Das Gewicht eines Pianos: Roman

»Eine Liebeserklärung an die Macht der Musik und an die Macht des Schicksals, spannend und vielschichtig erzählt.« BÜCHERmagazin

Die neunjährige Katya wächst im Russland der 1960er-Jahre in bescheidenen Verhältnissen in einer Stadt nahe Moskau auf. Von einer tiefen Unruhe getrieben, lauscht sie jede Nacht den eindringlichen Klaviersonaten des Mansardenbewohners. Er sei ein Ungeheuer, sagt man, ein geflohener SS-Scherge. Als der Mann stirbt, erbt Katya sein Klavier. Ein Blüthner. Es wird ihre erste große Liebe. Clara ist Automechanikerin in der Nähe von L.A. Ihre Eltern sind bei einem Brand ums Leben gekommen, und ihre wichtigste Erinnerung ist das geerbte Blüthner-Piano.
Clara hasst es, denn sie hat keine Verbindung zur Musik. Aber es ist das Einzige, was ihr von ihrem Vater blieb.

Ein halbes Jahrhundert und zwei Welten trennen diese beiden Frauen, die doch auf tragische Weise so viel mehr verbindet.

  • »Chris Cander macht darin deutlich, dass materielle Sicherheit kein Garant für Glück ist, sondern dass dieses aus einem selbst heraus erwachsen muss. […] Die Thematik, die durchaus zum Nachdenken anregt, und das Klavier als stummer Protagonist machen „Das Gewicht eines Pianos“ besonders« belletristik-couchDE
  • »Die schicksalhafte Verbindung zwischen dem Klavier, seinen frühen und seinen späteren Besitzern inszeniert Autorin Cander als herzergreifende Komposition aus Exil-Drama, Liebesgeschichte und schwermütige Hommage an Meister wie Rachmaninow oder Skrjabin.« Mobil
  • »Einfühlsam erzählt Chris Cander von Familie, von Liebe und davon, den eigenen Weg zu finden.« Emotion
  • »Meiserhaft erzählt „Das Gewicht eines Pianos“ von der Macht der Musik und von der Kunst, die Vergangenheit loszulassen.« Leserin
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Das Gewicht eines Pianos: Roman

»Eine Liebeserklärung an die Macht der Musik und an die Macht des Schicksals, spannend und vielschichtig erzählt.« BÜCHERmagazin

Die neunjährige Katya wächst im Russland der 1960er-Jahre in bescheidenen Verhältnissen in einer Stadt nahe Moskau auf. Von einer tiefen Unruhe getrieben, lauscht sie jede Nacht den eindringlichen Klaviersonaten des Mansardenbewohners. Er sei ein Ungeheuer, sagt man, ein geflohener SS-Scherge. Als der Mann stirbt, erbt Katya sein Klavier. Ein Blüthner. Es wird ihre erste große Liebe. Clara ist Automechanikerin in der Nähe von L.A. Ihre Eltern sind bei einem Brand ums Leben gekommen, und ihre wichtigste Erinnerung ist das geerbte Blüthner-Piano.
Clara hasst es, denn sie hat keine Verbindung zur Musik. Aber es ist das Einzige, was ihr von ihrem Vater blieb.

Ein halbes Jahrhundert und zwei Welten trennen diese beiden Frauen, die doch auf tragische Weise so viel mehr verbindet.

  • »Chris Cander macht darin deutlich, dass materielle Sicherheit kein Garant für Glück ist, sondern dass dieses aus einem selbst heraus erwachsen muss. […] Die Thematik, die durchaus zum Nachdenken anregt, und das Klavier als stummer Protagonist machen „Das Gewicht eines Pianos“ besonders« belletristik-couchDE
  • »Die schicksalhafte Verbindung zwischen dem Klavier, seinen frühen und seinen späteren Besitzern inszeniert Autorin Cander als herzergreifende Komposition aus Exil-Drama, Liebesgeschichte und schwermütige Hommage an Meister wie Rachmaninow oder Skrjabin.« Mobil
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»Eine Liebeserklärung an die Macht der Musik und an die Macht des Schicksals, spannend und vielschichtig erzählt.« BÜCHERmagazin

Die neunjährige Katya wächst im Russland der 1960er-Jahre in bescheidenen Verhältnissen in einer Stadt nahe Moskau auf. Von einer tiefen Unruhe getrieben, lauscht sie jede Nacht den eindringlichen Klaviersonaten des Mansardenbewohners. Er sei ein Ungeheuer, sagt man, ein geflohener SS-Scherge. Als der Mann stirbt, erbt Katya sein Klavier. Ein Blüthner. Es wird ihre erste große Liebe. Clara ist Automechanikerin in der Nähe von L.A. Ihre Eltern sind bei einem Brand ums Leben gekommen, und ihre wichtigste Erinnerung ist das geerbte Blüthner-Piano.
Clara hasst es, denn sie hat keine Verbindung zur Musik. Aber es ist das Einzige, was ihr von ihrem Vater blieb.

Ein halbes Jahrhundert und zwei Welten trennen diese beiden Frauen, die doch auf tragische Weise so viel mehr verbindet.

  • »Chris Cander macht darin deutlich, dass materielle Sicherheit kein Garant für Glück ist, sondern dass dieses aus einem selbst heraus erwachsen muss. […] Die Thematik, die durchaus zum Nachdenken anregt, und das Klavier als stummer Protagonist machen „Das Gewicht eines Pianos“ besonders« belletristik-couchDE
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Product Details

ISBN-13: 9783959678582
Publisher: HarperCollins Publishers
Publication date: 02/01/2019
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 400
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Chris Cander wusste früh im Leben, dass sie Autorin werden wollte. Dem Vorsatz ist sie treu geblieben: Sie hat drei Romane für Erwachsene geschrieben, hochgelobt von den Kritikern, zudem Theaterstücke und Kinderbücher. Außerdem verfasst sie Zeitschriftenartikel über Gesundheit, Lifestyle und Fitness. In ihrer Freizeit engagiert sie sich für Schreib- und Leseförderung, freie Büchereien und ist u.a. Mitglied in der American Society for Journalists, bei PEN und MENSA. Das ehemalige Model ist lizensierte Lehrerin in Selbstverteidigung für Frauen und Meisterin in Tae-Kwon-Do. Chris Cander lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Houston, Texas.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

In den Bergen Rumäniens, wo die Winter besonders kalt und lang sind, wuchsen, in dichten Wäldern verborgen, Fichten, aus denen Klaviere entstanden – einzigartige Instrumente, die berühmt waren für ihren wunderbar warmen Klang und beliebt bei Komponisten wie Schumann und Liszt. Nur ein Mann besaß die Fähigkeit, sie auszusuchen.

Sobald die Blätter gefallen waren und Schnee den Boden bedeckte, reiste Julius Blüthner mit der Eisenbahn aus Leipzig an und machte sich allein auf den Weg durch den Wald. Aufgrund der Höhe und der grimmigen Kälte wuchsen die Bäume dort sehr langsam. Aufrecht und stark trotzten sie den Elementen, ihre Zellen prall gefüllt mit Harz. Blüthner nickte den jungen Fichten zu, die er passierte, strich der einen oder anderen wie zum Gruß über die Borke. Er hielt Ausschau nach älteren Bäumen, deren Äste er nicht erreichen konnte und deren gewaltiger Durchmesser nicht erkennen ließ, ob womöglich ein Bär dahinter lauerte. Diese klopfte er mit seinem Spazierstock ab und hielt, seiner Intuition folgend, das Ohr an die Stämme, um der Musik in ihrem Inneren zu lauschen. Er verstand sich besser darauf als jeder andere Klavierbauer, besser sogar als Ignaz Bösendorfer, Carl Bechstein oder Henry Steinway. Wenn er hörte, was er hören wollte, markierte er die betreffende Fichte mit einem Strang leuchtend roter Wolle, der sich deutlich vom Schnee abhob.

Dann kamen die Waldarbeiter, die er angeheuert hatte, um die von ihm ausgewählten Exemplare zu fällen. Blüthner sah aufmerksam zu; an der Art, wie die Bäume fielen, konnte er die besten erkennen. Nur jene mit mindestens sieben gleichermaßen breiten Jahresringen pro Zentimeter wurden auf Schlitten aus dem Wald gebracht und nach Deutschland transportiert. Aus den besten davon wiederum wurden die Resonanzböden gefertigt, die gleichsam das Herzstück seiner berühmten Klaviere bildeten.

Zum Schutz vor Rissen wurden die Stämme feucht gehalten, bis sie im Sägewerk angekommen waren. Im Bestreben, ihnen die reinsten Klänge zu entlocken, wurden sie dort zu einheitlichen Brettern mit aufrecht stehenden Jahresringen gesägt, geschnitten und gehobelt. Die Späne wanderten in die Öfen, um das Sägewerk zu beheizen und die Dampfmaschinen anzutreiben. Da beim Sägen häufig Astnarben und andere Makel zutage traten, endeten auch viele der wertvollen Tonholzbretter in den Öfen. Was übrig blieb, war nahezu perfekt: von weißer Farbe, leicht und biegsam, die zarten Linien der parallel verlaufenden, dicht aneinanderliegenden Jahresringe kaum auszumachen. Diese Bretter waren für die Resonanzböden bestimmt und wurden im Laufe der mindestens zwei Jahre dauernden Lagerung immer wieder zu- und abgedeckt, bis der Wassergehalt auf etwa vierzehn Prozent gesunken war.

Erst dann wurden sie auf Pferdekarren verladen und in die riesige Blüthner-Fabrik in der Weststadt Leipzigs gebracht, wo sie über Monate hinweg in Trockenhäusern auf Regalen hoch oben unter der Decke lagen. Doch auch danach waren sie noch nicht bereit für die Verwandlung in ein Instrument. Um sicherzustellen, dass die daraus gefertigten Resonanzböden eines Tages den für Blüthner-Klaviere einzigartigen goldenen Klang erzeugen konnten, wurde das Holz erst noch einige Jahre im Freien getrocknet.

Entsprechend ehrfürchtig wählte im Jahre 1905 ein Klavierbaumeister eine Reihe dieser sorgfältig abgelagerten Bretter aus und leimte sie an den Kanten bündig zu einer großen Fläche zusammen. Diese sägte er sodann in Form und hobelte und schliff sie auf die richtige Dicke – elastisch genug, um vibrieren zu können, und zugleich so stark, dass sie dem Zug von über zweihundert Saiten standhalten konnte. Der fertige Resonanzboden wurde zur erneuten Trocknung in einer der geheizten Hallen gelagert, ehe an der Unterseite im rechten Winkel zum Faserverlauf des Bodens die Rippen angebracht wurden. Durch die Aufnahme von Feuchtigkeit bildete sich nun an der Oberseite, wo der Bass- und der Diskantsteg saßen, eine sanfte Wölbung, sodass sich der Resonanzboden gleich den Dauben eines Fasses gegen den nach unten wirkenden Stegdruck stemmen würde. Der Klavierbaumeister bewunderte das so entstandene Werk: die makellos parallelen Jahreslinien, die präzise Wölbung des Resonanzbodens, der das Herzstück des 66.825. Pianos aus seiner Fabrik bilden würde.

Andere Handwerker fertigten das Gehäuse, dessen Rastenkonstruktion mit den fünf Spreizen stabil genug für das Gewicht des Resonanzbodens und des Gussrahmens sein musste. Der Stimmstock wurde gesägt und eingepasst. Die Agraffen wurden in die Gussplatte eingesetzt, auf einer Höhe, die später die klingende Länge der Saiten bestimmen würde, welche im nächsten Schritt aufgezogen wurden; die Stimmwirbel wurden eingeschlagen, die Mechanik gestellt und gesetzt. Dann wurde dicker, kaltgepresster Filz, der zum Diskantbereich hin entsprechend dünner wurde, auf die hölzernen Hammerköpfe geleimt. Es folgten die Dämpfer sowie die Pedale – Stößer, Pedalstifte und Federn –, und sobald die Klanganlage eingebaut war, wurde das Gehäuse schwarz ebonisiert. Die Armmuskeln der Lackierer, die die unzähligen Schichten aufbrachten, spannten sich mit jedem Pinselstrich unter den aufgekrempelten Hemdsärmeln.

Als Nächstes wurde das fast fertige Instrument gestimmt, die Spannung von jeder der zweihundertzwanzig Saiten auf die richtige Tonhöhe eingestellt und die Mechanik reguliert. Spielgewicht und Reaktion wurden so lange geprüft, bis die Bewegungen der Finger über die Tasten korrekt auf die Hammerköpfe übertragen wurden, die auf die Saiten schlugen.

Schließlich gelangte das Klavier nach den jahrelangen Anstrengungen zahlreicher fachkundiger Hände an seine letzte Station. Der Meister, der die Reinstimmung vornahm, hob das Leinentuch an und ließ eine Hand über die glänzende schwarze Oberfläche gleiten. Wodurch würde sich dieses Klavier von den anderen abheben? Jedes von ihnen war etwas Besonderes, verfügte über eine eigene Seele und eine unverwechselbare Persönlichkeit. Dieses hier wirkte solide, unprätentiös, ehrlich und dennoch geheimnisvoll.

Er ließ das Tuch auf den Fabrikfußboden gleiten.

"Was willst du dieser Welt sagen?", fragte er das Instrument.

Er zog die Hammerköpfe einen nach dem anderen ab, lauschte jeder einzelnen Saite, bearbeitete wieder und wieder sorgfältig den Filz mit der Intoniernadel, gleich einem Diagnostiker, der die Nerven unter der Kniescheibe eines Patienten abklopft, um die Reaktion zu prüfen. Hallo, hallo, antwortete das Klavier jedes Mal artig, seiner Bestimmung folgend. "Fertig", sagte er nach getaner Arbeit. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, schob sich ein paar weiße Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete diese perfekte Schöpfung, die in der Lage wäre, wahre Bravourstücke zu vollbringen, wenn sie erst richtig eingespielt war. Noch aber war sie ein perfektes Instrument, das sich ausschließlich durch sein Potenzial auszeichnete.

Der Meister schüttelte seine Schürze aus, ließ sich auf dem Fass nieder, das ihm als behelfsmäßige Sitzgelegenheit diente, und beugte und streckte einige Male die Finger, während er überlegte, welches Stück für die Taufe des Klaviers geeignet wäre. Schubert, sein Lieblingskomponist. Er würde das Rondo der Sonate Nr. 20 in A-Dur – seiner vorletzten – spielen. Die hübsche Eröffnungsmelodie zeichnete sich durch eine hoffnungsvolle Heiterkeit aus, die im Folgenden einer gewissen Nachdenklichkeit und Aufgewühltheit wich. Ja, das war das ideale Stück, um das glänzende schwarze Blüthner Nummer 66.825 einzuweihen.

"Horcht!", rief er, doch seine Stimme ging im Fabriklärm unter. "Es ist auf der Welt!" Und er drückte den Finger auf das Cis, die erste Note des Rondos, und lauschte konzentriert. Der Ton erscholl mit derselben Unschuld und Kraft wie der erste Schrei eines Neugeborenen. Hochzufrieden mit der Reinheit des Klangs begann der Meister den Rest der Sonate zu spielen. Er rang um Zuversicht, als er sich von diesem glänzenden neuen Klavier verabschiedete, wohl wissend, dass seine Jungfräulichkeit auf immer verloren war, wenn die allzu menschlichen Hände seiner künftigen Besitzer es erst berührt hätten.

CHAPTER 2

Clara Lundy schob einen Schemel an den Vorderreifen eines alten 1996er Chevrolet Blazer, warf sich den dunkelblonden Pferdeschwanz über die Schulter und beugte sich über den Motor. Sie schraubte die Schutzkappe vom Druckventil und fing das austretende Benzin mit einem Frotteetuch auf. Sobald kein Kraftstoff mehr heraustropfte, stopfte sie sich den Lappen in die hintere Hosentasche, ging zu ihrem Werkzeugkasten und entnahm ihm den 16er- und 19er-Schraubenschlüssel sowie das Leitungstrennwerkzeug. Dann sprang sie behende in die mit gelben Randmarkierungen versehene Wartungsgrube, um den Wagen von unten bearbeiten zu können. Sie entriegelte die Kunststoff-Clips, mit denen die Benzinleitungen gesichert waren, und zog den Schlauch vom Filter – auf der Auslassseite zuerst, damit ihr kein Treibstoff in die Augen tropfte. Diese Lektion hatte sie vor langer Zeit in der Werkstatt ihres Onkels gelernt, und sie würde sie nie vergessen.

"Clara?" Peter Kappas, einer der drei Söhne des Werkstattbesitzers, sah zu ihr hinunter. Seine massige Silhouette war umrahmt vom Lichtschein der Spätnachmittagssonne. "Der Typ, der schon mehrfach wegen seinem Zahnstangengetriebe hier war, ist wieder da. Er sagt, das Ding macht nach wie vor Geräusche."

"Immer noch die gleichen? Oder neue Geräusche?"

"Ein Knallen. Wahrscheinlich die Schrauben."

"Kannst du das übernehmen? Ich bin hier noch mit dem Filter beschäftigt."

"Ich hab versprochen, bis fünf die Corvette fertig zu machen."

Clara schob den neuen Filter in die Schelle. "Okay, gib mir noch eine Viertelstunde, dann schau ich's mir an. Aber wenn es die Schrauben sind, müsstest du noch mal die Spur einstellen. Hast du Zeit?"

"Für dich?"

"Hör auf."

Er hob die Arme. "Kleiner Scherz. Ja, ich mach's."

Nachdem sie sämtliche Schrauben angezogen und den Sitz der Anschlüsse überprüft hatte, stieg sie aus der Grube, um den Motor zu starten. Sie stellte den Zündschlüssel auf On, wartete ab, bis sich die Kraftstoffpumpe ein- und wieder ausgeschaltet hatte, dann drehte sie den Schlüssel wieder in die Ausgangsposition. Sie wiederholte den Vorgang etliche Male, und während sie so dort saß, erspähte sie sich selbst im Rückspiegel und erschrak. Sie sah deutlich älter aus als sechsundzwanzig, als wäre sie über Nacht um zehn Jahre gealtert. Ihren leicht angeschwollenen Augenlidern war der Heulkrampf von gestern Abend noch anzusehen, obwohl sie sich dezent geschminkt hatte. Sie hatte die Zähne zusammengebissen und die Lippen so fest zusammengepresst, dass sie von winzigen Falten umrahmt waren. Als sie die Kinnpartie nun entspannte, sackten ihre Mundwinkel ab, und ihre blassen Wangen wirkten schlaff. Offenbar hatte sie sich irgendwann die Haare aus den Augen gestrichen, denn sie hatte einen Ölfleck auf der Stirn, der dem Feuermal ihres verstorbenen Vaters ähnelte. Sie betrachtete sich, erkannte seine hellbraunen Augen, die blassen Wimpern, die hohen Wangenknochen, und ihr war, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst, als sie sich so jäh mit der Erinnerung an sein Gesicht konfrontiert sah. Alte Trauer, die sich zur neuen hinzugesellte.

Sie drehte den Zündschlüssel bis zum Anschlag um. Der Motor ließ sich problemlos starten.

"Clara! Telefon!", rief jemand über den Lärm hinweg, der in der Werkstatt herrschte – vom hydraulischen Drehmomentschlüssel und vom Kompressor, von den auf- und zugleitenden Schubladen der Werkzeugschränke, dazu das nie endende Scheppern und Klappern von Metall, das allgegenwärtige Gedudel der griechischen Popmusik, das aus den Boxen des ölverschmierten Ghettoblasters in der Ecke drang, die Zurufe und Gesprächsfetzen, teils auf Englisch, teils auf Griechisch.

Sie wischte sich mit dem schmutzigen Putzlappen den Fleck von der Stirn und marschierte zum Wandtelefon. Peters Bruder Teddy legte ihr eine Hand auf den Unterarm.

"Es ist Ryan", sagte er. "Vielleicht gehst du besser im Büro ran." Sie konnte nur mutmaßen, was die anderen hinter ihrem Rücken über sie und Ryan geredet hatten. Peters Mutter Anna vermochte in Claras Gesicht zu lesen, als wären sie Mutter und Tochter, und sie zögerte nicht, ihre Meinung – Wenn du mich fragst, tut dir dieser Ryan nicht gut – zum allgemeinen Gesprächsthema zu machen. Da es nicht schwer war, Clara alle möglichen Informationen zu entlocken, war der gesamte Kappas-Clan im Nu über ihre persönlichen Angelegenheiten im Bilde gewesen. Nicht dass es sie gestört hätte – dank dieser Menschen hatte sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder das Gefühl, zumindest ansatzweise Teil einer richtigen Familie zu sein.

Clara nickte. Das Büro war kaum mehr als ein Schreibtisch an der Wand des Wartebereichs, zwischen Wasserspender und Kaffeemaschine. Privatsphäre suchte man dort vergeblich, doch im Augenblick war keine Kundschaft da, und Anna, die hinter dem Tresen stand und Ersatzteile bestellte, zwinkerte ihr zu und sagte mit ihrem unüberhörbaren Akzent: "Ich lasse dich dann mal allein."

Clara setzte sich und versuchte, das Lämpchen zu ignorieren, das einen Anrufer in der Leitung signalisierte. Stattdessen betrachtete sie die gerahmten Fotos an den Wänden – das stattliche, weiß getünchte Ferienhaus der Familie auf einer der Sporadeninseln, den halbmondförmigen felsigen Strand, das unwirklich türkisblaue Wasser.

Als es sich nicht länger hinausschieben ließ, holte sie tief Luft und griff nach dem Hörer. "Hey", sagte sie.

"Du gehst nicht an dein Handy."

"Ich bin in der Werkstatt."

"Wie auch immer ... Hör zu, Clara, ich verziehe mich ein paar Tage, damit du ungestört deine Sachen packen kannst. Ich möchte, dass du noch vor dem Wochenende raus bist ..."

"Was? Ist das dein Ernst? Ich dachte, wir wollten noch mal über alles reden."

"Hast du mir gestern Abend nicht zugehört, Clara? Ich bin es leid, auf eine Entscheidung von dir zu warten. Du willst einfach nicht das, was ich will."

"Das habe ich nie gesagt. Ich habe dich lediglich um etwas Zeit gebeten." Sie drehte sich zur Wand. "Bitte, Ryan."

"Ich weiß, dass du noch Zeit brauchst, und ich habe versucht, dich nicht zu drängen, aber ich kann nicht ewig deine Bedürfnisse über meine stellen. Ich bin bereit für den nächsten Schritt. Ich will eine Familie. Am liebsten mit dir, aber wenn das nicht geht, dann ... na ja, was habe ich denn für eine Wahl?"

"Hör zu, Ryan, ich liebe dich, und das weißt du auch. Aber Heiraten, das ist ein großer Schritt. Warum können wir nicht einfach so zusammen sein? Warum hast du es so eilig?"

"Warum hast du so große Angst davor, dich dauerhaft zu binden? Ich weiß, dass du mich liebst. Warum kannst du nicht einfach Ja sagen?" Clara seufzte. Ein einziges Wort würde genügen, um dieser Unterhaltung – ihrem gesamten Leben – eine neue Richtung zu verpassen. Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen. "Ich weiß es nicht. Tut mir leid." "Gut, dann war's das. Du musst raus. Ich muss an meine Zukunft denken."

"Du setzt mich echt vor die Tür? Nach zwei Jahren verlangst du von mir, dass ich ausziehe, und gibst mir vier Tage dafür? Wie soll ich das schaffen? Und woher soll ich das Geld dafür nehmen?"

"Du weißt, ich würde nicht zulassen, dass du auf der Straße stehst. Ich hab dir ein Apartment gesucht, in East Bakersfield. Die Kaution ist bereits bezahlt. Ich hoffe, das macht es etwas einfacher."

"East Bakersfield? Herrgott noch mal, Ryan, hätten wir nicht erst einmal darüber reden können?"

Er schnaubte. "Dir ist doch total egal, wo du wohnst. Das Einzige, was dich interessiert, ist diese dämliche Werkstatt."

Clara ballte die Faust um das Spiralkabel und kämpfte erneut gegen die Tränen an. Beweinte sie nun den Verlust ihres Freundes oder den ihres Zuhauses? Oder ihre Unentschlossenheit?

"Mietvertrag und Schlüssel liegen auf dem Küchentisch", fuhr er fort. "Wirf deinen alten Schlüssel einfach in den Briefschlitz, wenn du raus bist."

Clara lehnte die Stirn an die Wand und atmete aus. "Das war's also?"

"Ja, das war's."

Er schwieg einen Augenblick – beide schwiegen sie –, und Clara fragte sich, ob er das sagen würde, was er bisher stets am Ende jedes Telefonats gesagt hatte. Du bist mein Mädchen, das weißt du, oder? Sie konnte nicht sprechen. Sie konnte nicht auflegen. Sie beugte sich vornüber, wartete ab, von Sehnsucht erfüllt und doch unfähig einzulenken.

"Viel Glück, Clara. Ich hoffe sehr, du findest noch irgendwann raus, was du willst. Schade, dass ich es nicht war." Damit legte er auf.

Sie presste den Hörer ans Ohr und lauschte ihrem Herzschlag, bis das Besetzt-Zeichen ertönte. Als sie sich umwandte, stand Peter in der Tür.

"Alles okay?", fragte er.

(Continues…)


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