Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

Cyrus Doyle wird auf der Straße von einem Fremden um Hilfe gebeten. Sein Sohn wurde wegen des Mordes an seiner Geliebten verhaftet – zu Unrecht, wie sein Vater glaubt. Als einige Leute Cyrus Doyle dazu bewegen wollen, den alten Fall nicht neu aufzurollen, wird er misstrauisch. Seine Nachforschungen führen ihn hinein in die Vergangenheit der Guernsey Police und decken jahrelang gehütete Geheimnisse auf. Bei den Ermittlungen steht ihm seine Kollegin Pat zur Seite – bis sie plötzlich spurlos verschwindet …

Chief Inspector Cyrus Doyle – charismatisch und eigenwillig.

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Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

Cyrus Doyle wird auf der Straße von einem Fremden um Hilfe gebeten. Sein Sohn wurde wegen des Mordes an seiner Geliebten verhaftet – zu Unrecht, wie sein Vater glaubt. Als einige Leute Cyrus Doyle dazu bewegen wollen, den alten Fall nicht neu aufzurollen, wird er misstrauisch. Seine Nachforschungen führen ihn hinein in die Vergangenheit der Guernsey Police und decken jahrelang gehütete Geheimnisse auf. Bei den Ermittlungen steht ihm seine Kollegin Pat zur Seite – bis sie plötzlich spurlos verschwindet …

Chief Inspector Cyrus Doyle – charismatisch und eigenwillig.

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Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

by Jan Lucas
Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

Cyrus Doyle und das letzte Vaterunser: Kriminalroman

by Jan Lucas

eBook1. Auflage (1. Auflage)

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Overview

Cyrus Doyle wird auf der Straße von einem Fremden um Hilfe gebeten. Sein Sohn wurde wegen des Mordes an seiner Geliebten verhaftet – zu Unrecht, wie sein Vater glaubt. Als einige Leute Cyrus Doyle dazu bewegen wollen, den alten Fall nicht neu aufzurollen, wird er misstrauisch. Seine Nachforschungen führen ihn hinein in die Vergangenheit der Guernsey Police und decken jahrelang gehütete Geheimnisse auf. Bei den Ermittlungen steht ihm seine Kollegin Pat zur Seite – bis sie plötzlich spurlos verschwindet …

Chief Inspector Cyrus Doyle – charismatisch und eigenwillig.


Product Details

ISBN-13: 9783841214065
Publisher: Aufbau Digital
Publication date: 10/09/2017
Series: Cyrus Doyle ermittelt , #2
Sold by: Libreka GmbH
Format: eBook
Pages: 368
File size: 5 MB
Language: German

About the Author

Jan Lucas ist das Pseudonym eines Autors zahlreicher erfolgreicher historischer Romane und Thriller. Er lebt in Deutschland, hält sich aber immer wieder gern auf der Kanalinsel Guernsey auf.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

Nichts deutete auf den ungewöhnlichen Vorfall hin, der sich in weniger als fünf Minuten mitten im Zentrum von Guernseys Hauptstadt ereignen sollte. Warmes Sonnenlicht und blauer Himmel ließen die Straßen von St. Peter Port aussehen wie im Hochsommer, als Detective Chief Inspector Cyrus Doyle und Detective Inspector Patricia Holburn das aus grauem Guernseygranit errichtete Gerichtsgebäude verließen, die ebenfalls grauen Treppenstufen zur Rue du Manoir hinuntergingen und sich nach links wandten. Die Wärme der Mittagssonne war deutlich zu spüren, und Doyle streifte die Jacke seines anthrazitfarbenen Anzugs ab, um sie sich lässig über die Schulter zu werfen. Pat trug einen Hosenanzug in einem fast identischen Farbton, als hätten sie sich abgesprochen. Sie beide hatten heute im Pfeilmörderprozess, wie die Medien es nannten, ausgesagt, und Doyle war zufrieden mit dem Fortgang des Verfahrens. Es lief ganz offensichtlich auf eine Verurteilung in dem ersten Mordfall hinaus, den Doyle als DCI auf Guernsey aufgeklärt hatte. Ihm war sehr daran gelegen, auch aus persönlichen Gründen.

Doyle schüttelte die Gedanken an das Vergangene ab und schloss zu Pat auf, die zügig ausschritt und schon fast die Kreuzung erreicht hatte. Wären sie geradeaus in die Hirzel Street gegangen, hätte sie das zum Polizeihauptquartier geführt, aber das war nicht ihr Ziel.

»Du hast aber ein ganz hübsches Tempo drauf, Pat.« Sie wandte den Kopf zur Seite und sah ihn lächelnd an. Auch wenn es nur ein kollegiales Lächeln war, ging ihm dabei das Herz auf.

»Ich habe Hunger, Cy. Und wenn ich dich vorhin in der Verhandlungspause richtig verstanden habe, hast du mich zum Mittagessen bei Christie's eingeladen.«

»Das hast du«, bestätigte Doyle. »Ich finde, wir haben uns eine Stärkung mehr als verdient.«

Nebeneinander gingen sie die Smith Street hinunter in Richtung High Street, inmitten von Geschäftsleuten in dunklen Anzügen und Flaneuren, die für den goldenen Oktober noch einmal ihre leichte Sommerkleidung aus dem Schrank geholt hatten.

»Viel los heute«, stellte Pat dann auch fest. »Vielleicht hätten wir einen Tisch reservieren sollen.«

»Für zwei Personen auf der Terrasse mit Meerblick.«

»Ganz genau.« Pat blieb abrupt stehen und starrte ihn an. »Hast du etwa ...«

Er nickte.

»Ich habe.«

»Wann hast du bei Christie's angerufen?«

»Heute Morgen, gleich nach dem Wetterbericht.«

»Aber da hattest du mich noch gar nicht gefragt.« Doyle lächelte wie ein ertappter Sünder.

»Da habe ich wohl einfach auf mein Glück gehofft.«

Sie setzten ihren Weg fort, und schon zwanzig Sekunden später wusste Doyle, dass sein Glück ihn verlassen hatte. Es würde nichts werden mit dem Lunch bei Christie's, mit dem Tisch auf der sonnenüberfluteten Terrasse, mit der Aussicht auf den Hafen von St. Peter Port, mit einer entspannten Stunde zusammen mit Pat. Er wusste es in dem Moment, als sein Blick den eines Mannes im teuren Nadelstreifen-Dreiteiler kreuzte. Wahrscheinlich Mohair, dachte er. Der Mann war groß, um die fünfundfünfzig und schlank. Das sorgfältig geschnittene Haar war dunkelbraun, an den Schläfen schon grau. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, wie es an dem internationalen Finanzplatz Guernsey so viele gab, vermutlich mit einer leitenden Position im Bank- oder Versicherungswesen. Der Mann starrte Doyle an wie hypnotisiert und trat dann mit langsamen Schritten auf ihn zu.

Doyle war seit mehr als zwanzig Jahren Polizist. Er spürte, dass der Unbekannte etwas von ihm wollte, aber er spürte genauso, dass von ihm keine Gefahr ausging. Kannten sie sich vielleicht von früher? Doyle überlegte scharf, aber ihm wollte nichts einfallen.

Da hatte der Mann im feinen Zwirn ihn und Pat auch schon erreicht und sank zu Doyles Verwunderung vor ihm auf die Knie. Notgedrungen blieb Doyle stehen, Pat ebenso. Auch einige Passanten hielten an, weil die merkwürdige Szene ihre Neugier geweckt hatte. Doyle bemerkte das nur am Rande, sein Blick war auf das längliche Gesicht des Unbekannten gerichtet, und in dessen Zügen las er pure Verzweiflung.

Seinen Blick unverwandt auf Doyle geheftet, faltete der andere die sehnigen Hände wie zum Gebet und sagte mit zittriger Stimme: »Haro! Haro! Haro! A l'aide, mon Prince, on me fait tort.«

Auch wenn Doyle nicht so gut französisch gesprochen hätte, hätte er die Bedeutung dieser Worte gekannt wie jeder, der auf Guernsey zur Schule gegangen war: »Hör mich an! Hör mich an! Hör mich an! Komm mir zu Hilfe, mein Prinz, weil mir ein Unrecht angetan wird.«

Für einen Augenblick war Doyle, als schwankte der Boden unter seinen Füßen. Er fühlte sich um Jahrhunderte in die Vergangenheit versetzt. In jene Zeit, als der Clameur de Haro, den der Fremde an ihn richtete, noch häufig gebraucht wurde. Es war ein altes normannisches Recht, das auf den Kanalinseln galt, da sie einmal zum Herzogtum Normandie gehört hatten. Das Recht eines Menschen, dem Unrecht getan wird und der keine andere Möglichkeit mehr sieht, als sich mit der Bitte um Aufschub und Hilfe an seinen Prinzen zu wenden. Ein Recht, das man oft auch als das letzte Vaterunser bezeichnete, weil zum Erbitten der letztmöglichen Hilfe auch das Aufsagen des Vaterunsers auf Französisch gehörte.

Und genau das tat der Unbekannte jetzt: »Notre Père qui est aux cieux. Ton nom soit sanctifié. Ton règne vienne. Ta volonté soit faite sur la terre comme au ciel. Donne-nous aujourd'hui notre pain quotidien. Et nous pardonne nos offenses, comme nous pardonnons à ceux qui nous ont offensés. Et ne nous induis point en tentation, mais délivre-nous du mal.«

Aber das war noch nicht alles, wie Doyle aus seiner Schulzeit wusste. Auf Guernsey war ein Clameur de Haro erst dann wirksam, wenn sich an das Vaterunser ein französisches Gnadengebet anschloss.

Da fuhr der kniende Mann vor ihm auch schon fort: »La Grâce de Notre Seigneur Jésus Christ, la dilection de Dieu et la sanctification de Saint Esprit soit avec nous tous éternellement. Amen.«

Inzwischen hatte sich eine dichte Menschentraube um Doyle, Pat und den Unbekannten gebildet. Die Leute hatten Handys und Kameras gezückt, um die ungewöhnliche Szene festzuhalten. Für all das hatte Doyle nur einen kurzen Blick übrig, dann sah er wieder den verzweifelten Mann, der immer noch vor ihm kniete und dem jetzt Tränen über die Wagen liefen.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«

Das Einzige, was der Mann über die Lippen brachte, waren ein paar gestammelte Worte: »Helfen ... Sie mir ... bitte ...« Dann versagte ihm die Stimme, und er begann zu schluchzen.

Pat legte eine Hand auf Doyles Schulter und sagte leise: »Ich fürchte, Cy, du hast jetzt mächtig Ärger am Hacken.«

Verwundert blickte er Pat an.

»Du kennst den Mann?«

Sie nickte.

»Wie wohl jeder Polizist auf Guernsey. Außer dir, weil du da noch in London warst. Vor dir kniet Julian Prideaux, der unglücklichste Mann auf der ganzen Insel.«

Prideaux! Doyle hatte den Namen schon gehört, erinnerte sich aber nicht, in welchem Zusammenhang. Die anschwellende Menschenmenge um sie herum, Dutzende und Aberdutzende von neugierigen Blicken, das unaufhörliche Klicken der Kameras – all das ging ihm auf die Nerven, widerte ihn geradezu an, als sein Blick auf den verzweifelten Mann fiel, dem Tränen in den Augen standen.

Noch hatte Doyle nicht die geringste Ahnung, was dieser Julian Prideaux von ihm wollte und ob er ihm helfen konnte. Aber eins wusste er: Sie mussten ihn von hier wegschaffen, so schnell wie möglich.

Kaum eine Viertelstunde später waren sie der aufdringlichen Menge entkommen, und Julian Prideaux saß im Besprechungsraum des Kriminaldienstes, von der stets aufmerksamen Mildred Mulholland mit Tee und Sandwiches versorgt. Doyle hatte ihm versprochen, ihn gleich anzuhören, aber vorher war er mit Pat in sein Büro gegangen und hatte sie gefragt, wer dieser Mann sei.

»Aus welchem Grund ist er so verzweifelt?«

Doyle hatte schon einiges im Polizeidienst erlebt, aber er war nicht abgebrüht. Der Vorfall mit Mr Prideaux hatte ihn verstört, und dieses Gefühl dauerte an.

»Es geht um seinen Sohn«, erklärte Pat. »Er sitzt seit ein paar Monaten im Gefängnis, lebenslänglich. Der letzte Mordfall, den Charlie Mourant aufgeklärt hat.«

Doyle erinnerte sich an ein Gespräch mit Charlies Frau Barbara. Sie hatte einen jungen Mann namens Prideaux erwähnt.

»Cameron Prideaux, nicht wahr? Er soll seine Freundin ermordet haben, wenn ich mich nicht täusche.«

»Ja, Cameron heißt der Sohn. Und er hat seine Freundin getötet, Anne Corbin. Jedenfalls hat das Gericht ihn für schuldig befunden und wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt.«

»Wann war das?«

»Der Mord geschah am dritten Januar dieses Jahres, im März fiel das Urteil.«

»Dann habt ihr nicht lange zur Aufklärung gebraucht. Oder war Prideaux junior von Anfang an geständig?«

»Im Gegenteil, er hat die Tat bis zum Schluss geleugnet.«

»Aber ihr habt ihn festgenagelt?«

»Sagen wir, Charlie hat ihn an der Angel gehabt und ihn so lange zappeln lassen, bis er reif war, sich von DCI Mourant pflücken zu lassen.«

Doyle horchte auf.

»Höre ich da einen missbilligenden Ton heraus? Warst du nicht einverstanden mit Charlies Vorgehen?«

»Ich an seiner Stelle hätte mir etwas mehr Zeit gelassen.«

»Warum? Die Beweise gegen Cameron Prideaux haben offenbar ausgereicht, um das Gericht zu überzeugen.«

»Davon spreche ich nicht. Ich hätte auch in andere Richtungen ermittelt, aber Charlie hat das nicht zugelassen. Für ihn stand von vornherein fest, dass der junge Prideaux der Täter ist.«

»Gab es denn andere Richtungen, in die man hätte ermitteln können?«

Pat hob seufzend die Schultern und ließ sie wieder sinken.

»Wie gesagt, Charlie hat die Ermittlungen mit sehr strenger Hand geführt.«

»Verstehe«, murmelte Doyle, dem die Sache in Wahrheit eher nebulös erschien. »Aufgrund welcher Beweise wurde Cameron Prideaux verurteilt?«

»Nennen wir es lieber Indizien«, sagte Pat und versank für einen Augenblick in Gedanken, um sich den Fall noch einmal vor Augen zu führen. »Es hat Streit gegeben zwischen Cameron Prideaux und Anne Corbin, mächtigen Streit. Er hatte sie in Verdacht, eine Affäre mit einem anderen zu haben, vermutlich einem wohlhabenden Mann, älter als sie.«

»Wie kam er darauf?«

»Anne kam aus eher einfachen Verhältnissen. Ihre Eltern lebten getrennt, und sie wohnte bei ihrer Mutter. Liz Corbin hatte ein gutes Einkommen als Sekretärin in einem Maklerbüro, konnte sich aber keine großen Sprünge leisten. Der Vater hatte sich schon vor ein paar Jahren nach Neuseeland abgesetzt und sich so seiner Unterhaltspflicht entzogen. Er galt damals als nicht auffindbar. Anne hatte einiges an neuem Schmuck und neuer Kleidung, beides nicht von ihrer Mutter bezahlt.«

»Wer hat es bezahlt?«

»Sie selbst, hatte Anne zumindest zu Cameron gesagt. Sie habe ihr Taschengeld eisern gespart und sich hin und wieder durch Aushilfsjobs etwa dazuverdient. Aber Cameron hat ihr das nicht geglaubt. Jedenfalls hat es ein Riesengeschrei gegeben, das war an einem Dienstagnachmittag. Am nächsten Morgen wurde sie tot in einem Waldstück am Portelet Harbour aufgefunden, dem bevorzugten Treffpunkt der beiden. Erschlagen mit einem stumpfen Gegenstand, vermutlich einem Stein.«

»Cameron Prideaux hatte also ein Motiv«, sagte Doyle leise. »Eifersucht, vielleicht auch eine Tat im Affekt. Welche Indizien sprechen noch gegen ihn?«

»Er wurde zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesehen, in seinem Wagen. Er sagt dazu, er sei in der Gegend herumgefahren, um seine Freundin zu suchen, aber er habe sie nicht gefunden. Er wollte sich angeblich mit ihr aussprechen.«

»Warum hat er sie nicht einfach angerufen?«

»Nach dem Streit hat Anne Corbin seine Anrufe nicht mehr entgegengenommen.«

Doyle setzte eine missmutige Miene auf und sah in Pats leuchtend blaue Augen.

»Ihr Frauen könnt manchmal echt nachtragend sein.«

»Das können wir, wenn wir einen guten Grund dafür haben.«

Pat sagte das ohne jede Emotion, aber beiden war klar, dass sie von sich selbst sprachen. Vor über zwanzig Jahren hatte Doyle Guernsey verlassen und damit auch Pat. Er konnte nicht erwarten, dass sie ihm das verzieh. Und doch hätte er alles darum gegeben.

Er schnippte mit den Fingern, wie um sich aus den eigenen Gedanken zu reißen.

»Also war es ein reiner Indizienprozess, der Cameron Prideaux hinter Gittern gebracht hat.«

»Ja, aber es gab keine anderen Verdächtigen.« Sie zögerte kurz. »Jedenfalls hat Charlie Mourant nicht nach ihnen ermitteln lassen.«

Doyle blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

»Zumindest einen gibt es wohl doch!«

Pat war überrascht.

»Von wem sprichst du?«

»Von dem Mann, der Anne Corbin mit Kleidern und Schmuck beschenkt hat. Möglicherweise hatte sie tatsächlich einen wohlhabenden Liebhaber.«

»Sie hat das noch kurz vor ihrem Tod abgestritten«, erwiderte Pat.

»Vielleicht hat sie gelogen.«

»Aber wir haben keine Hinweise auf einen Liebhaber gefunden.«

»Sagtest du nicht eben, Charlie Mourant hätte sich mehr Zeit lassen sollen? Und er habe in keine anderen Richtungen ermittelt?«

»Ja, schon, aber ...«

Pat brach mitten im Satz ab und seufzte schwer.

»Aber?«, hakte Doyle nach.

»Du willst doch nicht wirklich DCI Mourants letzten Fall neu aufrollen? Er wurde auf grausame Weise ermordet, und du bist sein Nachfolger. Es würde irgendwie schäbig aussehen, als wolltest du dich auf seine Kosten profilieren.«

»Da hast du recht, Pat, andererseits ...«

» ... muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss«, beendete sie den Satz. »Richtig?«

»Julian Prideaux hat mich um Hilfe angefleht.« »Aus seiner Sicht ist das verständlich, aber der Clameur de Haro verpflichtet dich zu nichts. Er hat in der heutigen Zeit kaum noch Gültigkeit, und ganz sicher nicht bei Mordfällen.«

»Hören wir uns doch erst einmal an, was Mr Prideaux uns zu sagen hat«, schlug Doyle vor. »Ich denke, das sind wir ihm schuldig.«

Auf dem Weg in den Besprechungsraum trafen sie Mildred, und Doyle bat sie, ihm alle Unterlagen über den Mordfall Anne Corbin herauszusuchen.

Julian Prideaux wirkte wie ein Häufchen Elend auf ihn. Mit eingefallenen Schultern saß er, in sich zusammengesunken, auf einem Stuhl, das Gesicht grau, die sehnigen Hände ineinander verschränkt, aber immer wieder unruhig zuckend. Von seinem Tee hatte er nur genippt, und die von Mildred liebevoll zubereiteten Sandwiches hatte er gar nicht erst angerührt. Beim Eintreten der beiden Polizisten straffte sich seine Gestalt ein klein wenig. Er blickte Doyle und Pat entgegen, und der Anflug eines Hoffnungsschimmers huschte über seine dunkelbraunen Augen.

»Verzeihen Sie, dass wir Sie warten ließen«, sagte Doyle, als er und Pat ihrem Gast gegenüber Platz nahmen. »Ich wollte mich erst etwas mit der Angelegenheit vertraut machen. Wie Sie wohl wissen, bin ich noch recht neu bei der Guernsey Police.«

Prideaux nickte leicht und sagte mit leiser, aber deutlicher Stimme: »Ich habe mich über Sie erkundigt, Chief Inspector. Ich weiß daher, dass Sie erst vor zwei Monaten auf die Insel gekommen sind. Zurückgekommen, trifft es wohl besser. Sie sind ein echter Gurn, sonst hätte ich mich kaum mit dem Clameur de Haro an Sie gewandt.«

Pat strich eine blonde Haarsträhne aus ihrer Stirn und fixierte Prideaux.

»Wenn Sie so gut informiert sind, Sir, werden Sie auch wissen, dass der Clameur de Haro in der Strafjustiz schon seit langer Zeit keine Anwendung mehr findet.«

Der Mann im Nadelstreifenanzug zuckte mit den Schultern.

»Ich bin ein verzweifelter Mann. Erst die Sache mit Cameron und jetzt auch noch Vera.«

»Vera?«, fragte Doyle.

»Meine Frau.«

»Was ist mir ihr?«

»Sie hätte gestern um ein Haar versucht, sich das Leben zu nehmen.«

Bei diesen Worten klang Prideaux' Stimme seltsam ruhig, als hätte er einem Geschäftspartner einen Termin bestätigt.

Doyle sah ihn auffordernd an.

»Ja?«

»Ich kam gestern Abend zufällig dazu, als sie im Bad stand und eine ganze Packung Pillen schlucken wollte. Ein starkes Schlafmittel, das ihr unser Hausarzt nach der Sache mit Cameron verschrieben hat. Allerdings mit der Maßgabe, nicht mehr als eine am Tag einzunehmen. Vera ist wohl noch verzweifelter als ich. Ich habe heute Morgen ihre Schwester angerufen, und sie ist jetzt bei meiner Frau. Aber so kann es nicht weitergehen. Es muss etwas geschehen. Und als ich Sie vorhin auf der Straße sah, da ...« Prideaux musste heftig schlucken und sprach nicht weiter.

»Ist Cameron Ihr einziges Kind?«, erkundigte sich Doyle.

»Ja, das macht alles nur noch schlimmer für uns. Besonders für Vera. Ich habe ja noch meinen Job bei English Channel Investments. Aber sie brütet den lieben langen Tag über Camerons Schicksal – über unser Schicksal.«

»Sie beide halten Ihren Sohn für unschuldig?«

»Absolut.«

»Wieso?«

»Weil wir ihn kennen, seit dreiundzwanzig Jahren, seit seiner Geburt. Cameron könnte keinen Menschen töten, schon gar nicht jemanden, den er liebt.«

»Das behaupten die meisten Eltern von ihren Kindern«, sagte Pat. »Und viele haben sich dabei schon geirrt.«

»Vera und ich, wir irren uns nicht!«

»Wenn Sie sich da so sicher sind, weshalb hat Ihre Frau dann anfangs Ihrem Sohn ein falsches Alibi gegeben?« Mit dieser Bemerkung fing sich Pat einen fragenden Blick Doyles ein, und sie fuhr fort: »Vera Prideaux hat gegenüber der Polizei erklärt, ihr Sohn Cameron sei zur Tatzeit bei ihr zu Hause gewesen. Erst als sich mehrere Zeugen meldeten, die ihn zur Hause gewesen. Erst als sich mehrere Zeugen meldeten, die ihn zur fraglichen Zeit in der Nähe des Tatorts gesehen hatten, hat sie diese Behauptung zurückgezogen.«

(Continues…)



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