Das Leben ist kein Flickenteppich

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eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Von einem Wagen angefahren, vom Verlobten verlassen - das Leben meint es gerade nicht gut mit Nora Stuart. Darum will sie Kraft sammeln, am einzigen Ort, der ihr einfällt: zu Hause auf Scupper Island. Nach fünfzehn Jahren wird sie jedoch immer noch wie das schwarze Schaf der Kleinstadt-Gemeinschaft behandelt. Während ihre Mutter so kühl ist wie früher, spürt Nora, für wen sie jetzt da sein will: für ihre rebellische Nichte Poe. Gemeinsam mit ihr, einem Mann aus Noras Vergangenheit und ihrem Bernhardiner Boomer zeigt sie allen, was Familie wirklich heißt.


Product Details

ISBN-13: 9783955768133
Publisher: MIRA Taschenbuch
Publication date: 09/03/2018
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 464
File size: 1 MB
Language: German

About the Author

About The Author
Die Romane der New-York-Times-Bestsellerautorin werden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und sind mehrfach ausgezeichnet worden. Kristan Higgins lebt mit ihrem Ehemann, einem heldenhaften Feuerwehrmann, zwei ungewöhnlich liebevollen Kindern, einem neurotischen Rettungshund und einer manchmal freundlichen Katze in Connecticut.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Mein erster Gedanke, nachdem ich gestorben war, lautete: Wie wird mein Hund damit zurechtkommen?

Der zweite Gedanke: Ich hoffe, wir können das mit dem offenen Sarg immer noch machen.

Der dritte Gedanke: Ich habe für meine eigene Beerdigung nichts zum Anziehen.

Der vierte: Ich werde Daniel Radcliffe nicht mehr kennenlernen.

Der fünfte: Hat Bobby wirklich gerade mit mir Schluss gemacht?

Lasst mich eine Stunde zurückspulen.

Es war eine ruhige Nacht im Boston City Hospital – also, ruhig für mich. So wie üblich. Es war zwar eines der größten und geschäftigsten Krankenhäuser von ganz New England, ich aber arbeitete hier als Gastroenterologin. Was bedeutete, die meisten meiner Patienten bekamen ihre Diagnose tagsüber im Sprechzimmer, bevor die Lage zu kritisch wurde – ich meine, jeder dreht schließlich durch, wenn er nicht ordentlich auf Toilette gehen kann. Abgesehen von den seltenen Notfällen wie Blutungen oder geplatzten Gallenblasen ist es ein ziemlich ruhiges Arbeitsgebiet.

Und eines mit einer geringen Sterblichkeitsrate.

Ich hatte gerade nach den vier Patienten gesehen, die meine Praxis hierher überwiesen hatte – zwei ältere Damen, die wegen eines Einlaufs von ihren Pflegeheimen zu uns geschickt worden waren. Einer der beiden Fälle hatte sich als kleine Verstopfung herausgestellt, die sich gut mit einer kurzfristigen Umstellung auf flüssige Nahrung lösen ließ. Die andere Patientin litt unter einer Colitis ulcerosa, einer entzündlichen Erkrankung des Dickdarms, die mein Kollege morgen operieren würde.

»Keine Ballaststoffe mehr, Mrs. DeStefano, okay? Etwas weniger Pasta und dafür mehr Salat und Gemüse«, hatte ich zu meiner Patientin gesagt.

»Liebes, ich bin Italienerin. Ich würde lieber sterben, als mich bei der Pasta zurückzuhalten.«

»Nun, dann essen Sie mehr Gemüse und ein kleines bisschen weniger Nudeln.« Die Frau war immerhin sechsundneunzig. »Sie wollen doch nicht öfter hier landen, oder? So lustig sind Krankenhäuser auch nicht.«

»Sind Sie verheiratet?«, fragte sie.

»Noch nicht.« Mein Gesicht fühlte sich seltsam an, wie immer, wenn ich ein falsches Lächeln aufsetzte. »Aber ich habe einen sehr netten Freund.«

»Ist er Italiener?«

»Er hat irische Wurzeln.«

»Tja, man kann nicht immer Glück haben«, sagte sie. »Kommen Sie mich mal besuchen. Sie sind zu dünn. Ich werde Ihnen eine Pasta Fagioli machen, die Sie zum Weinen bringt, so gut ist sie.«

»Klingt himmlisch.« Ich wies Mrs. DeStefano nicht darauf hin, dass sie nicht länger im eigenen Haus wohnte. Und egal, wie süß diese kleine alte Lady auch sein mochte, ich besuchte keine Fremden, nicht einmal Fremde, die mich für dünn hielten – Gott möge sie segnen. »Versuchen Sie, ein wenig zu schlafen«, sagte ich. »Ich werde morgen wieder nach Ihnen sehen, in Ordnung?«

Meine Absätze klapperten auf dem glänzenden Fliesenboden, als ich das Zimmer verließ ... Für die Arbeit zog ich mich immer sehr sorgfältig an, was vermutlich daran lag, dass ich meine Liebe zur Mode später als die meisten entdeckt hatte. Ich richtete meinen weißen Arztkittel – den zu tragen ich immer noch unglaublich aufregend fand. Auf der Brusttasche war mein Name eingestickt: Dr. Nora Stuart, Abteilung für Gastroenterologie.

Ich könnte ein wenig am Computer arbeiten. Die Schwestern auf der Station würden mich dafür lieben. Meine Visite war durch, und ich musste Zeit totschlagen und hoffen, dass Bobby am Ende seiner Schicht endlich einmal auch wirklich fertig wäre. Er arbeitete in der Notaufnahme, sodass dies nur selten der Fall war.

Aber ich wollte nicht allein nach Hause gehen, selbst wenn dort Boomer, unser riesiger Berner Sennenhund, auf mich wartete. Boomer, der Lichtstrahl in meinem immer grauer werdenden Leben.

Nein. Mein Leben war toll. Super sogar. Besser, sich jetzt nicht der Nabelschau zu widmen. Vielleicht würde ich Roseline anrufen, meine beste Freundin hier in Boston. Sie war Geburtshelferin. Oh, vielleicht hatte sie sogar Notdienst, und ich könnte ihr helfen, ein Baby auf die Welt zu bringen. Ich schrieb ihr eine Nachricht und erhielt umgehend die Antwort, dass sie zum Dinner bei ihren Schwiegereltern war und ernsthaft über Mord nachdachte.

Zu schade. Roseline verstand das Grau in meinem Leben. Andererseits verließ ich mich vielleicht ein wenig zu sehr auf sie. Ich antwortete ihr mit Vorschlägen, wie sie die Leichen verschwinden lassen könnte, und steckte mein Handy in die Tasche zurück.

Langsam schlenderte ich zum Schwesternzimmer hinüber. Ah, wie bezaubernd. Del, einer meiner liebsten Pfleger, saß mit einem Lolli im Mund am Tisch und ging einen Stapel Papiere durch. »Hey Kumpel«, sagte ich.

»Dr. Nora! Wie läuft's?«

»Super! Wie geht es dir? Wie war das Date vor Kurzem?«

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und grinste breit. »Sie ist die Eine«, sagte er selbstzufrieden. »Ich wusste es in der Sekunde, in der sie mich angelächelt hat.«

»Wirklich?«

»Wirklich. Ich meine, sie hat hochgeschaut, und ich bin quasi vor ihr auf die Knie gegangen. Es war, als würden wir uns schon immer kennen. Als wären wir füreinander gemacht, verstehst du?«

»Klar!«, sagte ich etwas zu enthusiastisch. »Mit mir und Bobby war es genauso.«

Dels Lächeln fiel ein klein wenig in sich zusammen.

In dem Moment erklang eine Durchsage über das Lautsprechersystem. »Achtung, Achtung. Achtung, bitte. Dr. Stuart. Dr. Nora Stuart, bitte sofort in die Notaufnahme Raum elf.«

Ich sprang auf. »Oh! Das bin ich!« Ein Aufruf an mich, in die Notaufnahme zu kommen, war selten genug und deswegen immer noch aufregend. »Ich bin dann mal weg. Bye, Del!«

Ich rannte den Flur hinunter und fühlte mich ziemlich cool. Mit einer Hand hielt ich das Stethoskop fest, damit es nicht gegen meine Brust schlug, und ich fragte mich, worum es wohl ging. Ein Fremdkörper in der Speiseröhre (mit anderen Worten Ersticken)? Eine Blutung im unteren Gastrointestinalbereich? Das war immer aufregend. Üblicher für eine Notaufnahme in der Stadt wäre eine Ösophagusvarize aufgrund zu hohen Alkoholkonsums oder einer Hepatitis – dabei handelt es sich um kleine Blutgefäße in der Speiseröhre, die platzen und dafür sorgen können, dass der Patient verblutet.

Ich liebte es, in die Notaufnahme zu gehen. Die Gastroenterologie war genauso wichtig wie die Notfallmedizin, aber niemand schrieb eine Fernsehserie darüber. Die coolen Typen hingen in der Notaufnahme ab, und mein Freund war ihr König. Bobby sagte oft, dass es nur wenig gab, was das Team aus der Notaufnahme nicht flicken konnte – aber wenn sie mich anpiepten, nun ... dann war ich jetzt die Königin.

Ich lief die Treppe zur Notaufnahme hinunter und zu der Schwester, die die Ersteinschätzung übernahm. Ellen schaute auf und sagte: »Zwölfjähriger mit Bauchschmerzen. Sieht krank aus. Raum elf.«

»Danke, Ellen!« Sie erwiderte mein Lächeln nicht. Bobby liebte sie, aber zu mir war sie so charmant wie die Dementoren in den »Harry Potter«-Büchern – immer auf der Suche danach, etwas Glück zu zerstören.

Entschlossen, aber nicht zu eilig, machte ich mich auf den Weg zum Untersuchungsraum elf. Heute Abend war es in der Notaufnahme ziemlich ruhig. Es gab die üblichen Verdächtigen: ein paar alte Leute, ein paar Kids, ein paar Drogenabhängige, einen Kerl mit einer blutigen Hand, der mir zulächelte, als ich an ihm vorbeiging.

Gastroenterologie ... Nun, irgendjemand musste sich darum kümmern, oder? Und mir gefiel es. Also meistens. Neunzig Prozent meiner Patienten ging es später besser. Was die Darmspiegelungen anbelangte ... ob man es glaubt oder nicht, sie hatten etwas Meditatives. Aber klar, sie waren nicht gerade das beste Thema für einen Small Talk auf einer Party. Ich konnte gar nicht zählen, wie oft die Leute zusammengezuckt waren, wenn ich ihnen von meiner Spezialisierung erzählte, aber wenn sie ein Magengeschwür bekämen, würden sie es sicher gut finden, mich zu kennen.

Jabrielle, eine der Neuzugänge in der Notaufnahme, stand vor dem Untersuchungszimmer. Sie schwärmte ein wenig zu sehr für Bobby, was sie demonstriert hatte, als sie ihm auf der letzten Party, die wir gemeinsam besucht hatten, sehr tief in die Augen geschaut hatte. Es war eine dieser Wirkönnen-den-Blickkontakt-jetzt-nicht- unterbrechen-weil-diese-Unterhaltung-so- intensiv-ist-Situationen gewesen. Jabrielle war außerdem irritierend hübsch.

»Sind Sie die Gastro-Spezialistin?«, fragte sie und schaffte es wieder einmal, mich nicht wiederzuerkennen.

»Ja«, sagte ich. »Ich bin Nora. Wir haben uns schon mal getroffen. Dreimal, um genau zu sein.« Sie schaute mich immer noch leer an. »Bobbys Freundin?«

»Oh. Richtig. Wie auch immer, ich vermute eine Appendizitis, aber seine Schmerzen liegen etwas weiter in der Mitte. Wir warten noch auf die Laborbefunde. Ich wollte ihn ins CT schieben, aber die Begleitperson wollte erst Ihre Meinung hören und sehen, ob wir das vielleicht vermeiden können.«

Der Patient sah sehr jung aus für seine zwölf Jahre. Seine Haut war aschfahl, sein Gesicht schmerzverzerrt. Wir wollten ihn nicht der Strahlung des Computertomografen aussetzen, wenn es nicht unbedingt nötig war. »Hey Kumpel«, sagte ich. »Wir werden uns gut um dich kümmern, okay?« Ich lächelte die Mutter an, während ich mir die Hände wusch. »Ich bin Dr. Stuart. Es tut mir leid, dass Ihr Sohn solche Schmerzen hat.« Ich sah mir die Aufnahmeakte an. Caden Lackley, kein Trauma, hatte bis heute normal gegessen, akute Unterleibsschmerzen, Fieber, Übelkeit und Erbrechen. »Durchfall oder weicher Stuhl, Caden?« Wie gesagt, nicht der beste Partytalk.

»Nein«, sagte er.

»Okay. Dann schauen wir uns das mal an.«

Ich tastete seinen Bauch ab, der sehr hart war – eines der Anzeichen für eine Blinddarmentzündung. Aber der Schmerz befand sich nicht an der dafür zu erwartenden Stelle; ehrlich gesagt war er gar nicht in der Nähe des sogenannten McBurney-Punktes in seinem unteren rechten Bauchbereich. »Das ist nicht sein Blinddarm«, sagte ich.

Jabrielle schürzte ihre perfekten Lippen. Sie war genervt, dass sie nicht recht gehabt hatte. Alle Ärzte in der Notaufnahme waren so – sie hassten es, wenn wir Spezialisten nicht mit ihrer Einschätzung übereinstimmten.

Der Junge atmete mit einem Mal scharf ein, als ich die Stelle direkt unter seinen rechten Rippen abtastete. Auf der linken Seite hatte er keine Schmerzen. Ich rollte ihn auf die Seite und klopfte seinen Rücken nach Nierenproblemen ab, aber er zeigte keine Reaktion.

Für Gallensteine war er vermutlich noch zu jung. Vielleicht eine Pankreatitis, aber auch die war angesichts seines Alters unwahrscheinlich. Und ohne Durchfall konnte es sich nicht um Morbus Crohn handeln. »Wie lange tut dir der Bauch schon weh, Caden?«

»Seit Sonntag.«

Das war eine schön spezifische Antwort. Heute war Donnerstag, also fünf Tage mit Bauchschmerzen. »Hat es zwischendurch aufgehört und wieder angefangen?«

»Nein. Es war die ganze Zeit da.«

Ich überlegte eine Sekunde. »Hast du am Wochenende etwas anderes als sonst gegessen?«

»Wir sind auf einer Feier bei meiner Schwester gewesen«, schaltete die Mutter sich ein. »Da gab es viel zu essen, aber nichts, was er nicht schon vorher probiert hätte.«

»Irgendetwas mit kleinen Knochen oder Gräten? Fisch? Hühnchen?«

Sie sahen einander an. »Nein, nichts mit Knochen oder Gräten«, sagte sie.

»Was ist mit einem Zahnstocher?«, fragte ich weiter.

»Ja«, sagte er. »Die Jakobsmuscheln waren in Bacon eingewickelt.«

Bingo. »Hast du vielleicht einen Zahnstocher verschluckt?«, hakte ich nach.

»Ich glaube nicht«, erwiderte er.

»Er hat die Muscheln gegessen wie Popcorn«, sagte seine Mutter.

»Nun, die sind ja auch lecker.« Ich lächelte. »Manchmal verschluckt man etwas, ohne es zu bemerken, Caden. Ich werde jetzt eine Endoskopie durchführen. Du bekommst eine schön entspannende Medizin, und ich schiebe eine winzige Kamera in deinen Magen und schaue mich um. Vielleicht sehe ich ja einen Zahnstocher. Klingt das nach Spaß?«

Für mich tat es das.

Ich bat Jabrielle, ihm ein wenig Midazolam zur Entspannung zu geben, dann sprühte ich seinen Hals mit Lidocain aus, um ihn zu betäuben, damit Caden nicht anfangen würde zu würgen. Seine Mom saß neben ihm und hielt seine Hand.

»Das tut gar nicht weh«; sagte ich und machte mich an die Arbeit. Langsam ließ ich das Endoskop in seine Kehle gleiten und erklärte dabei die ganze Zeit ruhig, was ich tat. Auf einem Monitor konnte ich Cadens Speiseröhre und den Magen sehen. Gesundes Gewebe, das wunderschöne Netz aus Blutgefäßen, die gräulichen Wände des Magens, die vor Leben pulsierten.

Und da, im unteren Magenbereich, sah ich den Zahnstocher, der durch die Magensäure schwarz gefärbt war und aus der Wand von Cadens Zwölffingerdarm hervorschaute. Mit der Pinzette an der Spitze des Endoskops packte ich ihn und zog ihn langsam heraus. »Tada!«, sagte ich und hielt ihn so, dass mein Patient ihn sehen konnte. »Wir haben ihn, Caden. Morgen wirst du dich schon viel besser fühlen.«

»Gut gemacht«, murmelte Jabrielle.

»Danke«, sagte ich. »Ich werde ihm noch ein Antibiotikum mitgeben, aber er sollte bald wieder ganz auf dem Damm sein. Und zukünftig iss ein wenig vorsichtiger, mein Großer, okay? Der hier hätte ziemlichen Schaden anrichten können. Wenn er in deine Leber gerutscht wäre, hätte das übel ausgehen können.«

»Ich danke Ihnen vielmals, Doktor«, sagte seine Mom. »Wir hatten ja keine Ahnung!«

»Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte ich. »Er scheint mir ein toller Junge zu sein.«

Ich zog meine Handschuhe aus, schüttelte der Mutter die Hand, zerzauste Cadens Haare und ging hinaus, um das Rezept ausschreiben zu lassen.

Ich fühlte mich ein wenig heldenhaft.

Unbehandelt hätte der Zahnstocher eine Sepsis auslösen können. So etwas konnte tödlich enden. Auch wenn das nicht allzu oft passierte, konnte ich doch sagen, dass ich heute Abend ein Leben gerettet hatte.

In dem Moment wurden die Türen zur Notaufnahme aufgestoßen, und eine Gruppe Menschen stürmte mit einer Trage in ihrer Mitte durch den Flur. »Schüsse im Vorbeifahren in den Hals«, bellte jemand – Bobby, es war mein Schatz! »Enormer Blutverlust im Fahrzeug, Level-Eins-Infusion mit vier Einheiten Blutgruppe Null fertigmachen. Blutbank wegen weiterer Bluttransfusionen anrufen und Trauma-Code für Raum eins ausrufen! Bewegt eure Ärsche, Leute! Beeilung!«

Hektik brach aus, Menschen rannten in alle Richtungen und taten, was ihr Herr ihnen befohlen hatte. Ich schlich mich näher an den Raum, in dem die Action stattfand. Ich war wie hypnotisiert. Guter Gott, es sah aus, als fehle dem Mann die halbe Kehle. Da klaffte ein fleischiges Loch von der Größe einer Faust, und Bobbys Hand steckte darin.

»Ich klemme seine Halsschlagader mit meinen verdammten Fingern ab!«, brüllte Bobby. »Wo zum Teufel ist der Chirurg?«

Bobbys Arm war von Blut getränkt, sein Kittel mit roten Spritzern übersät. Der Rest des Teams rannte um den Patienten herum, schnitt seine Kleidung auf, legte verschiedene Zugänge.

»Nein, du kannst nicht intubieren, du Idiot!«, bellte Bobby einen AiP, wie ein Arzt im Praktikum genannt wurde, an. »Siehst du nicht, dass meine Hand in seinem Hals steckt? Nimm den Beatmungsbeutel, du Trottel!«

Ich vermisste meine AiP-Zeit definitiv nicht. Die Ärzte in der Notaufnahme waren brutal gewesen.

Dr. McKnight vom OP-Team platzte herein und zog sich ihre Handschuhe an. Den Gesichtsschutz hatte sie bereits aufgesetzt, um sich vor allen über das Blut übertragbaren Krankheiten zu schützen. Jemand half ihr, einen Kittel anzuziehen. »Klammern«, befahl sie. »Sofort!« Wenn es jemanden gab, der noch ein wenig selbstbewusster war als ein Arzt aus der Notaufnahme, dann war es ein Chirurg. Oder in diesem Fall eine Chirurgin. »Behalte deine Hand dort, Bobby, und wage es nicht einmal zu atmen. Wenn du den Griff lockerst, verblutet er innerhalb von fünf Sekunden. Wie zum Teufel hat er es überhaupt geschafft, hier noch mit einem Puls anzukommen?«

Dann sah eine Schwester, dass ich zuguckte, und schloss die Tür. Schließlich gehörte ich nicht zum Team der Notaufnahme.

Ich riss mich aus meiner ehrfürchtigen Benommenheit und schloss den Mund. Der Hausmeister wischte bereits die Blutspur auf dem Boden auf, und die Hälfte der Angestellten – einschließlich Jabrielle, die mir einen bösen Blick zuwarf, weil ich mit meiner langweiligen Endoskopie dafür gesorgt hatte, dass sie die wirklich gute Show verpasst hatte – lungerte am Fenster in der Tür des Untersuchungszimmers herum, um zu sehen, ob der Mann es schaffen würde.

Die Patienten in den anderen Untersuchungszimmern schwiegen, wie es schien, aus Respekt – in ihrer Mitte hatte sich immerhin gerade ein fernsehwürdiges Drama ereignet.

(Continues…)


Excerpted from "Das Leben ist kein Flickenteppich"
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