerpts are provided by Dial-A-Book Inc. solely for the personal use of visitors to this web site.
