Bonjour tristesse

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Overview

Françoise Sagan war erst 19, als sie mit "Bonjour tristesse" die Welt eroberte. Ihr Roman wurde in dutzende Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und verfilmt. Mit großer Treffsicherheit beschreibt sie darin die Befindlichkeiten ihrer jugendlichen Hauptfigur: Cécile ist ein launischer Teenager, scharfsinnig, egoistisch, manipulativ – und dazu verdammt, den Sommer mit ihrem eitlen Vater und seiner jungen, etwas einfältigen Geliebten Elsa in einem Haus an der Côte d'Azur zu verbringen. Zunächst jedoch gelingt es Cécile, die Erwachsenen gegeneinander auszuspielen und den Aufenthalt nach ihrem Geschmack zu gestalten: in herrlicher Leichtigkeit und Freizügigkeit. Bis plötzlich die kluge Anne auftaucht, eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter, und die sommerliche Idylle mit erzieherischer Strenge zu zerstören droht. Als der Vater Elsa verlässt und Anne heiraten will, schmiedet Cécile einen Plan – mit tragischen Konsequenzen.


Product Details

ISBN-13: 9783843716741
Publisher: Ullstein Ebooks
Publication date: 08/11/2017
Sold by: Bookwire
Format: eBook
Pages: 185
File size: 2 MB
Language: German

About the Author

Françoise Sagan wurde 1935 geboren. Mit achtzehn Jahren schrieb sie in wenigen Wochen ihren ersten Roman: Bonjour tristesse wurde 1954 mit dem Grand Prix des Critiques ausgezeichnet. Neben Romanen verfaßte sie Theaterstücke und Drehbücher. Françoise Sagan starb am 24. September 2004 in Honfleur.
Rainer Moritz, 1958 in Heilbronn geboren, leitet das Literaturhaus Hamburg, ist Literaturkritiker, Essayist und Autor zahlreicher Publikationen, darunter Mit Proust durch Paris, Und das Meer singt sein Lied und Abseits. Er übersetzte zuletzt Helene Hanffs 84, Charing Cross Road – Eine Freundschaft in Briefen.

Read an Excerpt

CHAPTER 1

ICH ZÖGERE, diesem unbekannten Gefühl, dessen Wehmut und Süße mich bedrücken, einen Namen zu geben, den schönen, ernsten Namen Trauer. Es ist ein so umfassendes, so egoistisches Gefühl, dass ich mich seiner fast schäme, während mir Trauer doch immer als etwas Achtbares erschienen ist. Ich kannte sie vorher nicht, ich kannte nur die Wehmut, das Bedauern, seltener die Reue. Heute aber umschließt mich etwas wie Seide, zermürbend und weich, und trennt mich von den anderen.

Ich war siebzehn in jenem Sommer und vollkommen glücklich. Die »anderen«, das waren mein Vater und Elsa, seine Geliebte. Ich muss diese Situation gleich erklären, die sonst in einem falschen Licht erscheinen mag. Mein Vater war vierzig Jahre alt und seit fünfzehn Jahren Witwer. Er war ein junger Mann, voller Vitalität und Möglichkeiten, und als ich zwei Jahre zuvor das Internat verlassen hatte, war es mir absolut verständlich erschienen, dass er mit einer Frau zusammenlebte. Weniger leicht hatte ich hingenommen, dass er sie alle paar Monate wechselte! Aber sein Charme, dieses neue, unbekümmerte Leben und meine Veranlagung halfen mir bald dabei. Er war ein lebenslustiger Mensch, geschickt in Geschäftsdingen, immer neugierig und rasch gelangweilt, und er gefiel den Frauen. Ich konnte ihn mit aller Zärtlichkeit lieben, denn er war gut, großzügig, fröhlich und voller Zuneigung für mich. Ich kann mir keinen besseren, unterhaltsameren Freund vorstellen. Zu Beginn dieses Sommers ging seine Liebenswürdigkeit sogar so weit, dass er mich fragte, ob mich die Gesellschaft seiner aktuellen Geliebten Elsa in den Ferien nicht stören würde. Ich konnte ihm nur zureden, wusste ich doch, wie sehr er die Frauen brauchte und dass Elsa uns zudem gar nicht lästig fallen würde. Sie war ein großes, rothaariges Mädchen, ungestüm und mondän zugleich, die in den Studios und Bars der Champs-Élysées als Statistin arbeitete. Sie war nett, ziemlich einfach gestrickt und stellte keine großen Ansprüche. Im Übrigen waren mein Vater und ich viel zu glücklich, wegzufahren, um gegen irgendetwas Einwände zu erheben. Er hatte am Mittelmeer eine entzückende, abseits gelegene weiße Villa gemietet, von der wir seit den ersten heißen Tagen im Juni träumten. Sie stand auf einem Felsvorsprung über dem Meer, von der Straße aus verborgen durch einen Pinienwald. Ein Ziegenpfad führte hinunter zu einer kleinen, goldschimmernden Bucht, die von roten Felsen gesäumt war, zwischen denen das Meer schaukelte.

Die ersten Tage waren strahlend schön. Überwältigt von der Hitze, verbrachten wir Stunden am Strand und nahmen allmählich eine gesunde goldbraune Farbe an, außer Elsa, die krebsrot wurde und sich unter schrecklichen Qualen schälte. Mein Vater versuchte mit komplizierten Beinübungen seinen Bauchansatz abzutrainieren, der sich mit seiner Bestimmung zum Don Juan nicht vertrug. Ich tauchte schon am frühen Morgen ins Wasser, das kühl und durchscheinend war, und tummelte mich darin bis zur Erschöpfung in wilden, chaotischen Bewegungen, um alle düsteren Schatten und allen Staub von Paris abzuwaschen. Ich streckte mich im Sand aus, nahm eine Handvoll davon, ließ ihn in einem weichen gelblichen Strahl durch meine Finger rinnen und sagte mir, dass er wie die Zeit verrann. Was für ein einfacher Gedanke! Und es war angenehm, solche einfachen Gedanken zu haben. Es war Sommer.

Am sechsten Tag sah ich Cyril zum ersten Mal. Er glitt die Küste in einem kleinen Segelboot entlang und kenterte vor unserer Bucht. Ich half ihm, seine Sachen aus dem Wasser zu fischen, und während wir zusammen lachten, erfuhr ich, dass er Cyril hieß, Jura studierte und die Ferien mit seiner Mutter in einer benachbarten Villa verbrachte. Er hatte ein südländisches Gesicht, sehr dunkel, sehr offen, und er strahlte eine Ausgeglichenheit und Sicherheit aus, die mir gefiel. Dabei mied ich normalerweise diese groben Studenten von der Universität, die vor allem mit sich selbst und ihrer Jugend beschäftigt waren und darin den Gegenstand eines Dramas oder einen Vorwand für ihren Lebensüberdruss fanden. Ich mochte junge Leute nicht. Mir waren die Freunde meines Vaters viel lieber, Männer um die vierzig, die höflich und teilnahmsvoll mit mir sprachen, mir zugleich die Zartheit eines Vaters und die eines Liebhabers entgegenbrachten. Doch Cyril gefiel mir. Er war großgewachsen und manchmal schön, von einer Schönheit, die Vertrauen einflößte. Ohne die Abneigung meines Vaters gegen alles Hässliche zu teilen, die dazu führte, dass wir oft mit geistlosen Leuten verkehrten, empfand ich doch gegenüber Menschen, denen jeder körperliche Reiz abging, eine Art Unbehagen oder Mangel. Dass sie sich damit abfanden, nicht zu gefallen, erschien mir wie ein unpassendes Gebrechen. Denn war es nicht genau das, wonach wir strebten: zu gefallen? Bis heute weiß ich nicht, ob sich hinter dieser Lust an der Eroberung ein Übermaß an Vitalität verbirgt, ob es das Verlangen ist, Einfluss auszuüben, oder aber das verstohlene, uneingestandene Bedürfnis nach Selbstbestätigung, nach Bestärkung.

Als Cyril aufbrach, bot er an, mir das Segeln beizubringen. Ich ging zum Abendessen zurück, völlig gefangen genommen von seinem Denken, und nahm so gut wie gar nicht an der Unterhaltung teil. Kaum, dass ich die Nervosität meines Vaters bemerkte. Nach dem Essen streckten wir uns wie jeden Abend in den Sesseln auf der Terrasse aus. Über uns funkelten die Sterne. Ich betrachtete sie in der unbestimmten Hoffnung, dass sie, obwohl es noch zu früh dafür war, den Himmel in jedem Augenblick als Sternschnuppen durchzucken würden. Aber wir hatten erst Anfang Juli, und sie rührten sich nicht. Im Kiesbett der Terrasse sangen die Zikaden. Tausende mussten es sein, die trunken von Hitze und Mond nächtelang diesen merkwürdigen Schrei ertönen ließen. Jemand hatte mir erklärt, dass sie nur ihre Flügel aneinanderrieben, aber ich wollte lieber an ihren kehligen Gesang glauben, triebhaft wie das Geschrei der Katzen, wenn deren Zeit gekommen ist. Wir fühlten uns gut. Allein die kleinen Sandkörner zwischen meiner Haut und meiner Bluse schützten mich vor dem zärtlichen Ansturm des Schlafes. In dem Moment hüstelte mein Vater und richtete sich in seinem Liegestuhl auf.

»Ich habe euch einen Besuch anzukündigen«, sagte er.

Untröstlich schloss ich die Augen. Wir hatten es zu ruhig, das konnte ja nicht andauern!

»Sag schnell«, rief Elsa, die immer begierig war auf Neuigkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben.

»Anne Larsen«, sagte mein Vater und wandte sich mir zu.

Ich sah ihn an, zu erstaunt, um darauf zu reagieren.

»Ich hatte ihr gesagt, wenn sie genug hätte von ihren neuen Kollektionen, solle sie doch auf ein paar Tage runterkommen, und nun ... nun kommt sie.«

Darauf wäre ich nie gekommen. Anne Larsen war eine alte Freundin meiner armen Mutter und stand kaum noch in Verbindung mit meinem Vater. Trotzdem hatte mich mein Vater vor zwei Jahren, als ich aus dem Internat zurückkam, zu ihr geschickt, da er mit mir nicht recht was anzufangen wusste. Innerhalb einer Woche hatte sie mich mit viel Geschmack eingekleidet und mir Umgangsformen beigebracht. Ich hegte deshalb eine leidenschaftliche Bewunderung für sie, die sie geschickt auf einen jungen Mann aus ihrem Umfeld umzulenken verstand. Ich schuldete ihr also meine ersten eleganten Auftritte und meine ersten Liebschaften, wofür ich ihr sehr dankbar war. Mit ihren zweiundvierzig Jahren war sie eine äußerst verführerische, begehrte Frau mit einem schönen, etwas hochmütigen Gesicht, aus dem eine müde Gleichgültigkeit sprach. Diese Gleichgültigkeit war das Einzige, was man ihr vorwerfen konnte. Sie war liebenswürdig und unnahbar. Alles an ihr spiegelte einen festen Willen und eine Herzensruhe, die einschüchterten. Obwohl sie geschieden war und frei, war nichts von einem Liebhaber bekannt. Im Übrigen verkehrten wir nicht in den gleichen Kreisen: Sie suchte feinsinnige, intelligente und diskrete Menschen auf, wir hingegen lärmende und lebenshungrige, von denen mein Vater nur verlangte, schön oder witzig zu sein. Ich glaube, sie verachtete uns ein wenig, meinen Vater und mich, weil wir uns flüchtigen Vergnügen hingaben, so wie sie jedes Übermaß verachtete. Was uns einzig verband, waren Geschäftsessen – sie war in der Modebranche tätig, mein Vater in der Werbung – sowie die Erinnerung an meine Mutter und meine Bemühungen um sie, denn wenn sie mich auch einschüchterte, bewunderte ich sie doch sehr. Ihre plötzliche Ankunft erschien mir einfach etwas unpassend, bedachte man Elsas Anwesenheit und Annes Ansichten über Erziehung.

Elsa ging hinauf zum Schlafen, nachdem sie eine Menge Fragen zu Annes gesellschaftlicher Position gestellt hatte. Ich blieb allein mit meinem Vater und setzte mich auf eine der Stufen zu seinen Füßen. Er beugte sich vor und legte seine Hände auf meine Schultern:

»Warum bist du so dürr, meine Süße? Du siehst wie eine kleine Wildkatze aus. Ich hätte lieber ein schönes blondes Mädchen von etwas kräftiger Statur, mit Porzellanaugen und ...«

»Darum geht es jetzt nicht«, sagte ich. »Warum hast du Anne eingeladen? Und warum hat sie angenommen?« »Vielleicht um deinen alten Vater zu sehen. Das weiß man nie.« »Du gehörst nicht zu der Sorte von Männern, für die sich Anne interessiert. Sie ist zu intelligent und besitzt zu viel Selbstachtung. Und Elsa? Hast du mal an sie gedacht? Kannst du dir vorstellen, worüber die beiden sich unterhalten sollen? Ich nicht.«

»Daran habe ich nicht gedacht«, räumte er ein. »Vermutlich wird das entsetzlich. Was meinst du, Cécile, meine Süße, sollen wir nach Paris zurückkehren?«

Er lachte leise und rieb meinen Nacken. Ich drehte mich um und betrachtete ihn. Seine dunklen Augen glänzten, kleine neckische Falten umränderten sie, er schürzte ein wenig die Lippen. Er sah aus wie ein Faun. Wir begannen beide zu lachen, wie immer, wenn er sich in Schwierigkeiten gebracht hatte.

»Meine alte Komplizin«, sagte er, »was würde ich ohne dich machen?«

Der Ton seiner Stimme klang so überzeugend und zärtlich, dass ich begriff, dass er wirklich unglücklich gewesen wäre. Bis spät in die Nacht sprachen wir über die Liebe und ihre Verwicklungen. Für meinen Vater waren sie alle Einbildung. Begriffe wie Treue, Ernsthaftigkeit, Verantwortungsgefühl lehnte er grundsätzlich ab. Sie seien willkürlich und fruchtlos, erklärte er mir. Bei jedem anderen hätte mich das schockiert. Aber in seinem Fall wusste ich, dass es weder Zärtlichkeit noch Hingabe ausschloss, Gefühle, die ihm umso leichter fielen, als er wollte und wusste, dass sie vorübergehender Natur waren. Diese Auffassung hatte etwas Verführerisches für mich: schnell lieben, heftig und flüchtig. Ich war nicht in dem Alter, dem Treue etwas bedeutet. Rendezvous, Küsse, schließlich der Überdruss, das war alles, was ich von der Liebe wusste.

CHAPTER 2

ANNE SOLLTE erst eine Woche später ankommen. Ich nutzte diese letzten Tage echter Ferien aus. Wir hatten die Villa für zwei Monate gemietet, aber ich wusste, mit Annes Ankunft wäre eine völlige Entspannung nicht mehr möglich. Anne gab den Dingen eine Gestalt, den Worten einen Sinn, den mein Vater und ich uns gern entgehen ließen. Sie legte die Normen des guten Geschmacks und des Taktes fest, und man kam nicht umhin, sie zur Kenntnis zu nehmen, wenn sich Anne plötzlich zurückzog, verletzt schwieg oder einen bestimmten Gesichtsausdruck annahm. Das war aufregend und ermüdend zugleich, und letztlich demütigend, denn ich spürte, dass sie recht hatte.

Am Tag ihrer Ankunft wurde beschlossen, dass mein Vater und Elsa sie am Bahnhof von Fréjus abholen sollten. Ich weigerte mich standhaft, an diesem Ausflug teilzunehmen. Aus schierer Verzweiflung pflückte mein Vater alle Gladiolen im Garten, um sie ihr zu überreichen, wenn sie aus dem Zug stieg. Ich riet ihm nur, den Strauß nicht Elsa tragen zu lassen. Nach ihrem Aufbruch ging ich um drei Uhr an den Strand hinunter. Es war drückend heiß. Ich legte mich auf den Sand, war halb eingeschlafen, als Cyrils Stimme mich weckte. Ich schlug die Augen auf: Der Himmel war weiß vor Hitze. Ich gab Cyril keine Antwort, ich hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen, mit niemandem. Dieser Sommer hielt mich mit seiner ganzen Wucht im Sand fest, mit schweren Armen und ausgetrocknetem Mund.

»Sind Sie tot?«, fragte er. »Aus der Ferne sehen Sie aus wie ein Stück Strandgut.«

Ich lächelte. Er setzte sich neben mich, und mein Herz fing hart und dumpf zu schlagen an, weil seine Hand in einer zufälligen Bewegung meine Schulter gestreift hatte. Gut zehn Mal hatten meine brillanten Schiffsmanöver uns in der vergangenen Woche eng umschlungen ins Wasser gerissen, ohne dass ich die kleinste Verwirrung empfunden hätte. Heute aber genügte diese Hitze, mein Halbschlaf und diese ungeschickte Geste, um etwas in mir sanft zerreißen zu lassen. Ich drehte ihm den Kopf zu. Er sah mich an, und ich begann zu verstehen, wer er war: ein ausgeglichener, anständiger Kerl, vielleicht anständiger, als es in seinem Alter üblich war. Darum schockierte ihn unsere Konstellation, dieses merkwürdige Familienleben zu dritt. Er war zu gut oder zu schüchtern, um es mir zu sagen, aber ich merkte es den schrägen, nachtragenden Blicken an, die er meinem Vater zuwarf. Er hätte es gern gehabt, wenn mich das gequält hätte, aber das tat es nicht, das Einzige, was mich in diesem Moment quälte, waren sein Blick und die Schläge meines Herzens. Er beugte sich über mich. Ich sah die letzten Tage dieser Woche wieder vor mir, mein Vertrauen, meine Ruhe in seiner Nähe, und ich bedauerte, dass sein langer, ein wenig großer Mund näher kam.

»Cyril«, sagte ich, »wir waren so glücklich ...«

Er küsste mich zärtlich. Ich sah zum Himmel hinauf, dann nur noch rote, zuckende Lichter unter meinen geschlossenen Lidern. Die Hitze, die Betäubung, der Geschmack der ersten Küsse und die Seufzer währten endlose Minuten. Ein Hupen ließ uns auffahren, als wären wir Diebe. Ich verließ Cyril ohne ein Wort und ging zum Haus zurück. Diese schnelle Rückkehr verwunderte mich: Annes Zug konnte noch gar nicht angekommen sein. Dennoch traf ich sie bereits auf der Terrasse, wie sie aus ihrem eigenen Wagen stieg.

»Das ist ja hier ein Dornröschenschloss!«, rief sie. »Wie braun du geworden bist, Cécile! Schön, dich zu sehen.«

»Ich freu mich auch«, sagte ich. »Aber kommen Sie denn aus Paris?«

»Ich bin lieber mit dem Wagen gekommen, aber nun bin ich auch ziemlich kaputt.«

Ich brachte sie auf ihr Zimmer. Ich machte das Fenster auf in der Hoffnung, Cyrils Boot zu sehen, doch es war verschwunden. Anne hatte sich aufs Bett gesetzt. Jetzt sah ich die kleinen Schatten um ihre Augen.

»Diese Villa ist entzückend«, seufzte sie. »Und wo ist der Hausherr?«

»Er ist mit Elsa zum Bahnhof gefahren, um Sie abzuholen.«

Ich hatte ihren Koffer auf einen Stuhl gelegt, und als ich mich wieder zu ihr umwandte, erschrak ich. Ihr Gesicht war plötzlich zusammengefallen, ihr Mund zitterte.

»Elsa Mackenbourg? Er hat Elsa Mackenbourg mit hierhergebracht?«

Mir fiel keine Antwort ein. Ich sah sie verdutzt an. Dieses Gesicht, das ich immer nur ruhig und beherrscht gesehen hatte, lieferte sich mir auf einmal so schrankenlos aus. Sie starrte mich durch die Bilder hinweg an, die meine Worte in ihr ausgelöst hatten; endlich sah sie mich und wandte sich ab.

»Ich hätte euch vorwarnen sollen«, sagte sie, »aber ich bin so in Eile los, und ich war so müde ...«

»Und jetzt ...«, fuhr ich mechanisch fort.

»Was jetzt?«, sagte sie.

Ihr Blick war fragend, verächtlich. Nichts war geschehen.

»Jetzt sind Sie angekommen«, sagte ich dümmlich und rieb mir die Hände. »Ich freue mich sehr, wissen Sie, dass Sie da sind. Ich warte unten auf Sie. Wenn Sie etwas trinken wollen, die Bar ist bestens ausgestattet.«

Ich ging stammelnd hinaus und die Treppe hinunter, mit völlig wirren Gedanken. Warum dieses Gesicht, diese erregte Stimme, dieser Anfall von Schwäche? Ich setzte mich in einen Liegestuhl und schloss die Augen. Ich versuchte mich an all die strengen, beruhigenden Gesichter Annes zu erinnern: das ironische, das ungezwungene, das autoritäre. Die Entdeckung dieses verletzlichen Gesichts wühlte mich auf und reizte mich zugleich. Liebte sie meinen Vater? War es möglich, dass sie ihn liebte? Nichts an ihm entsprach ihren Vorlieben. Er war schwach, leichtlebig, manchmal sogar antriebslos. Aber vielleicht lag es nur an ihrer Reisemüdigkeit, ihrer moralischen Entrüstung? Ich verbrachte eine Stunde damit, Mutmaßungen anzustellen.

Um fünf Uhr kam mein Vater mit Elsa. Ich sah ihn aus dem Wagen steigen. Ich versuchte herauszubekommen, ob Anne ihn lieben könnte. Er ging rasch auf mich zu, den Kopf ein wenig nach hinten geworfen. Er lächelte. Ich dachte, es sei sehr gut möglich, dass Anne ihn liebte, wer liebte ihn nicht.

(Continues…)



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